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40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AsylG 2005 §3 Abs1Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2019/19/0448Ra 2019/19/0449Ra 2019/19/0450Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revisionen 1. des M R A, 2. der H H M,
3. des R A, und 4. des R A, alle vertreten durch Mag. Bernhard Folta, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Beethovengasse 4-6/3/1, gegen die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2019,
1) I415 2202509-2/6E, 2) I415 2202510-2/6E, 3) I415 2202512-2/6E und 4) I415 2202511-2/6E, betreffend Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschlüsse werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerber sind irakische Staatsangehörige. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertrevisionswerber. Die Erst- bis Drittrevisionswerber stellten am 1. Jänner 2016, der Viertrevisionswerber - nach seiner Geburt in Österreich - am 26. Jänner 2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachten sie vor, der Erstrevisionswerber sei Mitarbeiter des ehemaligen irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani gewesen, weshalb er verfolgt worden sei.
2 Mit Erkenntnis vom 8. November 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - im Beschwerdeverfahren - die Anträge der Revisionswerber ab und erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen.
3 Am 5. Dezember 2018 stellten die Revisionswerber die gegenständlichen Folgeanträge auf internationalen Schutz. Begründend brachten sie vor, es habe sich an den im ersten Verfahren geltend gemachten Fluchtgründen nichts geändert. Ergänzend legte der Erstrevisionswerber die Kopie eines Gerichtsurteils vom 2. Juni 2019 gegen ihn vor. Die Zweitrevisionswerberin brachte ergänzend vor, sie sei als Frauenaktivistin für das irakische Innenministerium tätig gewesen. Da sie ohne Kündigung das Land verlassen habe, sei am 14. Juni 2017 ein Haftbefehl gegen sie erlassen worden. 4 Mit mündlich verkündeten Bescheiden vom 28. Juni 2019 (hinsichtlich des Erstrevisionswerbers) und vom 27. Juni 2019 (hinsichtlich der Zweit- bis Viertrevisionswerber) hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den faktischen Abschiebeschutz der Revisionswerber gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf. Das BFA traf u.a. Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.
5 Mit dem in Revision gezogenen Beschluss sprach das BVwG aus, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes der Revisionswerber rechtmäßig und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Das BVwG stellte fest, dass sich der ursprüngliche Sachverhalt aus dem Erstverfahren nicht geändert habe und dass das nunmehrige Vorbringen des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin von der Rechtskraft des Erstverfahrens mitumfasst und zudem nicht glaubwürdig sei. Zur "asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Irak" stellte das BVwG fest, das BFA habe seiner Entscheidung aktuelle Berichte zu Grunde gelegt. 7 Beweiswürdigend führte das BVwG aus, dem neuen Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin fehle ein glaubhafter Kern. Zur Lage im Herkunftsstaat habe das BFA dargelegt, dass sich die Feststellungen aus den unbedenklichen objektiven Zusammenstellungen und Auskünften der Staatendokumentation ergäben; dem trete das BVwG bei.
8 In der rechtlichen Beurteilung führte das BVwG aus, es sei kein neuer Sachverhalt vorgebracht worden bzw. beziehe sich das Vorbringen auf die schon im ersten Verfahren behandelten Fluchtgründe und habe keinen glaubhaften Kern. Die allgemeine Lage im Herkunftsstaat habe sich "auch unter Berücksichtigung aktuellster, als notorisch zu erachtender Lageentwicklungen" nicht entscheidungswesentlich nachteilig geändert. Bereits im Vorverfahren sei festgestellt worden, dass bei einer Rückkehr der Revisionswerber in ihren Herkunftsstaat keine Verletzung der "hier maßgeblichen Rechtsgüter" drohe. Da sich die allgemeine Lage wie auch die persönlichen Verhältnisse "seit der letzten Entscheidung des Bundesamtes" nicht entscheidungswesentlich geändert habe, könne davon ausgegangen werden, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak für die Antragsteller zu keiner Bedrohung "der angeführten Rechtsgüter" führen werde.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es keine Feststellungen zur Frage getroffen habe, ob die Folgeanträge missbräuchlich gestellt worden seien. Das BVwG habe auch den maßgeblichen Sachverhalt nicht ordnungsgemäß festgestellt, weil es näher genannte, öffentlich zugängliche Berichte zu Militäroperationen und willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen im Irak nicht berücksichtigt habe, aus denen sich ergebe, dass die Revisionswerber bei einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen und einer Gefahr von Leib und Leben ausgesetzt wären. Schließlich sei das BVwG auch von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht abgewichen, weil es keine länderspezifischen Feststellungen getroffen habe. 12 Die Revision ist aus dem genannten Grund zulässig und auch begründet.
13 Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA den faktischen Abschiebeschutz des Fremden, der einen Folgeantrag gestellt hat, aufheben, wenn gegen ihn (u.a.) eine Rückkehrentscheidung besteht (Z 1), der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z 2), und die Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3, oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z 3).
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0221, mwN).
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies ausgesprochen, dass in einem Fall, in dem das Verwaltungsgericht die der Entscheidung zu Grunde gelegten maßgeblichen Länderfeststellungen in den wesentlichen Punkten wiedergegeben und lediglich darüber hinaus auf die getroffenen Feststellungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verwiesen hat, die Entscheidung solcherart einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich und aus diesem Grund nicht als rechtswidrig zu erkennen ist. Hingegen hat der Verwaltungsgerichtshof in Fällen, in denen für die rechtliche Beurteilung maßgebliche Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat zur Gänze fehlten, eine Verletzung der Begründungspflicht angenommen (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0391, mwN).
16 Im vorliegenden Fall hat es das BVwG unterlassen, eigene entscheidungswesentliche Feststellungen zum Irak zu treffen. Es hat lediglich auf die vom BFA getroffenen Länderfeststellungen verwiesen und - disloziert - in der rechtlichen Beurteilung ausgeführt, dass sich die allgemeine Lage im Herkunftsstaat nicht verändert habe. Damit ist es dem Verwaltungsgerichtshof aber nicht möglich, den angefochtenen Beschluss hinsichtlich der Frage, ob gemäß § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 die Abschiebung der Revisionswerber eine reale Gefahr u.a. einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 2, 3 und 8 EMRK bedeuten würde, in der vom Gesetz geforderten Weise einer nachprüfenden Kontrolle zu unterziehen. Das angefochtene Erkenntnis ist daher mit einem Verfahrensmangel behaftet, dessen Relevanz von der Revision auch aufgezeigt wird. 17 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das BVwG nicht nur damit auseinandersetzen müssen, ob der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen sein wird, sondern auch mit der Frage, ob die Folgeantragstellung klar missbräuchlich erfolgt ist (vgl. VwGH 7.2.2020, Ra 2019/18/0487, sowie grundlegend VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451).
18 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 5. März 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190447.L01Im RIS seit
05.05.2020Zuletzt aktualisiert am
05.05.2020