TE OGH 2020/2/18 10Ob12/20t

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Veröffentlicht am 18.02.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Kindes A*****, geboren ***** 2007, vertreten durch das Land Wien (Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirk 21, 1210 Wien, Franz-Jonas-Platz 12), wegen Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. September 2019, GZ 43 R 460/19v-60, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 22. Juli 2019, GZ 13 Pu 104/14i-37, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Am 23. 1. 2008 beantragte das ***** 2007 geborene Kind, A***** ab 2. 7. 2007 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 400 EUR zu verpflichten. Am selben Tag beantragte das Kind zu 13 Fam 1/08y des Erstgerichts die Feststellung der Vaterschaft A*****s. Infolge dieses Antrags unterbrach das Erstgericht mit Beschluss vom 28. 1. 2008 (ON 2) das Unterhaltsverfahren.

Mit Beschluss vom 25. 4. 2014 stellte das Erstgericht im Verfahren 13 Fam 1/08y die Vaterschaft A*****s fest (ON 62 in 13 Fam 1/08y). Aufgrund dessen beantragte das Kind am 26. 5. 2014 die Fortsetzung des Unterhaltsverfahrens und schränkte den Antrag dahin ein, dass es ab 2. 7. 2007 einen monatlichen Unterhalt von 350 EUR, ab 1. 1. 2009 von 325 EUR und ab 1. 7. 2013 von 375 EUR begehrte (ON 3).

Am 26. 5. 2014 beantragte das Kind die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG. Mit Beschluss vom 11. 6. 2014 (ON 7) bestellte das Erstgericht für den Vater einen Rechtsanwalt zum Kurator im Unterhalts- und im Unterhaltsvorschussverfahren, um weitere Verzögerungen zu Lasten des Kindes zu vermeiden. Mit Beschluss vom 11. 6. 2014 (ON 8) gewährte das Erstgericht dem Kind für den Zeitraum vom 1. 5. 2014 bis 30. 4. 2019 gemäß § 4 Z 4 UVG einen monatlichen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 375 EUR, höchstens jedoch in Höhe des Richtsatzes gemäß § 6 Abs 2 UVG. Das vom Vater, vertreten durch den bestellten Kurator, angerufene Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss mit der Maßgabe, dass die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 4 UVG dem Kind vom 1. 5. 2014 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Unterhaltsfestsetzungsverfahrens, längstens jedoch bis 30. 4. 2019 gewährt werden (ON 16).

Der durch den bestellten Kurator vertretene Vater äußerte sich am 24. 6. 2014 zum Unterhaltsantrag und beantragte dessen Zurück-, hilfsweise dessen Abweisung.

Am 17. 4. 2019 beantragte das Kind gemäß § 18 UVG die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG (ON 34).

Am 22. 7. 2019 fasste das Erstgericht den Beschluss, das Unterhaltsverfahren fortzusetzen (ON 36). Die Abstammung des Kindes von A***** sei im Abstammungsverfahren rechtskräftig festgestellt worden.

Das Erstgericht gewährte dem Kind Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 4 UVG für den Zeitraum vom 1. 5. 2019 bis 30. 4. 2024 in Höhe von 375 EUR monatlich, höchstens jedoch in Höhe des Richtsatzes gemäß § 6 Abs 2 UVG weiter. Es sah keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Anspruchsvoraussetzungen geändert hätten.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss gerichteten Rekurs des Vaters Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass es den Antrag auf Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen abwies. Zwar sei die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen an weniger strenge Voraussetzungen geknüpft als die Gewährung. Vorschüsse gemäß § 4 Z 4 UVG seien auch dann weiter zu gewähren, wenn zwar das Verfahren über die Abstammung des Kindes beendet sei, nicht aber das bis dahin unterbrochene Unterhaltsverfahren. Im Weitergewährungsverfahren über solche Vorschüsse sei jedoch von Amts wegen zu prüfen, ob das Unterbleiben zumutbarer Bemühungen um die Schaffung eines Exekutionstitels gegen den Unterhaltsschuldner im Einzelfall einen Rechtsmissbrauch bedeute. Hier sei das Unterhaltsfestsetzungsverfahren seit April 2015 nicht fortgesetzt worden, sodass davon auszugehen sei, dass das Kind die nach dem Außerstreitverfahren zur Durchsetzung seines Unterhaltsanspruchs bestehenden Möglichkeiten nicht ausgeschöpft und nicht alles Erforderliche und Zumutbare unternommen habe. Eine zustellfähige Anschrift des Unterhaltsschuldners sei bereits 2015 bekanntgegeben worden. Infolge dieser Untätigkeit des Kindes stellte ein Fortbezug von Leistungen nach dem UVG einen Rechtsmissbrauch dar. Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes, mit dem es die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen anstrebt.

Der Vater beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung die Zurück-, hilfsweise die Abweisung des Revisionsrekurses.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Das Kind führt im Revisionsrekurs aus, dass sich bereits das Abstammungsverfahren infolge erfolgloser Zustellversuche an den Vater in Saint Lucia von 2008 bis 2015 verzögert habe. Es sei daher damit zu rechnen gewesen, dass auch das Unterhaltsverfahren ausnehmend lange dauern werde. Zusätzlich wirkten sich die bereits bekannten personellen Engpässe bei den Bezirksgerichten auf die Verfahrensdauer aus. Im laufenden Verfahren sei mit Schreiben vom 19. 1. 2017 und 15. 11. 2017 um Bekanntgabe des Verfahrensstandes ersucht worden. Das Verhalten des Vaters und die Verfahrensdauer könnten sich nicht zu Lasten des Kindes auswirken.

Dem kommt im konkreten Fall Berechtigung zu:

1.1 Gemäß § 4 Z 4 UVG sind Vorschüsse unter anderem dann zu gewähren wenn die Abstammung eines Kindes in erster Instanz festgestellt und ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung bereits eingebracht worden ist. Vorschüsse nach dieser Bestimmung sind weiterhin zu gewähren, wenn das Verfahren über die Feststellung der Abstammung des Kindes bereits rechtskräftig beendet ist, nicht aber das (bis dahin unterbrochene) Unterhaltsverfahren (RS0102082).

1.2 Bei einer Weitergewährung (§ 18 UVG) ist das Gericht nicht berechtigt, den ursprünglichen Gewährungsbeschluss zu überprüfen. Es hat vielmehr zu prüfen, ob die früheren Gewährungsgrundlagen noch gegeben sind. Ist der Sachverhalt ident wie bei der Erstgewährung, ist eine abweichende rechtliche Beurteilung im Weitergewährungsverfahren im Hinblick auf die Rechtskraft des ursprünglichen Gewährungsbeschlusses ausgeschlossen. Neue Versagungsgründe sind jedoch uneingeschränkt von Amts wegen zu beachten (RS0122248).

1.3 Von Amts wegen wahrzunehmen wäre nach der Rechtsprechung im Fall einer Entscheidung über einen Antrag auf Weitergewährung nach § 18 UVG auch Rechtsmissbrauch.

1.4 Im Unterhaltsvorschussrecht kann der Fortbezug von Leistungen nach dem UVG trotz Unterbleibens zumutbarer Bemühungen um die Schaffung eines Exekutionstitels Rechtsmissbrauch bedeuten (6 Ob 589/90; RS0076105). Der Unterhaltsberechtigte hat das für eine Unterhaltsfestsetzung oder Unterhaltserhöhung Erforderliche und Zumutbare zu unternehmen (RS0076105 [T6]), dies selbst dann, wenn die Lebensverhältnisse des Unterhaltsschuldners ungewiss sind, sein Aufenthalt unbekannt ist und deshalb eine Kuratorbestellung notwendig ist. Als rechtsmissbräuchlich wurde etwa beurteilt, wenn das Kind nach Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung im Abstammungsverfahren einen Fortsetzungsantrag lediglich aus dem Grund unterließ, um weiterhin in den Genuss des Bezugs von Richtsatzvorschüssen nach § 4 Z 4 UVG zu kommen (10 Ob 43/11p).

2.1 Im vorliegenden Fall hat das Kind nicht nur einen Unterhaltsfestsetzungsantrag gleichzeitig mit dem Antrag auf Feststellung seiner Abstammung gestellt, sondern auch – weniger als einen Monat nach Entscheidung über seine Abstammung – die Fortsetzung des wegen des Abstammungsverfahrens unterbrochenen Unterhaltsverfahrens beantragt. Im Fall der Unterbrechung eines Verfahrens (wie hier) gemäß § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG ist das Verfahren gemäß § 26 Abs 3 AußStrG vom Gericht über Antrag einer Partei mit Beschluss fortzusetzen, wenn der Unterbrechungsgrund weggefallen ist. Es bestand daher nach dem Fortsetzungsantrag des Kindes vom 26. 5. 2014 eine Handlungspflicht des Gerichts, nicht aber eine prozessuale Handlungspflicht des Kindes.

2.2 Richtig ist, dass eine Partei auch dann, wenn sie eine Tätigkeit des Gerichts erwarten konnte und musste, nicht ad infinitum im Verfahren untätig bleiben darf (RS0034672). Diese Rechtsprechung bezieht sich zwar primär auf die Frage der Verjährung von Ansprüchen (vgl zB 4 Ob 240/17y mwH). Es scheint aber im Verfahren über die Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen wie im vorliegenden Fall zumindest nicht undenkbar, dass eine Inaktivität des Kindes auch nach Stellung eines Fortsetzungsantrags im Unterhaltsverfahren unter bestimmten Umständen rechtsmissbräuchlich sein kann, wenn es dem Kind allein darum gehen sollte, durch dieses Verhalten weiter in den Genuss von Richtsatzvorschüssen zu gelangen (vgl 10 Ob 43/11p).

3.1 Davon kann aber nach den Umständen des konkreten Falls nicht ausgegangen werden. Bereits die Stellung eines Fortsetzungsantrags im Unterhaltsverfahren unmittelbar nach Entscheidung im Abstammungsverfahren spricht gegen eine rechtsmissbräuchliche Vorgangsweise des Kindes. Richtig ist der Hinweis des Rekursgerichts, dass der für den Vater bestellte Kurator dem Erstgericht am 21. 4. 2015 eine Adresse des Vaters in Saint Lucia bekanntgab und mitteilte, dass er diesen telefonisch habe erreichen können (ON 32). Aus dem Akt ergibt sich allerdings kein Hinweis, dass die Eingabe ON 32 der Vertretung des Kindes zugestellt wurde.

3.2 Im Verfahren ist zwischen dem Kanzleivermerk vom 4. 5. 2015 (ON 33) und dem im Rechtsmittelverfahren zu behandelnden Antrag des Kindes auf Weitergewährung von Unterhaltsvorschüssen vom 16. 4. 2019 (ON 34) keine Aktivität des Gerichts ersichtlich. Das Kind legte jedoch mit dem Revisionsrekurs mehrere, dem Rekursgericht nicht bekannte Urgenzschreiben an das Erstgericht aus den Jahren 2015 und 2017 vor. Ein allfälliger rechtsmissbräuchlicher Bezug von Unterhaltsvorschüssen war kein Thema im Verfahren, sondern wurde erstmals vom Rekursgericht von Amts wegen aufgegriffen. Vor diesem Hintergrund ist es dem Kind nicht vorwerfbar, dass diese Schreiben erstmals mit dem Revisionsrekurs vorgelegt wurden, weshalb kein Verstoß gegen das Neuerungsverbot vorliegt (§ 49 Abs 2 AußStrG).

3.3 Im Zweifel ist davon auszugehen, dass diese Schreiben des Kindes an das Erstgericht geschickt wurden und dort auch einlangten. Daraus ergibt sich jedoch, dass das Kind sehr wohl Anstrengungen unternahm, das Unterhaltsverfahren fortzusetzen. Dass das Kind vor dem Hintergrund des sich bereits über Jahre hinziehenden Abstammungsverfahrens damit rechnen konnte, dass auch das Unterhaltsverfahren sich über längere Zeit hinziehen werde, ist im Hinblick auf den in Übersee befindlichen Vater nachvollziehbar. Eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen ist dem Kind im konkreten Fall daher nicht vorwerfbar. Daran ändert vor dem Hintergrund der dargestellten Aktivitäten des Vertreters des Kindes auch der in der Revisionsrekursbeantwortung aufgezeigte Umstand nichts, dass das Kind keinen Fristsetzungsantrag (§ 91 GOG) im Verfahren gestellt hat.

4.1 Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Textnummer

E127764

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00012.20T.0218.000

Im RIS seit

24.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

24.04.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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