Entscheidungsdatum
24.04.2019Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art. 130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seine Richterin Mag. Hornschall über die Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 und Art. 132 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG iVm § 88 Abs. 1 und § 89 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz – SPG des Herrn A. B., geb. 1972, vertreten durch Rechtsanwalt, wegen Verletzung in subjektiven Rechten in Folge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sowie die Verletzung von Richtlinien hinsichtlich dreier Amtshandlungen durch Organe der Landespolizeidirektion Wien am 09.09.2017 im Bereich des C.
zu Recht erkannt:
I. Den beiden Beschwerden wegen Verletzung in subjektiven Rechten in Folge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Identitätsfeststellung wird stattgegeben und die beiden am 9.9.2017 gegen 17:00 Uhr und gegen 17:50 Uhr im Bereich des C. durch Organe der Landespolizeidirektion Wien gemäß § 35 SPG erfolgten Feststellungen der Identität des Beschwerdeführers als rechtswidrig erklärt.
II. Die Beschwerde wegen Verletzung in subjektiven Rechten in Folge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Hinderung am Fotografieren (Handgesten, In-den-Weg-stellen und Ausspruch eines Verbotes) am 9.9.2017 gegen 19:00 Uhr im Bereich des C. durch Organe der Landespolizeidirektion Wien wird als unbegründet abgewiesen.
III. Die sieben Beschwerden wegen Verletzung von Richtlinien werden als unbegründet abgewiesen und festgestellt, dass im Zuge der drei in beschwerdegezogenen Amtshandlungen am 9.9.2017 im Bereich des C. folgende Richtlinien gemäß Richtlinien-Verordnung – RLV gegenüber dem Beschwerdeführer nicht verletzt worden sind: gegen 17:00 Uhr am Parkplatz C. die Richtlinien gemäß §§ 6 Abs. 1 Z 2, 9 Abs. 1 und 3 und 10 Abs. 1 und 2 RLV (Bekanntgabe des Zweckes des Einschreitens, Bekanntgabe der Dienstnummer, Dokumentation); gegen 17:50 Uhr an der an der D.-straße bei der T-Kreuzung mit der E.-gasse die Richtlinien gemäß §§ 6 Abs. 1 Z 2 und 3 und 10 Abs. 1 und 2 RLV (Bekanntgabe des Zweckes des Einschreitens, Dokumentation) und gegen 19:00 Uhr zwischen C. und F. die Richtlinien gemäß §§ 6 Abs. 1 Z 2 und 3 und 10 Abs. 1 und 2 RLV (Bekanntgabe des Zweckes des Einschreitens, Dokumentation)
IV. Der Rechtsträger der belangten Behörde (Bund) hat dem Beschwerdeführer, Herrn A. B., als obsiegender Partei den Schriftsatzaufwand in der Höhe von zweimal € 737,60 und den Verhandlungsaufwand in der Höhe von € 922,- insgesamt sohin € 2.397,20 an Aufwandersatz binnen 14 Tagen ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
V. Der Beschwerdeführer, Herr A. B., hat dem Rechtsträger der belangten Behörde (Bund) achtmal EUR 368,80 für Schriftsatzaufwand, EUR 57,40 für Vorlageaufwand und EUR 461,00 für Verhandlungsaufwand, insgesamt sohin EUR 3.468,80 an Aufwandersatz binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
VI. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes - B-VG unzulässig.
BEGRÜNDUNG
Der Beschwerdeführer erhob mithilfe seines rechtsfreundliche Vertreters fristgerecht die verfahrensgegenständlichen Beschwerden wegen Verletzung in subjektiven Rechten in Folge Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sowie wegen Verletzung von Richtlinien gemäß § 31 SPG hinsichtlich dreier Amtshandlungen durch Organe der Landespolizeidirektion Wien am 09.09.2017 im Bereich des C..
Das Verwaltungsgericht Wien hat an drei Terminen eine öffentlich mündliche Verhandlung abgehalten, im Zuge derer der Beschwerdeführer und die Zeugen Frau G., Frau H., Bez.Insp. I., Rev.Insp. J., Oberstlt. K., Insp. L. und Abt.Insp. M. einvernommen wurden. Einsicht genommen wurde in die von Beschwerdeführer vorgelegten Fotos sowie in die von der Behörde vorgelegten Berichte und Aufzeichnungen über die Ereignisse am 9.9.2017, insbesonders die Meldung über sichergestellte Pyrotechnika und die beiden Listen über vorgenommene Identitätsfeststellungen.
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
Feststellungen
Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens stellt das Verwaltungsgericht Wien folgenden Sachverhalt fest:
1.) Der Beschwerdeführer, Herr A. B., ging am 9.9.2017 anlässlich der Versammlung und des Marsches der „N.“ im Bereich des C. seiner Tätigkeit als Journalist nach. Die Veranstaltung wurde von der Landespolizeidirektion Wien im Rahmen eines GSOD-Einsatzes (großer sicherheitspolizeilicher Ordnungsdienst) mit zahlreichen Beamten begleitet und gesichert.
2.) Gegen 17:00 Uhr fuhr der Beschwerdeführer per PKW zum Parkplatz C.. Von einem Zivilbeamter der Landespolizeidirektion Wien wurde im Rahmen der Gefahrenerforschung beobachtet, dass sich der dunkel gekleidete Beschwerdeführer einige Zeit im Bereich der in Vorbereitung befindlichen Demonstration aufhielt, herumfuhr und auffällig fotografierte. Es entstand beim Zivilbeamten der Verdacht, dass der Beschwerdeführer die Lage zur Organisation von – nach den Erfahrungen der Exekutive bei solch umstrittenen Veranstaltungen zu stets zu befürchtenden - gefährlichen Angriffen (z.B. mit Pyrotechnika) der politischen Gegenseite auskundschaftet oder über solche Aktivitäten Auskunft erteilen kann. Der Zivilbeamte forderte aufgrund seiner Beobachtungen und Überlegungen am Parkplatz im Einsatz befindliche uniformierte Beamte des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Wien – ohne dafür die Gründe zu nennen – auf, eine Identitätsfeststellung am Beschwerdeführer vorzunehmen. Diese arbeitsteilige Vorgangsweise ist bei einem GSOD-Einsatz aufgrund der Vielzahl der zum Einsatz kommenden Beamten vorgesehen.
3.) Der Beschwerdeführer wurde am Parkplatz von den uniformierten Beamten einer Identitätsfeststellung unterzogen. Als Rechtsgrundlage wurde dem Beschwerdeführer § 35 Sicherheitspolizeigesetz – SPG genannt.
4.) Der Beschwerdeführer fragte den einschreitenden Beamten nach dessen Dienstnummer. Dieser verwies ihn an seinen Vorgesetzten (Kommandanten), welcher am anderen Ende des Parkplatzes zu finden sei. Nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer sich an den genannten Ort begab, um die Dienstnummer zu erfragen.
5.) Diese Identitätsfeststellung (Name, Geburtsdatum, Adresse und Art des Ausweisdokumentes: Führerschein) wurde von der Behörde in einer Liste, in welcher die am 9.9.2017 anlässlich des Fackelzuges vorgenommenen Identitätsfeststellungen in … , C. (Restaurant mit zugehörigem Parkplatz) festgehalten wurden, dokumentiert.
6.) Danach fuhr der Beschwerdeführer gegen 17:50 Uhr die D.-straße hinab zur T-Kreuzung mit der E.-gasse, wo sich eine polizeiliche Absperrung zur Sicherung der Demonstration befand. Der der dort einschreitende Beamte Beamte war überrascht, dass sich der Beschwerdeführer in einem zuvor abgeriegelten Bereich, in dem der Demonstrationszug erwartet wurde und eigentlich kein Fahrzeugverkehr mehr herrschen durfte, bewegte.
7.) Der Beschwerdeführer wurde zum zweiten Mal an diesen Tag von einem Organ der Landespolizeidirektion Wien einer Identitätsfeststellung unterzogen. Auf Nachfrage wurde dem Beschwerdeführer als Rechtsgrundlage § 35 SPG genannt. Der einschreitende Beamte sagte dem Beschwerdeführer auch, dass er sich auf die Schutzzone zubewegt.
8.) Diese Identitätsfeststellung (Name und Geburtsdatum) wurde von der Behörde in einer Liste, in welcher die am 9.9.2017 anlässlich des Fackelzuges an der D.-straße vorgenommenen Identitätsfeststellungen festgehalten wurden, dokumentiert.
9.) In einem Fahrzeug im Bereich des C. wurden von der Landespolizeidirektion Wien um 17:43 Uhr Pyrotechnika aufgefunden. Der Landespolizeidirektion Wien lagen zum Zeitpunkt der beiden Identitätsfeststellungen aber keine Informationen darüber vor, dass sich im Zusammenhang mit der zu sichernden Veranstaltung bereits ein konkreter gefährlicher Angriff ereignet hatte, über den der Beschwerdeführer Auskunft erteilen könnte, oder ein solcher in konkreter Vorbereitung wäre.
10.) Gegen 19:00 Uhr folgte der Beschwerdeführer dem Marsch der „N.“ vom C. zum F.. Ebenfalls gingen Organe der Landespolizeidirektion Wien in lockerer Ketten-Formation hinter dem Demonstrationszug her. Die Beamten hielten sich bereit, falls notwendig die Veranstaltung abzusichern.
11.) Der Beschwerdeführer, welcher den Beamten beim Marschieren körperlich sehr nahe kam, wurde aufgefordert, Abstand zu den mit Schusswaffen ausgerüsteten Beamten zu halten, um sich selbst und die Beamten nicht zu gefährden.
12.) Nicht festgestellt werden konnte, dass die Beamten dem Beschwerdeführer
am Fotografieren gehindert haben, indem sie sich in den Weg stellten, entsprechende Handgesten machten und erklärten, dass dies nicht gestattet sei. Nicht festgestellt werden konnte, dass auf den Beschwerdeführer Zwang ausgeübt wurde, ihm Zwangsmaßnahmen angedroht wurden oder er subjektiv von unmittelbar drohendem Zwang ausging.
13.) Nicht festgestellt werden konnte, dass dem Beschwerdeführer der Zweck der Aufforderung bekannt gegeben wurde. Über diese Episode wurde seitens der Behörde keine Dokumentation verfasst.
Beweiswürdigung
Ad 1.) Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den jeweiligen Parteienvorbringen und blieb unbestritten. Die vom Beschwerdeführer vorgelegten Fotos belegen, dass eine Vielzahl von Beamten im Einsatz waren.
Ad 2.) Dies ergibt sich aus der glaubhaften und detaillierten Aussage des Zeugen Rev.Insp. J..
Ad 3.) Dies wurde übereinstimmend vom Beschwerdeführer sowie den Zeugen Frau G., Frau H. und Bez.Insp. I. ausgesagt.
Ad 4.) Der Beschwerdeführer sowie den Zeugen Frau G., Frau H. und Bez.Insp. I. haben übereinstimmend ausgesagt, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich der Dienstnummer an den Vorgesetzten verwiesen wurde. Dass dem Beschwerdeführer gesagt wurde, dass der Vorgesetzte am anderen Ende des Parkplatzes zu finden sei, erscheint dem Verwaltungsgericht Wien glaubhaft, weil der einschreitende Beamte aufgrund der Telefonate des Beschwerdeführers damit rechnen musste, dass dieser sich beschweren wird. Aufgrund der Lebenserfahrung ist in einer solchen Situation von einem besonders korrekten Verhalten auszugehen. Der Beschwerdeführer hat nicht vorgebracht, dass er danach den Vorgesetzten aufgesucht hätte.
Ad 5.) und 8.) Dies ist den von der Behörde vorgelegten Listen zu entnehmen.
Ad 6.) Dies ergibt sich aus der glaubhaften und detaillierten Aussage des Zeugen Insp. L. und dem Vorbringen der Behörde.
Ad 7.) Dies ergibt sich übereinstimmend aus den Aussagen des Beschwerdeführers sowie den Zeugen Frau G., Frau H. und Insp. L..
Ad 9.) Dies wurde aufgrund der diesbezüglichen Meldung über den Fund der Pyrotechnika festgestellt und ergibt sich dies aus dem Vorbringen der belangten Behörde.
Ad 10.) Dass der Beschwerdeführer dem Marsch folgte, ergibt sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers sowie der Zeuginnen Frau G. und Frau H.. Die lockere Formation der eingesetzten Beamten ist auf den Fotos des Beschwerdeführers ersichtlich. Dies wurde auch, genauso wie der Zweck der Begleitung, glaubhaft von der Zeugin Abt.Insp. M. angegeben.
Ad 11.) Dass der Beschwerdeführer den Beamten beim Marschieren körperlich sehr nahe kam, ist ebenfalls auf den Fotos ersichtlich. Der Beschwerdeführer befand sich beim Fotografieren teilweise unmittelbar hinter den Rücken von Beamten. Deshalb erscheint es dem Verwaltungsgericht Wien in Zusammenschau mit den nachvollziehbaren Ausführungen der Zeugin Abt.Insp. M. glaubhaft, dass der Beschwerdeführer aufgefordert wurde, Abstand zu den mit Schusswaffen ausgerüsteten Beamten zu halten, um sich selbst und die Beamten nicht zu gefährden. Diese Vorgangsweise ist während einer unübersichtlichen Großveranstaltung plausibel.
Ad 12.) Die Aussagen des Beschwerdeführers sowie der Zeuginnen Frau G. und Frau H., dass der Beschwerdeführer am Fotografieren gehindert wurde, erscheinen dem Verwaltungsgericht Wien demgegenüber weniger glaubhaft. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass es in der Kommunikation zu Missverständnissen gekommen ist. Aufgrund der Aussage des authentisch und professionell wirkenden Zeugen Oberstlt. K. geht das Verwaltungsgericht Wien davon aus, dass eine Auseinandersetzung mit Journalisten schon aufgrund des innerbehördlichen Rechtfertigungsbedarfes unmittelbar gemeldet und im Anschluss dokumentiert worden wäre. Dass auf den Beschwerdeführer Zwang ausgeübt wurde, ihm Zwangsmaßnahmen angedroht wurden oder er subjektiv von unmittelbar drohendem Zwang ausging, wurde vom Beschwerdeführer jedenfalls nicht vorgebracht und ergaben sich im Zuge des Verfahrens darauf auch keine Hinweise.
Ad 13.) Dass dem Beschwerdeführer der Zweck der Aufforderung bekannt gegeben wurde oder die Episode dokumentiert wurde, ist von der Behörde nicht vorgebracht worden.
Maßgebliche Rechtslage
§ 35 Abs. 1 Z 1 SPG lautet:
Identitätsfeststellung(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind zur Feststellung der Identität eines Menschen ermächtigt,
1.
wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, er stehe im Zusammenhang mit einem gefährlichen Angriff oder könne über einen solchen Angriff Auskunft erteilen;
(…)
§ 16 SPG Abs. 2-4 lauten:
Allgemeine Gefahr; gefährlicher Angriff; Gefahrenerforschung(…)
(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Verlangen eines Verletzten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand
1.
nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278, 278a und 278b StGB, oder
(…)
(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.
(4) Gefahrenerforschung ist die Feststellung einer Gefahrenquelle und des für die Abwehr einer Gefahr sonst maßgeblichen Sachverhaltes.
§ 6 Abs. 1 Z 2 RLV lautet:
Umgang mit Betroffenen(1) Wird ein Mensch von der Amtshandlung eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes betroffen, so gelten hiefür, sofern gesetzlich nicht anderes vorgesehen ist, folgende Richtlinien: (…)
2.
dem Betroffenen ist der Zweck des Einschreitens bekanntzugeben, es sei denn, dieser wäre offensichtlich oder die Bekanntgabe würde die Aufgabenerfüllung gefährden.
(…)
§ 9 Abs. 1 und 3 RLV lauten:
Bekanntgabe der Dienstnummer(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben von einer Amtshandlung Betroffenen auf deren Verlangen ihre Dienstnummer bekanntzugeben. Dies gilt nicht, solange dadurch die Erfüllung der Aufgabe gefährdet wäre. Die Bekanntgabe der Dienstnummer aus anderen Anlässen ist dem Organ freigestellt.
(…)
(3) Im Falle des gleichzeitigen Einschreitens mehrerer Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder einer geschlossenen Einheit kann die Auskunft (Abs. 1) auch der Kommandant erteilen. Er kann den Betroffenen, sofern er ihm seine eigene Karte aushändigt, hinsichtlich jener Organe, die gegen ihn eingeschritten sind, auf eine schriftliche Anfrage verweisen. Das einzelne Organ kommt seiner Verpflichtung (Abs. 1) auch dann nach, wenn es den Betroffenen an den Kommandanten verweist.
§ 10 Abs. 1 und 2 RLV lauten:
Dokumentation(1) Üben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt aus oder nehmen sie Freiwilligkeit in Anspruch (§ 4), so haben sie dafür zu sorgen, daß die für ihr Einschreiten maßgeblichen Umstände später nachvollzogen werden können. Soweit dies hiezu erforderlich ist, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes auch ermächtigt, Namen und Adressen von Menschen zu ermitteln, die über das Einschreiten Auskunft geben können.
(2) Im Falle des gleichzeitigen Einschreitens mehrerer Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder einer geschlossenen Einheit hat der Kommandant angemessene Vorkehrungen dafür zu treffen, daß nach Möglichkeit festgestellt werden kann, welches Organ im Einzelfall eingeschritten ist.
(…)
Rechtliche Beurteilung
1.) Identitätsfeststellungen
Das Beweisverfahren hat ergeben, dass der Beschwerdeführer am 9.9.2017 anlässlich der Versammlung und des Marsches der „N.“ im Bereich des C. gegen 17:00 Uhr und nochmals gegen 17:50 Uhr Identitätsfeststellungen durch Organe der Landespolizeidirektion Wien unterzogen wurde und diese Maßnahmen auf § 35 Abs. 1 Z 1 SPG gestützt wurden. Anlässlich der zweiten Identitätskontrolle wurde der Beschwerdeführer auch informiert, dass er sich auf eine Schutzzone zubewegt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 29.6.2000, GZ: 96/01/1071 ausgesprochen, dass ein die Identitätsfeststellung gemäß § 35 Abs. 1 Z 1 SPG 1991 rechtfertigender gefährlicher Angriff aber nur dann vorliegt, wenn es zur Verwirklichung bestimmter, mit gerichtlicher Strafe bedrohter Tatbestände oder zumindest eines als Vorbereitungshandlung hierfür zu qualifizierenden Verhaltens kommt, welches in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung steht (Hinweis E VwGH 29.7.1998, 97/01/0448, mit weiteren Nachweisen). Die Tatsache allein, dass an einem Ort erfahrungsgemäß des öfteren bestimmte Taten oder Vorgänge zu registrieren sind, reicht nicht aus; das Gesetz ermächtigt nicht zu Razzien an gefährlichen Orten ohne konkreten Anlass (Hinweis Wiederin, Einführung in das Sicherheitspolizeirecht, Rz 449). Ebenso wenig besteht eine allgemeine Ausweispflicht (Hinweis Wiederin, aaO Rz, 456). Auch aus dem bloßen Herumschlendern auf einem öffentlichen Platz kann noch nicht auf das Vorliegen eines gefährlichen Angriffes geschlossen werden.
Der Beschwerdeführer erschien im gegenständlichen Fall den Beamten aufgrund seines Aufenthaltes im Nahebereich der Veranstaltung und seines Verhaltens verdächtig. Der Landespolizeidirektion Wien lagen aber zum Zeitpunkt der Amtshandlungen keine Informationen darüber vor, dass sich im Zusammenhang mit der zu sichernden Veranstaltung ein konkreter gefährlicher Angriff im Sinne des § 16 Abs. 2 Z 1 SPG ereignet hatte oder ein solcher in Vorbereitung wäre. Es bestand daher kein Grund gemäß § 35 Abs. 1 Z 1 SPG, anzunehmen, der Beschwerdeführer stünde im Zusammenhang mit einem konkreten gefährlichen Angriff oder könne über einen solchen Auskunft erteilen. Dass es erfahrungsgemäß bei solch umstrittenen Veranstaltungen stets zu befürchten ist, dass die Lage von der politischen Gegenseite zur Vorbereitung von gefährlichen Angriffen (z.B. mit Pyrotechnika) ausspioniert wird, ist für das Verwaltungsgericht Wien aufgrund von diesbezüglichen Medienberichten nachvollziehbar. Der Umstand, dass Pyrotechnika in einem Fahrzeug im Bereich des C. in einem engen räumlichen und zeitlichen Verhältnis zur Demonstration vorgefunden wurden, mag auch für die Gefahrenerforschung ein wichtiges Ergebnis sein. Dies reicht aber als Grundlage für die beiden Identitätsfeststellungen mangels konkreter Verdachtslage nicht aus, weil sich (noch) keine konkreten gefährlichen Angriffe ereignet hatten oder konkrete Vorbereitungshandlungen abgeleitet werden konnten. Die beiden Identitätsfeststellungen waren daher spruchgemäß als rechtswidrig zu erklären.
2.) Hinderung am Fotografieren
Das Beweisverfahren hat ergeben, dass der Beschwerdeführer, als er gegen 19:00 Uhr dem Demonstrationszug folgte, aus Sicherheitsgründen aufgefordert wurde, Abstand zu den bewaffneten Beamten zu halten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zuletzt mit Erkenntnis vom 29.11.2018, GZ: Ra 2016/06/0124, Stammrechtsatz, ausgesprochen, dass ein Verwaltungsakt in Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt dann vorliegt, wenn Verwaltungsorgane im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig gegen individuell bestimmte Adressaten einen Befehl erteilen oder Zwang ausüben und damit unmittelbar - d. h. ohne vorangegangenen Bescheid - in subjektive Rechte des Betroffenen eingreifen. Das ist im Allgemeinen dann der Fall, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehls droht. Es muss ein Verhalten vorliegen, das als "Zwangsgewalt", zumindest aber als - spezifisch verstandene - Ausübung von "Befehlsgewalt" gedeutet werden kann. Weil das Gesetz auf Befehle, also auf normative Anordnungen abstellt, sind behördliche Einladungen zu einem bestimmten Verhalten auch dann nicht tatbildlich, wenn der Einladung Folge geleistet wird. Die subjektive Annahme einer Gehorsamspflicht ändert noch nichts am Charakter einer Aufforderung zum freiwilligen Mitwirken. Als unverzichtbares Merkmal eines Verwaltungsaktes in der Form eines Befehls gilt, dass dem Befehlsadressaten eine bei Nichtbefolgung unverzüglich einsetzende physische Sanktion angedroht wird. Liegt ein Befolgungsanspruch aus einer solchen, dem Befehlsadressaten bei Nichtbefolgung des Befehls unverzüglich drohenden physischen Sanktion (objektiv) nicht vor, so kommt es darauf an, ob bei objektiver Betrachtungsweise aus dem Blickwinkel des Betroffenen bei Beurteilung des behördlichen Vorgehens in seiner Gesamtheit der Eindruck entstehen musste, dass bei Nichtbefolgung der behördlichen Anordnung mit ihrer unmittelbaren zwangsweisen Durchsetzung zu rechnen ist (Hinweis E vom 29. September 2009, 2008/18/0687, mwN).
Auf den Beschwerdeführer wurde kein Zwang ausgeübt. Die Aufforderung aus Sicherheitsgründen zu den bewaffneten Beamten Abstand zu halten, ist auch nicht als Ausübung von Befehlsgewalt zu qualifizieren. Dem Beschwerdeführer wurden keine Zwangsmaßnahmen im Falle der Nichtbefolgung angedroht. Er ging auch nicht subjektiv von unmittelbar drohendem Zwang aus. Aufgrund der lockeren Formation der Beamten musste der Beschwerdeführer auch objektiv nicht davon ausgehen, dass er bei Nichtbefolgung unmittelbar unangekündigte Sanktionen zu befürchten hat. Es lag somit kein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vor, weshalb die diesbezügliche Maßnahmenbeschwerde spruchgemäß abzuweisen war.
3.) Bekanntgabe des Zweckes des Einschreitens
Das Beweisverfahren hat ergeben, dass bei den beiden Identitätsfeststellungen die jeweils einschreitenden Beamten dem Beschwerdeführer als Zweck der Amtshandlung § 35 Abs. 1 Z 1 SPG nannten.
Der Langtitel der RLV lautet: „Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden“. Damit ist klargestellt, dass sich die verordneten Richtlinien auf das Verhalten der einschreitenden Organe als individuelle Personen beziehen und nicht auf das Verhalten der Behörde im abstrakten Sinn. So hält der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 7.9.2000, GZ: 99/01/0429, auch fest, dass es sich bei der RLV um einen Berufspflichtkodex und die gesetzliche Determinierung desselben als Katalog zur Sicherstellung wirkungsvollen einheitlichen Vorgehens handelt. Entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers umfasst der bekanntzugebende Zweck der Amtshandlung daher nicht das gesamte bei der Behörde allenfalls vorhandene Wissen. Es genügte vielmehr, dass die einschreitenden Beamten – wie in diesem Fall – dem Beschwerdeführer den Informationsstand, der ihnen zum Zeitpunkt der jeweiligen Amtshandlungen persönlich zur Verfügung stand, bekannt gaben. Es besteht keine Verpflichtung, nicht unmittelbar zur Verfügung stehende Informationen zu beschaffen.
§ 6 Abs. 1 Z 2 RLV verlangt weiters nicht, dass der bekanntgegebene Zweck sich auch als rechtlich tragfähig erweist. Hierfür ist als Rechtsschutz die von Beschwerdeführer ohnehin genutzte Möglichkeit der Maßnahmenbeschwerde vorgesehen. Es käme im Bereich des SPG zu einer generellen Verdoppelung des Rechtsschutzes dergestalt, wenn die Verletzung subjektiv-öffentliche Rechte immer die Erhebung einer Beschwerde sowohl nach § 88 SPG also nach § 89 SPG ermögliche. Eine solche durchgehende Doppelgleisigkeit – die freilich partiell besteht – kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden (siehe oa. Entscheidung).
Die Aufforderung, von den Beamten Abstand zu halten, stellt – wie gezeigt – keinen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar. Es lag auch keine Amtshandlung vor, da mit dieser Aufforderung keine Gesetze vollzogen wurden und kein hoheitliches Handeln („imperium“) vorlag. Es handelte sich um eine schlichte Aufforderung an den Beschwerdeführer, sich selbst und die Beamten nicht zu gefährden.
Somit wurde anlässlich der Identitätsfeststellungen in korrekter Weise Auskunft über den Zweck der Amtshandlungen erteilt. Auf die Aufforderung, Abstand zu halten, war § 6 Abs. 1 Z 2 RLV mangels Vorliegens einer Amtshandlung nicht anwendbar. Es war somit spruchgemäß festzustellen, dass die Richtlinie gemäß § 6 Abs. 1 Z 2 RLV bei allen drei Vorfällen nicht verletzt wurde.
4.) Bekanntgabe der Dienstnummer
Das Beweisverfahrenen hat ergeben, dass der einschreitende Beamte den Beschwerdeführer hinsichtlich der Dienstnummer an seinen Vorgesetzten verwies. Die Beschwerdeführer wurde mitgeteilt, dass sich dieser am anderen Ende des Parkplatzes befinde. Der Beschwerdeführer begab sich jedoch nicht dorthin um mit dem Vorgesetzten Kontakt aufzunehmen.
§ 9 Abs. 1 und 3 RLV normiert, dass auf Verlangen die Dienstnummer bekannt gegeben wird. Im Falle eines gleichzeitigen Einschreitens mehrerer Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes kann die Auskunft auch der Kommandant erteilen. Das einzelne Organ kommt seiner Verpflichtung auch danach, wenn es dem Betroffenen an den Kommandanten verweist.
Da der gegenständliche Einsatz im Rahmen eines GSOD-Einsatz stattfand, ist der einschreitende Beamte seiner Verpflichtung gemäß § 9 RLV durch den Verweis auf seinen Kommandanten nachgekommen. Die Richtlinie verlangt nicht, dass der Kommandant bei jeder durch seine Untergebenen durchgeführten Amtshandlung sofort an Ort und Stelle greifbar ist. Dies ist eben im Rahmen eines gleichzeitigen Einschreitens mehrerer Organe faktisch nicht möglich. Der einschreitende Beamte hat dem Beschwerdeführer darüber hinaus konkrete Auskunft über den Aufenthaltsort des Kommandanten erteilt. Dem Beschwerdeführer wäre zuzumuten gewesen, den Kommandanten am genannten, nahegelegenen Ort zwecks Bekanntgabe der Dienstnummer des einschreitenden Organes aufzusuchen.
Somit war spruchgemäß festzustellen, dass die Richtlinie gemäß § 9 Abs. 1 und 3 RLV nicht verletzt wurde.
5.) Dokumentationen
Das Beweisverfahren hat ergeben, dass die beiden Identitätsfeststellungen durch entsprechende Listen dokumentiert wurden. Die schlichte Aufforderung, Abstand zu halten, war keine Amtshandlung, weswegen § 10 Abs. 1 und 2 RLV nicht anwendbar und der Vorgang nicht dokumentationspflichtig war. Somit war spruchgemäß festzustellen, dass die Richtlinie gemäß § 10 Abs. 1 und 2 RLV bei allen drei Vorfällen nicht verletzt wurde.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 35 und 53 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II Nr. 517/2013.
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfragen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.
Schlagworte
Demonstration; Maßnahmenbeschwerde; Identitätsfeststellung; gefährlicher Angriff; Bekanntgabe; Zweck des Einschreitens; DienstnummerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2019:VGW.102.012.14527.2017Zuletzt aktualisiert am
22.04.2020