TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/26 W248 2148766-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.09.2019
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Entscheidungsdatum

26.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W248 2148766-1/15E

W248 2148766-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. NEUBAUER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2017, Zl. XXXX , sowie gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.09.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.09.2019 zu Recht:

A)

1. Die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2017, Zl. XXXX wird als unbegründet abgewiesen.

2. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und III. bis VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.09.2018, Zl. XXXX , wird als unbegründet abgewiesen.

3. Spruchpunkt II. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.09.2018, Zl. XXXX , wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim, stellte am 11.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung am 12.08.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer, befragt zu seinen Fluchtgründen, an, er sei bereits im Iran geboren worden sei noch nie in Afghanistan gewesen. Welche Probleme seine Eltern in Afghanistan hatten, könne er nicht angeben, sie hätten nie darüber gesprochen. Er habe vier ältere Brüder, deren Leben zerstört sei. Sie würden keine Arbeit bekommen, würden sich mit Tageslöhnen durchschlagen. Es gebe dort keine Zukunft. Damit ihm nicht das gleiche Schicksal widerfahre, habe er beschlossen, aus dem Iran zu fliehen. Dort habe man keine Rechte, sie würden dort unterdrückt. Die iranische Regierung verlange von ihnen eine große Summe Geld, um die Aufenthaltstitel zu verlängern. Dieses Geld könne niemand aufbringen. Bemerken wolle er auch noch, dass er gerne Fußball spiele, im Iran habe er jedoch nicht mitspielen dürfen, vielleicht könne er es hier versuchen.

In seiner Befragung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge BFA) am 29.11.2016 brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, er habe Angst vor dem Tod. Das Arbeiten im Iran sei sehr hart gewesen. Vor ungefähr einem Jahr (d. h. Ende 2015) habe die iranische Regierung zusätzlich einen Arbeiterausweis eingeführt, der zusätzlich Geld koste. Den brauche man, um überhaupt arbeiten zu können. Diesen Ausweis würden nur die Afghanen benötigen. Seine Eltern hätten nicht gewollt, dass er herkomme. Er sei selbst hergekommen. Dazu näher befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass seine Eltern zwar mit seiner Ausreise einverstanden gewesen wären, dass sie es aber nicht von ihm verlangt hätten. Er habe die Hoffnung, seine Eltern von Österreich aus finanziell unterstützen oder sie nachholen zu können. Näher zu seiner Angst vor dem Tod befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass das nur eine allgemeine Angst und keine persönliche Angst sei. Vor einem Jahr (d. h. Ende 2015) hätten "sie" begonnen, junge Männer nach Syrien in den Krieg zu schicken. Er selbst sei jung und habe andere Ziele, die er erreichen wolle. Außerdem gab der Beschwerdeführer an, dass er bei der Arbeit in einer Fabrik für Autozubehör durch eine defekte Maschine verletzt worden sei und dabei das erste Fingerglied am Ringfinger der rechten Hand eingebüßt habe.

Mit dem ersten nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 02.01.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und ihm der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchteil I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchteil II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 04.01.2018 erteilt (Spruchteil III.).

In der Begründung des Bescheides traf das BFA Feststellungen zur Lage in Afghanistan. Zu Spruchpunkt I. wurde begründend ausgeführt, dass eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen vom Beschwerdeführer nicht habe glaubhaft gemacht werden können.

Subsidiärer Schutz wurde dem Beschwerdeführer zuerkannt, weil das BFA aufgrund der individuellen Situation des Beschwerdeführers zu dem Schluss kam, dass im Fall des Beschwerdeführers, eines unbegleiteten Minderjährigen ohne familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer einer unmenschlichen oder menschenunwürdigen Behandlung gleichzusetzenden Lage ausgesetzt wäre.

Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 03.01.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG) der XXXX als Rechtsberatung zur Seite gegeben.

Mit Schreiben vom 21.02.2017 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch die BH Liezen, Bereich Kinder- und Jugendhilfe/Recht, diese vertreten durch die XXXX Graz, Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften.

In der Beschwerde wird gerügt, die belangte Behörde habe den maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt und unzureichende Länderfeststellungen herangezogen. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan sei aufgrund der prekären Sicherheitslage in Afghanistan nicht zulässig. Diesbezüglich verweist die Beschwerde auf verschiedene Quellen (u.a. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 und UNHCR-"Handbuch und Richtlinien über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaften", deutsche Version der Neuauflage 2013, sowie verschiedene Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes). Eine Gefährdung des Beschwerdeführers ergebe sich u.a. aus der Eigenschaft des Beschwerdeführers als unbegleiteter Minderjähriger ohne familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan, aus dem völligen Fehlen einer Lebensgrundlage, von Bezugspersonen und Anknüpfungspunkten sowie aus der vollkommenen Unsicherheit infolge der Nichtvertrautheit mit den Strukturen vor Ort und der Angst vor einem unsicheren Umfeld. Der Beschwerdeführer zähle zur sozialen Gruppe der verlassenen Kinder. Außerdem sei der Beschwerdeführer als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara von Verfolgung bedroht sowie aufgrund seines Auftretens und seiner Sprache als westlich orientiert und "unafghanisch" erkennbar und werde in Afghanistan auch deshalb asylrelevant verfolgt.

Auch in der Beschwerde wird - wie bereits bei der Erstbefragung und anlässlich der Einvernahme vor dem BFA - keine konkrete, gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung in Afghanistan vorgebracht, sondern im Wesentlichen die allgemeine Befürchtung geäußert, in Afghanistan früher oder später verfolgt zu werden.

Die Beschwerde wurde der Gerichtabteilung W267 des Bundesverwaltungsgerichtes zur Behandlung zugewiesen.

Am 16.05.2017 vollendete der Beschwerdeführer das 18. Lebensjahr und ist seitdem volljährig.

Am 27.07.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht Leoben, GZ XXXX , wegen Vergehen gegen das Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt.

Am 08.02.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht Bruck/Mur, GZ XXXX , wegen versuchten Diebstahls zu einem Monat bedingter Freiheitsstrafe verurteilt.

Am 09.05.2018 brachte der Beschwerdeführer beim BFA einen Antrag auf Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ein.

Am 04.06.2018 wurde der Beschwerdeführer im Zuge eines Parteiengehörs von der Einleitung des Aberkennungsverfahrens in Kenntnis gesetzt und zu einer Stellungnahme aufgefordert. Im Zuge dieses Parteiengehörs wurde der Beschwerdeführer daran erinnert, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten am 24.02.2017 mit der damaligen Minderjährigkeit des Beschwerdeführers und dem Umstand begründet wurde, dass für eine minderjährige Person ohne familiäre Kontakte in Afghanistan eine Gefährdung bestehen könnte. Für den Beschwerdeführer als mittlerweile erwachsene, männliche Person könne diese Gefährdung jedoch nicht mehr erkannt werden, weswegen das Verfahren zur Aberkennung des Schutzstatus eingeleitet worden sei.

Der Beschwerdeführer erklärte dazu, er sei mit dem Gesetz in Konflikt gekommen, weil er kein Geld und keine Beschäftigung gehabt habe, das sei nun jedoch anders, er bekomme genug Geld und sei beschäftigt, er werde nie wieder mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Eines sei klar, er müsse hierbleiben. Seine Mutter sei vor kurzem wegen Herzproblemen stationär aufgenommen worden, er könne dafür die Nachweise bringen. Gegen eine Rückkehr nach Afghanistan spreche aus seiner Sicht, dass er im Iran aufgewachsen sei, sich in Afghanistan nicht auskenne und dort niemanden kenne. Auf die Frage, ob er zum Verfahren alles vorbringen habe können, was ihm wichtig erscheine, oder ob er noch etwas hinzufügen wolle, erklärte der Beschwerdeführer: "Ich kann Sie nicht dazu zwingen, mir den Status nicht abzuerkennen. Wie es Ihnen gefällt.". Den Dolmetscher habe er gut verstanden.

Mit Bescheid vom 24.09.2018, Zahl XXXX , wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 02.01.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 24.09.2018 wurde dem Beschwerdeführer der XXXX als Rechtsberatung für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.

Auch gegen den Aberkennungsbescheid erhob der Beschwerdeführer, diesmal vertreten durch den XXXX , rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wegen behaupteter Rechtswidrigkeit des Inhalts sowie wegen behaupteter Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens.

Nach einer kurzen Wiedergabe des Verfahrensganges bringt die Beschwerde vor, dass der Beschwerdeführer über keine Verwandten in Afghanistan verfüge und seine Kernfamilie sich im Iran aufhalte. Die Sicherheitslage in der Heimatprovinz Daikundi sowie in den vom BFA als Ansiedlungsalternativen angenommenen Städten Mazar-e Sharif, Herat bzw. Kabul sei nicht ausreichend, um dem Beschwerdeführer einen Schutz im Sinn des Art. 3 AsylG 2005 anzubieten. Die Behörde habe sich mit den Gründen, die gegen die Rückkehr sprechen, nicht gehörig auseinandergesetzt. Insbesondere Schiiten sowie Angehörige der Volksgruppe der Hazara würden in Afghanistan drangsaliert und angegriffen. Auch aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer aus Europa zurückkehre, ergebe sich ein zusätzliches Gefährdungspotenzial. Die Beschwerde nennt verschiedene länderkundliche Informationen (z.B. EASO Country of Origin Information Report, Afghanistan Security Situation Update, May 2018; Amnesty International Jahresbericht 2018 und ein Gutachten einer Friederike Stahlmann vom 28.03.2018), um die behauptete Gefährdung des Beschwerdeführers zu untermauern. Das für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ausschlaggebende Faktum, dass der Beschwerdeführer mittlerweile volljährig ist und damit der entscheidende Grund für die damalige Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weggefallen ist, wird in der Beschwerde nicht in Frage gestellt.

Auch die Beschwerde gegen den Aberkennungsbescheid wurde - wie schon die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung von Asyl - der Gerichtabteilung W267 zur Behandlung zugewiesen.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 13.03.2019 wurden beide den Beschwerdeführer betreffenden Beschwerdesachen der Gerichtabteilung W267 abgenommen und der Gerichtabteilung W248 zugewiesen.

Am 23.09.2019 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der Vertretung des Beschwerdeführers statt. Das BFA als belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, bestätigte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen und erklärte, sein Vater sei vor 2 Monaten an einem Herzinfarkt verstorben. Seine restliche Kernfamilie lebe nach wie vor im Iran. Zwei seiner Brüder seien berufstätig und würden genug verdienen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, würden aber nicht auf die Mutter hören und kein Geld nach Hause bringen. Er selbst habe im Iran als Tischler gearbeitet und dadurch genug verdient, um davon leben zu können und auch einen Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie zu leisten. In Afghanistan habe er zwar wahrscheinlich noch Verwandte, er würde diese aber nicht kennen, da er noch nie dort gewesen sei. Zu seiner Familie im Iran habe er zweimal pro Monat Kontakt über das Internet.

In der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer eine Teilnahmebestätigung betreffend den Lehrgang Pflichtschulabschluss, eine Bezugsbestätigung des AMS betreffend Bezüge vom 16.10.2017 bis 22.12.2017 sowie eine Einladung des AMS vom 06.10.2017 betreffend "Perspektivenwerkstatt Jugend am Werk" vor. Auf Nachfrage erklärte der Beschwerdeführer, er habe an der "Perspektivenwerkstatt" teilgenommen.

Zu seiner Berufstätigkeit in Österreich befragt, erklärte der Beschwerdeführer, er arbeite derzeit nicht, sondern wolle zuerst seine Sprachkenntnisse verbessern und dann eine Tischlerausbildung fortsetzen. Derzeit lebe er von Unterstützungsleistungen des AMS.

Zu möglichen sozialen Bindungen in Österreich erklärte der Beschwerdeführer, er habe seit ca. dreieinhalb bis vier Jahren eine Freundin, mit der er jedoch nicht zusammen lebe und von der er auch nicht finanziell unterstützt werde.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht mit hinreichender Sicherheit fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahmen des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerden gegen die im Spruch genannten Bescheide des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

2.1 Feststellungen zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 11.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 02.01.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt sowie eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 04.01.2018 erteilt.

Gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Am 09.05.2018, d. h. mehr als 4 Monate nach Auslaufen seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung, stellte der Beschwerdeführer beim BFA ein "Ansuchen um Verlängerung der subsidiären Schutzberechtigung".

Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des BFA vom 24.09.2018 gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt und ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist. Schließlich wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Auch gegen diese Entscheidung des BFA erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Die beiden den Beschwerdeführer betreffenden Beschwerdesachen wurden vom Bundesverwaltungsgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

2.2 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seiner Familie und zu seinem Leben in Österreich:

Die Identität des Beschwerdeführers steht mit für das gegenständliche Verfahren hinreichender Sicherheit fest.

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitischen Glauben. Er beherrscht die Landessprachen Dari (Muttersprache) und Farsi in Wort und Schrift. Die Familie des Beschwerdeführers stammt aus der Provinz Daikundi, wo sich der Beschwerdeführer jedoch nie aufgehalten hat. Er ist am XXXX im Iran geboren, hat dort (in der Stadt XXXX ) bis zu seiner Ausreise gelebt und war noch nie in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund, ledig, hat keine Kinder und in Österreich keine Sorgepflichten.

Der Beschwerdeführer hat im Iran 5 Jahre Grundschule absolviert und in verschiedenen Berufen, hauptsächlich als Tischler, gearbeitet. Mit seiner Berufstätigkeit im Iran war der Beschwerdeführer in der Lage, sein eigenes Leben zu finanzieren und zusätzlich einen Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie zu leisten. Der Beschwerdeführer hat auch in der Türkei als Tischler gearbeitet und konnte auch in Österreich weitere Arbeitserfahrungen als Tischler sammeln, lebt aber derzeit von Unterstützungsleistungen des AMS.

Der Beschwerdeführer ist bei seiner afghanischen Familie (Vater, Mutter und 4 Brüder) aufgewachsen und hat mit diesen bis zu seiner Ausreise im Iran zusammen gelebt. Der Beschwerdeführer gibt an, sein Vater sei im Juli 2019 an einem Herzinfarkt verstorben. Die restliche Kernfamilie des Beschwerdeführers (Mutter, 4 Brüder) lebt in der Stadt XXXX im Iran, wo auch der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise gelebt hat. Hinweise auf ein nutzbares familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan bestehen nicht.

Die Familie des Beschwerdeführers wurde bis zu dessen Tod vom Vater des Beschwerdeführers versorgt. 2 Brüder des Beschwerdeführers sind berufstätig (in einer Fabrik für Plastikgeschirr bzw. im Bereich Möbelherstellung). Das Einkommen reicht für den Lebensunterhalt aus.

Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem Kontakt mit seiner Familie.

Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder sonstigen Familienangehörigen in Österreich. Es konnte, gemessen an der bisherigen Aufenthaltsdauer, keine außerordentliche Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet festgestellt werden. Enge soziale Bindungen in Österreich konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich zumindest einen Deutschkurs besucht, jedoch bisher keine Deutschzertifikate vorgelegt. Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers sind, gemessen an seiner bisherigen Aufenthaltsdauer, nicht überdurchschnittlich.

Der Beschwerdeführer hat an verschiedenen Veranstaltungen (Tag der Vielfalt am 20.09.2016, Öko-Tag Liezen am 20.05.2016) teilgenommen und spielt(e) Fußball.

Außerdem wurde er vom AMS zu einer "Perspektivenwerkstatt Jugend am Werk" am 16.10.2017 eingeladen, an der er nach eigenen Angaben auch teilgenommen hat. Derzeit besucht der Beschwerdeführer einen Lehrgang für den Pflichtschulabschluss.

In Österreich ist der Beschwerdeführer zwei Mal vorbestraft.

2.3 Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers und zur Situation im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan:

Den Iran hat der Beschwerdeführer aufgrund der wirtschaftlichen Situation und der von ihm als Benachteiligung empfundenen Behandlung von Afghanen im Iran verlassen. Der Beschwerdeführer war bisher in Afghanistan keiner konkreten, individuellen Verfolgung ausgesetzt und hat eine solche im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht zu befürchten. Nach Österreich ist der Beschwerdeführer gekommen, um seine (wirtschaftliche) Situation zu verbessern und in der Lage zu sein, seine im Iran lebende Familie zu unterstützen.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara asylrelevanter Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer konnte auch nicht glaubhaft machen, dass er auf Grund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils bzw. aufgrund seines mehrjährigen Aufenthalts in Österreich in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

Angesichts der aktuellen Sicherheitslage in Daikundi, der Heimatprovinz der Familie des Beschwerdeführers, wäre es dem Beschwerdeführer grundsätzlich möglich, dort zu leben und seinen Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu erwirtschaften. Allerdings ist Daikundi wegen des Fehlens einer durch sichere Provinzen führenden Verkehrsanbindung nicht ausreichend sicher erreichbar, sodass es dem Beschwerdeführer derzeit nicht zugemutet werden kann, dorthin zu reisen. Jedoch stehen dem Beschwerdeführer innerstaatliche Schutzalternativen in den Städten Mazar-e Sharif und Herat sowie in der Hauptstadt Kabul offen. Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und arbeitsfähig. Er kann trotz einer angespannten Situation am Wohnungs- und Arbeitsmarkt (allenfalls nach anfänglichen Schwierigkeiten) eine Existenz in einer der genannten afghanischen Großstädte aufbauen und sichern.

Insbesondere unter Berücksichtigung der individuellen geänderten Umstände im Falle des Beschwerdeführers, einem mittlerweile volljährigen, gesunden Mann im berufsfähigen Alter mit Schulbildung und Berufserfahrung, ist eine Ansiedlung in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif möglich und zumutbar. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan kann sich der Beschwerdeführer, der die Landessprachen Dari (Muttersprache) und Farsi spricht, in den genannten Städten niederlassen und sich dort eine Existenz aufbauen und sichern.

Hinsichtlich der Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif ist festzustellen, dass dort allgemein der Zugang zu Unterkunft, grundlegender Versorgung sowie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist, wenn auch die Gesamtsituation angespannt ist.

Vor dem Hintergrund der Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif ist in einer Gesamtschau festzustellen, dass in diesen Städten kein solcher Grad willkürlicher Gewalt herrscht, dass der Beschwerdeführer allein durch seine Anwesenheit tatsächlich einer ernsthaften, individuellen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt wäre und er zudem nicht Gefahr läuft, dort grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Zudem könnte der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen.

Die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sind über die dortigen internationalen Flughäfen problemlos und sicher erreichbar. Aufgrund der in letzter Zeit vermehrten Anschlagstätigkeit in der Hauptstadt Kabul wäre es nicht unplausibel, wenn der Beschwerdeführer auf eine der anderen als Ansiedlungsalternativen zur Verfügung stehenden Städte ausweicht.

2.4 Feststellungen zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

2.4.1 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan (Gesamtaktualisierung 29.6.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019):

"[...]

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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(Darstellung der Staatendokumentation)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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