TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/10 W189 2126260-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.10.2019
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Entscheidungsdatum

10.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §19
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W189 2126260-2/10E

W189 2126254-3/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , und 2.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Ukraine, vertreten durch RA Mag. Martin Lebitsch, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2019, Zlen. 1.) 1051469607-180122445 und 2.) 1051469705-180122453, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.08.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9 FPG, , § 46 FPG sowie § 55 Abs. 1a und 4 FPG und § 18 BFA-VG idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und dieser gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG idgF ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Das Vorbringen der Beschwerdeführer steht in einem derartigen Zusammenhang bzw. ist soweit miteinander verknüpft, dass die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller Beschwerdeführer abzuhandeln war. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers (BF2). Gemeinsam werden sie als die "BF" bezeichnet.

Erstes Asylverfahren:

1. BF1 und BF2, Staatsangehörige der Ukraine, reisten am 06.02.2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde BF1 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab sie an, ukrainische Staatsangehörige und der russischen Volksgruppe zugehörig zu sein. Zu den Fluchtgründen brachte sie vor, dass in der Ukraine Bürgerkrieg herrsche und die russische Armee die Stadt ständig bombardiere. Sie sei von bewaffneten Männern nach dem geschiedenen Mann gefragt worden, wo er sei und auf welcher Seite er kämpfe. Der Sohn habe ständig geweint. BF1 sei bedroht worden, getötet zu werden.

2. Am 16.02.2016 wurde die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie seit dem Jahr 2014 geschieden sei, jedoch keine diesbezüglichen Unterlagen habe. Zuletzt habe sie in ihrer Heimatstadt als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft gearbeitet und in einer Mietwohnung gelebt. Ihre Eltern seien bereits verstorben. Im Fall der Rückkehr in die Ukraine könne sie nicht mehr an der Wohnadresse oder bei Verwandten wohnen, auch in Österreich habe sie aber keine Familienangehörigen. Auf einem kleinen Markt in ihrer Heimatstadt hätten zwei Männer zu ihr gesagt, dass sie für 1.500 US-Dollar BF1 und den Sohn nach Europa bringen würden. Dann habe sie den Schmuck verkauft, mit diesem Geld und dem ersparten Geld habe sie die Flucht finanziert.

Die BF1 schilderte in weiterer Folge, dass im Juni, Juli und August 2014 in der Ukraine der Krieg ausgebrochen sei, in dieser Zeit sei sie mit dem Kind immer zu einem Bunker unterwegs gewesen. Auf diesem Weg habe sie auch den Inlandspass verloren und sei es im Herbst 2014 ruhiger geworden. Im Oktober 2014 sei die neue Regierung an die Macht gekommen und diese habe gesagt, dass sie die Heimatstadt der BF1 kontrollieren werde. Polizisten und Sicherheitsbehörden seien einfach geflüchtet, die Geschäfte seien zu gewesen. Es sei weder Russland noch Ukraine gewesen, da die Heimatstadt in der Mitte gelegen sei. Immer habe sie mit der Angst leben müssen. Im November 2014 seien zwei Personen in Militäruniform zu ihr in die Wohnung gekommen und hätten nach dem geschiedenen Mann gefragt. Die Männer hätten wissen wollen, auf welcher Seite er kämpfe. Die BF1 habe den Männern gesagt, dass sie das nicht wisse und seit einem Jahr nicht mehr mit ihrem Mann zusammenlebe. Sie seien geschieden und wisse sie nicht, was der geschiedene Mann mache. Sie sei von einem dieser zwei Männer mit einer Pistole bedroht worden: er würde sie töten, sollte sie nicht die Wahrheit sagen. Dies habe sich mehrmals wiederholt und einmal hätten sie ihr sogar ins Gesicht geschlagen, vor den Augen des BF2. Bis heute habe die BF1 deshalb Angst, BF2 habe mit seinen Spielsachen nach diesen Männern geworfen. Sie habe deshalb entschieden, zu fliehen, um das gemeinsame Leben zu schützen. Sie wolle, dass ihr Kind ein ruhiges und normales Leben führt. Der BF2 habe angefangen zu stottern und sie habe befürchtet, dass es schlimmer werden könne.

Auf die Frage, warum sie nicht mit dem BF2 in einen westlicheren, sicheren Teil der Ukraine gezogen sei, zumal sie dort auch keine sprachlichen Probleme hätte, führte die BF1 aus, dass sie sich für Europa entschieden habe, weil es hier sicherer sei. In der Ukraine habe sie sich niemals politisch betätigt und sei auch niemals Mitglied einer Partei gewesen. Zu wem konkret die beiden uniformierten Männer gehört hätten, wisse sie nicht, sie habe auch nicht danach gefragt, weil es zu gefährlich gewesen sei. Abgesehen von den bisherigen Schilderungen habe sie keine weiteren Befürchtungen. Die BF1 führte nochmals aus, sich niemals in der Ukraine politisch betätigt zu haben, sie sei auch niemals strafgerichtlich verurteilt worden, habe niemals mit Verwaltungsbehörden Probleme gehabt. Es hätten auch keine Übergriffe gegen ihre Person stattgefunden, sie sei auch niemals wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit einer gezielten Verfolgung ausgesetzt gewesen. Auch sonst habe sie niemals Probleme mit ukrainischen Behörden oder der Polizei gehabt.

Darüber hinaus führte BF1 zu ihrem sozialen Umfeld in Österreich aus, dass sie gerne in der Altenpflege arbeiten würde, weil sie ihre verstorbenen Eltern sehr vermisse und diese Arbeit ihr helfen würde, über diesen Schmerz hinwegzukommen.

3. Mit Bescheiden des BFA vom 11.04.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF vom 06.02.2015 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

In rechtlicher Hinsicht verneinte die belangte Behörde, dass eine asylrelevante individuelle Gefährdung der BF vorliege. Spruchpunkt II. wurde dahingehend begründet, dass in der gesamten Ukraine derzeit keine extreme Gefährdungslage herrsche, durch die praktisch jeder Bewohner im Falle einer Rückkehr einer Verletzung der durch

Artikel 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. BF1 sei gesund und arbeitsfähig. Zu Spruchteil III. führte die belangte Behörde aus, dass die BF keine Verwandten in Österreich haben, somit sei kein Eingriff in das Familienleben gegeben. Sie seien erst kurze Zeit im Bundesgebiet sowie illegal eingereist und hätten den Großteil des Lebens in der Ukraine verbracht. Auf Grund einer Gesamtabwägung der Interessen ergebe sich, dass der Eingriff in das Privatleben der BF gerechtfertigt sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.

4. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.02.2017, Zlen. W226 2126260-1/11E und W226 2126254-1/4E, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.10.2016, als unbegründet abgewiesen.

Eingangs wurde begründend festgehalten, dass Zweifel an der Identität der BF bestehen würden, zumal BF1 - trotz der Verfügbarkeit moderner Telekommunikationsmittel - keinerlei Dokumente vorgelegt habe. Selbiges gelte für die Familienangehörigen der BF im Herkunftsstaat. So sei nicht davon auszugehen, dass sowohl BF1, als auch ihr ehemaliger Ehemann, Waisen seien und dass BF1 auch den Kontakt zu diesem, dem Kindesvater, komplett abgebrochen hätte. Die Angaben von BF1 hinsichtlich ihrer Identität, zu den Verwandten im Herkunftsstaat und zur Reise nach Österreich würden dem Gericht höchst konstruiert erscheinen. Auch habe sie nicht nachvollziehbar erklären können und sei auch nicht erklärbar, warum die russische Luftwaffe bzw. Armee die Grenzstadt Tschervonopartisansk noch im Februar des Jahres 2015 unter Beschuss hätte nehmen sollen, wenn sich die ukrainischen Sicherheitskräfte ab Sommer 2014 aus dieser Region längst zurückgezogen haben. Auch seien die sonstigen Schilderungen zum Herkunftsort höchst vage gewesen, weshalb nicht davon auszugehen sei, die BF würden aus der Ostukraine stammen. Doch selbst bei Wahrunterstellung sei das Vorbringen der BF sehr abstrakt vorgebracht worden und überdies logisch nicht nachvollziehbar gewesen. Auch gebe es keinen Grund, wieso den BF eine Rückkehr in die Ukraine, fernab der umkämpften Gebiete in der Ostukraine, nicht möglich sein sollte und sie in eine ausweglose Situation geraten würden. Auch angesichts der im Rahmen der Beschwerdeverhandlung erörterten Rückkehrprojekte, etwa dargestellt in "UNHCR-Operational Update, September 2016", sei davon auszugehen, dass die BF1 und ihr Sohn - unabhängig vom Wahrheitsgehalt ihrer Angaben über ihren tatsächlichen Herkunftsort - in der Lage sein würden, zumindest vorübergehend in zahlreichen "Collective-Centres" Unterkunft zu nehmen, die nach den eingesehenen Dokumenten in größerer Anzahl für Binnenvertriebene existieren und von staatlichen, nicht staatlichen Organisationen und UNHCR geführt und betrieben werden. Dass der völlig unpolitischen BF1 aus individuellen Gründen eine existierende Notversorgung in temporären Unterkünften sowie die Ausstellung von Dokumenten verwehrt würde, sei nicht zu Tage getreten. Schließlich sei kein Sachverhalt hervorgekommen, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe, dass die angefochtenen Bescheide einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben der BF darstelle.

5. Die dagegen eingebrachte Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 12.01.2018, Zl. Ra 2017/18/0298-0299-6, zurückgewiesen.

6. Mit Ladungsbescheid des BFA vom 14.03.2017 wurde BF1 zu einer Einvernahme hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates für den 30.03.2017 geladen, welcher sie Folge geleistet hat, jedoch sich im Rahmen dieser geweigert hat, ihrer gesetzlichen Mitwirkungspflicht nachzukommen.

7. Mit Ladungsbescheid des BFA vom 05.05.2017 wurde BF1 erneut zu einer Einvernahme hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates für den 01.06.2017 geladen.

8. Die am 30.05.2017 gegen den Ladungsbescheid des BFA vom 05.05.2017 erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.10.2017, Zl. W226 2163565-1/2E, als unbegründet abgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13.12.2017, Zl. E 4052-4053/2017-5 abgelehnt.

9. Mit Schriftsatz vom 17.11.2017 wurde vom rechtsfreundlichen Vertreter von BF1 außerordentliche Revision gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.10.2017, Zl. W2262163565-1/2E beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, welche mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.12.2017, Zl. Ra2017/21/0235 zurückgewiesen wurde.

10. Mit Ladungsbescheid des BFA vom 05.10.2017 wurde BF1 erneut zu einer Einvernahme hinsichtlich der Erlangung eines Heimreisezertifikates für den 30.10.2017 geladen. Dagegen wurde Beschwerde erhoben.

11. Am 28.11.2017 wurde ein Festnahmeauftrag gem. § 34 Abs.3 Z 4 BFA-VG erlassen.

12. Am 15.12.2017 ist durch das BFA ein Durchsuchungsauftrag gem. § 35 Abs. 1 BFA-VG ergangen, in welchem auch eine Sicherstellung allfällig vorhandener Identitätsdokumente gem. § 39 BFA-VG angeordnet wurde.

13. Am 10.01.2018 ist BF1 im Zuge einer GVS-Kontrolle erstmals zuhause angetroffen und von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgefordert worden, am 11.01.2018 persönlich vor dem BFA zu erscheinen. Aus Rücksicht auf BF2 wurde von einer Festnahme abgesehen.

14. BF1 kam dem Auftrag am 11.01.2018 persönlich beim BFA zu erscheinen niemals nach, worauf sie festgenommen und der Behörde vorgeführt wurde

15. Mit Mandatsbescheid des BFA vom 11.01.2018 wurde BF1 aufgetragen sich binnen 3 Tagen in die Rückkehrberatungseinrichtung Flüchtlingsheim Bürglkopf, Trixlegg 12, 6391 Fieberbrumm einzufinden. Dem ist BF1 niemals nachgekommen.

16. Am 15.01.2018 erhob BF1 durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter eine Maßnahmenbeschwerde gem. Art. 130 Abs. 1 und Art. 132 Abs. 2 B-VG. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.01.2018, Zl. L515 2182940-1/4E wurde der Maßnahmenbeschwerde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt.

17. Am 19.01.2018 stellten die BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK, welcher mit Bescheid des BFA vom 22.02.2018, Zl. 1051469607-180067775, als unzulässig zurückgewiesen wurde.

18. Mit Beschluss und Erkenntnis des BVwG vom 05.04.2018, Zl. L515 2182940-1/13E, wurde die Maßnahmenbeschwerde hinsichtlich der Festnahmeanordnung und dem erfolgten Aufsuchen an der Wohnung, sowie zwangsweisen Dokumentenkontrolle am 10.01.2018, als unzulässig zurückgewiesen. Hinsichtlich der Festnahmeanordnung, das erfolgte Aufsuchen der Unterkunft von BF1 und der zwangsweisen Verbringung zum BFA am 11.01.2018 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Zweites, gegenständliches Asylverfahren:

19. Am 05.02.2018 stellten die BF die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde BF1 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Befragung unterzogen. Zu den Gründen für die Stellung des neuerlichen Antrages auf internationalen Schutz gab BF1 zu Protokoll, dass BF2 medizinische Behandlung brauche; er erinnere sich an den Krieg in der Ukraine, habe Albträume, könne nicht schlafen, sei Bettnässer geworden und stottere. Noch dazu gehe er hier in die Schule und sei in diversen Sportvereinen. BF1 habe eine Arbeitsstelle, wo sie monatlich 190,- Euro verdiene, auch helfe sie jeden Sonntag freiwillig in der Kirche aus und habe einen Kurs des Niveaus A2 der deutschen Sprache absolviert.

20. Am 22.02.2018 wurde BF1 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen, wo sie angab, dass Russisch ihre Muttersprache sei und sie auch etwas Deutsch könne. Sie sei gesund. Auf Nachfrage führte sie an, dass sie über keine identitätsbezogenen Dokumente verfüge, weil sie alles in der Ukraine verloren habe. Als Grund für die Stellung des neuerlichen Antrages gab sie den Gesundheitszustand ihres Sohnes an. In diesem Zusammenhang führte sie zu BF2 aus, dass er derzeit in der Kinderpsychiatrie sei, da die Polizei zu ihnen gekommen sei und er nun Angst habe, in die Ukraine abgeschoben zu werden. Er habe nicht mehr in die Schule oder zum Sport gehen wollen, sei Bettnässer geworden und habe gesagt, er würde aus dem Fenster springen und davonlaufen, wenn die Polizei wiederkäme. Er benötige Therapie und würden die BF ein angstfreies Leben wollen. Eine Rückkehr würde für BF2 viel Stress bedeuten. Dabei wurden durch die Rechtsvertretung entsprechende Unterlagen vorgelegt und wurde BF1 weiters aufgefordert, sämtliche Unterlagen zum Gesundheitszustand von BF2 der Behörde vorzulegen. Zu den Lebensumständen im Bundesgebiet führte BF1 aus, dass sie Bekannte in Österreich habe, zu denen kein Abhängigkeitsverhältnis bestünde. Sie lerne auch weiterhin Deutsch und versuche, wo es geht, auszuhelfen oder zu arbeiten. BF2 gehe in die Schule sowie zum Judo- und Fußballtraining. Die BF würden in einer Wohnung wohnen, die BF1 selbst gemietet habe und zahle. Schließlich gab die Beschwerdevertretung an, dass der neuerliche Antrag aufgrund des Gesundheitszustandes von BF2 gestellt worden sei; bei ihm sei eine psychische Krise nach Abschluss des vorangegangenen Verfahrens eingetreten und drohe ihm - laut Auskunft der behandelnden Ärzte - für den Fall einer Rückkehr eine ernsthafte Re-Traumatisierung, die mit schwerwiegenden Persönlichkeits- und Entwicklungsstörungen einhergehen könne. Auch habe BF2 suizidale Gedanken geäußert. Es liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor, die dringend zu behandeln sei.

21. Am 21.08.2018 wurde BF1 neuerlich vor dem BFA einvernommen und gab dabei an, dass sie gesund sei. BF2 sei vor zwei Monaten aus dem Krankenhaus entlassen worden, sei aber noch unter Beobachtung. Diesbezügliche Unterlagen wurden der Behörde vorgelegt, sowie ein Konvolut an Integrationsunterlagen. Weiters gab BF1 zu Protokoll, dass sie russisch-orthodoxen Glaubens und geschieden sei. Russisch sei ihre Muttersprache. Sie sei in Kasachstan geboren, wo sie zehn Jahre die Schule besucht habe. Sie sei mit siebzehn in die Ukraine gezogen, wo sie dreißig Jahre gelebt habe. Dort habe sie zwei Jahre ein Technikum besucht, in einer Mietwohnung gewohnt und als Verkäuferin gearbeitet, wovon sie habe leben und den Alltag problemlos bestreiten können.

Zu den Fluchtgründen brachte BF1 den Gesundheitszustand von BF2 vor, wonach sich dieser nach dem Erscheinen der Polizei im Jänner 2018 akut verschlechtert habe. Er habe nicht mehr in die Schule oder zu seinen sportlichen Aktivitäten gehen wollen und habe gedroht, aus dem Fenster zu springen. Aufgrund seines schlechten Zustandes habe BF1 ihn ins Krankenhaus gebracht, wo er sich von 06.02.2018 bis 25.05.2018 in stationärer Behandlung befunden habe. Am 20.09.2018 seien sie wieder bei der Ärztin. BF1 mache sich Sorgen für den Fall einer Rückkehr von BF2 in den Herkunftsstaat, was für ihn ein großes Trauma bedeuten würde. Außerdem könne er gar nicht auf Russisch schreiben. BF1 habe auch keine Verwandten oder Bekannten im Herkunftsstaat und pflege zu niemandem den Kontakt. Auf die Frage, warum sie nicht in Kiew leben könne, gab sie an, dass sie niemals daran gedacht habe und Kiew eine teure Stadt sei. BF1 verneinte die Frage, ob sie im Herkunftsstaat jemals aus Gründen der politischen Gesinnung, Nationalität, Volksgruppe, Religion, oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt worden sei. Sie habe auch niemals Probleme mit den heimatlichen Behörden oder Privaten gehabt.

Im Bundesgebiet habe BF1 gearbeitet und sich etwas angespart. Auch werde sie von Freunden unterstützt. Sie habe viele Bekannte in Österreich, was durch die vorgelegten Empfehlungsscheiben belegt wäre.

Am Ende der Einvernahme wurde den BF die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme zu den Länderberichten zur Lage im Herkunftsstaat im Rahmen einer Woche gewährt.

22. Mit Stellungnahme der Rechtsvertretung vom 31.08.2018 wurde auf die in der Einvernahme vor dem BFA ausgefolgten Länderberichten zur Lage im Herkunftsstaat Stellung bezogen. Vor dem Hintergrund von Problemen bedingt durch den innerstaatlichen Konflikt in der Ukraine, die sich auf die Sicherheitslage im Allgemeinen und insbesondere im Osten der Ukraine, auf die Lage von (insbesondere weiblichen) Binnenvertriebenen, die allgemeine Menschenrechtslage, Korruption, Rechtsstaatlichkeit und Gesundheitsversorgung sowie Sozialsystem auswirken würden, wurde darauf hingewiesen, dass den BF für den Fall einer Rückkehr die Verletzung ihrer in Art. 3 EMKR gewährleisteten Rechte drohe. Der Aufbau einer neuen Existenz erscheine im Hinblick auf die dortige, besonders unsichere Lage, als äußerst unwahrscheinlich. Flüchtlinge müssten sich für die Beantragung neuer Dokumente an jenen Ort begeben, an dem sie zuletzt gemeldet waren. Ohne Dokumente sei eine Wohnungs- und Arbeitssuche mit großen Schwierigkeiten verbunden. Abgesehen davon gäbe es in der Ukraine keine adäquaten Behandlungsmöglichkeiten für BF2, die er jedoch dringend benötige. Schließlich würde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung das im Bundesgebiet begründete Privat- und Familienleben der BF verletzen, zumal sie außerordentlich gut integriert seien und stelle die Nichtgewährung eines Aufenthaltsrechtes eine unzulässige Beeinträchtigung des Kindeswohles dar. Insbesondere weise BF2 keinerlei Bindung zur Ukraine auf und würde ihn die Rückkehr mehrere Jahre in seiner Entwicklung zurückwerfen. Dem Schreiben angehängt wurden diverse Berichte über die Sicherheitslage und dem mangelnden Angebot an Kinderpsychiatern in der Ukraine.

23. Mit Parteiengehör des BFA vom 02.10.2019 wurde die durch die Behörde eingeholte Anfragebeantwortung der Staatendokumentation betreffend Psychotherapie für Kinder, alleinerziehende Frauen und Schulbildung in der Ukraine zur Abgabe einer etwaigen Stellungnahme übermittelt.

24. Mit Schreiben der Rechtsvertretung vom 18.10.2018 wurde insbesondere moniert, dass laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation eine Behandlungsmöglichkeit theoretisch gegeben sei, die tatsächliche Zugänglichkeit (im Hinblick auf Kosten) jedoch nicht gewährleistet sei. Auch beziehe sich diese ausschließlich auf Kiew. Überdies handle es sich bei BF2 um eine chronische posttraumatische Belastungsstörung und einer drastischen Reaktivierung des Traumas, die jedenfalls einer 24-Monatigen Behandlung sowie langfristige Stabilität in seinem Umfeld bedürfe. Auch sei in der Anfragebeantwortung keine Familientherapie thematisiert worden, die ebenso dringend benötigt werde. Durch eine polizeiliche Abschiebung und in der Ukraine abzusehender, zu passierender Checkpoints und Ähnlichem würde sich das von BF2 bereits erlittene Trauma potenzieren und zu einer lebenslangen, irreversiblen Schädigung seiner Psyche führen. Auch würde BF1 eine Therapie anstreben. Überdies seien Binnenflüchtlinge in Kiew Diskriminierungen ausgesetzt. Die BF müssten sich jedoch zunächst an ihre letzte Meldeadresse (Stadt: XXXX ) und somit den Gefahren des innerstaatlichen Konfliktes begeben. Auch im Falle einer (fraglichen, aber eventuell erfolgten) Registrierung der BF in der Ukraine, sei die Kostenfrage der Behandlung auch weiterhin nicht geklärt, denn es wäre BF1 als Alleinerzieherin nicht möglich, aus eigenem für sämtliche Kosten aufzukommen. BF2 würde auch schulisch zurückfallen, da ihm die Jahre im Bundesgebiet nicht angerechnet würden und er zudem das kyrillische Alphabet nicht kenne. Beantragt wurde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens, eines kinder- und familienpsychologischen Gutachtens.

25. Mit Urkundenvorlage vom 22.10.2018 wurden der Behörde Bestätigungen der behandelnden Psychotherapeutin vorgelegt.

26. Mit Schreiben der Rechtsvertretung vom 13.12.2019 wurden ärztliche Unterlagen vorgelegt und erneut auf die Erforderlichkeit und Dringlichkeit der Behandlung von BF2 im Bundesgebiet hingewiesen und moniert, dass es in der Ukraine keine entsprechende gäbe.

Im Verfahren vorgelegt wurden insbesondere:

* ÖSD-Zertifikate des Niveaus A1 vom 07.09.2016 und A2 vom 06.12.2016;

* 2 Kursbestätigungen (Deutsch) der Universität Salzburg vom 30.01.2018 und vom 29.06.2018;

* 2 Einstellungsbestätigungen betreffend BF1;

* Bestätigung privater Bekannter über die Leistung freiwilliger Betreuung vom 07.08.2018;

* Bestätigung des Diakoniewerks über ehrenamtliche Tätigkeit vom 16.08.2018;

* fünf Empfehlungsschreiben von Bekannten und Pfarren;

* Bericht Pfarrblatt Mai 2018;

* Schulbesuchsbestätigung betreffend BF2 vom 06.07.2018;

* Bestätigung des Fußballvereines betreffend BF2;

* Bestätigung des Judo-Vereines und Judo Urkunde betreffend BF2;

* Empfehlungsschreiben des Klassenvorstandes betreffend BF2.

27. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des BFA wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Weiters wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt VI.) sowie gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Ukraine festgestellt (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde gegen die BF ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG für die Dauer von drei Jahren erlassen. Gemäß § 55 Abs. 1a und 4 FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII). Unter Spruchpunkt VIII. werde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 Z 1 die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass die BF nicht in der Lage gewesen seien, eine Bedrohungssituation iSd. Genfer Flüchtlingskonvention darzulegen. In ihrem Vorverfahren hinsichtlich des ersten Antrages auf internationalen Schutz sei bereits festgestellt worden, dass BF1 in der Ukraine weder aus Gründen der politischen Gesinnung, der Volksgruppenzugehörigkeit bzw. Rasse, ihrer Religion, der Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt wurde. Weiters seien die Behandlung der Beschwerde beim VfGH abgelehnt, sowie die außerordentliche Revision beim VwGH zurückgewiesen worden. Neuerliche Verfolgungsgründe habe BF1 in gegenständlichem Verfahren bezüglich des Folgeantrags nicht vorgebracht. Die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass kein reales Risiko einer derart extremen Gefahrenlage vorliege, welches einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstelle würde und somit einer Rückführung der BF in ihr Heimatland entgegenstehen würde. Mentaler Stress, der durch eine Abschiebungsentscheidung hervorgerufen wird, rechtfertige nicht die Abstandnahme von der Effektuierung dieser Entscheidung. Auch wenn eine akute Suizidgefahr bestehe, sei ein Vertragsstaat nicht dazu verpflichtet, von der Durchführung der Abschiebung Abstand zu nehmen, wenn konkrete Maßnahmen getroffen werden, um einen Selbstmord zu verhindern. Auch wenn es sich im Falle von BF2 um eine sehr ernste und schwere Erkrankung handle, stehe diese einer Abschiebung in den Herkunftsstaat nicht entgegen, wenn dort eine adäquate Behandlungsmöglichkeit möglich sei, was in der Ukraine der Fall sei: Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation sind Behandlungsmöglichkeiten von PTSD sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen in der Ukraine vorhanden. BF1 sei es möglich und zumutbar, in der Ukraine wieder Fuß zu fassen. Schließlich bestünden im Bundesgebiet keine Hinweise auf weitere familiäre Anknüpfungspunkte oder eine außerordentliche Integration, weshalb das Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden könne. Insbesondere sei der Aufenthalt im Bundesgebiet während der gesamten Dauer des Asylverfahrens nie als sicher anzusehen gewesen, zumal die BF einzig und allein auf Grund ihres Asylantrages zum vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt gewesen seien. Da die Stellung der Folgeanträge nach der rechtskräftigen Beendigung des ersten Asylverfahrens unberechtigt gewesen seien, die BF auch nicht über die erforderlichen Mittel verfügen um den Lebensunterhalt in Österreich zu bestreiten und der Verbleib der BF zudem eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle, sei das verhängte Einreiseverbot für die Dauer von drei Jahren als gerechtfertigt anzusehen. Zudem seien die BF niemals ihrer Ausreiseverpflichtung nachgekommen. Die Aufhebung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde wurde damit begründet, dass die BF aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen und ihre sofortige Ausreise im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich sei. In diesem Fall bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise.

28. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und des Vorbringens wurde auch erstmals eine Vergewaltigung der Person der BF1, als sie vor ihrer Ausreise von "privaten Soldaten" aufgesucht worden sei, vorgebracht. Diesen Teil des Vorbringens habe sie erst jetzt, als ihr Sohn therapeutische Behandlung in Anspruch genommen hat, offenbaren können. Zuvor habe sie diese Tatsache verdrängt und sei es ihr nicht möglich gewesen, darüber zu sprechen. Der Behörde wurden insbesondere mangelhafte Ermittlungen sowie eine mangelhafte Beweiswürdigung hinsichtlich der Fluchtgründe vorgeworfen, zumal sie sich in ihrer Argumentation offensichtlich nur Textbausteinen bedient habe. So hätten die BF zu den fluchtauslösenden Vorfällen konkrete und umfangreiche Angaben gemacht und würden sich die geschilderten Erlebnisse mit den Länderberichten decken. Bei den BF sei zu berücksichtigen, dass beide dringend therapeutische Behandlung benötigen würden, und zwar konkret eine Familientherapie, die in der Form, in der sie im Bundesgebiet durchgeführt werde, in der Ukraine nicht existent sei. Die Rückkehr der BF stelle eine massive Gefahr der Verletzung ihrer in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dar. Vor allem würde BF2 retraumatisiert werden und hätte er mit einer irreversiblen Verschlechterung seiner Psyche zu rechnen. Auch habe sich die Behörde nicht damit auseinandergesetzt, wie BF1 als Alleinerzieherin sowohl Lebenskosten, als auch Therapiekosten, aufbringen soll. Die BF würden sich aktuell einer "systemischen Traumatherapie" unterziehen, die auch in Zukunft dringend erforderlich sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei für die BF nicht gegeben, da IDPs sich an ihrer letzten Meldeadresse melden müssten, was für die BF bedeute, sich in die Ostukraine zu begeben, was ihnen nicht zumutbar sei. Auch hätte BF1 mit einer Verfolgung im gesamten Staatsgebiet zu rechnen. Schließlich sei die Integration der BF außerordentlich fortgeschritten, was die zahlreichen Unterlagen unter Beweis stellen würden. Zum Einreiseverbot wurde ausgeführt, dass die BF über Haftungserklärungen verfügen und in der Lage sind, auch ohne Leistungen aus der Grundversorgung, das Auslangen zu finden. Auch sei der Folgeantrag kein unbegründeter gewesen, weshalb insgesamt betrachtet von den BF aus keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Beantragt wurden die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und die Bestellung eines psychologischen Sachverständigengutachtens.

Der Beschwerde angehängt wurden ein Konvolut an Beilagen hinsichtlich des Gesundheitszustandes von BF2, sowie einer Unterschriftenliste gegen die Abschiebung der BF, Haftungserklärungen für diese, Empfehlungsschreiben, Bestätigung des Diakoniewerkes Salzburg vom 02.04.2019 über das freiwillige Engagement von BF1, eine Kursbestätigung des Museums Salzburg sowie der Universität Salzburg betreffend BF1, sowie Schulunterlagen des BF2.

29. Am 23.08.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Russisch statt, zu welcher die BF und die belangte Behörde ordnungsgemäß geladen wurden. In der Verhandlung wurde BF1 die Möglichkeit eingeräumt, zum Folgeantrag und ihren Rückkehrbefürchtungen ausführlich Stellung zu beziehen. Auch wurde die Integration der BF und die Gründe, die gegen eine Rückkehr sprechen, besprochen. Am Ende der Befragung wurde der Rechtsvertretung die Möglichkeit geboten, binnen einer Woche eine Stellungnahme zu den im Verfahren herangezogenen Länderberichten abzugeben.

In der Verhandlung vorgelegt wurden: Patientenbrief der Psychotherapeutin Birgit XXXX vom 13.08.2019, Schreiben der Christian Doppler Klinik Salzburg, Abteilung Kinder und Jugendabteilung vom 27.03.2019 betreffend Psychotherapie mit BF1 und BF2; Entlassungsbrief der Christian Doppler Klinik, Abteilung Kinder und Jugendpsychiatrie, vom 27.05.2019, Fachärztliche Stellungnahme samt fachärztlicher Stellungnahme vom 08.08.2019, Kursbestätigung der Universität Salzburg, Sprachenzentrum betreffend Teilnahme an Deutschkurs Ziel Niveau B1 vom 28.06.2019, Schreiben eines Herrn XXXX vom 08.08.2019 als Freund der BF1, sowie mehrere Begleitschreiben der/des Diakonie Werks, sowie der Pfarre St. Paul vom 05.08.2019, sowie vom 11.08.2019, Jahreszeugnis betreffend BF2 Schuljahr 2018/2019 der Volksschule Campus Mirabell, Bestätigung des Amateursportvereines Salzburg vom 20.08.2019 betreffend BF2 als Mitglied einer Fußballmannschaft, Anmeldebestätigung der Uni Salzburg Sprachenzentrum betreffend Kurs Deutsch als Fremdsprache Aufbaustufe 2 für das Winter Semester 2019, weitere Empfehlungsschreiben der Pfarre Parsch 18.08.2019, Empfehlungsschreiben des Schachclubs Royal Salzburg vom 11.08.2019 betreffend Teilnahme von BF1 und BF2 an Clubabenden, Schreiben des ASV OK JUDO vom 29.03.2019 betreffend BF2, Schreiben der Hotelpension Adlerhof vom 05.08.2019 betreffend in Aussicht genommener Beschäftigung der BF1 im Betrieb, Urkunde des österreichischen Judoverbands vom 13.03.2019 betreffend BF2, Schreiben der Volksschule Campus Mirabell vom 04.04.2019 betreffend BF2, Formular des AMS vom 20.04.2014 von der Hotelpension Adlerhof eingereicht mit dem Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung sowie Mietvertrag der BF1 betreffend Vermietung einen Garconniere bis einschließlich 30. Juni 2020.

30. Mit Eingabe der Rechtsvertretung vom 30.08.2019 wurde nochmals auf das bisherige Vorbringen in Zusammenschau der aktuellen Länderberichte verwiesen, sowie eine Bestätigung des Lebensgefährten von BF1 vorgelegt, wonach er die BF in den letzten 8 Monaten mit 5.200, Euro unterstützt habe (mtl. c.a. 650,-) und er beabsichtige, dies auch weiterhin zu tun, mit einem monatlichen Betrag in der Höhe von 750,- Euro. Auch wurde ein Kontoauszug von BF1 hinsichtlich ihrer Mietzahlungen und Zahlungen an ihre Rechtsvertretung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der BF, beinhaltend ihr erstes Asylverfahren, welches mit Erkenntnis des BVwG vom 21.02.2017, Zlen. W226 2126260-1/11E und W226 2126254-1/4E, rechtskräftig negativ entschieden wurde, die Erstbefragung von BF1 im gegenständlichen Verfahren am 05.02.2018, ihre Einvernahmen vor dem BFA am 22.02.2018 und am 21.08.2018, sowie die mündliche Verhandlung vor dem BVwG am 23.08.2019, und schließlich durch Einsicht in aktuelle Auszüge aus Strafregister, GVS und IZR sowie durch Einsichtnahme in das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Ukraine, aktualisiert am 29.05.2019, sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Thema Psychotherapie Kinder, Alleinerziehender Frauen, Schulbildung vom Oktober 2018.

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind nach eigenen Angaben Staatsangehörige der Ukraine. Genauere Feststellungen sind in Ermangelung personenbezogener Dokumente nicht möglich. Sie sind Angehörige der russischen Volksgruppe und bekennen sich zum russisch-orthodoxen Glauben. BF1 ist in Kasachstan geboren, wo sie in die Schule ging. Mit 17 Jahren zog sie in die Ukraine. Dort machte sie eine zweijährige Ausbildung in einem Technikum und arbeitete als Verkäuferin und ging regelmäßig in die Kirche. BF1 lebte gemeinsam mit BF2 in einer Mietwohnung und finanziell abgesichert. Sie ist mit dem Kindesvater geschieden.

1.2. BF1 und BF2 reisten gemeinsam illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 06.02.2015 erstmals Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Erkenntnis des BVwG vom 21.02.2018, Zlen. W226 2126260-1/11E und W226 2126254-1/4E, rechtskräftig negativ entschieden wurden.

BF1 vereitelte die Rückführung der BF, indem sie ihrer Ausreiseverpflichtung niemals nachkamen und sie auch im Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates nicht mitwirkte.

Am 05.02.2018 stellten die BF die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Nicht festgestellt werden kann, dass den BF in der Ukraine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht.

Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären. Die BF können jedenfalls in ein weit von den von Unruhen entfernten Gebiet in der Ukraine und wo die Lage ruhig ist, wie zum Beispiel in Kiew, ziehen.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass die BF - auch unter Berücksichtigung der vorgebrachten Beeinträchtigungen - an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden, welche eine Rückkehr in die Ukraine iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.

BF1 ist nicht lebensbedrohlich erkrankt. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und wird im Bundesgebiet, auch medikamentös, behandelt. Die Ukraine verfügt über eine funktionierende medizinische Versorgung für BF1.

Der minderjährige BF2 ist nicht lebensbedrohlich erkrankt. Er leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) - dabei handelt es sich um kein Krankheitsbild, mit dem Lebensgefahr verbunden ist. Bei ihm kommen Symptome der Hypervigilanz, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen, sowie Alpträume, depressiv-ängstliche Stimmung, hoher psychomotorischer Anspannung und Konzentrationsschwankungen. Er wird im Bundesgebiet diesbezüglich therapiert, und zwar in Form einer "systemischen Traumatherapie" und "traumabezogenen Spieltherapie" bei einer Psychotherapeutin. Die Krankheit steht einer Rückführung von BF2 in den Herkunftsstaat nicht entgegen. Eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten sind in der Ukraine verfügbar: In Kiew sind sowohl stationäre als auch ambulante Behandlungen sowie Folgebehandlungen durch pädiatrische Psychiater verfügbar. Dasselbe gilt für stationäre und ambulante Behandlung und Folgebehandlung durch pädiatrische Psychologen. Auch sind unterschiedliche Behandlungsmethoden verfügbar.

Die BF haben keine Verwandten oder Familienangehörigen im Bundesgebiet und sie sind in Österreich nicht außerordentlich integriert. BF1 hat seit Dezember 2018 einen Freund, mit dem sie seit Jänner 2019 verlobt ist. Es besteht kein gemeinsamer Haushalt, aber ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis. Der Verlobte von BF1 finanziert den Aufenthalt der BF mit einem monatlichen Betrag von 650,- bzw. 750,- Euro. Die Rückkehrentscheidung bildet keine Verletzung des Familienlebens.

Die BF leben seit Februar 2015 in Österreich und beziehen seit Jänner 2018 keine Leistungen aus der Grundversorgung. Sie sind weder kranken- noch unfallversichert. Sie wohnen privat in einer Mietwohnung, für die ein Gesamtbetrag von 350.- Euro bezahlt wird. BF1 beherrscht die deutsche Sprache, ihr ist es möglich, sich in Alltagssituationen zu verständigen. Sie arbeitete in der Vergangenheit legal mit Dienstleistungschecks als Reinigungskraft und verdiente dabei 190,- Euro monatlich. Auch hilft sie in ihrer Umgebung freiwillig aus. Sie ist in der Pfarre aktiv und hat sich einen Freundschafts- bzw. Bekanntenkreis aufgebaut. BF2 beherrscht die deutsche Sprache und besucht die Schule. Er wird als guter Schüler bezeichnet. Er ist in einem Judoverein, betätigt sich sportlich und spielt Schach in einem Schachclub.

Im Herkunftsstaat hat die BF1 bis zur Ausreise gearbeitet, sie verfügt über eine Ausbildung. Die BF lebten finanziell abgesichert. Es konnte nicht festgestellt werden, über welche Verwandten und Familienangehörigen BF1 im Herkunftsstaat tatsächlich verfügt.

Tatbestandsmerkmale für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK haben sich nicht ergeben.

BF1 ist strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zum Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

1. NeuesteEreignisse -IntegrierteKurzinformationen

KI vom 30.08.2019 (relevant fürAbschnitt 2/Politische Lage)

Am 29.8.2019 ist die ukrainische Oberste Rada zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Die Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Diener des Volkes, hatte bei der Wahl mehr als 250 der insgesamt 450 Sitze gewonnen (DS 29.8.2019; vgl. Ukrinform 30.8.2019).

Sechs Fraktionenwurden gebildet: Diener des Volkes mit 254 Sitzen, dieOppositionsplattform "Für das Leben" mit 44 Sitzen, Europäische Solidarität (Ex-Block Poroschenko) mit 27 Sitzen, Batkivshchyna (Julia Timoschenkos Partei) mit 25 Sitzen, Holos (Stimme) mit 17 Sitzen und schließlich die aus unabhängigen Abgeordneten bestehende Fraktion "Für die Zukunft" mit 23 Sitzen (KP29.8.2019).

Für die neue Regierung stimmten 281 Parlamentarier. Neuer Premierminister ist der 35-jährige Jurist OlexijHontscharuk (DS 29.8.2019; vgl. Ukrinform 30.8.2019).

Zum neuenMinisterkabinett gehören: Vizepremierminister für europäische undeuroatlantische Integration DmytroKuleba Vizepremierminister undMinister für IT-Transformation Mychailo Fedorow Minister des Ministerkabinetts DmytroDubilet Außenminister WadymPrystaiko VerteidigungsministerAndrijSahorodnjuk InnenministerArsenAwakow (Bereits in derVorgängerregierung tätig) Minister für Wirtschaftsentwicklung, Handelund LandwirtschaftTymofijMylowanow JustizministerDenys Maljuska Finanzministerin Oxana Markarowa (Bereits in derVorgängerregierung tätig) Minister für Energiewirtschaft undKohleindustrie Olexij Orschel Minister für Infrastruktur WladyslawKryklij Ministerin für Entwicklung von Gemeinden undTerritorienOlenaBabak Ministerin für Bildungund Wissenschaft Hanna Nowosad GesundheitsministerinZorjana Skalezka Minister für Kultur, Jugend und SportWolodymyrBorodjanskyj Ministerin für Sozialpolitik Julia Sokolowska Ministerin fürAngelegenheiten von Veteranen, vorläufig besetzen Gebieten und Binnenflüchtlingen Oxana Koljada (Ukrinform30.8.2019)

Zu den unmittelbaren Vorhaben der neuen Regierung zählen nun wirtschaftspolitische Maßnahmen, die Aufhebung der Abgeordnetenimmunität (eine weithin geforderte Maßnahme zur Korruptionsbekämpfung, welche allerdings eine Zweidrittelmehrheit verlangt), die Schaffung einer Möglichkeit zur Absetzung des Präsidenten und ein Gesetz zum Whistleblowing in Korruptionsangelegenheiten (RFE/RL30.8.2019).

Quellen:

-DS - DerStandard (29.8.2019): Ukrainischer Präsidentbekommt sein Wunschkabinett,

https://www.derstandard.at/story/2000107945934/selenskyj-nominiert-ukrainischen-premier-und-mehrere-minister,Zugriff 30.8.2019

-KP -Kyiv Post (29.8.2019): Ukraine'snewparliament swornin, Dmytro Razumkov becomes speaker,

https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/ukraines-new-parliament-sworn-in.html?cnreloaded=1, Zugriff30.8.2019

-RFE/RL- Radio Free Europe /RadioLiberty (30.8.2019):Ukraine's Zelenskiy Inducts Politically Untested Government, https://www.rferl.org/a/ukraine-zelenskiy-new-government-honcharuk/ 30137220.html, Zugriff 30.8.2019

-Ukrinform (30.8.2019): Parlament billigt neue Regierung, https://www.ukrinform.de/rubric-polytics/ 2769759-parlament-billigt-neue-regierung.html,Zugriff30.8.2019

KI vom 23.07.2019 (relevant fürAbschnitt 2/Politische Lage)

Die Partei "Sluha Narodu" (Diener des Volkes) von Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die ukrainische Parlamentswahl vom 21.07.19 gewonnen. Noch liegt das amtliche Endergebnis nicht vor, aber nach Auszählung von etwa 70% der Stimmen steht fest, dass die Partei auf rund 42,7% kommt. Es folgen die russlandfreundliche Oppositionsplattform mit etwa 13%, die Partei "Europäische Solidarität" des früheren Präsidenten Petro Poroschenko mit etwa 8,4%, die Vaterlandspartei der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit 7,4% und die Partei "Holos" (Stimme) des Rocksängers Swiatoslaw Wakartschuk mit 6,2%. Dies sind die fünf Parteien, die die 5%-Hürde überwinden konnten. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019).

Zusammen mit den gewonnenen Sitzen aus den Direktwahlkreisen kommt Selenskyjs Partei auf knapp 250 der insgesamt 450 Sitze im Parlament. Das gute Ergebnis über die Parteiliste war vorausgesagt worden, jedoch überrascht der Gewinn von mehr als 120 Direktmandaten , da die Kandidaten durchwegs Polit-Neulinge sind und über keinerlei Erfahrung im Parlament verfügen. Die enorme Wählerzustimmung für Selenskyjs Partei bedeutet, dass das erste Mal in der Ukraine eine politische Kraft die absolute Mehrheit der Sitze in der Rada erreicht hat. Damit entfallen die komplizierten Koalitionsverhandlungen, mit denen im Vorfeld der Wahl viele Experten gerechnet hatten. Offenbar wurde auch Selenskyj selbst davon überrascht, denn noch am Wahlabend hatte er Wakartschuks "Holos", auch diese eine erst vor kurzem gegründete Partei mit ausschließlich politisch unerfahrenen Kandidaten und radikaler Antikorruptions-Agenda, Koalitionsverhandlungen angeboten. Dies dürftenun unnötig geworden sein(BAMF 22.7.2019, DS22.7.2019).

Quellen:

-BAMF -Bundesamt fürMigrationund Flüchtlinge (Deutschland) (22.7.2019): Briefing Notes, per E-Mail

-DS - DerStandard(22.7.2019): Diener des Volkes werden Kiewregieren, https://www.derstandard.at/story/2000106566433/diener-des-volkes-werden-kiew-regieren,Zugriff 23.7.2019

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20.05.2019 Präsident Wolodymyr Selensky, Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wird über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt (AA 20.5.2019). Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Auch die unterschiedlichen Auslegungen der Gerichte in Bezug auf das Wahlrecht sind Gegenstand der Kritik. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus. Die im Oktober 2014 abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahlen wurden im Allgemeinen als kompetitiv und glaubwürdig erachtet, aber auf der Krim und in von Separatisten gehaltenen Teilen des Donbass war die Abstimmung erneut nicht möglich. Infolgedessen wurden nur 423 der 450 Sitze vergeben (FH 4.2.2019). Der neue Präsident, Wolodymyr Selensky, hat bei seiner Inauguration im Mai 2019 vorgezogeneParlamentswahlenbis Ende Juli2019 ausgerufen(RFE/RL23.5.2019).

In der Rada sind derzeit folgende Fraktionen undGruppen vertreten:

Partei Sitze

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka) 135

Volksfront (Narodny Front) 81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok) 38

Selbsthilfe (Samopomitsch) 25

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka) 21

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna) 20

Gruppe Wolja Narodu 19

Gruppe Widrodshennja 24

FraktionsloseAbgeordnete 60

(AA20.5.2019)

Nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 verfolgte die Ukraine unter ihrem Präsidenten Petro Poroschenko eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Zu den Schwerpunkten seines Regierungsprogramms gehörte die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs-und Justizreform. Dennoch wurden die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen nicht erfüllt. Die Parteienlandschaft der Ukraine ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ und nationalistisch über rechtsstaats-und europaorientiert bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Der Programmcharakter der Parteien ist jedoch kaum entwickelt und die Wähler orientieren sich hauptsächlichan den Führungsfiguren(AA22.2.2019).

Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj gewann am 21. April 2019 die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit über 73% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4%). Poroschenko erhielt weniger als 25% der Stimmen (RFE/RL 30.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln

des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Selenskyj wurde am 20.5.2019 als Präsident angelobt. Er hat angekündigt möglichst bald parlamentarische Neuwahlen ausrufen zu lassen, da er in der Verkhovna Rada über keinen parteipolitischen Rückhalt verfügt und demnach kaum Reformen umsetzen könnte. Tatsächlich hat er umgehend per Dekret vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

Es ist ziemlich unklar, wofür Präsident Selenskyj politisch steht. Bekannt wurde er durch die beliebte ukrainische Fernsehserie "Diener des Volkes", in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).

Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA27.2.2019; CNN 21.4.2019;Stern 23.4.2019).

Quellen:

-AA -AuswärtigesAmt (22.2.2019): Bericht über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-berichtueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-022019.pdf, Zugriff 18.3.2019

-AA - Auswärtiges Amt (20.5.2019): Ukraine, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukraine/201830, Zugriff 27.5.2019

-CNN - Cable News Network (21.4.2019): Political newcomer Volodymyr Zelensky celebrates victory in Ukraine's presidential elections, https://edition.cnn.com/2019/04/21/europe/ukraineelection-results-intl/index.html, Zugriff 24.4.2019

-DS - Der Standard (21.4.2019): Politikneuling Selenski wird neuer Präsident der Ukraine,

https://derstandard.at/2000101828722/Politik-Neuling-Selenski-bei-Praesidenten-Stichwahl-in-derUkraine-vorn,Zugriff24.4.2019

-FH -Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 -Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019

-KP - Kyiv Post (22.4.2019): Election watchdog Opora: Presidential election free and fair,

https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/election-watchdog-opora-presidential-election-free-andfair.html, Zugriff 24.4.2019

-Stern (23.4.2019): Ihor Kolomojskyj, der milliardenschwere Strippenzieher hinter der Sensation Selenskyj, https://www.stern.de/politik/ausland/ukraine--ihor-kolomojskyj--der-strippenzieher-hinterder-sensation-selenskyj-8678850.html,Zugriff 24.4.2019

-UA - Ukraine Analysen (27.2.2019): Präsidentschaftswahlen 2019, per E-Mail

-RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (23.5.2019): Zelenskiy's Decree On Disbanding Ukrainian Parliament Enters Into Force, https://www.rferl.org/a/zelenskiy-s-decree-on-disbanding-ukrainian-parliament-enters-into-force/29958190.html,Zugriff 27.5.2019

Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolleauszuüben (AA22.2.2019).

Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russlandseinen Einfluss auf den Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH4.2.2019).

Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten "Sonderstatusgesetzes" bis Ende 2019verlängert(AA22.2.2019).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA22.2.2019; vgl. FH4.2.2019).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

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