TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/10 W204 2008580-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.2019
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Entscheidungsdatum

10.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W204 2008580-2/22E

Schriftliche Ausfertigung des am 23.07.2019 verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX A XXXX , geb. am XXXX 1998, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.04.2018, Zl. 1000776907/14046710, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 23.01.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Um Wiederholungen zu vermeiden wird zum bisherigen Verfahrensgang auf die Ausführungen im zurückweisenden Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.2017 zu W115 2008580-1/11E verwiesen.

I.2. In weiterer Folge wurde der BF am 24.11.2017 von einer Organwalterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Der BF wurde dabei u.a. zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Zudem wiederholte er seine Angaben, wonach die Taliban zuerst seinen Halbbruder aufgrund dessen Tätigkeit bei internationalen Organisationen und danach den BF selbst hätten mitnehmen wollen.

I.3. Mit Bescheid vom 10.04.2018, dem BF am 18.04.2018 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die Behörde aus, dass es dem BF nicht gelungen sei, eine Verfolgung glaubhaft zu machen, weswegen ihm der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Aus dem Vorbringen des BF und der allgemeinen Situation lasse sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage erkennen. Der BF könne in Kabul zumutbare Lebensbedingungen vorfinden. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.4. Mit Verfahrensanordnung vom 10.04.2018 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.5. Am 08.05.2018 erhob der BF durch seinen damaligen Vertreter Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und der Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er beantragte, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren, festzustellen, dass die Abschiebung auf Dauer unzulässig sei und die erlassene Rückkehrentscheidung ersatzlos zu beheben, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Begründend wurde auf das Wesentlichste zusammengefasst ausgeführt, das BFA habe insofern mangelhaft ermittelt, als es den BF nicht ausreichend befragt habe. Zudem seien die Länderfeststellungen unvollständig und veraltet. Ebenso mangelhaft sei die Beweiswürdigung.

I.6. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 16.05.2018 vorgelegt.

I.7. Am 06.06.2019 gab der im Spruch bezeichnete Vertreter seine Bevollmächtigung bekannt und stellte einen Fristsetzungsantrag an den Verwaltungsgerichtshof.

I.8. Am 18.07.2019 legte der BF ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor.

I.9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 23.07.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF, sein Halbbruder, sein Vertreter und das BFA teilnahmen. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden der BF und sein Halbbruder im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu u. a. zur Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, den Familienangehörigen, den Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.

Nach Schluss der Verhandlung wurde das die Beschwerde abweisende Erkenntnis mündlich verkündet.

I.10. Am 01.08.2019 stellte der BF einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-

Einsicht in die den BF und seinen Halbbruder betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-

Befragung des BF und seines Halbbruders im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 23.07.2019;

-

Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;

-

Einsicht in das ZMR, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zum BF und seinen Fluchtgründen:

Die Identität des BF steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsnachweise nicht fest. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an, ist sunnitischer Moslem und stammt aus der Provinz Laghman.

Der BF ist in der Provinz Laghman aufgewachsen, besuchte dort bis zur Ausreise die Schule bis zur 10. Klasse und lebte dort gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Familie. Der BF ist ledig. Der BF hat den Großteil seines Lebens und die prägenden Kinder- und Jugendjahre im Heimatland verbracht und ist dorthin nach wie vor stark verwurzelt.

Der Vater des BF, seine Mutter und Geschwister - mit Ausnahme einer Schwester - sowie seine Schwägerin und Neffen und Nichten leben in der Heimatprovinz Laghman im gemeinsamen Haushalt. Ein Halbbruder des BF lebt im Bundesgebiet mit ihm im gemeinsamen Haushalt. Von diesem wurde ebenfalls ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.07.2019 zu W204 2008244-2/16E abgewiesen wurde. Der Halbbruder hat bei mehreren internationalen Organisationen gearbeitet und war seit 2012 arbeitslos; er lebte in Kabul und hat die Familie regelmäßig besucht. Auch der BF hat seinen Halbbruder in Kabul besucht.

Der BF stand und steht mit seiner Familie in Afghanistan in engem Kontakt. Er verfügt außer seinem Halbbruder über keine sonstigen Familienangehörigen in Österreich.

Der Vater des BF verfügt in Laghman über ein eigenes Haus und Grundstücke, die er landwirtschaftlich bewirtschaften lässt und wofür er die Hälfte der Ernte erhält.

Die Schwester des BF lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann (dem Cousin des BF), ihren Kindern und der Tante des BF (Mutter des Schwagers des BF) in Kabul in einem eigenen Haus; ihr Mann betreibt ein Geschäft, in dem er XXXX verkauft.

Den Familienangehörigen des BF geht es wirtschaftlich gut, sie könnten den BF - zumindest vorübergehend, bis dieser selbst Fuß gefasst hat - bei sich in Kabul aufnehmen, ihm die Grundversorgung ermöglichen und bei der Arbeitssuche unterstützen bzw. in anderen Landesteilen auch finanziell unterstützen. Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass der junge, gesunde und arbeitsfähige BF im Falle der Rückkehr in die Stadt Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Bei einer Rückkehr findet er familiäre Anknüpfungspunkte in der Stadt Kabul vor. Er kehrt mit seinem Halbbruder zurück, der dort mehrere Jahre gelebt hat und mit den örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten vertraut ist.

Der BF hat gemeinsam mit seinem Halbbruder Afghanistan schlepperunterstützt im Spätherbst 2013 verlassen und ist illegal ins Bundesgebiet eingereist. Der BF war in seiner Heimatprovinz durch die Taliban in einer Weise gefährdet, die auch anderen dort lebenden Landsleuten drohte, weil die Taliban zu dieser Zeit wiederholt junge Männer im Bezirk rekrutiert haben.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF von den Taliban persönlich bedroht worden ist und diese den BF tatsächlich mitnehmen wollten. Der BF war in Afghanistan vielmehr keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt. Es droht ihm in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung keine Verfolgung.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF hat in Österreich den Deutschkurs B1 besucht, jedoch keine Prüfung abgelegt. Er hat die Pflichtschulabschluss-Prüfung absolviert.

Der BF ist seit Februar 2017 auf Werkvertragsbasis als Zusteller tätig. Er bezog 2017 ein Bruttoeinkommen von EUR 9.000. Die SVA hat dem BF am 16.07.2019 eine Ratenzahlung des Beitragsrückstandes von 1.212,67 bewilligt (12 Raten).

Der BF ist in keinen Vereinen tätig und betätigt sich aktuell - nach entsprechenden Tätigkeiten im Jahr 2017 - nicht gemeinnützig. Der BF engagiert sich maßgeblich im XXXX sport, spielt in einer aus afghanischen, pakistanischen und indischen Personen (Asylwerber oder mit Status) bestehenden Mannschaft und versucht, einen derartigen Verein in XXXX zu etablieren.

Der BF lebt in Österreich mit seinem Halbbruder in einer Asylunterkunft, wo sie für ihr gemeinsames Zimmer ca. EUR 210 pro Monat bezahlen. Er bezieht seit seiner Berufstätigkeit keine Sozialleistungen.

Der Freundeskreis des BF besteht teils aus Österreichern, im Wesentlichen jedoch aus afghanischen Staatsbürgern.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

Allgemeine Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 26.03.2019 - LIB 26.03.2019, S. 16). Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 26.03.2019, S. 59).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (LIB 26.03.2019, S.59). Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt

23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 60). Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 18). Im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 registrierten die UN 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Berichtszeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 registrierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 8.050 zivile Opfer (LIB 26.03.2019, S. 32). Die UNAMA registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (LIB 26.03.2019, S. 20).

Im ersten Quartal 2019 registrierte die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist. Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen)) verursacht. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (Kurzinformation 04.06.2019, S. 2f).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen. Dies ist den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zuzuschreiben (LIB 26.03.2019, S. 62). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 16).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 26.03.2019, S. 70). Mit Stand 22.10.2018 kontrollierte beziehungsweise beeinflusste die Regierung - laut Angaben der Resolute Support Mission - 53,8% der Distrikte. 33,9% waren umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 26.03.2019, S. 16).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden; auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (LIB 26.03.2019, S. 63).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat IS) verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB 26.03.2019, S. 63). Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 26.03.2019, S. 63).

Am Donnerstag, dem 9.8.2018, starteten die Taliban eine Offensive zur Eroberung der Hauptstadt Ghaznis, einer strategisch bedeutenden Provinz, die sich auf der Achse Kabul-Kandahar befindet. Nach fünftägigen Zusammenstößen zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen konnten letztere zurückgedrängt werden. Während der Kämpfe kamen ca. 100 Mitglieder der Sicherheitskräfte ums Leben und eine unbekannte Anzahl Zivilisten und Taliban (LIB 26.03.2019, S. 47f).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv und zeichnete im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia, auf die Mawoud-Akademie in Dasht-e Barchi/Kabul am 15.08.2018, auf einen Wrestling-Klub im Kabuler Distrikt Dasht-e Barchi am 05.09.2018 sowie auf eine Demonstration gegen die Übergriffe der Taliban in Ghazni und Uruzgan am 12.11.2018 und auf das Kabuler Gefängnis Pul-i-Charkhi am 31.10.2018 verantwortlich (LIB 26.03.2019, S. 17, 29, 37).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, das Personenstands- und Urkundenwesen in Afghanistan ist kaum entwickelt. Die lokalen Gemeinschaften verfügen über zahlreiche Informationen über die Familien in dem Gebiet und die Ältesten haben einen guten Überblick (LIB 26.03.2019, S. 346f).

Zur Provinz Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (LIB 26.03.2019, S. 84).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen. Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (LIB 26.03.2019, S. 84f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (LIB 26.03.2019, S. 85).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 85f).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (LIB 26.03.2019, S. 86f).

Zur Provinz Balkh und der Hauptstadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt. Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan] und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst (LIB 26.03.2019, S. 102). Die Infrastruktur ist noch unzureichend, da viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, in schlechtem Zustand und in den Wintermonaten unpassierbar sind (LIB 26.03.2019, S. 103). Mazar-e Sharif ist jedoch grundsätzlich auf dem Straßenweg mittels Bus erreichbar, eine Fahrt kostet zwischen 400 und 1.000 Afghani (LIB 26.03.2019, S. 258). In Mazar-e Sharif gibt es zudem einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt über den Luftweg von Kabul sicher zu erreichen ist (LIB 26.03.2019, S. 103 und 261).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Im Zeitraum 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 26.03.2019, S. 103f). Im Herbst 2018 wurde im Norden Afghanistans - darunter u.a. in der Provinz Balkh - eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden registriert; Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit (LIB 26.03.2019, S. 36).

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Dabei werden Taliban getötet und manchmal auch ihre Anführer (LIB 26.03.2019, S. 104).

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (LIB 26.03.2019, S. 105).

Zur Provinz Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat (LIB 26.03.2019, S. 139). In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler, etwa 10 km außerhalb von Herat-Stadt (LIB 26.03.2019, S. 261) und ein militärischer in Shindand (LIB 26.03.2019, S. 139). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken. Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran-Produktion. Die Safran-Produktion garantierte z.B. auch zahlreiche Arbeitsplätze für Frauen in der Provinz. Auch in unsicheren Gegenden wird Safran angebaut. Trotzdem stieg im Jahr 2017 in der Provinz die Opiumproduktion. In den Distrikten Shindand und Kushk, geprägt von schlechter Sicherheitslage, war der Mohnanbau am höchsten (LIB 26.03.2019, S.139).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen Afghanistans gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (LIB 26.03.2019, S. 140). Es gibt interne Konflikte zwischen verfeindeten Taliban-Gruppierungen. Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden (LIB 26.03.2019, S. 142).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 26.03.2019, S. 140).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37 % im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 26.03.2019, S. 140f).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB 26.03.2019, S. 141). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) zählt Herat neben den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar und Uruzgan zu den Provinzen Afghanistans, in welchen bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen stattfanden (LIB 26.03.2019, S. 16).

Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.03.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi von der Zerstörung und Beschädigung von Häusern infolge starker Regenfällen betroffen. Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der Herat (und die Provinz Badghis) am meisten betroffen war und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren) sie es weiterhin sind. In den beiden Provinzen wurden am 13.09.2018 ca. 266.000 IDPs (afghanische Binnenflüchtlinge) vertrieben; davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (LIB 26.03.2019, S. 12).

Zur Provinz Laghman:

Die Provinz Laghman liegt inmitten des Hindukush-Gebirges. Laghman grenzt an die Provinzen Nangarhar im Süden, Kunar im Osten, Nuristan und Panjshir im Norden und Kapisa und Kabul im Westen. Mehtar Lam/Mehtarlam ist die Provinzhauptstadt. In der Provinz leben mehrheitlich Paschtunen, gefolgt von Tadschiken, Nuristani, Paschai. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 460.352 geschätzt (LIB 26.03.2019, S. 177).

Zahlreiche Projekte werden in der Provinz Laghman implementiert: der Bau eines Flughafens, der die vier östlichen Provinzen verbinden soll, Dämme, ein Solarenergieplan, Parks, Straßen, ein Wasserversorgungssystem, der Campus der Universität Laghman sowie die Errichtung eines Kricket-Stadiums usw. Ein Abschnitt der Kabul-Jalalabad Autobahn geht durch die Provinz Laghman (LIB 26.03.2019, S. 177).

Laghman zählte seit dem Fall der Taliban im Jahr 2001 zu den relativ friedlichen Provinzen; Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen nahmen jedoch in den letzten Jahren zu. Im Juli 2017 waren die Distrikte Alingar, Alishing und Dawlatshah von Sicherheitsproblemen betroffen, während sich die Sicherheitslage in der Provinzhauptstadt und ihren Vororten verbesserte. In Laghman befindet sich eine internationale Militärbasis. Im Jahr 2017 wurden aufgrund von Bedrohungen durch regierungsfeindliche Gruppierungen u.a. in der Provinz Laghman vorübergehend Gesundheitseinrichtungen geschlossen (LIB 26.03.2019, S. 178).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 147 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in Laghman 354 zivile Opfer (84 getötete Zivilisten und 270 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 14% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien. Luftangriffe werden durchgeführt. Dabei werden Aufständische, auch Talibananführer getötet. Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräfte finden statt (LIB 26.03.2019, S. 178f).

Berichtet wurde, dass nun zum ersten Mal Zusammenstöße zwischen Aufständischen der Taliban und des IS von Nangarhar auf die Provinz Laghman übergeschwappt sind - beide Seiten haben hohe Verluste bei diesen Zusammenstößen zu verzeichnen. Die Provinz Laghman grenzt an die Provinz Nangarhar, in der sowohl Anhänger der Taliban als auch Anhänger des IS in abgelegenen Distrikten aktiv sind. Lokale Beamte berichten von Luftangriffen auf die Taliban und den IS in manchen Distrikten der Provinz Laghman. Regierungsfeindliche Gruppierungen, inklusive Anhänger der Taliban und des IS, haben versucht, in abgelegenen Teilen der Provinz ihre Aktivitäten auszuweiten. In der Provinz Laghman kam es zu Zusammenstößen zwischen Taliban- und IS-Kämpfern. Im Juli 2017 wurde in den drei Distrikten Alingar, Alishing und Dawlatshah die Aktivität von Aufständischen registriert (LIB 26.03.2019, S. 180).

Wirtschaft:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 26.03.2019, S. 353). Mehr als 60% der afghanischen Arbeitskräfte arbeiten im Landwirtschaftssektor, dieser stagniert. Für ca. ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. 55% der afghanischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans ist nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden (LIB 26.03.2019, S. 354, UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, Seite 19 und 20).

Rückkehrer:

Im Jahr 2017 kehrten sowohl freiwillig, als auch zwangsweise insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus dem Iran zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus den an Afghanistan angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (LIB 26.03.2019, S. 366).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen- Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (z. B. IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 26.03.2019, S. 367f). Seit April 2019 gewährt IOM keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten (Kurzinformation 04.06.2019, S. 5).

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Unterschiedliche Organisationen sind für Rückkehrer/innen unterstützend tätig. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. Die internationale Organisation für Migration IOM bietet ein Programm zur unterstützten, freiwilligen Rückkehr und Reintegration in Afghanistan an. Das Norwegian Refugee Council (NRC) bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an. Auch UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die Afghanistan Independent Human Rights Commission. Psychologische Unterstützung von Rückkehrer/innen wird über die Organisation IPSO betrieben (LIB 26.03.2019, S. 369f). Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft. Seit 2016 erhalten Rückkehr/innen Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft (LIB 26.03.2019, S. 370).

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Nur sehr wenige Afghanen in Europa verlieren den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten. Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar. Dennoch haben alleinstehende afghanische Männer, egal ob sie sich kürzer oder länger außerhalb der Landesgrenzen aufhielten, sehr wahrscheinlich eine Familie in Afghanistan, zu der sie zurückkehren können. Eine Ausnahme stellen möglicherweise jene Fälle dar, deren familiäre Netze in den Nachbarstaaten Iran oder Pakistan liegen (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 26.03.2019, S. 371).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten -ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 26.03.2019, S. 370f).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben mehr als 34.1 Millionen Menschen. Es sind ca. 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken (LIB 26.03.2019, S. 314). Paschtunen sind somit die größte Ethnie Afghanistans (LIB 26.03.2019, S. 319). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten, wo diese mehrheitlich gesprochen werden, eingeräumt (LIB 26.03.2019, S. 315).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (LIB 26.03.2019, S. 315f).

Religionen:

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert. Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (LIB 26.03.2019, S. 304f).

II.2. Beweiswürdigung

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des BF legte bereits das BFA aufgrund der glaubhaften Angaben des BF seiner Entscheidung zugrunde. Da der BF diese anlässlich der Beschwerdeverhandlung noch einmal bestätigte (S. 6 VP), besteht daran für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund zu zweifeln. Die Identität des BF kann mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zu seinem Leben in Afghanistan und seiner Schulbildung beruhen auf den im Wesentlichen stets gleichbleibenden Angaben des BF (S. 8f VP). Ebenso beruhen die Feststellungen zu seiner in Afghanistan aufhältigen Familie und deren Besitztümern sowie Berufstätigkeiten und dem Kontakt zu diesen auf den Angaben des BF und seines Halbbruders. Aus diesen Feststellungen ergibt sich auch die weitere Feststellung, dass der BF zumindest vorübergehend in Kabul bei seinen Familienangehörigen wohnen kann und ihn diese auch finanziell unterstützen können. Dass sein Halbbruder infolge seiner Tätigkeiten für internationale Organisationen in Kabul lebte und arbeitete, gab dieser das gesamte Verfahren über glaubhaft an. Dass der BF seinen Halbbruder in Kabul besuchte, gab der BF selbst vor dem Bundesverwaltungsgericht an (S. 7 VP).

Auch die Feststellung, wonach der BF in seiner Heimatprovinz in gleicher Weise wie andere dort lebende Landsleute gefährdet war, weil die Taliban damals wiederholt junge Männer rekrutierten, beruht auf den glaubhaften und nachvollziehbaren Angaben des BF und seines Halbbruders, die zudem durch die Länderberichte bestätigt werden.

II.2.3. Hingegen konnte dem Fluchtvorbringen des BF, dass er auch persönlich durch die Taliban aufgrund der Tätigkeit seines Halbbruders bei internationalen Organisationen bedroht worden sein soll, nicht gefolgt werden. Dieses Vorbringen ist schon deshalb nicht glaubwürdig, weil es auf dem - in dessen Verfahren schon als nicht glaubwürdig eingestuften - Vorbringen des Halbbruders des BF beruht.

Die Angaben des BF dazu sind aber auch oberflächlich, unplausibel und widersprüchlich. In Verbindung mit dem gewonnenen persönlichen Eindruck des BF ist es ihm daher nicht gelungen, seine Angaben zum Fluchtgrund glaubhaft zu machen. Wie auch bereits das BFA in seiner Beweiswürdigung im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, konnte der BF während des gesamten Asylverfahrens nicht den Eindruck erwecken, dass seine Angaben den Tatsachen entsprechen, weshalb sie als unglaubhaft zu beurteilen sind. Im Einzelnen ist dazu Folgendes auszuführen:

Einerseits mangelt es dem Vorbringen bereits an Plausibilität und Aktualität, wenn der BF eine Verfolgung wegen der Beschäftigung seines Halbbruders für ein internationales Unternehmen geltend macht, die Verfolgung aber erst weit nach der Beendigung dieser Beschäftigung begonnen haben soll und der Halbbruder des BF nach einem behaupteten Vorfall im Heimatland selbst noch Monate ohne Probleme in Kabul leben konnte. Auch der BF konnte nach dem behaupteten Angriff der Taliban auf sich selbst noch mehrere Monate ohne Probleme im Elternhaus in seinem Heimatdorf leben und dort die Schule besuchen (S. 13 VP). Ebenso lebt die Familie des BF und seines Halbbruders seit den beiden einzigen Vorfällen, als die Taliban bei ihrer Familie gewesen sein sollen, ohne Probleme im Heimatdorf beziehungsweise in Kabul (S. 7f, 23 VP). Dabei wird nicht verkannt, dass die Lage in der Heimatprovinz des BF volatil ist und das Vorbringen des BF, aus Furcht vor einer Rekrutierung geflüchtet zu sein, beziehungsweise des Halbbruders des BF, dass er seine Heimatbesuche aufgrund der Talibanpräsenz zunehmend seltener durchführte, geglaubt wird. Allerdings ist hervorzuheben, dass die Familie nach wie vor im Heimatort lebt und auch ihre Landwirtschaft bewirtschaften (lassen) kann (S. 8 VP). Für die Schwester/Tante in Kabul machte der BF keine konkreten Probleme geltend. Auch sein Halbbruder gab keine individuell konkret gegen ihn gerichteten Vorfälle für Kabul an. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF bei einer Rückkehr nach Kabul keinen Bedrohungen durch die Taliban ausgesetzt ist, weil dies bei seinem Halbbruder, der das primäre Ziel der Taliban gewesen sein soll, bereits vor seiner Ausreise nicht der Fall war. Selbst wenn der BF daher in seinem Heimatdorf trotz der langen Zeitspanne tatsächlich noch immer verfolgt werden würde - wovon jedoch nicht auszugehen ist - besteht diese Gefahr in Kabul jedenfalls gerade nicht. Dem BF steht somit jedenfalls und unabhängig von der Glaubhaftigkeit seiner Angaben eine innerstaatliche Fluchtalternative außerhalb seiner Heimatprovinz etwa in Kabul, wo er über Familie verfügt, oder auch in Herat oder Mazar-e Sharif offen, wo er von seiner finanziell gut situierten Familie unterstützt werden kann.

Andererseits war das Vorbringen auch wenig glaubhaft und weitgehend nicht schlüssig, wie bereits das BFA dem BF vorgehalten hat. So ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb der Halbbruder des BF ab 2010, als es gefährlicher geworden sein soll, nach seiner Aussage vor dem BFA immer nachts zu seiner Familie reiste (AS 31), obwohl er vorbringt, dass gerade nachts die Überfälle der Taliban stattfänden und es gerade nachts besonders gefährlich sei. Festzuhalten ist, dass er dieses Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung entsprechend auf "später Nachmittag" (S. 24 VP) bzw. "abends" und die "Dämmerung" abwandelte (S. 28 VP), was seiner früheren Aussage massiv widerspricht.

Nicht verständlich ist, weshalb der Halbbruder des BF derart und auf Dauer von den Taliban bedroht werden soll, obwohl er nach anfänglich längeren Beschäftigungen in den letzten Jahren vor der Ausreise lediglich in kurzen Projekten arbeitete, für die er naturgemäß keinerlei verantwortungsvolle Position innehaben konnte. Hätten die Taliban tatsächlich das besondere Interesse am Halbbruder des BF gehabt, wäre ihm nicht die Flucht durch die Hintertür gelungen, sondern wäre das Haus entsprechend umstellt und bewacht worden.

Auch die weitere - oberflächliche - Schilderung des Halbbruders und das problemlose Erreichen der Stadt Kabul nach der Flucht aus dem Elternhaus zeigen, dass das Vorbringen lediglich ein Konstrukt zur Asylerlangung darstellt. Bei Wahrunterstellung hätten die Taliban durchaus die Familie des Halbbruders des BF (nicht zuletzt dessen Frau und Kinder) weit mehr unter Druck gesetzt und so dessen Erscheinen erzwungen, falls der Familie nicht überhaupt im Vorfeld gemeinsam die Flucht gelungen wäre. Der BF und sein Halbbruder haben aber widerspruchsfrei und wiederholt angegeben, dass die Familienangehörigen alle keine Probleme hatten und haben und nach wie vor am ursprünglichen Wohnort leben.

Widersprüchlich ist überdies, wenn der Halbbruder des BF angibt, die Taliban seien alle paar Wochen neuerlich aufgetaucht (AS 32), während es laut dem BF bei den beiden Vorfällen (versuchte Mitnahme des Halbbruders des BF und Monate später die versuchte Mitnahme des BF) geblieben sei. Dem schloss sich der Halbbruder des BF in der Beschwerdeverhandlung zwar an, indem er sein Vorbringen abänderte. Damit kann er aber das bisher vor dem BFA Gesagte nicht auslöschen und sind ihm diese Widersprüche vorzuhalten.

Insbesondere in der Schilderung der zeitlichen Einordnung zeigen sich weitere massive und unüberwindbare Widersprüche zwischen den Angaben des BF und seines Halbbruders, wann was stattgefunden haben soll, wie bereits das BFA hervorgehoben hat und sich verstärkt in der Beschwerdeverhandlung gezeigt hat; dies obwohl das damals minderjährige Alter des Halbbruders des BF durchaus mitberücksichtigt wird. So gab der BF an, dass der erste Vorfall (Suche nach dem Halbbruder des BF und dessen Flucht) acht oder neun Monate vor der Ausreise war (S. 11 VP), während der Halbbruder des BF den Zeitraum wiederholt auf nur drei Monate setzte (S. 19, 21, 24f VP). Darüber hinaus gab der BF zudem widersprüchlich zu seiner eigenen Aussage zuvor an, dass der Halbbruder des BF das letzte Mal etwa ein Jahr vor der gemeinsamen Ausreise im Heimatdorf gewesen sei (S. 10 VP), während dieser mehrmals angab, er sei drei Monate vor der Ausreise das letzte Mal im Heimatdorf gewesen (S. 19 VP). Vor dem BFA führte der Halbbruder des BF dagegen noch aus, dass die Taliban nach dem ihn betreffenden Vorfall vier bis fünf Monate später erneut kamen und den Vater und Bruder bedrohten (dort AS 32). Vor dem Bundesverwaltungsgericht soll sich dieser zweite Vorfall dagegen innerhalb von sechs Monaten nach dem ersten Vorfall und der Einreise in Österreich zugetragen haben (S. 25 VP), wobei die Reise etwa drei Monate gedauert haben soll (dort AS 11). Nach diesen Angaben müsste sich der zweite Vorfall daher innerhalb von drei Monaten nach dem ersten Vorfall ereignet haben. Dabei ist auch keineswegs plausibel, wie der BF einer Mitnahme entging, nämlich indem die Taliban einen und der Vater den anderen Arm des BF festgehalten und alle an ihm gezogen haben sollen, bis die Mutter den Taliban den Koran vorgehalten habe, weshalb diese aus Respekt vor dem Koran den BF frei ließen und diesen nicht mitnahmen (S. 12 VP).

Weitere Widersprüche traten auch dazu auf, wo die BF ihre letzten Tage in Kabul verbracht haben sollen. So gab der BF an, dass er die letzte "paar" Nächte gemeinsam mit und seinem Halbbruder und seinem Vater bei seiner Schwester und deren Familie verbracht habe (S. 14 VP). Dagegen gab der Halbbruder des BF an, dass er die letzte Nacht gemeinsam mit dem BF und seinem Vater in seinem eigenen Zimmer verbracht habe (S. 20 VP). In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass der Halbbruder des BF vor dem Bundesverwaltungsgericht angab, dass er in diesem letzten Zimmer etwa zwei bis drei Monate gelebt habe (S. 20 VP), während er vor dem BFA noch angab, er habe in dieser Wohnung etwa sechs bis sieben Monate gelebt (dort S. 5 EV 24.11.2017). Der BF konnte daher nicht den Anschein erwecken, dass sich die von ihm und seinem Halbbruder geschilderten Vorfälle tatsächlich zugetragen haben. Vielmehr ist das eigentliche Fluchtvorbringen oberflächlich, wenig plausibel und widersprüchlich, weder die Aussagen des BF beziehungsweise seines Halbbruders für sich betrachtet noch im Vergleich zum jeweils anderen sind annähernd glaubhaft.

Andere Verfolgungsgründe machte der BF nicht geltend und konnten auch amtswegig nicht festgestellt werden. Soweit in der Beschwerde vorgebracht wird, der BF werde aufgrund des Lebens im Westen verfolgt, ist dem zu entgegnen, dass eine derartige Verfolgung weder aus den Länderfeststellungen noch aus den vom BF zusätzlich vorgelegten Berichten hervorgeht. Abgesehen davon, dass auch dort nur einzelne Übergriffe beschrieben werden und keinesfalls davon gesprochen wird, dass jeder, der zurückkehrt, Übergriffen ausgesetzt sei, wird darin ebenfalls ausgeführt, dass für eine etwaige Verdächtigung konkrete Handlungen, insbesondere in Bezug auf die Religion, durch den Rückkehrenden nötig sind. Es ist daher nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der BF alleine aufgrund seines Auslandsaufenthalts verfolgt werden wird. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass sich der BF "westliche" Verhaltensweisen angeeignet hätte, zumal er auch im Bundesgebiet im Wesentlichen mit Landsleuten verkehrt und nicht davon berichtet, dass er mit diesen Probleme hätte. Auch der Halbbruder des BF gab zudem selbst an, dass dies die Taliban seien, die dagegen seien, wenn man in einem nicht islamischen Land Zeit verbracht habe (S. 29 VP). Bei einer Rückkehr nach Kabul oder auch Mazar-e Sharif oder Herat ist daher auch nach den Aussagen des Halbbruders des BF nicht von einer derartigen Gefahr auszugehen, weil dort die Taliban nicht an der Macht sind.

II.2.4. Der BF ist jung, gesund und arbeitsfähig. Er ist daher in der Lage selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, zumal er über mehrjährige Schulbildung verfügt. Darüber hinaus verfügt er über eine große Familie, die ihn aufnehmen oder zumindest solange finanziell unterstützen kann, bis er im Heimatland dank seiner Bildung und erster Berufserfahrungen - durchaus auch mit Hilfe des familiären und sonstigen soziales Netzwerkes - Fuß gefasst hat. Seine Familie verfügt auch über landwirtschaftlichen Besitz und erhält aus diesen Pachteinnahmen. Zudem ist der Schwager des BF erfolgreicher Geschäftsmann in Kabul, der ihn daher auch unterstützen könnte. Durch seinen Schwager kann der BF insbesondere bei der Suche nach einem Arbeitsplatz unterstützt werden, weil davon auszugehen ist, dass dieser als Geschäftsmann über Kontakte am Arbeitsmarkt verfügt. Der Halbbruder des BF hat zudem bereits mehrere Jahre in Kabul gelebt und gearbeitet und kann den BF bei einer Rückkehr neben den anderen V

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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