TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/27 W133 2210676-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.12.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

27.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W133 2210676-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.06.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geboren am XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer stellte am 15.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Am 16.04.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er an, am XXXX in der Provinz Nangarhar in Afghanistan geboren worden zu sein und die afghanische Staatsangehörigkeit zu besitzen. Er sei ledig, gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an und sei Moslem sunnitischer Ausrichtung. Er habe in Afghanistan die Schule besucht, zuletzt sei er in Afghanistan als Soldat tätig gewesen. Sein minderjähriger Bruder befinde sich ebenfalls in Österreich, seine Eltern und seine beiden Schwestern würden sich nach wie vor in Afghanistan aufhalten. Befragt zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, dass er in der afghanischen Nationalarmee gedient habe und mehrmals von den Taliban gewarnt und bedroht worden sei. Er habe Drohbriefe erhalten, worin die Taliban damit gedroht hätten, seinen Bruder zu verschleppen und den Beschwerdeführer zu töten, wenn er seinen Dienst bei der Nationalarmee nicht beenden und mit ihnen zusammenarbeiten würde. Daher habe er gemeinsam mit seinem Bruder aus Afghanistan fliehen müssen, bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, von den Taliban getötet zu werden. Bei seiner Erstbefragung legte der Beschwerdeführer eine Kopie seiner Tazkira vor.

Nach einem von Österreich mit Ungarn betreffend den Beschwerdeführer geführten Dublin-Verfahren wurde das Verfahren am 25.11.2016 in Österreich zugelassen.

Am 24.10.2017 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Asylverfahren statt. Bei der Einvernahme führte der Beschwerdeführer zusammenfasst aus, dass er in Afghanistan nach dem zwölften Jahr die Schule abgeschlossen habe und danach zur Armee gegangen sei. Er habe dort eine dreieinhalbmonatige Ausbildung bekommen, danach sei er bei der Armee geblieben und habe dort vier Jahre lang gearbeitet. Sein Dienstort sei in der Provinz Kapisa gewesen. Er habe den Rang eines Unteroffiziers gehabt. Er habe in Afghanistan mehrfach aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen, er habe einen Panzer gelenkt. Sein Einkommen seien rund 13.200 bis 13.500 Afghani gewesen. Ende 2015 hätten die Taliban einen Drohbrief vor das Haus seiner Familie geworfen, in welchem der Beschwerdeführer aufgefordert worden sei, gegen die afghanische Regierung und die NATO zu kämpfen und am Dschihad teilzunehmen. Sein Vater habe ihn diesbezüglich informiert, er habe ihm gesagt, dass er sich keine Sorgen machen solle, da die afghanische Regierung stark sei, er solle den Brief zerreißen und wegwerfen. Nach circa zwei Monaten hätten die Taliban jedoch einen zweiten Brief vor ihr Haus geworfen. Sein Vater habe ihn daraufhin informiert, dass die Taliban ihn und seinen Bruder nicht am Leben lassen würden und sie daher Afghanistan verlassen müssten. Diesen Drohbrief habe er selbst zerrissen. Circa zwei Monate nach ihrer Ausreise aus Afghanistan seien die Taliban zu ihnen nachhause gekommen und hätten nach ihnen gesucht. Nachdem sein Vater gesagt habe, dass sie nicht zuhause seien, sei er beschimpft und geschlagen worden. Deshalb seien auch seine Eltern aus Afghanistan ausgereist und würden nunmehr in Pakistan leben. Im Rahmen der Einvernahme wurden ein Empfehlungsschreiben, eine Kopie der Tazkira des Beschwerdeführers, ein afghanisches Schulzeugnis aus dem Jahr 2011, Ausbildungsurkunden aus Afghanistan, ein Foto, eine Armeeausweiskarte ( XXXX ) sowie eine Bankkarte einer afghanischen Bank vorgelegt.

Am 09.11.2017 langte eine Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein. Mit der Stellungnahme wurden eine Anerkennungsurkunde aus Afghanistan, Deutschkurs- sowie Basisbildungskursteilnahmebestätigungen, ein Konvolut an medizinischen Unterlagen betreffend den Bruder des Beschwerdeführers sowie ein Empfehlungsschreiben vorgelegt.

In weiterer Folge ließ die belangte Behörde die afghanischen Unterlagen des Beschwerdeführers in die deutsche Sprache übersetzen.

Am 16.07.2018 wurden Unterlagen betreffend gemeinnützige Tätigkeiten des Beschwerdeführers einer näher genannten Gemeinde bei der belangten Behörde vorgelegt.

Das BFA wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit dem oben genannten Bescheid bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Schließlich sprach das BFA aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Mit diesem Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer für die afghanische Armee gearbeitet hat. Sein Fluchtvorbringen wurde jedoch als nicht glaubhaft erachtet, da zwischen seinen Schilderungen und den Angaben seines jüngeren Bruders Widersprüche bestanden.

Mit Schriftsatz vom 21.11.2018 erhob der rechtlich vertretene Beschwerdeführer gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht eine Beschwerde.

Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 29.11.2018 vom BFA vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht brachte dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Kenntnis.

Am 11.06.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ein.

Am 18.06.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, dessen Rechtsvertretung, der Bruder sowie eine Vertrauensperson des Beschwerdeführers und ein Dolmetscher für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde blieb entschuldigt der Verhandlung fern. Im Rahmen der Verhandlung wurden zwei arbeitsrechtliche Vorverträge, ein Schreiben betreffend gemeinnützige Tätigkeiten des Beschwerdeführers einer näher genannten Gemeinde und diverse Empfehlungsschreiben vorgelegt.

Am 11.07.2019 wurde von der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers ein ÖSD Zertifikat A1 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und wurde am XXXX in der Provinz Nangarhar in Afghanistan geboren, wo er auch aufgewachsen ist. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Moslem.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu, weiters kann er sich in der deutschen Sprache verständigen. Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2011 in der Provinz Nangarhar das Gymnasium abgeschlossen. Danach hat er in der Provinz Kapisa vier Jahre lang für die afghanische Nationalarmee gearbeitet.

Der Vater des Beschwerdeführers ist im Dezember 2018 in Pakistan eines natürlichen Todes gestorben. Seine Mutter lebt seit dessen Tod wieder bei ihrem Bruder in der Provinz Nangarhar. Die beiden Schwestern des Beschwerdeführers sind verheiratet und leben in Afghanistan. Der jüngere Bruder des Beschwerdeführers lebt in Österreich.

Im Jahr 2016 verließ der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Afghanistan. Er reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 15.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hat nach seinem Schulabschluss im Jahr 2011 vier Jahre lang für die afghanische Nationalarmee in der Provinz Kapisa gearbeitet. Er hat eine dreieinhalbmonatige militärische Ausbildung unter der Leitung der NATO in der Stadt Kabul unter der Führung der türkischen Armee gemacht. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan mehrfach aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen, er hat einer Panzergruppe angehört. Er hatte den Rang eines Unteroffiziers. Sein monatliches Einkommen lag zwischen 13.200 und 13.500 Afghani. Im Zuge seiner Tätigkeit wurden auch seine biometrischen Daten registriert.

Der Beschwerdeführer wurde aufgrund dieser Tätigkeit bereits zweimal von den Taliban bedroht: Ende 2015 hinterließen die Taliban einen Drohbrief beim Haus seiner Familie, in welchem der Beschwerdeführer aufgefordert wurde, seinen Dienst zu quittieren, sich den Taliban anzuschließen und am Dschihad teilzunehmen. Es wurde - im Falle einer Weigerung - mit der Entführung seines jüngeren Bruders gedroht. Der Beschwerdeführer nahm diesen Drohbrief jedoch nicht ernst. Nach circa zwei Monaten hinterließen die Taliban jedoch einen zweiten Brief beim Haus seiner Familie. Daraufhin beschlossen er und sein jüngerer Bruder, Afghanistan zu verlassen. Auch nach ihrer Ausreise aus Afghanistan wurden ihre Eltern weiterhin von den Taliban belästigt, da sie nach dem Beschwerdeführer und dessen Bruder gesucht haben. Eines Abends wurde der Vater des Beschwerdeführers von den Taliban angegriffen und geschlagen, weshalb er schließlich mit der Mutter des Beschwerdeführers nach Pakistan geflüchtet ist.

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan eine konkret gegen seine Person gerichtete Verfolgung von maßgeblicher Intensität vonseiten der Taliban aufgrund der ihm von den Taliban unterstellten politischen Gesinnung durch die mehrjährige Tätigkeit des Beschwerdeführers bei der afghanischen Nationalarmee droht. Die afghanischen Behörden sind nicht dazu in der Lage, den Beschwerdeführer ausreichend vor der drohenden Gewalt durch die Taliban zu schützen. Dem Beschwerdeführer steht keine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative in Afghanistan offen.

Zur Lage in Afghanistan werden nachfolgende Feststellungen getroffen:

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Kapisa

Die Provinz Kapisa liegt im zentralen Osten Afghanistans, umgeben von den Provinzen Panjshir im Norden, Laghman im Osten, Kabul im Süden und Parwan im Westen (UNOCHA 4.2014). Kapisa ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Alasai, Hissa-e-Awali Kohistan, Hissa-e-Duwumi Kohistan, Koh Band, Mahmood Raqi, Nijrab und Tagab. Mahmood Raqi ist die Provinzhauptstadt von Kapisa (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kapisa für den Zeitraum 2019-20 auf 479.875 Personen (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in Kapisa sind Tadschiken, Paschtunen und Nuristani (FP 11.11.2014; vgl. NPS o.D.), wobei die Tadschiken als größte Einzelgruppe hauptsächlich im nördlichen Teil der Provinz leben (AAN 6.4.2015).

Eine Hauptstraße verbindet die Provinzhauptstadt Mahmood Raqi mit Kabul (iMMAP 19.9.2017).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Kapisa 2018 nicht zu den zehn wichtigsten afghanischen Provinzen, die Schlafmohn anbauen. Die Größe der Anbaufläche verringerte sich 2018 im Vergleich zu 2017 um 60%. Schlafmohn wurde hauptsächlich in den Distrikten Tagab und Alasai angebaut (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Kapisa hat strategische Bedeutung: für Aufständische ist es einfach, die Provinzhauptstadt von Kapisa und die benachbarten Provinzen zu erreichen (AAN 24.4.2012). Die Taliban sind in entlegeneren Distrikten der Provinz aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung oder Sicherheitskräfte durchzuführen (KP 23.5.2019); wie z.B. im zentral gelegenen Distrikt Nijrab (AN 21.5.2019). Im März 2019 konnten sie beispielsweise drei Dörfer - Afghania, Pachaghan und Ghin Dara - in Kapisa erobern (AT 24.3.2019).

Aufseiten der Regierungskräfte liegt Kapisa in der Verantwortung des

201. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. FRP 5.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 139 zivile Opfer (39 Tote und 100 Verletzte) in Kapisa. Dies entspricht einer Zunahme von 38% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 24.2.2019).

Kapisa zählt zu den relativ volatilen Provinzen (KP 23.5.2019; vgl. KP 29.4.2019). Die Regierungstruppen führen, teils mit Unterstützung der USA, regelmäßig Operationen in Kapisa durch (z.B. KP 29.6.2019; KP 12.6.2019; MENAFN 8.5.2019; KP 29.4.2019; FRP 5.1.2019; PAJ 2.1.2019; PAJ 6.12.2018; XI 1.12.2018; PAJ 26.11.2018; NYT 26.9.2018; RFE/RL 21.4.2018; AA 11.3.2018; PAJ 6.3.2018; KP 1.3.2018). Auch werden Luftangriffe ausgeführt (PAJ 26.11.2018 ; UNAMA 25.9.2019, CC 27.7.2018) - in manchen Fällen werden dabei auch hochrangige Taliban getötet (CC 27.7.2018) oder Dörfer von den Taliban zurück erobert (PAJ 18.1.2019). Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften (XI 14.8.2019; vgl. FRP 5.1.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 7.560 konfliktbedingt aus der Provinz Kapisa vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, sowie in den benachbarten Provinzen Kabul und Parwan Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 1.617 aus der Provinz Kapisa vertriebene Personen, die vor allem nach Kabul (973) kamen oder in Kapisa verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.789 Vertriebene in die Provinz Kapisa, die vor allem aus der Provinz selbst (5.600) und aus benachbarten Provinzen stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 539 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Kapisa, die alle aus dem Distrikt Nijrab stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Nangarhar

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar und an den Gebirgszug Spinghar im Süden (Pajhwok o.D.g). Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 Kilometer von Kabul entfernt (Xinhua 10.2.2017). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.573.973 geschätzt (CSO 4.2017).

Die Provinz Nangarhar besteht, neben der Hauptstadt Jalalabad aus folgenden Distrikten: Ghani Khil/Shinwar, Sherzad, Rodat, Kama, Surkhrod, Khogyani, Hisarak/Hesarak, Pachiragam/Pachir Wa Agam, DehBala/Deh Balah/Haska Mina, Acheen/Achin, Nazyan, Mohmand Dara/Muhmand Dara, Batikot, Kot, Goshta, Behsood/Behsud, Kuz Kunar/Kuzkunar, Dara-e Noor/Dara-e-Nur, Lalpora/Lalpur, Dur Baba/Durbaba und Chaparhar (UN OCHA 4.2014; vgl. EASO 12.2017).

Nangarhar zählte 2017 zu den Provinzen mit der höchsten Opium-Produktion (UNODC 11.2017).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

In den letzten Jahren hat sich die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar verschlechtert (Khaama Press 2.1.2018; vgl Reuters 14.5.2018); Nangahar war seit dem Sturz des Taliban-Regimes eine der relativ ruhigen Provinzen im Osten Afghanistans, jedoch versuchen bewaffnete Aufständische in den letzten Jahren ihre Aktivitäten in der Provinz auszuweiten (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Khaama Press 4.3.2018, GT 22.1.2018). Begründet wird das damit, dass seit dem Fall des Talibanregimes von weniger Vorfällen berichtet worden war (Khaama Press 28.1.2018). In den letzten Jahren versuchen Aufständische der Taliban und des IS in abgelegenen Distrikten Fuß zu fassen (Khaama Press 11.3.2018; vgl. Khaama Press 4.3.2018, Khaama Press 3.2.2018, Khaama Press 5.10.2017, GT 22.1.2018, SD 22.2.2018). Befreiungsoperationen, in denen auch Luftangriffe gegen den IS getätigt werden, werden in den unruhigen Distrikten der Provinz durchgeführt (Pajhwok 16.3.2018; vgl. Khaama Press 14.1.2018a). Angriffe auch auf lokale Beamte und Sicherheitskräfte in der Provinz werden regelmäßig von Aufständischen der Taliban und dem IS durchgeführt (RFERL 12.3.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 795 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Nangarhar war die Provinz mit den meisten im Jahr 2017 registrierten Anschlägen (Pajhwok 14.1.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden in Nangarhar 862 zivile Opfer (344 getötete Zivilisten und 518 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 1% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Nangarhar

In der Provinz werden regelmäßig militärische Operationen ausgeführt (VoA 11.1.2018), um gewisse Distrikte von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 4.3.2018; vgl. Khaama Press 3.2.2018, Khaama Press 14.1.2018, Khaama 7.1.2018, Khaama Press 13.5.2017). Ebenso werden Luftangriffe durchgeführt (ABNA 16.3.2018; vgl. Khaama Press 11.3.2018, GT 22.1.2018, Khaama Press 1.3.2018, Khaama Press 14.1.2018a, Khaama Press 2.1.2018); in manchen Fällen wurden Aufständische getötet (Tolonews 26.5.2018; vgl. Khaama Press 11.3.2018, SD 22.2.2018, Khaama Press 1.3.2018, Khaama Press 2.3.2018, Khaama Press 7.1.2018, Khaama Press 13.5.2017); darunter auch IS-Kämpfer (Tolonews 31.5.2018; vgl. ABNA 16.3.2018, GT 22.1.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Nangarhar

Anhänger der Taliban, als auch des IS haben eine Präsenz in gewissen Distrikten der Provinz (Pajhwok 16.3.2018; vgl. Khaama Press 4.3.2018); zu diesen werden mehrere südliche Distrikte gezählt (VoA 11.1.2018). Nachdem die Grausamkeit des IS ihren Höhepunkt erreicht hat, sind die Taliban in Nangarhar beliebter geworden und haben an Einfluss gewonnen. Auch ist es dem IS nicht mehr so einfach möglich, Menschen zu rekrutieren (AN 6.3.2018).

Obwohl militärische Operationen durchgeführt werden, um Aktivitäten der Aufständischen zu unterbinden, sind die Taliban in einigen Distrikten der Provinz aktiv (Khaama Press 12.1.2018). In Nangarhar kämpfen die Taliban gegen den IS, um die Kontrolle über natürliche Minen und Territorium zu gewinnen; insbesondere in der Tora Bora Region, die dazu dient, Waren von und nach Pakistan zu schmuggeln (AN 6.3.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und IS fanden statt, dabei ging es um Kontrolle von Territorium (UNGASC 27.2.2018). In einem Falle haben aufständische Taliban ihren ehemaligen Kommandanten getötet, da ihm Verbindungen zum IS nachgesagt wurden (Khaama Press 20.1.2018).

Seit dem Jahr 2014 tauchen immer mehr Berichte zu einem Anstieg von Aktivitäten des IS in manchen abgelegenen Teilen der Provinz - dazu zählt auch der Distrikt Achin (Pajhwok 16.3.2018; vgl. Khaama Press 14.1.2018, Khaama Press 20.1.2018). Der IS zeigte weiterhin große Widerstandsfähigkeit, wenngleich die afghanischen und internationalen Kräfte gemeinsame Operationen durchführten. Die Gruppierung führte mehrere Angriffe gegen die zivile Bevölkerung und militärische Ziele aus - insbesondere in Kabul und Nangarhar (UNGASC 27.2.2018).

Eine Anzahl Aufständischer der Taliban und des IS haben sich in der Provinz Nangarhar dem Friedensprozess angeschlossen (Khaama Press 5.10.2017; vgl. Khaama Press10.1.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Nangharhar IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen Zivilisten, Auseinandersetzungen mit den Streitkräften und Gewalt) gemeldet (ACLED 23.2.2018).

Sicherheitsbehörden

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist (USDOD 6.2017).

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018, SIGAR 30.4.2018a, Tolonews 6.11.2017). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (USDOS 3.3.2017).

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u. a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018).

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats." (AA 5.2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.5.2018; vgl. E1 2.12.2017).

Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9.2016; vgl. USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen (SIGAR 30.4.2018a). Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden (NATO o. D.).

Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei (SIGAR 30.4.2018a). Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich (USDOD 6.2017). Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat auf (SIGAR 30.4.2018a). Nachdem die Operation Shafaq II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020 (USDOD 6.2017).

Reformen der ANDSF

Die afghanische Regierung versucht die nationalen Sicherheitskräfte zu reformieren. Durch die Afghanistan Compact Initiative sollen u.a. sowohl die ANDSF als auch ihre einzelnen Komponenten ANA und ANP reformiert und verbessert werden. Ein vom Joint Security Compact Committee (JSCC) durchgeführtes Monitoring der afghanischen Regierung ergab, dass die für Dezember 2017 gesetzten Ziele des Verteidigungs- und des Innenministeriums zum Großteil erreicht wurden (SIGAR 30.4.2018a). Das Aufstocken des ANASOC, der Ausbau der AAF, die Entwicklung von Führungskräften, die Korruptionsbekämpfung und die Vereinheitlichung der Führung innerhalb der afghanischen Streitkräfte sind einige Elemente der 2017 angekündigten Sicherheitsstrategie der afghanischen Regierung. Auch soll diese im Rahmen der neuen US-amerikanischen Strategie für Südasien Beratung und Unterstützung bei Lufteinsätzen bekommen (TD 1.4.2018).

Mit Unterstützung der RS-Mission implementieren und optimieren das MoI und das MoD verschiedene Systeme, um ihr Personal präzise zu verwalten, zu bezahlen und zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist das Afghan Human Resource Information Management System (AHRIMS), welches alle Daten inklusive Namen, Rang, Bildungsniveau, Ausweisnummer und aktuelle Position des ANDSF-Personals enthält. Auch ist das Afghan Personnel Pay System (APPS), das die AHRIMS-Daten u.a. mit Vergütungs- und in Lohndaten integrieren wird, in Entwicklung (SIGAR 30.4.2018a; vgl. NATO 21.7.2017).

Afghanische Nationalarmee (ANA)

Die afghanische Nationalarmee (ANA) überwacht und kommandiert alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte (USDOD 6.2017). Die ANA ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen (USDOS 20.4.2018).

Mit Stand 31. Jänner 2018 betrug der Personalstand der ANA 184.572 Mann. Im Vergleich zum Jänner 2017 ist die Anzahl der ANA-Streitkräfte um 6.861 Mann gestiegen (SIGAR 30.4.2018b). Die monatlichen Ausfälle der ANA im vorhergehenden Quartal betrugen mit Stand 26. Februar 2018 im Durchschnitt 2%. Im letzten Jahr blieben sie relativ stabil unter 2% (SIGAR 30.4.2018a).

Quellen zufolge beginnt die Grundausbildung der ANA-Soldaten am Kabul Military Training Center (KMTC) und beträgt zwischen sieben und acht Wochen (RSIS 1.6.2007; vgl. JCISFA 3.2011). Anschließend gibt es verschiedene weiterführende Ausbildungen für Unteroffiziere und Offiziere (JCISFA 3.2011).

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 20.4.2018). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden, und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Rückkehr

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.3.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand

21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten