TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/7 W272 2199129-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.01.2020
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Entscheidungsdatum

07.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W272 2199129-1/28E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt vom XXXX , Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG, § 9 BFA-VG, §§ 46, 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 14.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (in der Folge AsylG).

2. Am Tag der Antragstellung wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zunächst zu seinen persönlichen Verhältnissen angab, dass er in Afghanistan, in der Provinz Kunduz geboren sei. Er habe 10 Jahre die Grundschule in Kunduz besucht. Seine Muttersprache sei Dari und er spreche auch Paschtu und Englisch. Er sei sunnitischer Moslem und Tadschike. Sein Vater heiße XXXX und seine Mutter XXXX . Sein Vater sei verstorben, seine drei Brüder XXXX (20 Jahre), XXXX (17 Jahre), XXXX (15 Jahre) und seine Schwester XXXX (13 Jahre) wären in Afghanistan wohnhaft. Sein Wohnsitz war Kabul,

XXXX und auch in Kunduz, XXXX . Sein Vater sei für den Lebensunterhalt aufgekommen, dieser sei Polizist gewesen. Im vorletzten Monat hätten die Taliban Kunduz erobert und sein Vater sei an der Front dabei ums Leben gekommen. Die Taliban hätten gedacht, dass sein Vater viele Taliban getötet hätten und deshalb würden sie Rache an den BF nehmen wollen. Seine Familie sei dann nach Kabul gezogen und danach habe er sich entschlossen nach Europa zu flüchten, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei. Die Taliban würden ihn töten und der Staat würde ihm keinen Schutz gewähren.

3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 06.09.2017 gab der Beschwerdeführer zunächst an, dass er Tadschike und sunnitischer Moslem sei. Er sei in XXXX geboren und habe 10 Jahre lang die Schule besucht. Die letzten Jahre habe er keine Tätigkeit ausgeübt. Sein Vater sei 2015 gestorben, als die Regierung Kunduz-Stadt erstmal verloren habe. Seine Familie habe in Kunduz gewohnt, in Gooltepa-Zarkharid. Nach dem Tod des Vaters sei die Familie nach Kabul gegangen. Er sei in Pakistan gewesen, als seine Familie Kunduz verlassen habe. Er glaube, dass dies im Sommer gewesen sei. Wann genau seine Familie nach Kabul gezogen sei, wisse er nicht mehr genau, er schätze, als er in Pakistan gewesen sei. In Pakistan sei er nur durchgefahren, um in den Iran zu kommen. Es sei im Sommer 2015 gewesen und der BF korrigiere sich auf Herbst 2015. Er sei geflohen, da es Probleme mit seinem Großvater, Vater und Onkel gegeben habe. Als Kunduz besetzt worden sei, habe seine Familie nicht mehr dortbleiben können. Er sei eine Woche, vor seiner Familie geflüchtet. Die Flucht aus Afghanistan habe 1 Monat gedauert. Sein Vater sei Polizeibeamter bei der Lokalpolizei gewesen. Außerdem hätten sie noch 10 Jirib Grundstücke gehabt, dort seien Honigmelonen und Getreide angebaut worden. Nun sei seine Familie im Iran und die Grundstücke würden durch den Freund seines Vaters namens XXXX verwaltet werden und die Einkünfte würden seiner Familie versprochen worden sein. Sein Großvater habe Feinde, dieser sei jedoch bereits vor der Geburt des BF getötet worden. Sein Vater sei bei der Lokalpolizei gewesen. Sein Onkel sei am Weg Richtung Kunduz durch die Taliban und private Feinde getötet worden, er sei enthauptet worden.

Zur Fluchtgeschichte gab der BF an, dass er im Jahr 2015 mit seinem Cousin XXXX und seinem Vater zuhause gewesen sei. Sein Vater sei durch einen Anruf nach draußen gelockt worden. Die Leute hätten ihn angerufen, da man sie ansonsten erkannt hätte. Der BF sei mit seinem Cousin bewaffnet bei der Hintertür rausgegangen. Als Schüsse fielen, habe er mit seinem Cousin in Richtung der Taschenlampen geschossen. Nach einiger Zeit habe der BF nach seinem Vater gesehen und erkannt, dass dieser tot gewesen sei. Daraufhin habe der BF mit seinem Cousin nach den Angreifern nachgesehen und gesehen, dass einer von ihnen, namens XXXX , tot gewesen sei. Die anderen vier Angreifern seien verletzt gewesen und der BF habe sie gleich aus Wut getötet. Er sei dann mit seinem Vater ins MOLKI-Krankenhaus nach Kunduz gefahren. Danach sei sein Cousin XXXX aus Kapisa gekommen. Den Körper von XXXX habe der BF an das Motorrad gebunden und durch die Ortschaft fahren wollen. In dieser Zeit sei die Polizei gekommen und seine Mutter sei bewusstlos geworden, da sie dachte der BF wolle kämpfen gehen. Die Polizei habe ihn und XXXX festnehmen wollen, weil sie die verletzten Personen getötet haben, aber die Polizei konnte sie nicht festnehmen. Der BF wusste, dass die Regierung ihn ins Gefängnis bringen würden, da auch ein Freund seines Onkels namens XXXX , welcher verletzte Taliban getötet habe nun im Polizeigefängnis in Poolich Archi sei. Der BF sei deshalb sofort nach Österreich geflohen und sein Cousin XXXX habe zunächst Hilfe bei einem Parlamentsmitglied gesucht und konnte trotzdem nur ein Monat länger bleiben. Der BF sei nach Baghlan gefahren und danach nach Kabul. Sein Bruder sei nicht konkret bedroht worden, aber die Polizei sei jeden Tag gekommen. Der BF habe die Taliban gekannt, da er immer mit seinem Vater unterwegs gewesen sei und er immer mit seinem Vater wohin gefahren sei. Er sei immer bei seinem Vater gewesen und dieser habe von den Feinden erzählt. Die privaten Feinde waren die Taliban. Die Probleme seien schon mit dem Großvater gewesen. Als der Großvater getötet worden sei, seien sie nach Pakistan geflüchtet und als das Karzaie-Regime kam, er sei 7-8 Jahre alt gewesen, seien sie wieder zurückgekommen. Sein Vater habe 7-8 Jahre bei der Regionalpolizei gearbeitet, dazwischen nicht, er wisse aber nicht wann. Wieviele Tage vor der Erorberung Kunduz der Vorfall gewesen sei, wisse der BF nicht. Der BF wisse nicht in welchem Monat der Vorfall gewesen sei. Das Video und die Bilder wollte er auch bei der Erstbefragung vorzeigen, dieses seien jedoch nicht genommen worden. Die Bilder und das Video seien von XXXX den Kommandanten von Baghlan. Die Bilder habe dieser im letzten Monat geschickt.

Bei der 2. Einvernahme erklärte der BF die vorgelegten Fotos. Die Originaldatei des Videos 2 war vom 10.07.2016-140110 (in Farsi). Der BF gab dazu an, dass er die Fotos und das Video vor einem Monat erhalten habe und der Mullah es vielleicht vor einem Monat kopiert habe.

Im Zuge des bisherigen Verfahrens wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

* Tazkira ausgestellt 03.06.1394 (25.08.2015) in Kunduz, Distrikt Zentrum (Markaz) XXXX , 22 Jahre alt, Name XXXX , Name Vater XXXX ;

* Teilnahmebestätigung ÖIF, Deutsch-Lerngruppe;

* VHS Vorbereitungslehrgang Pflichtschulabschluss;

* 2 VHS Zeugnisse;

* Bescheinigung Erste-Hilfe-Kurs Rot Kreuz

* Fotos und ein Video auf welchen eine Person an einem Motorrad angehängt durch ein Dorf gezogen wird. Die Menge schreit.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt IV und V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

In der Bescheidbegründung stellte die belangte Behörde fest, dass keine individuelle Verfolgung durch seinen Herkunftsstaat, noch durch Drittpersonen erfolgt sei und daher die Flüchtlingseigenschaft nicht feststellbar war. Der BF sei weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung asylrelevant verfolgt worden. Eine Rückkehr nach Kunduz sei aufgrund der relevanten Gefährdungslage nicht möglich. Er habe jedoch drei innerstaatliche Fluchtalternativen, insbesondere Kabul oder Mazar-e-Sharif bzw. Herat. Über die Flughäfen könnten die Städte sicher erreicht werden. Der BF besitze Ausbildung, Erfahrung, familiäres Netzwerk und würde nicht in eine wirtschaftliche oder finanziell ausweglose Lage geraten. Herangezogen wurden die Länderfeststellungen der Staatendokumentation mit Gesamtaktualisierung vom 02.03.2017 und mit letzter Kurzinformation vom 30.01.2018. Begründend brachte die Behörde vor, dass der BF im Rahmen des Verfahrens die Tatsachen gesteigert hatte. So gab er bei der Erstbefragung an, dass sein Vater im Kampf gegen die Taliban an der Front gestorben sei. Im Verfahren vor dem BFA gab er nun gesteigert an, dass dieser vor das Haus gelockt und dort ermordet wurde. Der BF sei bei der Schießerei anwesend gewesen und habe im Anschluss vier verletzte Taliban getötet. Einen bereits toten Taliban habe er an ein Motorrad gebunden und sein Cousin habe diesen durch die Ortschaft gezogen. Auch gab der BF zunächst an, dass sei Großvater, Vater und Onkel Probleme gehabt hätten und dadurch er Probleme habe, danach war die oa. Fluchtgeschichte der primäre Grund der Flucht, aufgrund der befürchteten Rache der Taliban. Die Polizei habe ihn gesucht und da bereits ein Bekannter wegen desselben Deliktes - Tötung von verletzten Taliban - in Haft sei, musste er innerhalb weniger Wochen fliehen. Die Behörde beurteilte, dass es unerklärlich sei, dass der Vater des BF, als erfahrener Dorfpolizist alleine vor das Haus gehe, insbesondere da die Taliban zu dieser Zeit Kunduz eingenommen hatten. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass der BF noch eine Woche im Gebiet blieb und nicht innerhalb weniger Stunden geflohen sei. Auch sei nicht anzunehmen, dass die Familie des BF noch annähernd zwei Wochen bis zur Flucht zugewartet habe. Auch waren die Zeitangaben oberflächlich, einmal Sommer dann im Herbst. Auch die Verweildauer in Pakistan sei unglaubwürdig, da der BF angab nur durchgereist zu sein, während er jedoch dort war, während seine Familie nach Kabul gezogen sei. Auch auf Nachfrage, ob es Dokumente gebe, wurde dies bejaht, doch diese hätte die Mutter verbrannt. Es sei nicht erklärlich Dokumente zu verbrennen, welche von der Polizei seien, noch dazu, wenn die Mutter Analphabetin gewesen sei. Auch sei es ein großer Zufall, dass der BF bei der Ziehung der toten Person hinter dem Motorrad nicht anwesend gewesen sei. Insgesamt sei das Vorbringen unglaubwürdig. Da es zu diesen Vorfällen nicht kam, sei auch keine Verfolgung zu erwarten. Der BF könne sich in einen der oa. Städte niederlassen. Er sei arbeitsfähig, volljährig und gesund und würde eine zumutbare Lebensbedingung vorfinden, zumal auch der Luftweg dorthin sicher ist. Der BF habe 10 Jahre Grundschulausbildung und konnte 5500 USD sparen. Weiters würde ein Freund noch die Erträge aus der Landwirtschaft zur Verfügung stellen, sodass auch eine finanzielle Unterstützung gegeben sei. Weiters könnte eine Unterstützung von der Familie aus dem Iran erfolgen. Der BF könne auch eine finanzielle Rückkehrhilfe erhalten, welche ihn den Neubeginn in Afghanistan erleichtern könnte. Insgesamt folgerte die Behörde, dass sie von keinem realem Inhalt seines Fluchtvorbringens ausgehe. Nach Abwägung hat die Behörde beurteilt, dass der BF auch noch nicht so stark in Österreich integriert sei, sodass eine Rückkehr im objektiven Interesse liege und über seinen subjektiven Interessen zu stellen sind. Eine Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig.

5. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer im Wege seiner gesetzlichen Vertretung fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, infolge einer mangelhaften Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung ein. Der BF sei Tadschike mit islamisch-sunnitischer Glaubensrichtung. Der BF hätte frei erzählt und sowohl Fotos als auch Videos als Beweismittel vorgelegt. Der BF hält seine Aussagen aufrecht. Nach Ermordung seines Großvaters, sei die Familie nach Peschawar in Pakistan geflüchtet. Nachdem Präsident Karzai an die Macht kam, wäre seine Familie nach Kunduz zurückgezogen. Der Onkel des BF sei 2013 am Weg von Kabul nach Kunduz enthauptet worden. Der Vater des BF sei Polizist gewesen und sei 2015 im Zuge der Eroberung der Taliban von Kunduz bei einem Angriff ermordet worden. Aus Rache habe der BF vier verletzte Taliban getötet. Sein Cousin XXXX habe in der Folge eine Leiche in die Stadt geführt und mit dem Motorrad hinter sich gezogen. Der BF sei daraufhin von den Taliban, als auch von den afghanischen Sicherheitsbehörden verfolgt worden, dies habe ihn gezwungen das Land zu verlassen. Eine Steigerung sei nicht gegeben, da die Erstbefragung nur rudimentär gewesen sei. Dies sei auch gem. § 19 Abs. 1 AsylG 2005 so vorgesehen. Auch sei der BF nicht zuhause geblieben, sondern in der einen Woche nach Kabul gegangen und die Familie war nicht primäres Ziel, das sie beschützt wurde, doch auch diese lebe mittlerweile im Iran. Der BF könne daher nicht nach Afghanistan zurück, da er einer Verfolgung unterliege. Auch würde eine Rückkehr nicht möglich sein, da in Afghanistan ein Klima der ständigen Bedrohung, strukturellen Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie eine Reihe von Menschrechtsverletzungen bestünden. Weiters könne er nicht zurück, da er schon länger im Ausland sei und hier mit großen Schwierigkeiten bei der Eingliederung in die afghanische Gesellschaft zu rechnen habe. Er habe keinen Familienanschluss und er würde keine Arbeit finden, daher wäre ein menschenwürdiges Leben nicht möglich. Weiters wurden mehrere Berichte über Attentate in Kabul vorgebracht. Eine Rückführung nach Afghanistan wäre eine Verletzung nach Art. 2 und 3

EMRK.

6. Dem BVwG wurde am 15.05.2019 eine Kopie des Führerscheines des BF mit einem Untersuchungsbericht vorgelegt. Es ergab keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer falschen oder verfälschten Urkunde. Bemerkt wurde, dass es sich beim Modell um eine "Erstausstellung" handelte und auch kein früherer Führerschein eingetragen ist. Das bedeutet, dass dem Inhaber am 10.02.2019, nach Ablegung der Prüfung, erstmalig ein afghanischer Führerschein vom Verkehrsamt Kapisa ausgestellt wurde.

7. Am 14.06.2019 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG durchgeführt. Im Rahmen dieser Verhandlung legt der BF die mit A bis

V bezeichneten Fotos vor, ein Video, einen Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria: Gewerbeberechtigung seit 31.01.2019 und ein Zeugnis über die Abschlussprüfung der Berufsorientierung.

8. Mit Schreiben vom 19.07.2019 wurde der BF beauftragt zu einzelnen Punkten (Wohnort und zur Person des XXXX ) einzelne Fragen zu beantworten. Diese Fragen wurden mit Schreiben vom 23.07.2019 beantwortet und dienten für die Beauftragung eines Sachverständigen zur Erhebung von entsprechenden Daten vor Ort.

9. Der BF wurde am 24.07.2019 in Anhaltung und Untersuchungshaft genommen. Am 26.07.2019 wurde er aus der Justizanstalt Klagenfurt entlassen. Im Rahmen dieser Haft wurde eine Befragung durchgeführt.

10. Mit Beschluss des BVwG W2199129-1/10Z wurde Dr. XXXX als Sachverständiger beauftragt ein Gutachten aus dem Fachgebiet Afghanistan zu erstellten. Die Behörde und der BF/BFV wurden verständigt und ein Parteiengehör gewährt. Die beiden Parteien brachten keine Einwände gegen die Bestellung vor. Auch in der zweiten mündlichen Verhandlung am 11.12.2019 erfolgte keine Einwände.

Der SV wurde beauftragt folgende Fragen zu beantworten:

1. Welche Informationen gibt es in Afghanistan über den Tod von XXXX ?

2. Wann, wo, wie wurde XXXX getötet?

3. Wer hat XXXX getötet bzw. gibt es Verdächtige?

4. Ist das Video in Afghanistan bekannt und kann es im Zuge des Todes von XXXX erstellt worden sein?

5. Stimmen die Angaben/Vorbringen des BF mit der Realität seiner Heimatregion zusammen?

Eine weitere Erörterung erfolgt in der mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan, in der Provinz Kunduz geboren und hat bis zur Ausreise im Jahr 2015 in Kunduz gelebt. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan 10 Jahre lang die Schule besucht und in der Landwirtschaft gearbeitet. In seinem Herkunftsland verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandte. Der Vater des BF heißt XXXX , war Arbaki und wurde im Sommer 2015 bei einer Bombenexplosion getötet. Die Kernfamilie des BF befindet sich im Iran. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Dari, Arabisch, ein bisschen Paschtu und Usbekisch und er hat Englisch gelernt. Der BF kennt die afghanische Kultur.

Der BF ist grundsätzlich seinem Alter entsprechend entwickelt, gesund und arbeitsfähig.

Der BF ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, er hat sich nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland.

Der unbescholtene BF hat in Österreich keine Familienangehörigen und kaum Kontakte mit anderen Österreichern. Er hat in Österreich diverse Kurse darunter Deutschkurse besucht und versucht den Pflichtschulabschluss zu absolvieren. Er hatte als Gewerbetreibender Tätigkeiten in einem indisch-asiatischen Geschäft geleistet, zurzeit geht er keiner Beschäftigung nach. Der Beschwerdeführer kann sich in Deutsch verständigen. Er lernt derzeit über Youtube Deutsch und betreibt manchmal Sport. Ansonsten geht der BF keinen kulturellen oder sozialen Aktivitäten nach. Er lebt von der Grundversorgung und hat keine strafrechtliche Verurteilung.

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 14.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF wird nicht wegen Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht oder verfolgt.

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland:

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wird der BF aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter nicht bedroht.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass er sich in Europa aufgehalten hat bzw., dass er als afghanischer Staatsangehöriger, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, deshalb in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Bezüglich der Rückkehr nach Afghanistan in die Provinz Kunduz wird festgestellt, dass die Reise dorthin eine Gefahr für seinen Leib und Leben darstellt. Die Provinz zählt zu den volatilen Provinzen Afghanistans. Regierungsfeindliche, bewaffnete Aufständische sind in unterschiedlichen Distrikten aktiv. Es wird als volatile Gegend bezeichnet und das Erreichen dieser Ortschaften ist nicht sicher. In einer Zusammenschau wäre der BF daher mit großer Wahrscheinlichkeit in Gefahr einen ernstlichen Schaden zu erleiden.

Dem BF steht eine Rückkehr in die Städte Mazar-e-Sharif oder Herat zur Verfügung, obwohl in diesen beiden Städten eine angespannte Situation vorherrscht. Diese beiden Städte sind aber als innerstaatliche Fluchtalternative möglich. Es ist ihm möglich ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF würde bei seiner Rückkehr in eine dieser Städte kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und zumindest vorrübergehend verschiedene Hilfsprogramme in Anspruch nehmen, die ihn bei der Ansiedlung in Mazar- e Sharif oder Herat unterstützen. Die Notwendigkeit des Vorhandenseins eines persönlichen Ausweises/Dokumentes ist nicht gegeben.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Die Städte Mazar-e-Sharif und Herat sind von Österreich aus sicher über Kabul mit dem Flugzeug zu erreichen. Die Städte sind über die jeweiligen Flughäfen sicher zu erreichen. Die Rückführung nach Afghanistan wird von Österreich organisiert.

1.4. Zum Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt (Stand 13.11.2019).

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o. D.))

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

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Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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