TE Bvwg Beschluss 2020/1/15 I408 1243913-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.01.2020
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Entscheidungsdatum

15.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz 2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I408 1243913-2/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark (BAG) vom 09.12.2019, Zl. 731793008-180878728, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid zur Gänze behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer stellte am 16.06.2003 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztendlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 11.10.2010, Zl. A6 243.913-0/2008/28E rechtskräftig abgewiesen wurde.

Am 13.09.2018 erhielt die belangte Behörde die Mitteilung, dass der Beschwerdeführer am 12.09.2018 wegen des Verdachtes der Begehungen eines Verbrechens nach §§ 28 a ff SMG festgenommen und in die Justizanstalt überstellt wurde.

Zu diesem Zeitpunkt war der Beschwerdeführer im Besitz einer bis 02.10.2019 gültigen Rot-Weiß-Rot Karte plus, lebte im gemeinsamen Haushalt mit seiner nigerianischen Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen Kindern, geboren 2009 und 2016. Zudem ist er der Hauptmieter der gemeinsamen Wohnung.

Am 02.10.2018 erhielt der Beschwerdeführer von der belangten Behörde Parteiengehör zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot. U.e. wurde ihm das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria mit Stand 07.08.2017 übermittelt.

Am 02.11.2018 gab der Beschwerdeführer dazu eine umfassende Stellungnahme durch seinen, damals bevollmächtigten Rechtsvertreters ab.

Am 04.07.2019 wurde die belangte Behörde von der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen §§ 28a Abs1 5. Fall, 28 Abs 2 Z 3 und 28 Abs 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten verständigt (XXXX bzw. XXXX).

Am 07.10.2019 wurde die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers von der belangten Behörde als Zeugin einvernommen.

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 09.12.2019 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchunkt III.). Zudem erließ sie über ihn ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt IV.), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt V.) und aberkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt VI.).

Am 23.12.2019 bekämpfte der Beschwerdeführer diesen Bescheid in vollem Umfang.

Behördenakt und Beschwerde wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 13.01.2020 übermittelt.

Die belangte Behörde setzte sich in Ihrer Entscheidung weder mit dem Aufenthalt des Beschwerdeführers seit 2003, der seit Zuerkennung einer Rot-Weiß-Rot Karte plus bzw. seiner Niederlassungsbewilligung am 28.11.2011 - für das Gericht nur aus dem selbst eingeholten Speicherauszug aus den Betreuungsinformationssystem vom 13.01.2020 ersichtlich -, rechtmäßig war, noch mit dem seit 2008 bestehenden Familienleben sowie dem Kindeswohl ausreichend auseinander. Zudem wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde nicht persönlich einvernommen, sondern nur einmal am 02.10.2018 schriftlich kontaktiert. Außerdem wurde ihm auch die Zeugenaussage seiner Lebensgefährtin nicht zur Kenntnis gebracht und die belangte Behörde stützte sich auf den aktuellen Länderbericht zu Nigeria, der ebenfalls mit dem Beschwerdeführer nicht erörtert wurde.

Das Verfahren der belangten Behörde erweist sich in einigen Punkten als unvollständig und aktenwidrig und entspricht nicht - wie auch von der Rechtsvertretung moniert - den Vorgaben der Grundrechtscharta der Europäischen Union.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Richter stützt sich auf den Inhalt des vorgelegten Aktes der belangten Behörde sowie den amtswegig eingeholte Ausdrucke aus GVS, ZMR und Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

A) Zur Zurückweisung an die belangte Behörde

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der VwGH hat die Möglichkeit der Zurückverweisung nur auf krasse bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken eingeschränkt. Das ist u. a. dann der Fall, wenn die belangte Behörde nur ansatzweise erhoben hat.

Im gegenständlichen Fall kommt hinzu, dass die belangte Behörde vom Gericht eine Entscheidung innerhalb einer Woche einfordert, ohne alle Aspekte des Falles vollständig, zweifelsfrei und umfassend erhoben zu haben. Das gilt insbesondere in Bezug auf das Privat- und Familienleben des seit 2003 aufhältigen, offenbar seit 2011 mit einer Niederlassungsbewilligung ausgestatteten Beschwerdeführers. Das vor über einem Jahr am 02.10.2018 eingeräumte (schriftliche) Parteiengehör ist zum einen nicht zeitnah und umfasst nicht alle von der belangten Behörde herangezogenen Beweismittel.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass eine massive Straffälligkeit des Beschwerdeführers vorliegt, aber es ist der Beschwerde folgend für ein ordnungs- und gesetzmäßiges Verfahren notwendig, den Beschwerdeführer persönlich zu hören und ihm Gelegenheit zu geben, sich mit den, von der belangten Behörde herangezogenen Beweismittel zeitnah auseinandersetzen zu können.

Es liegen somit gravierende Ermittlungslücken der belangten Behörde vor.

Die belangte Behörde wird sich daher mit dem Beschwerdeführer zu seinem Privat- und Familienleben persönlich auseinanderzusetzen haben und einen neuen Bescheid zu erlassen haben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 24.3.2015, Ra 2014/09/0043, 14.12.2015, Ra 2015/09/0057, und 20.2.2018, Ra 2017/20/0498, jeweils mwN) und es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aktenwidrigkeit, Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz,
Aufenthaltsverbot, Behebung der Entscheidung, Ermittlungsmangel,
Ermittlungspflicht, Haft, Haftstrafe, Kassation, mangelhaftes
Ermittlungsverfahren, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Straffälligkeit, Strafhaft, strafrechtliche Verurteilung, Straftat,
Suchtmitteldelikt, Unvollständigkeit, Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I408.1243913.2.00

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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