Entscheidungsdatum
25.02.2020Norm
ASVG §67 Abs10Spruch
W209 2217398-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , XXXX , XXXX , vertreten durch Dr. Astrid HINTERBERGER, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Singerstraße 11/7, gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse) vom 05.07.2018, GZ: 11-2018-BE-VER10-0007E, betreffend Haftung gemäß § 67 Abs. 10 in Verbindung mit § 83 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) für auf dem Betragskonto der XXXX ges.m.b.H., XXXX , XXXX , unberichtigt aushaftende Beiträge samt Nebengebühren in Höhe von € 48.276,49 und der ab 01.07.2018 auflaufenden Verzugszinsen in Höhe von 3,38 % p.a. aus € 46.784,08 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in seinem Spruch zu lauten hat:
Frau XXXX , geb. XXXX , XXXX , schuldet als ehemalige Geschäftsführerin der Beitragskontoinhaberin XXXX , XXXX , der Wiener Gebietskrankenkasse gem. § 67 Abs. 10 ASVG in Verbindung mit § 83 ASVG die zu entrichten gewesenen Beiträge samt Nebengebühren aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Oktober 2012, November 2012, Dezember 2012, Jänner 2013, Februar 2013, März 2013, April 2013, Mai 2013, Juni 2013, Juli 2013, August 2013, September 2013, Oktober 2013, November 2013, Dezember 2013, Jänner 2014, Februar 2014, März 2014, April 2014, Mai 2014, Juni 2014, Juli 2014 und März 2017 in Höhe von € 47.547,04 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das sind ab 01.07.2018 3,38 % p.a., aus € 46.109,08.
Frau XXXX ist verpflichtet, diesen Betrag binnen 14 Tagen nach Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen an die Wiener Gebietskrankenkasse zu bezahlen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Schreiben vom 16.03.2018 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass auf dem Beitragskonto der XXXX ges.m.b.H. (im Folgenden: Primärschuldnerin) aus den Beiträgen Jänner 2016 bis Dezember 2017 ein Rückstand in der Höhe von €
3.205,87 zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen bestehe. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG würden die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit haften, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden könnten. Da die Beiträge trotz Fälligkeit bisher nicht bezahlt worden seien, werde die Beschwerdeführerin ersucht, den eingangs erwähnten Rückstand bis spätestens 10.04.2018 zu begleichen bzw. innerhalb dieser Frist alle Tatsachen vorzubringen, die ihrer Ansicht nach gegen ihre Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sprächen. Dem Schreiben war ein Rückstandsausweis vom selben Tag angeschlossen, in dem die Zusammensetzung des oben angeführten Betrages näher aufgeschlüsselt wurde.
2. Mit Schreiben vom 29.03.2018 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass auf dem Beitragskonto der Primärschuldnerin aus den Beiträgen Jänner 2012 bis Juli 2014 ein Rückstand in der Höhe von € 68.114,89 zuzüglich der gesetzlichen Verzugszinsen bestehe. Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG würden die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit haften, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden könnten. Da die Beiträge trotz Fälligkeit bisher nicht bezahlt worden seien, werde die Beschwerdeführerin ersucht, den eingangs erwähnten Rückstand bis spätestens 20.04.2018 zu begleichen bzw. innerhalb dieser Frist alle Tatsachen vorzubringen, die ihrer Ansicht nach gegen ihre Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG sprächen. Dem Schreiben war ein Rückstandsausweis vom selben Tag angeschlossen, in dem die Zusammensetzung des oben angeführten Betrages näher aufgeschlüsselt wurde.
3. Am 26.04.2018 teilte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde telefonisch mit, dass sie von Herrn XXXX (Anm.: Mitgesellschafter der Primärschuldnerin) hereingelegt worden sei. Dieser habe sie gebeten, für zwei Monate als Geschäftsführerin mit Gewerbeberechtigung zu fungieren, bis der neue Geschäftsführer eingetragen wird. Nach zwei Monaten habe sie sich austragen lassen wollen. Das habe jedoch nicht funktioniert und sie sei nicht aus dem Firmenbuch herausgekommen. Abgesehen davon könne sie die Summe nicht bezahlen, da sie AMS-Bezieherin sei. In der Folge übermittelte die Beschwerdeführerin der belangten Behörde eine schriftliche Zusammenfassung ihres Vorbringens. Demzufolge sei sie von Herrn XXXX , den sie zufällig an einem Würstelstand getroffen habe, gebeten worden, ihm für 3 bis 4 Monate ihre Gewerbeberechtigung zur Verfügung zu stellen, wie sie es bereits vor Jahren schon einmal getan habe. Die Beschwerdeführerin habe eingewilligt und sei wie zugesagt kurze Zeit später wieder abgemeldet worden. In der Folge habe der Steuerberater des Herrn XXXX empfohlen, die Beschwerdeführerin mit 2,5 % an der Gesellschaft zu beteiligen, weil dann keine Konzession mehr benötigt werden würde. Die Beschwerdeführerin habe eingewilligt. Bei einem Termin beim Notar im Dezember 2015 habe sie erfahren, dass Herr XXXX (Anm.: der bisherige Mehrheitsgesellschafter der Primärschuldnerin) aus der Gesellschaft ausgetreten sei und nunmehr nur mehr sie und Herr XXXX übrig seien. Sie habe ihm gesagt, dass sie das nicht wolle. Er habe aber gemeint, das sei nur für ein paar Monate, bis er eine Bestätigung bekomme, dass seine Vorstrafe getilgt sei, und wieder selbst ein Geschäft haben könne.
4. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 05.07.2018 wurde die Beschwerdeführerin sodann als ehemalige Geschäftsführerin der Primärschuldnerin gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 83 ASVG verpflichtet, der belangten Behörde binnen 14 Tagen nach Zustellung des Bescheides die auf dem Beitragskonto der Primärschuldnerin unberichtigt aushaftenden Beiträge aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Oktober 2012 bis Juni 2014 und weitere bis Dezember 2017 samt Nebengebühren in der Höhe von € 48.276,49 zuzüglich der ab 01.07.2018 auflaufenden Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das seien derzeit 3,38 % p.a. aus €
46.784,08, bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Primärschuldnerin aus den Beiträgen für Jänner 2016 bis Dezember 2017 € 3.238,35 und weitere Verzugszinsen schulde. Ein Insolvenzverfahren sei mangels kostendeckendem Vermögen durch rechtskräftigen Beschluss des LG Korneuburg vom 05.03.2018 nicht eröffnet worden. Die Zahlungsunfähigkeit sei festgestellt worden. Sämtliche Einbringungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Damit stehe die Uneinbringlichkeit der Forderungen gegenüber der Primärschuldnerin fest. Die Beschwerdeführerin sei im gegenständlichen Zeitraum als handelsrechtliche Geschäftsführerin im Firmenbuch eingetragen und damit vertretungsbefugtes Organ der Primärschuldnerin gewesen. Gemäß § 67 Abs. 10 und § 58 Abs. 5 ASVG hätten die Vertreterinnen juristischer Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie hätten insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Gemäß den gesetzlichen Bestimmungen würden die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen für die von diesen zu entrichtenden Beiträgen insoweit haften, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht hereingebracht werden könnten. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe der Vertreter des Dienstgebers darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Behörde eine schuldhafte Verletzung anzunehmen habe. Der Beschwerdeführerin sei mit Schreiben vom 29.03.2018 Gelegenheit geboten worden darzutun, aus welchen Gründen ihr die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie sei hineingelegt worden, gehe ins Leere. Ein handelsrechtlicher Geschäftsführer könne sich nicht auf eine Unkenntnis seiner Pflichten berufen. Die Beschwerdeführerin habe diese Funktion freiwillig übernommen und dies durch ihre Unterschrift im Gesellschafterbeschluss vom 21.12.2015 bekundet. Dass sie nicht aus dem Firmenbuch gelöscht werden habe können, sei nicht zutreffend, da ein Rücktritt eines handelsrechtlichen Geschäftsführer nach § 16a GmbHG mit anschließender Löschung der Funktion im Firmenbuch stets möglich sei. Dem Bescheid war ein Rückstandsausweis vom selben Tag angeschlossen, in dem der im Bescheidspruch genannte Betrag näher aufgeschlüsselt wurde.
5. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Rechtsvertreterin binnen offener Rechtsmittelfrist Beschwerde, die sie zunächst damit begründete, dass der angefochtene Bescheid in sich widersprüchlich sei. Im Konkreten stehe der Spruch im krassen Widerspruch mit der Bescheidbegründung. Im Spruch des Bescheides werde die Beschwerdeführerin zur Zahlung von € 48.276,49 samt Zinsen verpflichtet, und zwar wegen zu entrichten gewesener Beträge samt Nebengebühren für die Zeiträume Oktober 2012, November 2012, Dezember 2012, Jänner 2013, Februar 2013, März 2013, April 2013, Mai 2013, Juni 2013, Juli 2013, August 2013, September 2013, Oktober 2013, November 2013, Dezember 2013, Jänner 2014, Februar 2014, März 2014, April 2014, Mai 2014, Juni 2014 und weitere bis Dezember 2017. Begründet werde dies zusammengefasst damit, dass die Primärschuldnerin aus den Beiträgen Jänner 2016 bis Dezember 2017 €
3.238,35 und weitere Verzugszinsen schulde und die Beschwerdeführerin, da sie im gegenständlichen Zeitraum handelsrechtliche Geschäftsführerin der Primärschuldnerin gewesen sei, für die Entrichtung dieser Beiträge hafte. Zum einen sei der Spruch durch die lapidare Anmerkung "und weitere Zeiträume bis Dezember 2017" nicht überprüfbar, da nicht klar sei, für welche konkreten Zeiträume die Beschwerdeführerin nun haften solle. Zum anderen liege ein krasser Widerspruch darin, dass laut Begründung die Primärschuldnerin nur aus den Beiträgen für Jänner 2016 bis Dezember 2016 Beiträge in Höhe von € 3.238,35 schulde. Wenn "nur" die Beiträge für 01-12/2016 geschuldet seien, könne die Haftung laut Spruch nicht vorliegen. Weiters entspreche es - entgegen der Bescheidbegründung - nicht den (objektiven) Tatsachen, dass die Beschwerdeführerin bis 12/2017 Geschäftsführerin der Primärschuldnerin gewesen sei. Dem von der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin eigeholten Firmenbuchauszug mit historischen Daten sei zu entnehmen, dass die Funktion per 24.05.2017 gelöscht worden sei, sohin die Beschwerdeführerin ab diesem Zeitpunkt nicht mehr vertretungsbefugtes Organ der Primärschuldnerin gewesen sei. Eine Haftung für Zeiträume bis 12/2017 sei sohin nicht nachvollziehbar. Unabhängig davon komme der Beschwerdeführerin aber auch keine schuldhafte Verletzung von abgabenrechtlichen Pflichten zu. Dies sei von ihr bereits im Verfahren dargelegt worden, habe jedoch keine entsprechende Berücksichtigung gefunden. Wie bereits vorgebracht, sei die Beschwerdeführerin mit dem vormaligen Gesellschafter und Geschäftsführer der Primärschuldnerin, Herrn XXXX , befreundet. Sie habe Herrn XXXX vor ca. 23 Jahren als zuverlässigen und vertrauenswürdigen Menschen kennengelernt und ihm bereits damals ihre Gastgewerbekonzession zur Verfügung gestellt, indem sie die gewerberechtliche Geschäftsführung der Behörde gegenüber übernahm. Damals sei alles friktionsfrei verlaufen und man habe sich in weiterer Folge aus den Augen verloren. Im Jahr 2012 hätten sich die Beschwerdeführerin und Herr XXXX zufällig an einem Würstelstand wieder getroffen. Bei diesem Treffen sei die Beschwerdeführerin (erneut) ersucht worden, ihre Gastgewerbekonzession zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der guten Erfahrung aus der Vergangenheit habe sie eingewilligt. In weiterer Folge sei sie auch tatsächlich nach der vereinbarten Zeit wieder als gewerberechtliche Geschäftsführerin abgemeldet worden. Wie bereits vor 23 Jahren sei die Zurverfügungstellung der Konzession unentgeltlich erfolgt. Im Zuge der Abmeldung habe sich Herr XXXX mit dem Anliegen an die Beschwerdeführerin gewandt, dass ihm sein Steuerberater empfohlen habe, die Beschwerdeführerin gegen eine geringe Beteiligung von 2,5% in das Unternehmen aufzunehmen, denn so bräuchte er keine Konzession mehr. Auch dieser Bitte sei die Beschwerdeführerin nachgekommen, zumal auch die von ihr übernommene Stammeinlage laut Gesellschaftsvertrag nicht von ihr zu bezahlen gewesen sei. All dies sei von Herrn XXXX bewerkstelligt worden, der auch sämtliche Behördenwege durchgeführt habe. Die Beschwerdeführerin habe lediglich vor dem Notar ihre Unterschrift geleistet. Dass sie damit auch gleichzeitig die handelsrechtliche Geschäftsführung übernommen habe, sei weder mit ihr besprochen worden, noch sei ihr dieser Umstand bekannt gewesen. Sie sei lediglich im Glauben gewesen, einen Firmenanteil von 2,5% übernommen zu haben. Zu keinem Zeitpunkt habe die Beschwerdeführerin irgendetwas mit dem operativen Geschäft der GmbH zu tun gehabt. Es habe keine weiteren Berührungspunkte gegeben. Auch habe sie weder eine Vergütung als Geschäftsführer erhalten noch sei sie am Gewinn (oder Verlust) der GmbH beteiligt gewesen. Für die Beschwerdeführerin sei es ein reiner Freundschaftsdienst gewesen. Im Dezember 2015 sei sie dann erneut von Herrn XXXX telefonisch kontaktiert worden. Er habe ihr mitgeteilt, dass sie dringlichst zu einem Notar-Termin zu kommen habe, da ihre Anwesenheit unbedingt erforderlich sei. Bei diesem Termin sei die Beschwerdeführerin in Kenntnis gesetzt worden, dass Herr XXXX aus dem Unternehmen ausgetreten sei und demnach nur mehr Herr XXXX und sie übriggeblieben seien. Bei diesem Temin habe sie die Geschäftsführung übernehmen "müssen", was mit keinem Wort im Vorfeld mit ihr besprochen worden sei. Sie sei mehr oder wenig komplett überrumpelt worden. Die Beschwerdeführerin habe klargestellt, dass sie dem ablehnend gegenüberstehe und diesbezüglich rasch eine Änderung wünsche, was ihr seitens Herrn XXXX auch zugesagt worden sei. Auch weiterhin gänzlich unbekannt sei ihr der Umstand gewesen, dass sie bereits in der Zeit von 11.10.2012 bis 21.12.2015 Geschäftsführerin der Primärschuldnerin gewesen sei. Nachdem die Beschwerdeführerin in weiterer Folge an massiven gesundheitlichen Beschwerden gelitten habe bzw. gesundheitlich sehr angeschlagen gewesen sei, habe sie die "Angelegenheit" nicht mehr weiterverfolgt, zumal die Krankheit für sie sehr lebensbestimmend gewesen sei. Faktum sei, dass die Beschwerdeführerin augenscheinlich von Herrn XXXX bewusst in die Irre geführt worden sei bzw. sie und ihre Gutmütigkeit missbraucht worden seien. Die Beschwerdeführerin sei zu keinem Zeitpunkt in die Geschäfte der GmbH eingebunden gewesen und habe die gesamte Zeit über keinerlei Zuwendungen - welcher Art auch immer - erhalten. Auch ein zu GZ XXXX gegen die Beschwerdeführerin geführtes Strafverfahren (Anm.: wegen §§ 156, 162, 271, 292a StGB) sei eingestellt worden. Zudem sei die Beschwerdeführerin erstmals im Oktober 2017 aufgrund des eingeleiteten Strafverfahrens zum einen mit der Tatsache konfrontiert worden, dass sie noch Geschäftsführerin gewesen sei, und zum anderen, dass Herr XXXX augenscheinlich Vermögen der GmbH verbracht habe. Ab da habe sie die Löschung als Geschäftsführerin betrieben, was letztlich auch wenige Wochen später tatsächlich geschehen sei. Von etwaigen offenen Forderungen gegenüber der Kasse habe sie erstmals mit Schreiben vom 29.03.2018 erfahren. Auch dieser Umstand sei ihr zuvor nicht bekannt gewesen. Die Beschwerdeführerin behalte sich demnach auch die Einleitung strafrechtlicher Schritte gegen Herrn XXXX vor. Da die Beschwerdeführerin von der faktischen Geschäftsführung durch Herrn XXXX ausgeschlossen gewesen sei, sei ihr auch die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten nicht möglich gewesen und liege daher keine schuldhafte Pflichtverletzung vor.
6. Mit Schreiben vom 05.03.2019 teilte die belangte Behörde der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin mit, dass die Beschwerdeführerin von 11.10.2012 bis 07.06.2017 als vertretungsbefugte Geschäftsführerin der Primärschuldnerin im Firmenbuch eingetragen und daher für die ordnungsgemäße Meldung und Entrichtung der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich gewesen sei. Aufgrund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hafte ein Geschäftsführer auch dann, wenn seine Kompetenz von vornherein so eingeschränkt gewesen sei, dass eine ordnungsgemäße Ausübung seiner Geschäftsführerfunktion insbesondere auch im Hinblick auf seine abgabenrechtlichen Pflichten bzw. die Wahrnehmung seiner Aufsichtspflicht nicht möglich gewesen sei, d.h. den Geschäftsführer treffe ein Verschulden im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG auch dann, wenn er sich schon bei Übernahme seiner Funktion mit einer Beschränkung einverstanden erklärt habe bzw. diese nur zum Schein übernehme. Aufgrund einer Beitragsprüfung sei die haftungsgegenständliche Nachverrechnung von Beitragsrückständen für die Zeiträume 10/2012 bis 07/2014, die bei ordnungsgemäßer Meldung nicht entstanden wären, erfolgt und treffe die Beschwerdeführerin diesbezüglich eine Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG. Hinsichtlich der offenen Beiträge KJ 2016 und 3/2017 habe sie die Pflicht getroffen, dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwaltet habe, entrichtet werden. Es sei diesbezüglich ein Nachweis der Gleichbehandlung vorzulegen und werde daher um Übermittlung von geeigneten Unterlagen zum Nachweis der Gleichbehandlung der Sozialversicherungsbeiträge mit sämtlichen anderen fälligen Verbindlichkeiten im jeweiligen Fälligkeitszeitraum bzw. um Mitteilung ersucht, ob die Beschwerdeführerin mit einer vergleichsweisen Regelung der Geschäftsführerhaftung in der Höhe von € 20.000 einverstanden wäre. Für eine Rückantwort wurde eine Frist von 14 Tagen eingeräumt.
7. Am 12.04.2019 legte die belangte Behörde die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und teilte mit, dass zum Schreiben vom 05.03.2019 keine Äußerung erfolgt sei.
8. Am 27.01.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführerin und ihre Rechtsvertreterin sowie ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen. Im Rahmen der Verhandlung wurde dem Vertreter der belangten Behörde aufgetragen, eine Neuberechnung des aushaftenden Gesamtbetrages vorzunehmen, da dieser auch Beiträge enthielt, die für Zeiträume geschuldet werden, in denen die Beschwerdeführerin nicht mehr handelsrechtliche Geschäftsführerin der Primärschuldnerin gewesen ist.
9. Mit Schreiben vom 30.01.2020 übermittelte die belangte Behörde dem Gericht das Ergebnis der ihr aufgetragene Neuberechnung des Haftungsbetrages. Die Beschwerdeführerin wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu schriftlich zu äußern. In der hierfür eingeräumten 14-tägigen Frist langte keine Stellungnahme bei Gericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:
Die Beschwerdeführerin war von 11.10.2012 bis 20.12.2015 als gemeinsam vertretungsbefugte Geschäftsführerin und von 21.12.2015 bis 24.05.2017 als selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführerin der Primärschuldnerin im Firmenbuch (FN XXXX s) eingetragen.
Die Primärschuldnerin schuldete der Wiener Gebietskrankenkasse zum 01.07.2018 für die Zeiträume Oktober 2012, November 2012, Dezember 2012, Jänner 2013, Februar 2013, März 2013, April 2013, Mai 2013, Juni 2013, Juli 2013, August 2013, September 2013, Oktober 2013, November 2013, Dezember 2013, Jänner 2014, Februar 2014, März 2014, April 2014, Mai 2014, Juni 2014, Juli 2014 und März 2017 Beiträge samt Nebengebühren in Höhe von € 47.547,04.
Die o.a. Beiträge sind aufgrund von Meldepflichtverletzungen uneinbringlich geworden.
2. Beweiswürdigung:
Die Organstellung der Beschwerdeführerin als handelsrechtliche Geschäftsführerin der Primärschuldnerin in den oben angeführten Zeiträumen ergibt sich aus dem Firmenbuch.
Die Höhe der geschuldeten Beiträge ergibt sich aus dem Rückstandsausweis vom 30.01.2020, dessen Inhalt die Beschwerdeführerin nicht entgegengetreten ist.
Die Uneinbringlichkeit der Beiträge ergibt sich aus dem am 05.03.2018 zu XXXX ergangenen Beschluss des Landesgerichts Korneuburg, mit dem die Zahlungsunfähigkeit der Primärschuldnerin festgestellt wurde.
Die Feststellung, dass die Beiträge aufgrund von der Beschwerdeführerin anzulastenden Meldepflichtverletzungen uneinbringlich geworden sind, gründet auf den Umstand, dass es an der Beschwerdeführerin gelegen wäre, Behauptungen über Tatsachen aufzustellen, dass sie ohne ihr Verschulden an der Erfüllung der ihr obliegenden gesetzlichen Pflichten gehindert war (§ 1298 ABGB; vgl. VwGH 26.05.2004, 2001/08/0209, mwN).
Mit dem Vorbringen, dass sie vom faktischen Machthaber der Primärschuldnerin (Herrn XXXX ) irregeführt worden sei und bis 21.12.2015 nicht gewusst habe, dass sie seit 11.10.2012 als Geschäftsführerin der Primärschuldnerin fungiert habe, ist ihr nicht gelungen darzulegen, dass sie an der Verletzung der ihr als Vertreterin obliegenden Meldepflichten kein Verschulden trifft. Näheres dazu ist der folgenden rechtlichen Würdigung zu entnehmen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 414 Abs. 1 ASVG kann gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind.
Da über eine Sache nach § 410 Abs. 1 Z 4 (Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 ASVG) entschieden wird und auch nicht eine Angelegenheit gemäß § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG als Vorfrage zu beurteilen ist, liegt im gegenständlichen Beschwerdeverfahren Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Vorliegend gelangen folgende maßgebende Rechtsvorschriften zur Anwendung:
§ 67 ASVG in der hier maßgebenden Fassung des BGBl. I Nr. 86/2013:
"Haftung für Beitragsschuldigkeiten
§ 67. (1) bis (9) [...]
(10) Die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haften im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend."
§ 83 ASVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. Nr. 588/1991:
"Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze
§ 83. Die Bestimmungen über Eintreibung und Sicherung, Haftung, Verjährung und Rückforderung von Beiträgen gelten entsprechend für Verzugszinsen und Verwaltungskostenersätze bei zwangsweiser Eintreibung."
Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:
§ 67 Abs. 10 ASVG zufolge haften u.a. die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Der Geschäftsführer einer GmbH haftet für Beitragsausfälle, die auf schuldhafte Meldepflichtverletzungen zurückzuführen sind, im Ausmaß der Uneinbringlichkeit dieser Beiträge grundsätzlich zur Gänze (VwGH 27.11.2014, 2012/08/0216).
Voraussetzung für den Eintritt der Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG ist, dass die betreffenden Sozialversicherungsbeiträge beim Primärschuldner uneinbringlich sind. Erst wenn dies feststeht, ist auf die Prüfung der für die Haftung nach dieser Bestimmung maßgebenden weiteren, an die Person des allenfalls Haftungspflichtigen geknüpften Voraussetzungen einzugehen (VwGH 16.09.1991, 91/15/0028; 09.02.1982, 81/14/0072).
Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 05.03.2018 wurde die Primärschuldnerin infolge rechtskräftiger Nichteröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels kostendeckenden Vermögens und Zahlungsunfähigkeit aufgelöst. Damit steht die Uneinbringlichkeit der Sozialversicherungsbeiträge fest.
Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH trifft ungeachtet der grundsätzlichen amtswegigen Ermittlungspflicht den Vertreter die besondere Verpflichtung darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der Verpflichtungen unmöglich war, widrigenfalls eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden kann. Stellt er dabei nicht bloß ganz allgemeine, sondern einigermaßen konkrete sachbezogene Behauptungen auf, so ist er zur weiteren Präzisierung und Konkretisierung des Vorbringens aufzufordern, wenn auf Grund dessen - nach allfälliger Durchführung eines danach erforderlichen Ermittlungsverfahrens - die Beurteilung des Bestehens einer Haftung möglich ist. Kommt er dieser Aufforderung nicht nach, so bleibt die Behörde zur Annahme berechtigt, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht entsprochen hat (vgl. VwGH 26.05.2004, 2001/08/0043; 26.01.2005, 2002/08/0213; 25.05.2011, 2008/08/0169).
Wie der Beweiswürdigung zu entnehmen ist, wurden die der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Meldepflichtverletzungen in den im Spruch genannten Zeiträumen nicht substantiiert bestritten, sodass im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung von der (gänzlichen) Haftung der Beschwerdeführerin für die darauf zurückzuführenden Beitragsausfälle auszugehen ist.
Soweit die Beschwerdeführerin vorbrachte, sie habe von der Bestellung als Geschäftsführerin nichts gewusst, ist dem entgegen zu halten, dass es nicht auf die Erlangung der Kenntnis von der Funktion des Geschäftsführers ankommt, weil die Beschwerdeführerin die Funktion einer Geschäftsführerin durch den von ihr abgeschlossenen Gesellschaftsvertrag erlangt hat und allfällige Willensmängel bei Abschluss dieses Gesellschaftsvertrages nur zur Vertragsanfechtung vor den Zivilgerichten berechtigen, nicht aber in einem Verwaltungsverfahren eingewendet werden können, in dem es um die Erfüllung der Pflichten des Geschäftsführers geht (VwGH 26.05.2004, 2001/08/0127).
Da der von der belangten Behörde ermittelte Rückstand (zum 01.07.2018) der Höhe nach unbestritten blieb, ist im Ergebnis festzuhalten, dass der Ausspruch über die Haftung für die aufgrund von Meldepflichtverletzungen uneinbringlich gewordenen Beiträge sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht erfolgte.
Die Haftung umfasst im Hinblick auf §§ 58 Abs. 5 und 83 ASVG auch die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen nach § 59 Abs. 1 ASVG (VwGH 11.04.2018, Ra 2015/08/0038). Dementsprechend erfolgte auch der Ausspruch über die Haftung für die aufgelaufenen und noch auflaufenden Verzugszinsen zu Recht, weswegen die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Geschäftsführer, Haftung, Meldepflicht, Pflichtverletzung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W209.2217398.1.00Zuletzt aktualisiert am
23.04.2020