TE Bvwg Beschluss 2020/3/4 W164 2226649-1

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Veröffentlicht am 04.03.2020
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Entscheidungsdatum

04.03.2020

Norm

ASVG §18b
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W164 2226649-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle, vom 15.10.2019, Zl. HVBA-1167 060261, zu Recht erkannt:

A)

Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3, zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Pensionsversicherungsanstalt zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit 22.05.2019 beantragte die nunmehrige Beschwerdeführerin (im Folgenden BF) bei der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege einer nahen Angehörigen gemäß § 18b ASVG.

Diesen Antrag lehnte die PVA mit dem angefochtenen Bescheid ab und führte zur Begründung aus, die zu pflegende Person sei keine nahe Angehörige der BF.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, die von ihr gepflegte Frau XXXX , geb. XXXX , sei sehr wohl eine nahe Angehörige: Die leiblichen Eltern der BF hätten diese im Alter von etwa drei Wochen an das Ehepaar XXXX zur Pflege übergeben. Die BF habe bis zu ihrem achten Lebensjahr bei ihren Pflegeeltern gelebt. Die nun pflegebedürftige Person sei die Erziehungsberechtigte der BF gewesen. Die BF legte eine Schulnachricht aus dem Schuljahr 1967/68 der öffentlichen Volkschule XXXX vor, welche die nun pflegebedürftige XXXX als Erziehungsberechtigte unterschrieben hatte. Die BF legte weiters eine Meldebestätigung vor, die einen im Alter von zwei Jahren gemeinsam mit den Pflegeeltern getätigten Umzug innerhalb des Wohnortes XXXX dokumentiert. Auch nachdem die leibliche Mutter, die die BF und ihren Bruder wieder zu sich geholt hätte, da sie sie als Arbeitskräfte in der Landwirtschaft benötigt habe, habe die BF ihre Beziehung zur Pflegemutter aufrechterhalten. Nach dem Tod der leiblichen Mutter, 1980, sei die BF wieder zur Pflegefamilie gezogen, habe 1986 geheiratet und danach gemeinsam mit dem Ehemann bei den Pflegeeltern gewohnt. 1992 habe die BF mit ihrem Mann ein angrenzendes Grundstück erworben und habe ab da in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Pflegeeltern gewohnt. Im August 2017 sei der Pflegevater gestorben. Die Pflegemutter sei seither pflegebedürftig. Die Pflege gestalte sich aufwendig. Die BF verrichte die Pflege daher gemeinsam mit dem Enkel der Pflegemutter.

Da die Pflegemutter mit dem leiblichen Vater der BF entfernt verwandt sei, sei - wie in den 60er Jahren üblich - kein formelles Pflegschaftsverfahren eingeleitet worden. Die BF legte dazu die Geburtsurkunde und den Staatsbürgerschaftsnachweis der von ihr gepflegten Person vor und verwies auf den Umstand, dass deren Mädchenname mit dem Familiennamen des leiblichen Vaters der BF übereinstimme. Die BF legte weiters das Testament ihres leiblichen Vaters vor, in dem die von der BF dargelegte Pflege Erwähnung findet.

Die PVA legte die Beschwerde samt dem Bezug habenden Akt dem Bundesverwaltungsgericht (Einlangen16.12.2019) vor und vertrat folgende Auffassung:

In dem von der BF aufgezeigten Zeitraum, in dem sie gemeinsam mit ihren Pflegeeltern im gemeinsamen Haushalt gelebt habe ( XXXX ) hätten Minderjährige unter 16 Jahren gem. § 5 Jugendwohlfahrtsgesetz in der anzuwendenden Fassung BGBl 99/1954 nur mit Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde in fremde Pflege übernommen werden dürfen. Der von der BF vorgelegten Bestätigung der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 28.08.2019 sei zu entnehmen, dass keine derartige Bewilligung vorliege. Es sei daher von keinem Pflegeverhältnis zwischen der BF und Frau XXXX auszugehen. Auch die von der BF dargelegte Verwandtschaft zwischen der von ihr gepflegten Person und ihrem leiblichen Vater sei nicht unter den Begriff der nahen Angehörigen iSd § 77 Abs 6 ASVG zu subsummieren. Die BF sei somit keine nahe Angehörige der XXXX .

Der Vollständigkeit halber werde darauf hingewiesen, dass die BF zwei unselbständige Erwerbstätigkeiten ausübe und Frau XXXX in erster Linie von ihrem Enkel gepflegt werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht nur in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 und nur auf Antrag einer Partei durch Senat. Im vorliegenden Fall wurde kein Antrag auf Senatsentscheidung gestellt. Es ist somit Einzelrichterzuständigkeit gegeben.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 18b Abs 1 ASVG können sich Personen, die einen nahen Angehörigen oder eine nahe Angehörige mit Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 nach §5 des Bundespflegegeldgesetzes oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, solange sie während des Zeitraumes dieser Pflegetätigkeit ihren Wohnsitz im Inland haben, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Je Pflegefall kann nur eine Person selbstversichert sein. Die Pflege in häuslicher Umgebung wird durch einen zeitweiligen stationären Pflegeaufenthalt der pflegebedürftigen Person nicht unterbrochen.

Gemäß § 18b Abs 1a ASVG ist die Selbstversicherung für die Zeit einer Pflichtversicherung nach §8 Abs.1 Z2 lit.j auf Grund des Bezuges eines aliquoten Pflegekarenzgeldes ausgeschlossen.

Gemäß § 18b Abs 2 ASVG beginnt die Selbstversicherung mit dem Zeitpunkt, den die pflegende Person wählt, frühestens mit dem ersten Tag des Monats, in dem die Pflege aufgenommen wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der dem Tag der Antragstellung folgt.

Gemäß § 225 Abs. 1 Z 3 ASVG sind Zeiten einer freiwilligen Versicherung, wenn die Beiträge innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf des Beitragszeitraumes, für den sie gelten sollen, oder auf Grund einer nachträglichen Selbstversicherung nach § 18 oder § 18a in Verbindung mit § 669 Abs. 3 wirksam (§ 230) entrichtet worden sind, als Beitragszeiten anzusehen.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die Berechtigung zur Selbstversicherung zusätzlich zu einer und zu mehreren Erwerbstätigkeiten in Anspruch genommen werden, solange es der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit/en zulässt, dass die zu pflegende Person daneben noch mindestens 14 Stunden wöchentlich für die Pflege aufwenden kann. Eine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit muss nicht zwingend reduziert werden, solange die eben genannte Bedingung erfüllt ist (vgl. VwGH 2014/08/0084 vom 19.01.2017).

Der Begriff des/der nahen Angehörigen iSd § 18b ASVG umfasst jene Personen, die auch im Sinne des § 77 Abs 6 ASVG als nahe Angehörige anzusehen sind (EB zur RV 1111 XXII GP). Pflegeeltern fallen in diese Personengruppe.

Gemäß § 186 ABGB sind Pflegeeltern Personen, die die Pflege und Erziehung des Kindes ganz oder teilweise besorgen und zu denen eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommende Beziehung besteht oder hergestellt werden soll.

Zu den Pflegeeltern zählen unabhängig vom Abschluss eines Pflegevertrages und unabhängig vom Vorliegen einer gerichtlichen Verfügung etwa Verwandte, die das Kind nach einem tödlichen Unfall der Eltern zur dauerhaften Betreuung bei sich aufnehmen oder der Lebensgefährte der verstorbenen unehelichen Mutter, der deren Kind weiterhin in seinem Haushalt betreuen will, aber auch die - mit dem obsorgebetrauten Vater in weiterer Ehe verheirateten oder in Lebensgemeinschaft mit ihm und dem Kind lebende Stiefmutter, die anstelle des ganztätig berufstätigen Vaters die Pflege und Erziehung des Kindes besorgt. [...] Pflegeelternschaft setzt keinen rechtsgeschäftlichen oder gerichtlichen Begründungsakt voraus. Sie ist bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale kraft Gesetzes gegeben. (vgl. Stabenteiner in Rummel, ABGB §86 ABGB (Stand 1.1.2003, rdb.at).

Im vorliegenden Fall hat die BF in unbedenklicher Weise dargelegt, dass die nun zu pflegende Person, Frau XXXX , während entscheidender Kindheitsjahre der BF tatsächlich deren Pflege und Erziehung besorgt hat und dass über diese Zeit hinaus bis dato zwischen der BF und der nun pflegebedürftigen Person eine dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommende Beziehung bestand und besteht. Frau XXXX war somit die Pflegemutter der BF, dies ohne dass nachweislich ein entsprechender rechtsgeschäftlicher Akt gesetzt worden oder eine entsprechende gerichtliche Verfügung ergangen wäre.

Der Umstandes, dass keine Bewilligung nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz eingeholt wurde, weist allenfalls darauf hin, dass seinerzeit Verwaltungsvorschriften nicht eingehalten wurden, die Eigenschaft der nun pflegebedürftigen Person als Pflegemutter ist aus diesem Grund aber nicht in Frage zu stellen: Da Pflegeelternschaft keinen rechtsgeschäftlichen oder gerichtlichen Begründungsakt voraussetzt sondern bei Vorliegen der Tatbestandsmerkmale kraft Gesetzes gegeben ist, erfüllt die BF die Eigenschaft eines Pflegekindes iSd § 186 ABGB und damit die Eigenschaft einer Angehörigen iSd § 77 Abs 6 ASVG.

Zurückverweisung:

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn diese notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 2015/04/0019 vom 24.06.2015 ausgesprochen hat, stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Das mit § 28 VwGVG insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine

Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Zur Frage der Berechtigung zur Selbstversicherung nach § 18b ASVG gilt nach ständiger Judikatur des VwGH folgendes:

Die Berechtigung zur Selbstversicherung kann zusätzlich zu einer und zu mehreren Erwerbstätigkeiten in Anspruch genommen werden, solange es der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit/en zulässt, dass die zu pflegende Person daneben noch mindestens 14 Stunden wöchentlich für die Pflege aufwenden kann. Eine bisher ausgeübte Erwerbstätigkeit muss nicht zwingend reduziert werden, solange die eben genannte Bedingung erfüllt ist (vgl. VwGH 2014/08/0084 vom 19.01.2017).

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:

Allein der Umstand, dass die BF erwerbstätig war und ist, ist per se nicht geeignet, ihre Berechtigung zur verfahrensgegenständlichen Selbstversicherung auszuschließen. Der diesbezüglich von der Pensionsversicherungsanstalt in ihrem Vorlageschreiben getätigte Einwand ist daher unmittelbar nicht beachtlich sondern wirft die Frage auf, ob es die Erwerbstätigkeit der BF im beantragten Zeitraum zugelassen hat und/oder zulässt, dass die BF 14 Stunden wöchentlich für die Pflege ihrer Pflegemutter aufwenden konnte und/oder kann.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis 2014/08/0084 vom 19.1.2017 ausführlich mit dem Begriff der "erheblichen Beanspruchung" der Arbeitskraft iSd § 18b ASVG befasst und folgendes ausgeführt:

Was unter einer "erheblichen" Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Pflege zu verstehen ist, wird vom Gesetzgeber nicht definiert.

Eine (erste) Eingrenzung des Begriffs ergibt sich daraus, dass im § 18b Abs. 1 ASVG ein Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 3 nach dem BPGG - was das Vorliegen eines durchschnittlichen Pflegeaufwands von mehr als 120 Stunden monatlich bedeutet - vorausgesetzt wird. Weiters soll laut den Materialien zum 3. Sozialrechts-Änderungsgesetz - 3. SRÄG 2009, BGBl. I Nr. 84/2009, ErläutRV 197 BlgNR 24. GP 5, mit dem im § 123 Abs. 7b ASVG die beitragsfreie Mitversicherung für pflegende Angehörige in der Krankenversicherung ab Vorliegen von Pflegestufe 3 eingeführt wurde, bei einem derartigen Pflegeaufwand bereits von einer "ganz überwiegenden" Beanspruchung der Arbeitskraft auszugehen sein.

Da somit der Pflegeaufwand ab der Pflegestufe 3 (also von mehr als 120 Stunden monatlich bzw. mehr als 28 Stunden wöchentlich) eine "ganz überwiegende" Beanspruchung der Arbeitskraft darstellt, ist in einem weiteren Schritt festzulegen, welcher Unterschied zwischen den Begriffen "ganz überwiegend", "überwiegend" und "erheblich" besteht. Dabei kann auf das allgemeine Sprachverständnis abgestellt werden, wonach etwas "Erhebliches" zwar von einigem Gewicht bzw. einiger Bedeutung, aber weniger als etwas "Überwiegendes" ist, dem ein größeres Gewicht, nämlich ein "Übergewicht" im Sinn von mehr als der Hälfte zukommt. Etwas "Überwiegendes" bleibt wiederum hinter etwas "ganz Überwiegendem" zurück, dem - als Steigerungsform - ein großes Übergewicht im Sinn von weit mehr als der Hälfte zukommt.

Was nun das konkrete Ausmaß einer Pflege betrifft, die eine "erhebliche" Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinn des § 18b Abs. 1 ASVG - im Gegensatz zu einer "ganz überwiegenden" oder (bloß) "überwiegenden" Beanspruchung - ausmacht, so ist folgende Abgrenzung vorzunehmen:

Auszugehen ist davon, dass nach dem Willen des Gesetzgebers eine "ganz überwiegende" Beanspruchung der Arbeitskraft bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand der pflegenden Person von mehr als 120 Stunden monatlich bzw. mehr als 28 Stunden wöchentlich vorliegen soll.

Eine (bloß) "überwiegende" Beanspruchung der Arbeitskraft ist daher - im Hinblick auf die Normalarbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich (§ 3 AZG) und das oben aufgezeigte Begriffsverständnis (wonach "überwiegend" ein größeres Gewicht im Sinn von mehr als die Hälfte bedeutet) - bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich bzw. ab 90 Stunden monatlich (entspricht mehr als der halben Normalarbeitszeit) anzunehmen.

Eine "erhebliche" Beanspruchung der Arbeitskraft ist indessen - im Hinblick auf die Normalarbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich und das bereits erörterte Begriffsverständnis, wonach "erheblich" von einigem Gewicht, aber weniger als "überwiegend" ist (vgl. in dem Sinn auch OGH RIS-JUSTIZ RS0054693 (T2)) - bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 14 Stunden wöchentlich bzw. ab 60 Stunden monatlich anzusetzen.

Ein Pflegeaufwand in diesem Umfang ist bereits von einigem Gewicht, entspricht er doch einem erheblichen Anteil (von ungefähr einem Drittel; vgl. in dem Sinn den Beschluss des OGH vom 8. Juli 1999, 8 ObA 274/98x, sowie neuerlich RIS-JUSTIZ RS0054693 (T2)) an der Normalarbeitszeit und auch einem gewichtigen Anteil am gesamten Pflegebedarf (von zumindest Pflegestufe 3). Durch die genannte Stundenanzahl ist einerseits gewährleistet, dass die Selbstversicherung nicht allzu leicht bzw. in ausufernder Weise zu Lasten des die Beiträge unbefristet und zur Gänze tragenden Bundes (§ 77 Abs. 8 ASVG) beansprucht werden kann. Andererseits ist damit sichergestellt, dass die - auch neben einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit zulässige (vgl. neuerlich ErläutRV 1111 BlgNR 22. GP 4, sowie zum 2. Sozialrechts-Änderungsgesetz - 2. SRÄG 2009, BGBl. I Nr. 83/2009, ErläutRV 179 BlgNR 24. GP 8; siehe ferner das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2012, 2011/08/0050) - Selbstversicherung nicht bloß für Personen eröffnet wird, die ihre bisherige Berufstätigkeit zur Pflege naher Angehöriger überwiegend einschränken oder aufgeben (vgl. ergänzend die Punkte 12.2. und 12.3.).

Was die Ermittlung der - für das Ausmaß der Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinn der obigen Abgrenzung relevanten - Anzahl von Pflegestunden anbelangt, so sind nur jene Zeiten zu berücksichtigen, in denen tatsächlich notwendige Leistungen der Betreuung und Hilfe erbracht werden. Um welche Verrichtungen es sich dabei handelt und welcher zeitliche Aufwand damit jeweils verbunden ist, ist an Hand der Regelungen des BPGG - auf das im § 18b Abs. 1 ASVG (durch Voraussetzung eines Pflegebedarfs zumindest nach Stufe 3) ausdrücklich Bezug genommen wird - sowie der dazu ergangenen Einstufungsverordnung - EinstV, BGBl. II Nr. 37/1999, zu beurteilen.

Da auf den auch für die Ermittlung des Pflegegelds maßgeblichen Pflegebedarf abzustellen ist, wird als Grundlage für die Beurteilung in der Regel ein bereits im Verfahren über die Zuerkennung oder Neubemessung des Pflegegelds eingeholtes - soweit noch aktuelles bzw. sonst entsprechendes - Sachverständigengutachten (§ 8 EinstV) dienen können. Erforderlichenfalls wird ein weiteres Gutachten einzuholen sein.

Die Inanspruchnahme einer 24-Stunden-Pflege mag ein Indiz für die alleinige Vornahme der notwendigen Pflegeleistungen durch die beigezogene Pflegekraft sein, handelt es sich bei dieser doch in der Regel um eine Fachkraft, welche die erforderliche Pflege rund um die Uhr gewährleisten soll. Es ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, dass trotz Beiziehung einer 24-Stunden-Pflege die nahen Angehörigen womöglich einen Teil der notwendigen Pflegeleistungen verrichten müssen; dafür sind vom Antragsteller besondere Gründe konkret vorzubringen.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:

Im vorliegenden Fall hat die PVA notwendige aufwendige Ermittlungen im Sinne der Judikatur des VwGH nicht einmal ansatzweise getätigt. Aus ihrer im Vorlageschreiben vorgebrachten Behauptung, die Pflegemutter der BF würde in erster Linie von ihrem Enkel gepflegt werden, ist für die vorliegende Beurteilung nichts unmittelbar Entscheidungswesentliches abzuleiten. Vielmehr wirft diese Behauptung erneut die Frage auf, mit welchem zeitlichen Ausmaß die BF im beantragten Zeitraum ihre Pflegemutter mit notwendigen Pflegeverrichtungen iSd des Pflegegeldbescheides (wie im o.a. Erkenntnis des VwGH ausgeführt wird) versorgt hat und versorgt. Dass der genannte Enkel die Berechtigung zur Selbstversicherung gemäß § 18b ASVG in Anspruch genommen hätte, wird von der Pensionsversicherungsanstalt nicht behauptet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die PVA zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben angeführte umfangreiche Rechtsprechung des VwGH zu den in der Beschwerde angesprochenen Punkten)

Schlagworte

Arbeitskraft, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, Pflegebedarf, Selbstversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W164.2226649.1.00

Zuletzt aktualisiert am

23.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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