TE Vwgh Beschluss 2020/1/27 Ro 2018/04/0019

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Veröffentlicht am 27.01.2020
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Index

L78003 Elektrizität Niederösterreich
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs3
B-VG Art133 Abs4
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §11 Abs1 Z2
ElektrizitätswesenG NÖ 2005 §11 Abs2
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sowa, über die Revision der Niederösterreichischen Landesregierung in 3109 St. Pölten, Landhausplatz 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 28. Mai 2018, Zl. LVwG-AV-73/001-2018, betreffend elektrizitätsrechtliche Bewilligung zur Errichtung und den Betrieb einer Windkraftanlage nach dem NÖ Elektrizitätswesengesetz 2005 (mitbeteiligte Parteien:

1. R S in W und 2. R S in R, beide vertreten durch Mag. Rudolf Fidesser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wildpretmarkt 1), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Das Land Niederösterreich hat den mitbeteiligten Parteien jeweils Aufwendungen in Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 1. Die im Erkenntnis genannte Konsenswerberin plant die Errichtung und den Betrieb einer Windkraftanlage auf dem Gebiet einer bestimmt bezeichneten Gemeinde. Es soll eine Windkraftanlage mit 126 m Rotordurchmesser und 137 m Nabenhöhe (zuzüglich 2,15 m Fundamentanhebung) errichtet werden.

2 Aus diesem Grund stellte sie am 23. Dezember 2016 bei der belangten Behörde (unter anderem) den Antrag auf Erteilung der Genehmigungen für eine Windkraftanlage nach dem NÖ Elektrizitätswesengesetz 2005 (NÖ ElWG 2005) für den betreffenden Projektstandort.

3 Die mitbeteiligten Parteien sind die Eigentümer von jeweils einem der zwei in südlicher Richtung unmittelbar an das Projektgrundstück angrenzenden Nachbarliegenschaften. Auf diesen Liegenschaften verläuft entlang der Grundstücksgrenze zur Projektliegenschaft ein Waldweg.

4 Nach den Einreichunterlagen vom 23. Dezember 2016 betrug der kürzeste Abstand des Mastmittelpunktes der zu errichtenden Windkraftanlage zur Grenze der Nachbargrundstücke ca. 120 m. In der mündlichen Verhandlung am 15. September 2017 wurden von der Genehmigungswerberin geänderte Einreichunterlagen vorgelegt, nach denen die projektierte Situierung des Windrades um 55 m näher als ursprünglich vorgesehen an die Grundstücksgrenze der mitbeteiligten Parteien herangerückt wurde.

5 2. Mit Bescheid der Revisionswerberin vom 31. Oktober 2017 wurde sowohl die Genehmigung nach dem NÖ ElWG 2005 als auch die - nicht revisionsgegenständliche - Bewilligung nach dem NÖ Starkstromwegegesetz unter Vorschreibung mehrerer Auflagen erteilt. Unter einem wurden die von den mitbeteiligten Parteien erhobenen Einwendungen - ohne nähere Begründung - abgewiesen. 6 3. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) wies zunächst die Beschwerde der mitbeteiligten Parteien, soweit sie sich gegen die - hier nicht gegenständliche - starkstromrechtliche Bewilligung richtete, unangefochten zurück.

Im Umfang der Anfechtung der Erteilung der elektrizitätsrechtlichen Bewilligung für die Windkraftanlage gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien statt, wies den Genehmigungsantrag in der Fassung der am 15. September 2017 vorgelegten geänderten Einreichunterlagen ab (Spruchpunkt 4) und erklärte die Revision für zulässig (Spruchpunkt 5).

7 3.1. Das Verwaltungsgericht stellte, soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz, zusammengefasst fest, der geringste Abstand des Fußpunktes zu den Grundstücken der mitbeteiligten Parteien betrage aufgrund der geänderten Einreichunterlagen 65 m. Die Rotorblätter würden sich in einer solchen Vertikalebene drehen, dass der geringste Abstand zur (gedacht vertikal in die Höhe verlängerten) Grenze zu den Nachbargrundstücken 2 m betrage. Es bestehe hinsichtlich beider Nachbargrundstücke ein messbares Risiko, dass ein Eisstück vom Rotorblatt der geplanten Windkraftanlage im Bereich der Grenze zum Projektgrundstück auf die Nachbarliegenschaften herabfalle. Auf dem Waldweg entlang der Grenze zwischen dem Projektgrundstück und den Nachbarliegenschaften betrage die Wahrscheinlichkeit für das Auftreffen eines Eisstückes auf eine Fläche von 0,04 m2 (= Fläche des Kopfes eines Menschen, wobei im Falle eines Treffers vom Eintreten des Todes auszugehen sei) 2*10-5, wobei ein Unsicherheitsfaktor von 2 aufzuschlagen sei. Somit betrage das Risiko 4*10-5. Ein vergleichbares Risiko bestehe auch auf jeweils 0,04 m2 großen Flächen auf den Nachbargrundstücken in der unmittelbaren Nähe des Waldweges. Das Risiko für größere Flächen und damit zusätzliche Treffer, die nicht den Tod, aber Verletzungen bewirken würden, sei noch höher. Das gesellschaftlich akzeptierte Risiko für tödliche Treffer bei betriebsfremden Personen liege bei 1*10-6.

8 3.2. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht - soweit für die revisionsgegenständliche Bewilligung nach dem NÖ ElWG 2005 wesentlich - aus, einem Nachbarn komme unter anderem in dem verfahrensgegenständlichen Genehmigungsverfahren gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 NÖ ElWG 2005 Parteistellung betreffend den Schutz vor einer Gefährdung seines Lebens, seiner Gesundheit, seines Eigentums oder sonstiger dinglicher Rechte zu.

9 Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, dass die Grundstücke in einer Umgebung der Anlage liegen würden, in der ein - wenn auch nur geringes - Eisabfallrisiko und damit auch das Risiko bestehe, von herabfallenden Eisstücken getroffen und verletzt - schlimmstenfalls getötet - zu werden. Damit führe die Anlage zu einer Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Mitbeteiligten. Eine Gefährdung nach § 11 Abs. 1 Z 2 NÖ ElWG 2005 müsse vermieden und nicht (nur) - wie eine Belästigung nach Z 3 - auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Die Berücksichtigung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Personen, um daraus auf eine konkretes Tötung- bzw. Verletzungsrisiko zu schließen, sei daher rechtlich nicht zulässig. Es komme vielmehr auf das abstrakte Risiko eines verletzenden oder tödlichen Treffers an. 10 3.3. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Wortlaut des § 11 Abs. 2 erster Satz NÖ ElWG 2005 nicht eindeutig sei und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu dieser Bestimmung nicht vorliege.

11 4. Gegen diese Entscheidung in dem der Beschwerde der mitbeteiligten Parteien Folge gebenden Umfang richtet sich die Revision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde mit dem Antrag, das Erkenntnis insoweit wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12 Die Genehmigungswerberin schloss sich in einer als Revisionsbeantwortung bezeichneten Stellungnahme den Argumenten der Revisionswerberin an.

Die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine gemeinsame Revisionsbeantwortung und beantragten, die Revision zurückbzw. abzuweisen.

13 5. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 15 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

16 5.1. Der vorliegende Fall ist ident mit jenem, der dem Erkenntnis vom heutigen Tag, Ro 2018/04/0018, zu Grunde lag, weshalb wegen der Identität der zu lösenden Rechtsfragen und des zugrunde liegenden Sachverhalts gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG auf die dortigen Ausführungen - insbesondere auch betreffend die Frage der Berücksichtigung der Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Personen - verwiesen wird. Die hier aufgeworfenen Rechtsfragen sind damit als geklärt anzusehen.

17 5.2. Ergänzend ist in Hinblick auf die Ausführungen der Revision darauf zu verweisen, dass dem ins Treffen geführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Februar 2009, 2006/05/0283, ein insofern nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, als dort aufgrund des eingeholten Gutachtens festgestellt worden war, dass es wegen der konkreten Bauweise zu keinem über die natürlichen Verhältnisse hinausgehenden Risiko komme.

18 Verweist die Revision darauf, dass die Rechtslage dahingehend zu verstehen sei, dass für die Genehmigung "nur" relevant sei, ob von einer zu genehmigenden Anlage Gefahren ausgehen würden, die über das allgemein gesellschaftlich akzeptierte Risiko hinausgehen würden, so stimmt sie damit den rechtlichen Ausführungen des von ihr angefochtenen Erkenntnisses ausdrücklich zu, weil das Verwaltungsgericht gerade die von der geplanten Anlage ausgehende Gefahr mit dem Risiko vergleicht, das aufgrund des Sachverständigengutachtens als das gesellschaftlich akzeptierte Risiko für betriebsfremde Personen festgestellt wurde. 19 Dass - kommt es wie hier zu der Feststellung der Möglichkeit von Immissionen durch herabfallendes Eis auf das Nachbargrundstück - im Vergleich zu der vorher bestehenden Situation einer unbebauten Grundstücksgrenze auch eine Gefahrenerhöhung mit der Errichtung der Windkraftanlage verbunden ist, versteht sich von selbst. Dass daraus nicht ohne weitere Feststellungen zur Größe der Gefahr gefolgert werden kann, dass es sich jedenfalls um eine Immission handelt, die die Genehmigung hindert, ist ebenso selbstverständlich. Dies steht jedoch nicht in Widerspruch zu den Schlussfolgerungen des Verwaltungsgerichts. 20 5.3. Insofern die Revision rügt, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsfragen nicht mit den Parteien erörtert und damit gegen das Überraschungsverbot verstoßen, ist ihr zu entgegnen:

21 Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist das sogenannte Überraschungsverbot auch im Verwaltungsverfahren anzuwenden. Unter dem Überraschungsverbot ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren. Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgehalten, dass sich das zum Überraschungsverbot in Beziehung gesetzte Parteiengehör nur auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, nicht aber auf die von der Behörde vorzunehmende rechtliche Beurteilung erstreckt. Auch führt ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot nur dann zu einer Aufhebung der beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erledigung, wenn diesem Verfahrensmangel Relevanz zukommt, was im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof darzulegen ist. Diese Grundsätze sind auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten maßgeblich, zumal von den Verwaltungsgerichten auf dem Boden des § 17 VwGVG 2014 sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör iSd § 45 Abs. 3 AVG zu beachten ist (vgl. anstelle vieler VwGH 19.6.2019, Ra 2019/02/0098). 22 Die Revision erstattet kein Vorbringen dahingehend, welche Tatsachen im Falle einer erschöpfenden Erörterung vorgebracht worden wären, die zu einem im Sinne der Revision günstigeren Ergebnis geführt hätten. Damit ist die Relevanz des Verfahrensmangels nicht dargetan.

23 5.4. In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen über die Verweisentscheidung hinausgehend im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

24 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung. Der Aufwandersatz gebührt der erst- und zweitmitbeteiligten Partei jeweils zu gleichen Teilen.

25 Umsatzsteuer ist nach § 47 Abs. 1 VwGG nicht gesondert zuzusprechen, weil diese bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist (vgl VwGH 28.4.1999, 94/13/0097).

Wien, am 27. Jänner 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RO2018040019.J00

Im RIS seit

22.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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