TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/23 97/19/1075

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Veröffentlicht am 23.04.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z2;
FrG 1993 §10 Abs1 Z3;
FrG 1993 §10 Abs3 Z1;
FrG 1993 §10 Abs3 Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der 1970 geborenen WK in Wien, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Juni 1996, Zl. 118.240/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 7. September 1995 (Einlangen bei der erstinstanzlichen Behörde am 18. September 1995) die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrem österreichischen Ehegatten, den sie im Mai 1994 geheiratet hatte. Als in Österreich verfügbare eigene Mittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf die Dauer des Aufenthaltes gab sie unter der Rubrik "Vermögen" S 12.000,-- an. Dem Verwaltungsakt ist ein Jahreskonto eines inländischen Kolportageunternehmens angeschlossen, aus dem hervorgeht, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin in den Wochen 1 bis 25 des Jahres 1995 näher aufgelistete Bruttobeträge an Provisionen ins Verdienen brachte, wobei diese Beträge zwischen S 1.284,36 und S 2.081,67 schwankten.

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. Oktober 1995 wurde dieser Antrag gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe lediglich ein Monatseinkommen ihres Ehegatten in der Höhe von S 2.000,-- brutto nachweisen können. Ihr Lebensunterhalt sei daher für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert.

Die Beschwerdeführerin erhob am 19. Dezember 1995 Berufung. Darin brachte sie vor, ihr Ehegatte könne derzeit keine Arbeit finden. Er beziehe derzeit kein monatliches Gehalt und habe aus diesem Grund um Sozialhilfe angesucht. Weiters habe er Pflegegeld beantragt. Die Verfahren seien noch nicht abgeschlossen. Wegen seiner Gesundheitsschädigung sei er oft auf die Hilfe Dritter angewiesen. Aus diesem Grund sei es auch sehr wichtig, daß die Beschwerdeführerin und die gemeinsame Tochter bei ihm leben könnten. Der Berufung war ein Schreiben des Bundessozialamtes Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 15. Dezember 1995 angeschlossen, aus dem hervorgeht, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin unter einer dauernden schweren Gehbehinderung leide, oft auf die Hilfe Dritter angewiesen sei und es deshalb sehr wichtig wäre, wenn seine Familie bei ihm in Österreich leben könnte. Aus einem Bescheid dieser Behörde vom 6. Dezember 1995 ging hervor, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre. Der Grad der Behinderung wurde mit 80 von 100 festgesetzt. Des weiteren findet sich im Akt ein Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 14. März 1996, wonach dem Ehegatten der Beschwerdeführerin ab 1. Dezember 1995 Pflegegeld in der Höhe der Stufe 1 von monatlich S 2.635,-- gewährt werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. Juni 1996 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe eingewendet, daß ihr Ehegatte "aufgrund seiner 80 %igen Behinderung" keine Arbeit finden könne. Jedoch sei er beim Arbeitsamt zur Vermittlung vorgemerkt. Da er zur Zeit kein fixes Gehalt beziehe, habe er um Sozialhilfe und um Pflegegeld angesucht. In der Folge sei der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 14. März 1996 vorgelegt worden, aus dem ersichtlich sei, daß dem Ehegatten der Beschwerdeführerin Pflegegeld in Höhe von S 2.635,-- monatlich gewährt werde. In Anbetracht des ihm monatlich zur Verfügung stehenden Betrages und unter Abzug der monatlichen Mietkosten von S 2.200,-- komme die belangte Behörde zur Ansicht, daß der Lebensunterhalt der Beschwerdeführerin im Falle der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht gesichert wäre. Zwar sei der Ehegatte der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet aufhältig. Die dadurch begründeten familiären Interessen der Beschwerdeführerin am Familiennachzug zu ihrem Ehegatten seien jedoch den öffentlichen Interessen hintanzustellen, weil infolge des mangelnden Lebensunterhaltes eine Belastung der Sozialhilfeträger zu befürchten sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 5 Abs. 1 AufG lautete:

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist."

§ 10 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 3 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992 (FrG), lautete:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

2. der Sichtvermerkswerber nicht über ausreichende eigene Mittel zu seinem Unterhalt oder nicht über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt;

...

(3) Die Behörde kann einem Fremden trotz Vorliegens eines Sichtvermerksversagungsgrundes gemäß Abs. 1 Z 2 oder 3 oder gemäß Abs. 2 einen Sichtvermerk erteilen,

1. in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen oder

2. wenn auf Grund der Verpflichtungserklärung einer Person mit Hauptwohnsitz oder Sitz im Bundesgebiet die Tragung aller Kosten, die öffentlichen Rechtsträgern durch den Aufenthalt des Fremden entstehen könnten, gesichert erscheint."

§ 1 Abs. 1 der Verordnung der Wiener Landesregierung betreffend die Festsetzung der Richtsätze in der Sozialhilfe, LGBl. Nr. 13/1973 in der für das Jahr 1996 maßgeblichen Fassung der Verordnung LGBl. Nr. 77/1995, lauteten:

"§ 1. (1) Die Richtsätze für Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes werden mit folgenden monatlichen Beträgen festgesetzt:

    1. für den Alleinunterstützten             4880 S

    2. für den Hauptunterstützten              4759 S

    3. für den Mitunterstützten

         a) ohne Anspruch auf Familienbehilfe  2443 S

         b) mit Anspruch auf Familienbehilfe   1464 S"

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde von sich aus (initiativ) zu belegen, daß er über die zur Bestreitung seines Unterhaltes erforderlichen Mittel verfügt. Nur dadurch kommt er seiner Obliegenheit gemäß § 6 Abs. 1 AufG nach, glaubhaft zu machen, daß kein Ausschließungsgrund im Sinne des § 5 leg. cit. vorliegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1997,

Zlen. 96/19/2559, 2560, 2561).

Wenn die Beschwerdeführerin nun zunächst rügt, die belangte Behörde habe es unterlassen, sich mit der von ihr vorgelegten Aufstellung betreffend den Empfang von Provisionen auseinanderzusetzen, ist ihr entgegenzuhalten, daß diese Aufstellung mit der 25. Woche des Jahres 1995 endet. In der Berufung vom 19. Dezember 1995 wird ein weiterer Bezug von Provisionen aus Kolporteurstätigkeit weder dargelegt noch der Höhe nach beziffert. Vielmehr wurde darin vorgebracht, der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe derzeit "kein monatliches Gehalt" und könne "keine Arbeit finden". Selbst wenn aus dem beigelegten Schreiben des Bundessozialamtes vom 15. Dezember 1995 hervorgeht, daß der Beschwerdeführer "derzeit als Zeitungskolporteur" freiberuflich beschäftigt ist, kann dem Berufungsvorbringen insgesamt ein Nachweis über Einkünfte aus dieser Tätigkeit für den Zeitraum nach der 25. Woche des Jahres 1995 nicht entnommen werden.

Gegen das Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren verstößt das erstmals in der Beschwerde erstattete Vorbringen, der Ehegatte der Beschwerdeführerin verfüge über einen Familienzuschuß im Ausmaß von S 2.000,--, zumal eine solche Behauptung im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden nicht erhoben wurde.

Insoweit sich die Beschwerdeführerin darauf beruft, daß ihr Ehegatte Sozialhilfe beziehe, so ist ihr zu entgegnen, daß diese Unterstützung nicht geeignet ist, dem Fremden eigene Mittel zur Bestreitung seines Unterhaltes (oder auch den seiner Angehörigen) zu verschaffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 1993, Zl. 93/18/0197).

Wenn die Beschwerdeführerin schließlich ins Treffen führt, im Falle einer Bewilligungserteilung an sie (und die beiden gemeinsamen Kinder) stünden ihrem Ehegatten Ansprüche auf Familienbeihilfe sowie den Kinderabsetzbetrag zu, ist ihr zu entgegnen, daß diese Mittel angesichts der oben wiedergegebenen Richtsätze der Wiener Sozialhilfeverordnung auch unter Hinzurechnung des Pflegegeldes von S 2.635,-- zur Deckung des Lebensunterhaltes der gesamten (aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern bestehenden Familie) nicht ausreichten.

Dennoch ist der Beschwerde aus nachstehenden Gründen Erfolg beschieden:

Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Berufung darauf hingewiesen, daß ihr österreichischer Ehegatte infolge einer dauernden schweren Gehbehinderung auf die Hilfe Dritter angewiesen ist und eine Bestätigung des Bundessozialamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vorgelegt, aus der hervorging, daß diese Behörde einen Familiennachzug der Beschwerdeführer als "sehr wichtig" qualifizierte. Mit dem Hinweis auf dieses Berufungsvorbringen in der Beschwerde zeigt die Beschwerdeführerin einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Der Verwaltungsgerichtshof hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 1995, Zl. 95/18/0765) ausgesprochen, daß der in § 5 Abs. 1 AufG in Anschluß an die Verweisung auf die Sichtvermerksversagungsgründe des § 10 Abs. 1 FrG hervorgehobene Ausschließungsgrund des nicht gesicherten Lebensunterhaltes kein zusätzlicher, über die Sichtvermerksversagungsgründe des § 10 Abs. 1 Z. 2 und Z. 3 FrG hinausgehender Versagungstatbestand ist, sondern diesem inhaltlich entspricht. Die nochmalige Anführung des nicht gesicherten Lebensunterhaltes des Fremden bringt lediglich die besondere Bedeutung zum Ausdruck, die der Gesetzgeber diesem Ausschließungsgrund für den Geltungsbereich des AufG beimißt. Die Ausnahmebestimmung des § 10 Abs. 3 Z. 2 FrG kommt daher auch dann zum Tragen, wenn die Behörde ihre Entscheidung nicht ausdrücklich auf das Vorliegen des Sichtvermerksversagungsgrundes des § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG oder des § 10 Abs. 1 Z. 3 FrG, sondern auf den in § 5 Abs. 1 AufG hervorgehobenen, inhaltsgleichen Ausschließungsgrund des nicht gesicherten Lebensunterhaltes des Fremden stützt.

Diese zur Ausnahmebestimmung des § 10 Abs. 3 Z. 2 FrG angestellten Überlegungen haben auch für die Ausnahmebestimmung des § 10 Abs. 3 Z. 1 FrG Gültigkeit (vgl. zur grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 10 Abs. 3 Z. 1 FrG im Verfahren zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auch das hg. Erkenntnis vom 12. November 1996, Zl. 95/19/0589).

Mit dem oben wiedergegebenen Berufungsvorbringen hat die Beschwerdeführerin Umstände dargelegt, welche die Erteilung einer Bewilligung trotz Vorliegens des Sichtvermerksversagungsgrundes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 FrG ermöglicht hätten.

Die belangte Behörde hat zwar das diesbezügliche Berufungsvorbringen teilweise wiedergegeben, jedoch keine Feststellungen hierüber getroffen. Der Sachverhalt bedarf daher in diesem wesentlichen Punkt einer Ergänzung dahin, ob das diesbezügliche Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin als erwiesen angenommen wird. Zutreffendenfalls wäre die Erteilung einer Bewilligung trotz Vorliegens des Versagungsgrundes des nicht gesicherten Unterhaltes nicht ausgeschlossen.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Kosten aus dem Titel der Umsatzsteuer können neben dem Pauschalbetrag für den Ersatz des Schriftsatzaufwandes nicht zuerkannt werden.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997191075.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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