Entscheidungsdatum
12.02.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
VStG §53bText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Verwaltungsgericht Wien erkennt durch seinen Richter Mag. DDr. Tessar über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat C., vom 14.11.2019, Zl. …, betreffend Zurückweisung gemäß § 53b und § 54b Verwaltungsstrafgesetz (VStG) des Antrags vom 21.10.2019, von der Vorführung zum Strafantritt Abstand zu nehmen und das Verfahren betreffend Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe einzustellen,, zu Recht:
I. Gemäß § 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Zurückweisungsbescheid bestätigt.
II. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz – VwGG eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz – B-VG unzulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Der Spruch und die Begründung des gegenständlich bekämpften Bescheids lauten wie folgt:
„Ihr Antrag vom 21.10.2019, von der Vorführung zum Strafantritt Abstand zu halten und das Verfahren betreffend Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe einzustellen, wird zurückgewiesen.
Rechtsgrundlagen:
§§ 53b, 54b des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 – VStG
Begründung
Mit Erkenntnis vom 27.02.2016 des Verwaltungsgerichtes Wien (…), rechtskräftig seit 31.03.2017, wurde ein insgesamter Strafbetrag in der Höhe von € 90.000,--, zusätzlich Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG in der Höhe von € 9.000,- festgesetzt. Die festgesetzte Ersatzfreiheitsstrafe beträgt 14 Tage.
Mit Schreiben vom 04.10.2019 wurde der Beschuldigte gemäß § 53b Abs. 1 VStG aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des Schreibens die Ersatzfreiheitsstrafe anzutreten.
Dieses Schreiben wurde mittels RSa-Kuvert am 09.10.2019 hinterlegt und am 18.10.2019 persönlich vom Empfänger übernommen. In dieser Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe ist angeführt, dass ein Rechtsmittel gegen diese Aufforderung nicht zulässig ist.
Mit Schreiben vom 21.10.2019 übermittelten Sie der hiesigen Behörde einen Schriftsatz beziehungsweise Antrag „von der Vorführung zum Strafantritt Abstand zu halten und das Verfahren betreffend Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe einzustellen“.
Gemäß § 54b Abs. 2 VStG ist die dem ausstehenden Betrag entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen, soweit eine Geldstrafe uneinbringlich ist oder dies mit Grund anzunehmen ist.
Gemäß § 53b Abs. 2 ist der Bestrafe zwangsweise vorzuführen, wenn dieser der Aufforderung zum Strafantritt nicht nachkommt.
Es handelt sich bei der Vollziehung der Ersatzfreiheitsstrafe demgemäß um gesetzlich festgelegte Rechtsfolgen der Nichtbezahlung der Geldstrafe in Folge Uneinbringlichkeit, die von der Behörde sicherzustellen sind und nicht um ein durchzuführendes Verfahren. Es besteht daher kein Raum für den Antrag einer Einstellung des Verfahrens betreffend den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe. Ebenso bietet das Gesetz keinen Raum für ein Absehen vom Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe.
Es wird festgehalten, dass sich der Betroffene derzeit in Verwaltungsstrafhaft im Polizeianhaltezentrum D. befindet. Die Ersatzfreiheitsstrafe wird daher nach derzeitigem Stand im unmittelbaren Anschluss an die bereits in Vollzug befindliche Verwaltungshaft vollstreckt werden.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.“
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus:
„1. Sachverhalt:
Mit Bescheid vom 14.11.2019, zugestellt am 20.11.2019, wurden nachstehende Anträge der Beschwerdeführer abgewiesen:
1. „Ihr Antrag auf Aufschub des Strafvollzuges zum Zweck der Einbringung von gemeinnütziger Leistung wird abgewiesen.
2. Ihr in eventu eingebrachter Antrag auf Aufschub des Strafvollzuges zum Zweck des Vollzugs der Strafe in Form des elektronisch überwachten Hausarrests wird abgewiesen.
3. Ihr in eventu eingebrachter Antrag auf Aufschub des Strafvollzuges wegen der akuten Gefährdung der Erwerbsmöglichkeiten der Bestrafen wird abgewiesen.“
A.) Rechtzeitigkeit:
Es wird ausgeführt, dass sich die eingebrachte Beschwerde gegen einen Bescheid der LPD Wien vom 14.11.2019 richtet. Beschwerde kann an das zuständige Verwaltungsgericht erhoben werden, dies binnen einer Frist von 4 Wochen ab Zustellung (12.12.2019). Daher ist die gegenständliche Beschwerde jedenfalls als rechtzeitig anzusehen.
B.) Beschwerdebegründung / Anfechtungserklärung:
Der bezeichnete Bescheid wird seinem gesamten Inhalt und Umfang nach angefochten. Die Anfechtung stützt sich auf folgende Gründe, welche zur Rechtswidrigkeit führen bzw. wird der Bescheid aus folgenden Gründen angefochten:
• Unrichtige rechtliche Beurteilung
Unrichtige rechtliche Beurteilung:
Die in § 54a VStG enthaltenen wichtigen Gründe stellen eine nicht taxative Aufzählung dar. In § 54a Abs. 1 VStG sind jene wichtigen Gründe, aus welchen der Strafvollzug nach dieser Gesetzesstelle aufgeschoben werden kann, mit dem Wort "insbesondere" nur beispielsweise angeführt (vgl. VwGH 16.09.2010, GZ: 2010/09/0094, Rechtssatznummer 1). Somit kommen auch andere wichtige Gründe, den Strafvollzug gemäß § 54a VStG aufzuschieben, in Frage.
Mit seiner Entscheidung vom 12.09.2019 betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Steiermark, in den verbundenen Rechtssachen C-64/18, C -140/18, C -146/18 und C -148/18, wurde vom EuGH festgestellt, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht,
- die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen
- die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden,
- zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und
- die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.
Die in diesem Verfahren gegenständlichen verwaltungsrechtlichen Strafbestimmungen waren einerseits § 7i Abs. 4 AVRAG (weggefallen seit 1.1.2017), der wie folgt lautet:
„ Wer als
1. Arbeitgeber/in ... entgegen § 7d die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder
2. Überlasser/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung entgegen § 7d Abs. 2 die Lohnunterlagen dem/der Beschäftiger/in nicht nachweislich bereitstellt,
oder
3. Beschäftiger/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung
entgegen § 7d Abs. 2 die Lohnunterlagen nicht bereithält,
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit einer Geldstrafe von I 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.“
und andererseits § 28 Abs 1 AuslBG, der normiert:
„Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet (§ 28c), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen,
1. wer
a) entgegen § 3 einen Ausländer beschäftigt, für den [keine] Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von I 000 Euro bis 10 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 4 000 Euro bis 50 000 Euro“
Zusammenfassend kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass auch wenn den Gerichten ein gewisser Ermessensspielraum bei der Strafbemessung eingeräumt wird, dieser jedoch durch das Zusammenspiel von Kumulationsprinzip, strafsatzändernden Umständen und hohen Mindeststrafen so stark eingeschränkt wird, dass sich selbst bei Verhängung der niedrigsten möglichen Strafe eine sehr hohe Gesamtstrafe ergibt. Dies ist mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen nicht vereinbar. (FN 2)
Weiters wollte das vorlegende Gericht wissen, ob die Möglichkeit der Verhängung einer mehrjährigen Ersatzfreiheitsstrafe im Fall der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe für ein fahrlässig begangenes Verwaltungsdelikt mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht. Schließlich wurde auch der Beschwerdekostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Geldstrafe für den Fall der Abweisung der Beschwerde gemäß § 52 Abs. 2 VwGVG in Frage gestellt. Auch diese Bedenken teilt der Gerichtshof. (FN 3)
Der EuGH sieht somit eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße, die in der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und die Bereithaltung von Lohnunterlagen bestehen, da diese die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, die für jeden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20% der verhängten Geldstrafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.
Eine wirksame Durchsetzung der Verpflichtungen, deren Nichteinhaltung durch diese Regelung geahndet wird, könnte auch mit weniger einschränkenden Maßnahmen wie der Auferlegung von Geldstrafen in geringerer Höhe oder einer Höchstgrenze für solche Strafen gewährleistet werden, und ohne sie zwangsläufig mit Ersatzfreiheitsstrafen zu verknüpfen (FN 4).
Somit sagt der EuGH, dass die Regelungen des § 28 AuslBG und des § 52 Abs 2 VwGVG nicht mit Art. 56 AEUV in Einklang stehen und unangewendet zu bleiben haben.
Betrachtet man die in diesem Verfahren gegenständliche verwaltungsrechtliche Strafbestimmung des § 28 Abs 1 Z. 1 lit a) AuslBG, so fällt auf, dass diese nahezu ident aufgebaut ist, wie die verwaltungsrechtliche Strafbestimmung des § 52 Abs 2 GSpG.
Tatsächlich heißt es in der Entscheidung des VfGH vom 10.03.2015, G 203/2014-16 ua.:
„Die Gesetzesmaterialien weisen darauf hin, dass zur Sicherstellung einer wirksamen Vollziehung empfindliche Strafen erforderlich sind, um dem durch die Tat erzielbaren wirtschaftlichen Nutzen zu begegnen und so das illegale Angebot zunehmend unattraktiv zu machen und weiter zurückzudrängen. Aus diesem Grund wurde eine Staffelung der zu verhängenden Strafen je nach Schwere des Eingriffes (Anzahl der Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstände) bzw. Häufigkeit der Eingriffe (Wiederholungsfall) und eine Mindeststrafenregelung sowie die Erhöhung des Maximalstrafbetrages normiert (vgl. § 52 Abs. 2 GSpG). Bei der Strafdrohung wurde nach der Schädlichkeit dahingehend differenziert, dass bei Übertretung mit mehr als drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen die dreifache Mindeststrafe vorgesehen ist. Dadurch wurde einerseits die typischerweise damit einhergehende organisierte (und mit qualifizierter Strafhöhe im Wiederholungsfall auch wiederholte) Übertretung des Gesetzes erfasst und andererseits dem typischerweise damit einhergehenden wirtschaftlichen Nutzen aus dem strafbaren Verhalten begegnet. Was die Strafsätze betrifft, orientierte sich die Staffelung der Mindest- und Höchststrafen an § 28 Abs. 1 AuslBG.“(FN 5)
So heißt es auch eindeutig an anderer Stelle der Entscheidung des VfGH: (FN 6)
„Was die Strafsätze betrifft, orientiert sich die Staffelung der Mindest- und Höchststrafen an § 28 Abs. 1 AuslBG, der keine verfassungsrechtlichen Bedenkenhervorgerufen hat (VfGH 27.9.2007, G 24/07 ua.).‘‘
Aufgrund dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung und dem nunmehr vom EuGH erlassenen eindeutigen Vorabentscheidungsurteil ergibt sich, dass auch im Glücksspielrecht durch das Zusammenspiel von Kumulationsprinzip, strafsatzändernden Umständen und hohen Mindeststrafen der Ermessensspielraum bei der Strafbemessung so stark eingeschränkt wird, dass sich selbst bei Verhängung der niedrigsten möglichen Strafe eine sehr hohe Gesamtstrafe ergibt und dies mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen nicht vereinbar ist. Weiters ergibt sich, dass auch die Möglichkeit der Verhängung einer mehrjährigen Ersatzfreiheitsstrafe im Fall der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe für ein fahrlässig begangenes Verwaltungsdelikt laut EuGH nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht. Außerdem ist zusätzlich anzumerken, dass der EuGH von einer Regelung, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, ausgeht. Auch bei den Straftatbeständen des Glücksspielgesetzes (§ 52 Abs. 2 GSpG) geht es um eine Regelung, die für den Fall der Nichteinhaltung glücksspielrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen (Konzessionen) die Verhängung von Geldstrafen vorsieht. Das Erkenntnis des EuGH thematisiert somit die generelle Verhältnismäßigkeit von Straftatbeständen wie jene des § 28 Abs. 1AuslBG und des § 52 Abs. 2 GSpG. Eine Regelung wie § 52 Abs 2 GSpG, die die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, für jeden Glücksspielautomaten kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden, steht nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße. Da die Regelung des § 52 Abs 2 GSpG der Regelung des § 28 Abs 1 AuslBG nachgebildet ist - wie der VfGH selbst bestätigt (FN 5+FN 6) - sind auch die Strafbestimmungen des GSpG unionsrechtswidrig und haben unangewendet zu bleiben.
Exkurs - Anwendbarkeit des Unionsrechts:
Das Unionsrecht - und damit auch die Grundfreiheiten und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wie in der Rechtssache C-64/18 u.a. - insgesamt findet auch in Fällen Anwendung, die auf den ersten Blick rein innerstaatlich sind, wenn und weil der Bezug zum grenzüberschreitenden Handel (schon) dadurch besteht, dass an der bestraften Dienstleistung ein „gesichertes grenzüberschreitendes Interesse" besteht.
Anders ausgedrückt: Das Unionsrecht und damit auch die Grundsätze der Entscheidung C-64/18 u.a. finden in der Tat (außer natürlich in den durch Richtlinien harmonisierten Bereichen) nur Anwendung, wenn ein Bezug zum grenzüberschreitenden Handel in dem betreffenden Sachverhalt besteht. Dazu muss aber nicht der konkrete Sachverhalt einen unmittelbaren Bezug zum grenzüberschreitenden Handel haben (wobei auch hier schon genügt, dass wie in der Entscheidung Admiral Casino (FN 7) die Geldspielgeräte in einer österreichischen Spielhalle von einem EU-ausländischen Unternehmen bereitgestellt werden).Vielmehr genügt genauso wie im Bereich des freien Warenverkehrs (dazu ist die EuGH-Entscheidung Bluhme (FN 8) ein sehr klassisches Beispiel) der potentielle Bezug zum grenzüberschreitenden Handel.
Seit der EuGH-Entscheidung "Parking Brixen" aus 2005 (FN 9) ist es daher gesicherte Rechtsprechung des EuGH, dass dieser Bezug zum grenzüberschreitenden Handel in einem gesicherten grenzüberschreitenden Interesse zu sehen ist. Kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein EU-ausländischer Investor Interesse an der beschränkten und bestraften Dienstleistung haben könnte, müssen die nationalen Gerichte und Behörden das Unionsrecht umfassend auch in dem rein innerstaatlichen Sachverhalt zu Gunsten des rein innerstaatlichen Unternehmens anwenden. Zwar haben auch in zahlreichen Fällen deutsche Gerichte Schwierigkeiten, diese Systematik des Unionsrechts umzusetzen. Sie tun es aber dennoch, wenn man nur eindringlich insistiert.
Folgende EuGH-Urteile lassen sich beispielhaft für die Systematik finden, dass bei einem gesicherten grenzüberschreitenden Interesse eines EU-ausländischen Unternehmers auch der rein innerstaatliche Unternehmer das Unionsrecht für sich geltend machen kann:
EuGH, Urt. v. 13.10.2005, Rs. C-458/03, Parking Brixen, Rn. 55; Rs. C-464/15, Admiral
Casinos, Urt. v. 30.06.2016, Rn. 22; Rs. C -l 15/14, Regiopost, Urt. v. 17.11.2015, Rn. 51;Rs. C-l 68/14, Grupo Itevelesa u.a., Urt. v. 15.10.2015, Rn. 36; Rs. C-221 / Rs. C-98/14, Berlington Hungary, Urt. 11.06.2015, Rn. 27; Rs. C-221/12, Belgacom, Urt. v. 14.11.2013, Rn. 28, 29; Rs. C-367/12, Sokoll-Seebacher, Urt. v. 13.02.2014, Rn. 10; Rs. C-327/12, Soa Nazionale Costruttori, Urt. v. 12.12.2013, Rn. 48; Rs. C -l 59/12, Venturini u.a., Urt. v. 05.12.2013, Rn. 25; Rs. C -l 97/11, Liebert u.a., Urt. v. 08.05.2013, Rn. 34; Rs. C-470/11, Garkalns, Urt. v. 19.07.2012, Rn. 21; Rs. C-570/07, Blanco Perez u. Chao Gömez, Urt. v. 01.06.2010, Rn. 40; Rs. C 384/08, Attanasio Group, Urt. v. 11.03.2010, C 384/08, Rn. 24; Rs. C-25/14 und 16/14, Urt. v. 17.12.2015, Unis, Rn. 27; Pfleger, Urt. v. 30.4.2014, C- 390/12, Rn. 23; Urt. v. 2.6.2016, Dr. Falk Pharma, C-410/14, Rn. 44; Urt. v. 8.12.2016, Undis Servizi, C-553/15, Rn. 24; Urt. v. 6.10.2016, Tecnoedi Costruzioni, C-318/15, Rn. 19; Urt. v. 5.4.2017, C-298/15, Borta, Rn. 23, 36, 43; Urt. v. 21.7.2005, C-231/03, Coname,Rn. 17.
Besonders plastisch ist die Entscheidung Attanasio: Ein italienisches Unternehmen will mitten in Italien eine Tankstelle betreiben und wird durch den Mindestabstand daran gehindert, den eine italienische Kommune zu einer anderen Tankstelle verlangt. Vor dem italienischen Gericht und vor der italienischen Behörde kann das italienische Unternehmen mitten in Italien dennoch die Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit für sich ins Feld führen, weil - so der EuGH - gesichert ist, dass auch ein EU-ausländisches Unternehmen Interesse an dem Betrieb einer Tankstelle in Österreich haben könnte.
Zusammenfassend ergibt sich daraus, dass sich die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-64/18 u.a. letztlich in der Praxis auf wohl alle Fälle auswirkt, in denen die hohen Strafen nach österreichischem Recht verhängt werden könnten. Denn es gibt kaum noch einen Bereich, in dem kein gesichertes grenzüberschreitendes Interesse dargelegt werden könnte.
Im Übrigen hat der VwGH diese Entscheidungen 2019 übernommen: Rechtssatz 2 Ro 2018/17/0007 vom 21.1.2019.
Das Erkenntnis des EuGH vom 12.09.2019 und die darin enthaltenen Ausführungen des EuGH stellen einen derartigen wichtigen Grund im Sinne des § 54a Abs. 1 VStG dar.
Nach der Rechtsprechung des EuGH können die nationalen Gerichte einstweilige Anordnungen nur unter den Voraussetzungen treffen, die für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Gerichtshof gelten. Zu diesen Voraussetzungen gehören die Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der Erlassung der einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (fumus boni iuris), das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens beim Antragsteller und gegebenenfalls die Abwägung aller bestehenden Interessen. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. "Sachnächstes" Gericht für die Prüfung der Erlassung einstweiliger Anordnungen ist das Verwaltungsgericht. Wesentliche Voraussetzung ist u.a. das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens beim Antragsteller (VwGH 29.10.2014, Ro 2014/04/0069).
Im vorliegenden Fall erweist sich die Erlassung einstweiliger Anordnungen als Notwendigkeit, da aufgrund des Erkenntnisses des EuGH vom 12.09.2019 der Strafvollzug auf Basis der glücksspielrechtlichen Strafbestimmungen nicht durchgeführt werden darf. Diese Notwendigkeit ergibt sich auch unabhängig von rechtskräftigen Straferkenntnissen aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach Unionsrecht würde im vorliegenden Fall auch einen schweren, nicht wieder gutzumachenden Schaden beim Beschwerdeführer verhindern, da damit ein rechtswidriger Freiheitsentzug verhindert werden würde. Eine derartige Dringlichkeit, wie sie der EuGH verlangt, liegt im vorliegenden Fall somit zweifelsfrei vor. Der Strafvollzug auf Basis der glücksspielrechtlichen Strafbestimmungen darf somit auch nach Abwägung aller bestehenden Interessen nicht angewandt werden. Zudem führt der EuGH in seinem Erkenntnis vom 19. Juni 1990,C-213/89 (Factortame) aus, dass die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts auch dann abgeschwächt würde, wenn ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befaßtes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle "Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen. Ein Gericht, das unter diesen Umständen einstweilige Anordnungen erlassen würde, wenn dem nicht eine Vorschrift des nationalen Rechts entgegenstünde, darf diese Vorschrift somit nicht anwenden (Rn. 21).“
Aus dem der Beschwerde beigeschlossenen Akt ist ersichtlich:
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 27.2.2016, Zl. …, wurde der Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Landeskriminalamt - Referat 2 Wirtschaftspolizeiliche Angelegenheiten und Vermögenssicherung, vom 23.5.2016, Zl.: …, betreffend Übertretungen des § 52 Abs. 1 Z 1 1. Fall Glückspielgesetz (GSpG), mit welchem mehrere Geldstrafen im Gesamtausmaß von EUR 180.000,-- bzw. im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von sechs von 336 Stunden verhängt wurden, in der Straffrage insoweit Folge gegeben, als die Geldstrafen von jeweils € 30.000,-- auf jeweils € 15.000,-- herabgesetzt wurde; dagegen wurde die Höhe der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen bestätigt. Dieses Erkenntnis ist in Rechtskraft erwachsen.
Mit Schriftsatz vom 26.8.2019 stellte der Beschwerdeführer nachfolgenden Antrag:
„Der Antragsteller beruft sich auf die erteilte Vollmacht und die Vorführung zum Strafantritt.
Mit seiner Entscheidung vom 12.09.2019 betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Steiermark, in den verbundenen Rechtssachen C-64/18, C-140/18, C-146/18 und C-148/18, wurde vom EuGH festgestellt, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht,
- die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen,
- die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden,
- zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und
- die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden. (FN 1)
Die in diesem Verfahren gegenständlichen verwaltungsrechtlichen Strafbestimmungen waren einerseits § 7i Abs. 4 AVRAG (weggefallen seit 1.1.2017), der wie folgt lautet:
„Wer als
1. Arbeitgeber/in ... entgegen § 7d die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder
2. Überlasser/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung entgegen
§ 7d Abs. 2 die Lohnunterlagen dem/der Beschäftiger/in nicht nachweislich bereitstellt
oder
3. Beschäftiger/in im Falle einer grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung
entgegen § 7d Abs. 2 die Lohnunterlagen nicht bereithält,
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jede/n Arbeitnehmer/in mit einer Geldstrafe von I 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer /innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.“
und andererseits § 28 Abs 1 AuslBG, der normiert:
„Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet (§ 28c), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde zu bestrafen,
1. wer
a) entgegen § 3 einen Ausländer beschäftigt, für den [keine]
Beschäftigungsbewilligung erteilt... wurde....
bei unberechtigter Beschäftigung von höchstens drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von I 000 Euro bis 10 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, bei unberechtigter Beschäftigung von mehr als drei Ausländern für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer mit Geldstrafe von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von 4 000 Euro bis 50 000 Euro“
Zusammenfassend kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass auch wenn den Gerichten ein gewisser Ermessensspielraum bei der Strafbemessung eingeräumt wird, dieser jedoch durch das Zusammenspiel von Kumulationsprinzip, strafsatzändernden Umständen und hohen Mindeststrafen so stark eingeschränkt wird, dass sich selbst bei Verhängung der niedrigsten möglichen Strafe eine sehr hohe Gesamtstrafe ergibt. Dies ist mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen nicht vereinbar. (FN 2) Weiters wollte das vorlegende Gericht wissen, ob die Möglichkeit der Verhängung einer mehrjährigen Ersatzfreiheitsstrafe im Fall der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe für ein fahrlässig begangenes Verwaltungsdelikt mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht. Schließlich wurde auch der Beschwerdekostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Geldstrafe für den Fall der Abweisung der Beschwerde gemäß § 52 Abs. 2 VwGVG in Frage gestellt. Auch diese Bedenken teilt der Gerichtshof. (FN 3)
Der EuGH sieht somit eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße, die in der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und die Bereithaltung von Lohnunterlagen bestehen, da diese die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, die für jeden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden, zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20% der verhängten Geldstrafe hinzutritt und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.
Eine wirksame Durchsetzung der Verpflichtungen, deren Nichteinhaltung durch diese Regelung geahndet wird, könnte auch mit weniger einschränkenden Maßnahmen wie der Auferlegung von Geldstrafen in geringerer Höhe oder einer Höchstgrenze für solche Strafen gewährleistet werden, und ohne sie zwangsläufig mit Ersatzfreiheitsstrafen zu verknüpfen. (FN 4)
Somit sagt der EuGH, dass die Regelungen des § 28 AuslBG und des § 52 Abs 2 VwGVG nicht mit Art. 56 AEUV in Einklang stehen und unangewendet zu bleiben haben.
Betrachtet man die in diesem Verfahren gegenständliche verwaltungsrechtliche Strafbestimmung des § 28 Abs 1 Z. 1 lit a) AuslBG, so fällt auf, dass diese nahezu ident aufgebaut ist, wie die verwaltungsrechtliche Strafbestimmung des § 52 Abs 2 GSpG.
Tatsächlich heißt es in der Entscheidung des VfGH vom 10.03.2015, G 203/2014-16 ua.
„Die Gesetzesmaterialien weisen darauf hin, dass zur Sicherstellung einer wirksamen Vollziehung empfindliche Strafen erforderlich sind, um dem durch die Tat erzielbaren wirtschaftlichen Nutzen zu begegnen und so das illegale Angebot zunehmend unattraktiv zu machen und weiter zurückzudrängen. Aus diesem Grund wurde eine Staffelung der zu verhängenden Strafen je nach Schwere des Eingriffes (Anzahl der Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstände) bzw. Häufigkeit der Eingriffe (Wiederholungsfall) und eine Mindeststrafenregelung sowie die Erhöhung des Maximalstrafbetrages normiert (vgl. § 52 Abs. 2 GSpG). Bei der Strafdrohung wurde nach der Schädlichkeit dahingehend differenziert, dass bei Übertretung mit mehr als drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen die dreifache Mindeststrafe vorgesehen ist. Dadurch wurde einerseits die typischerweise damit einhergehende organisierte (und mit qualifizierter Strafhöhe im Wiederholungsfall auch wiederholte) Übertretung des Gesetzes erfasst und andererseits dem typischerweise damit einhergehenden wirtschaftlichen Nutzen aus dem strafbaren Verhalten begegnet. Was die Strafsätze betrifft, orientierte sich die Staffelung der Mindest- und Höchststrafen an § 28 Abs. 1 AuslBG.“(FN 5)
So heißt es auch eindeutig an andererstelle der Entscheidung des VfGH: (FN 6)
„Was die Strafsätze betrifft, orientiert sich die Staffelung der Mindest- und Höchststrafen an § 28 Abs. 1 AuslBG, der keine verfassungsrechtlichen Bedenkenhervorgerufen hat (VfGH 27.9.2007, G 24/07 ua.).“
Aufgrund dieser höchstgerichtlichen Rechtsprechung und dem nunmehr vom EuGH erlassenen eindeutigen Vorabentscheidungsurteil ergibt sich, dass auch im Glücksspielrecht durch das Zusammenspiel von Kumulationsprinzip, strafsatzändernden Umständen und hohen Mindeststrafen der Ermessensspielraum bei der Strafbemessung so stark eingeschränkt wird, dass sich selbst bei Verhängung der niedrigsten möglichen Strafe eine sehr hohe Gesamtstrafe ergibt und dies mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen nicht vereinbar ist. Weiters ergibt sich, dass auch die Möglichkeit der Verhängung einer mehrjährigen Ersatzfreiheitsstrafe im Fall der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe für ein fahrlässig begangenes Verwaltungsdelikt laut EuGH nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht. Außerdem ist zusätzlich anzumerken, dass der EuGH von einer Regelung, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, ausgeht. Auch bei den Straftatbeständen des Glücksspielgesetzes (§ 52 Abs. 2 GSpG) geht es um eine Regelung, die für den Fall der Nichteinhaltung glücksspielrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen (Konzessionen) die Verhängung von Geldstrafen vorsieht. Das Erkenntnis des EuGH thematisiert somit die generelle Verhältnismäßigkeit von Straftatbeständen wie jene des § 28 Abs. 1 AuslBG und des § 52 Abs. 2 GSpG. Eine Regelung wie § 52 Abs 2 GSpG, die die Verhängung von Geldstrafen vorsieht, die einen im vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen, für jeden Glücksspielautomaten kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden und die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden, steht nicht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der geahndeten Verstöße. Da die Regelung des § 52 Abs 2 GSpG der Regelung des § 28 Abs 1 AuslBG nachgebildet ist - wie der VfGH selbst bestätigt (FN 4+FN 5) - sind auch die Strafbestimmungen des GSpG unionsrechtswidrig und haben unangewendet zu bleiben.
Anwendbarkeit des Unionsrechts:
Das Unionsrecht - und damit auch die Grundfreiheiten und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wie in der Rechtssache C-64/18 u.a. - insgesamt findet auch in Fällen Anwendung, die auf den ersten Blick rein innerstaatlich sind, wenn und weil der Bezug zum grenzüberschreitenden Handel (schon) dadurch besteht, dass an der bestraften Dienstleistung ein „gesichertes grenzüberschreitendes Interesse“ besteht.
Anders ausgedrückt: Das Unionsrecht und damit auch die Grundsätze der Entscheidung C-64/18 u.a. finden in der Tat (außer natürlich in den durch Richtlinien harmonisierten Bereichen) nur Anwendung, wenn ein Bezug zum grenzüberschreitenden Handel in dem betreffenden Sachverhalt besteht. Dazu muss aber nicht der konkrete Sachverhalt einen unmittelbaren Bezug zum grenzüberschreitenden Handel haben (wobei auch hier schon genügt, dass wie in der Entscheidung Admiral Casino (FN 7) die Geldspielgeräte in einer österreichischen Spielhalle von einem EU-ausländischen Unternehmen bereitgestellt werden). Vielmehr genügt genauso wie im Bereich des freien Warenverkehrs (dazu ist die EuGH- Entscheidung Bluhme (FN 8) ein sehr klassisches Beispiel) der potentielle Bezug zum grenzüberschreitenden Handel.
Seit der EuGH-Entscheidung "Parking Brixen" aus 2005 (FN 9) ist es daher gesicherte Rechtsprechung des EuGH, dass dieser Bezug zum grenzüberschreitenden Handel in einem gesicherten grenzüberschreitenden Interesse zu sehen ist. Kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein EU-ausländischer Investor Interesse an der beschränkten und bestraften Dienstleistung haben könnte, müssen die nationalen Gerichte und Behörden das Unionsrecht umfassend auch in dem rein innerstaatlichen Sachverhalt zu Gunsten des rein innerstaatlichen Unternehmens anwenden. Zwar haben auch in zahlreichen Fällen deutsche Gerichte Schwierigkeiten, diese Systematik des Unionsrechts umzusetzen. Sie tun es aber dennoch, wenn man nur eindringlich insistiert.
Folgende EuGH-Urteile lassen sich beispielhaft für die Systematik finden, dass bei einem gesicherten grenzüberschreitenden Interesse eines EU-ausländischen Unternehmers auch der rein innerstaatliche Unternehmer das Unionsrecht für sich geltend machen kann:
EuGH, Urt. v. 13.10.2005, Rs. C-458/03, Parking Brixen, Rn. 55; Rs. C-464/15, Admiral Casinos, Urt. v. 30.06.2016, Rn. 22; Rs. C-115/14, Regiopost, Urt. v. 17.11.2015, Rn. 51; Rs. C-168/14, Grupo Itevelesa u.a., Urt. v. 15.10.2015, Rn. 36; Rs. C-221 / Rs. C-98/14, Berlington Hungary, Urt. 11.06.2015, Rn. 27; Rs. C-221/12, Belgacom, Urt. v. 14.11.2013, Rn. 28, 29; Rs. C-367/12, Sokoll-Seebacher, Urt. v. 13.02.2014, Rn. 10; Rs. C-327/12, Soa Nazionale Costruttori, Urt. v. 12.12.2013, Rn. 48; Rs. C-159/12, Venturini u.a., Urt. v. 05.12.2013, Rn. 25; Rs. C-197/11, Liebert u.a., Urt. v. 08.05.2013, Rn. 34; Rs. C-470/11, Garkalns, Urt. v. 19.07.2012, Rn. 21; Rs. C-570/07, Blanco Perez u. Chao Gömez, Urt. v. 01.06.2010, Rn. 40; Rs. C 384/08, Attanasio Group, Urt. v. 11.03.2010, C 384/08, Rn. 24; Rs. C-25/14 und 16/14, Urt. v. 17.12.2015, Unis, Rn. 27; Pfleger, Urt. v. 30.4.2014, C-390/12, Rn. 23; Urt. v. 2.6.2016, Dr. Falk Pharma, C-410/14, Rn. 44; Urt. v. 8.12.2016, Undis Servizi, C-553/15, Rn. 24; Urt. v. 6.10.2016, Tecnoedi Costruzioni, C-318/15, Rn. 19; Urt. v. 5.4.2017, C-298/15, Borta, Rn. 23, 36, 43; Urt. v. 21.7.2005, C-231/03, Conam e, Rn. 17.
Besonders plastisch ist die Entscheidung Attanasio: Ein italienisches Unternehmen will mitten in Italien eine Tankstelle betreiben und wird durch den Mindestabstand daran gehindert, den eine italienische Kommune zu einer anderen Tankstelle verlangt. Vor dem italienischen Gericht und vor der italienischen Behörde kann das italienische Unternehmen mitten in Italien dennoch die Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit für sich ins Feld führen, weil - so der EuGH - gesichert ist, dass auch ein EU-ausländisches Unternehmen Interesse an dem Betrieb einer Tankstelle in Österreich haben könnte.
Zusammenfassend ergibt sich daraus, dass sich die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-64/18 u.a. letztlich in der Praxis auf wohl alle Fälle auswirkt, in denen die hohen Strafen nach österreichischem Recht verhängt werden könnten. Denn es gibt kaum noch einen Bereich, in dem kein gesichertes grenzüberschreitendes Interesse dargelegt werden könnte.
Im Übrigen hat der VwGH diese Entscheidungen 2019 übernommen: Rechtssatz 2 Ro 2018/17/0007 vom 21.1.2019.
Die antragstellende Partei beantragt daher von der Vorführung zum Strafantritt Abstand zu halten und das Verfahren betreffend Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe einzustellen.
Fußnoten:
1) Vgl EuGH, in den verbundenen Rechtssachen C-64/18, C-140/18,
C-l 46/18 und C-l 48/18, Maksimovic ua, Rn 50.
2) Vgl EuGH, in den verbundenen Rechtssachen C-64/18, C-l 40/18,
C-l 46/18 und C-l 48/18, Maksimovic ua, Rn 46.
3) Vgl EuGH, in den verbundenen Rechtssachen C-64/18, C-l 40/18,
C-l 46/18 und C-l 48/18, Maksimovic ua, Rn 50.
4) Vgl EuGH, in den verbundenen Rechtssachen C-64/18, C-l 40/18,
C-l 46/18 und C-l 48/18, Maksimovic ua, Rn 47.
5) VfGH 10.03.2015, G 203/2014-16 ua.,Rz 13 (S. 34 f).
6) VfGH 10.03.2015, G 203/2014-16 ua., Rz 6 (S. 13).
7) Vgl EuGH, Rs. C-464/15, Admiral Casinos, Urteil vom 30.06.2016.
8) Vgl EuGH, Rs. C-67/97, Bluhme, Urteil vom 03.12.1998.
9) Vgl EuGH, Rs. C-458/03, Parking Brixen, Urteil vom 13.10.2005.“
Seitens des erkennenden Gerichts wurde am 12.2.2020 eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Die wesentlichen Abschnitte des anlässlich dieser Verhandlung aufgenommenen Protokolls lauten wie folgt:
„Der Verhandlungsleiter gibt den Parteien Gelegenheit sich zum Gegenstand der Verhandlung zu äußern.
Der Beschwerdeführervertreter verweist auf sein bisheriges Vorbringen und bringt vor:
Bezüglich der Entscheidung des EUGH zur Zahl C-64/18 u.a. wird, die Nichtvollziehung der gegenständlich verhängten Ersatzfreiheitsstrafen bis zur unionsrechtskonformen Ausgestaltung der Strafbestimmungen des GSpG, beantragt. Verwiesen wird weiters auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15.10.2019 zur Zahl Ra 2019/11/0033 bis 0034. Hier stellt der Gerichtshof fest, dass die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen nicht in Einklang mit Unionsrecht steht. Dies gilt unabhängig davon, ob ein rechtskräftiges Straferkenntnis vorhanden ist.“
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
Das Verwaltungsgericht Wien legt seiner Entscheidung folgende Feststellungen zugrunde:
Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 27.2.2016, Zl. …, wurde der Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Landeskriminalamt - Referat 2 Wirtschaftspolizeiliche Angelegenheiten und Vermögenssicherung, vom 23.5.2016, Zl.: …, betreffend Übertretungen des § 52 Abs. 1 Z 1 1. Fall Glückspielgesetz (GSpG), mit welchem mehrere Geldstrafen im Gesamtausmaß von EUR 180.000,-- bzw. im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafen von sechs von 336 Stunden verhängt wurden, in der Straffrage insoweit Folge gegeben, als die Geldstrafen von jeweils € 30.000,-- auf jeweils € 15.000,-- herabgesetzt wurde; dagegen wurde die Höhe der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen bestätigt. Dieses Erkenntnis ist in Rechtskraft erwachsen.
Bei Zugrundelegung des Vermögensverzeichnisses des Beschwerdeführers vor dem Bezirksgericht D. vom 3.11.2017, Zl. …, verfügt der Beschwerdeführer über keinerlei Geldvermögen und auch über keine regelmäßigen Erwerbseinkünfte.
Diese Geldstrafen sind daher nicht einbringlich und hat der Beschwerdeführer auch die ausgesprochenen Ersatzfreiheitsstrafen nicht verbüßt.
Eine Vollstreckungsverfügung i.S.d. § 10 Abs. 2 VVG war zum Zeitpunkt der Stellung des gegenständlichen Antrags noch nicht erlassen.
Ein Aufschub des Vollzugs einer Freiheitsstrafe ist gemäß § 54a Abs. 1 VStG aus wichtigem Grund zu gewähren, insbesondere wenn durch den sofortigen Vollzug der Freiheitsstrafe die Erwerbsmöglichkeit des Bestraften oder der notwendige Unterhalt der ihm gegenüber gesetzlich unterhaltsberechtigten Personen gefährdet würde oder dringende Angelegenheiten, die Angehörige (§ 36a AVG) betreffen, zu ordnen sind.
Im Hinblick auf die Vollstreckung Verwaltungsstrafen räumt das Gesetz dem Bestraften mehrere Rechtsschutzinstrumente ein, wie insbesondere die Möglichkeit zur Stellung 1) eines Antrags auf Haftunterbrechung oder Haftaufschub bzw. Haftunterbrechung gemäß § 54a VStG, oder 2) eines Geldstrafenratenzahlungsantrags oder Geldstrafenzahlungsaufschubschubantrags gemäß 54b Abs. 3 VStG oder einer Beschwerde gegen eine Vollstreckungsverfügung gemäß § 10 Abs. 2 VVG oder die Erhebung von Einwendungen i.S.d. § 3 Abs. 1 VVG.
Keinem dieser Rechtsschutzinstrumente und soweit ersichtlich auch keinem sonstigen durch die österreichische Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsschutznstrument vermag der gegenständliche Antrag subsummiert zu werden.
Da sich der gegenständliche Antrag nicht auf den Vollzug der Geldstrafenverhängung durch Vollstreckung in das Vermögen des Beschwerdeführers bezieht, scheiden die Anträge gemäß § 54a VStG bzw. gemäß § 54b Abs. 3 VStG als denkmöglich durch den gegenständlichen Antrag angesprochene Rechtschutzinstrumente aus.
Von einer Qualifizierung des Antrags als Bekämpfung einer Vollstreckungsverfügung gemäß § 10 Abs. 1 VVG kann schon deshalb nicht die Rede sein, zumal zum Zeitpunkt der Stellung des gegenständlichen Antrags im Hinblick auf die diesem Antrag zugrunde liegende Strafenverhängung (Ersatzstrafenverhängung) noch gar keine Vollstreckungsverfügung erlassen gewesen war.
Die Einstufung als ein Antrag gemäß § 3 Abs. 1 VVG scheidet wiederum deshalb aus, da der Beschwerdeführer in seinem Antrag nicht einmal behauptet, dass aufgrund eines erst nach der Erlassung (Rechtskraft) der Titelentscheidung (die Strafverfügung in der Schuldfrage bestätigende Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien) eingetretenen Ereignisses die Befugnis zur Vollstreckung der verhängten Strafe (Ersatzfreiheitsstrafe) weggefallen ist, wie dies etwa im Falle der erfolgten Zahlung der Geldstrafe der Fall sein würde.
Ganz im Gegenteil wird vom Beschwerdeführer vorgebracht, dass die gegenständliche Titelentscheidung aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts nicht erlassen werden hätte dürfen, und trotz Rechtskraft der Entscheidung diese aufgrund des Anwendungsvorrangs nicht vollstreckt werden dürfe. Solch ein behaupteter, die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe unzulässig machender Sachverhalt ist nach dem Rechtsschutzinstrumentarium der österreichischen Rechtsordnung nur im Wege der Bekämpfung einer erlassenen Vollstreckungsverfügung relevierbar. Genau solch eine Vollstreckungsverfügung war nun aber zum Antragstellungszeitpunkt noch nicht erlassen gewesen.
Der Behörde ist daher beizupflichten, dass im Verfahrensstadium, in welchem der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag eingebracht hat, die österreichische Rechtsordnung einer Partei noch nicht das Recht einräumt, die ursprüngliche Nichtexistenz bzw. die ursprüngliche Nichtvollstreckbarkeit eines Vollstreckungstitels im Vollstreckungsverfahren mit einem Anspruch auf behördlicher Entscheidungspflicht über diesen Antrag geltend zu machen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Die Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Geldstrafe; Ersatzfreiheitsstrafe; Vollstreckungsverfügung; Verfahrensstadium; Titelentscheidung; RechtskraftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.002.V.042.55.2020Zuletzt aktualisiert am
21.04.2020