TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/20 W230 1414945-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2019
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Entscheidungsdatum

20.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

W230 1414945-3/11E

Schriftliche Ausfertigung des am 05.08.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Philipp CEDE, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.05.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VIII. wie folgt zu lauten hat:

"VIII. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm. Abs. 3 Z 5 FPG 2005, BGBl. I 100, zuletzt geändert durch BGBl. I 56/2018, wird gegen Sie ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.10.2011, Zl. XXXX , der Status des subsidiär Schutzberechtigten hinsichtlich seines Herkunftsstaates Afghanistan zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.10.2012 erteilt (Näheres zu den Gründen dieser Entscheidung s. Pkt. II.1.7.).

2. Infolge von Anträgen auf Verlängerung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 15.10.2012 bis zum 24.10.2013, mit Bescheid vom 18.10.2013 bis zum 24.10.2014, mit Bescheid vom 14.10.2015 bis zum 24.10.2016 und mit Bescheid vom 09.11.2016 bis zum 24.10.2018 erteilt. Diese Bescheide wurden - nahezu gleichlautend - wie folgt begründet: "Aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in Ihrem Herkunftsstaat i.V.m. Ihrem Vorbringen bzw. Ihrem Antrag konnte das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden", wobei

darauf hingewiesen wurde, dass "die Aufenthaltsberechtigung ... im

Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag ... verlängert wird", dass "die Voraussetzungen für die Verlängerung ... vorliegen" und dass gemäß § 58 Abs. 2 AVG eine nähere Begründung entfallen könne, da dem Antrag vollinhaltlich stattgegeben wurde. Spezifische Ermittlungsergebnisse zur individuellen Lage des Beschwerdeführers oder zur aktuellen Lage in seinem Herkunftsstaat Afghanistan ließ die die belangte Behörde in den Wortlaut dieser Bescheide in den Jahren 2012, 2013, 2015 und 2016 nicht einfließen; die diesen Bescheiden zugrundeliegenden Anträge enthielten auch kein näheres Sachverhaltsvorbringen.

3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde Folgendes aus:

"I. Der Ihnen mit Erkenntnis vom 25.10.2011, Zahl XXXX , zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, von Amts wegen aberkannt.

II. Die mit Erkenntnis vom 25.10.2011, Zahl XXXX , erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wird Ihnen gemäß § 9 Absatz 4 AsylG entzogen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

IV. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

V. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

VI. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

VII. Ihr Antrag vom 22.08.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird abgewiesen.

VIII. Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen."

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die - rechtzeitige - Beschwerde, in der der Beschwerdeführer beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und feststellen, dass dem Beschwerdeführer weiterhin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukommt, es möge die Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte verlängern, in eventu dem Beschwerdeführer gemäß §§ 55, 57 AsylG einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen, jedenfalls aber die Rückkehrentscheidung beheben und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan für unzulässig erklären, in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverweisen, das befristete Einreiseverbot für die Dauer von zehn Jahren aufheben bzw. herabsetzen und eine mündliche Verhandlung anberaumen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stammt aus Kabul. Er gehört zur Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zum Islam sunnitischer Richtung. Er hat keine Kinder. Er spricht Pashthu, Farsi, Hindi und ein bisschen Deutsch.

Als Kleinkind lebte der Beschwerdeführer in Afghanistan, sein restliches Leben, bis zur Ausreise nach Europa im Jahr 2009 verbrachte er mit seiner Familie in Pakistan, wo er als Konditor (Zuckerbäcker) arbeitete und seinen Lebensunterhalt bestritt. Zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung im Jahr 2009 lebte seine Familie (damals: Mutter, Schwester, Schwager) weiterhin in Pakistan, wo sein Schwager ein Geschäft betrieb. Seine engeren Familienangehörigen sind später wieder nach Afghanistan (Kabul) gezogen.

1.2. Seinen Asylantrag stellte der Beschwerdeführer nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 20.11.2009.

Sein Aufenthalt in Österreich stützte sich zunächst auf seine Stellung als Asylwerber. Mit Erkenntnis vom 25.10.2011, XXXX , erkannte ihm der Asylgerichtshof den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. In der Folge beruhte sein Aufenthalt in Österreich auf jeweils befristet auf Basis des Status als subsidiär Schutzberechtigter verliehene Aufenthaltsberechtigungen. Die letzte Befristung ist mit 24.10.2018 abgelaufen.

Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2014, als ihm bereits subsidiärer Schutz zukam, eine Flugreise nach Kabul samt einmonatigem Aufenthalt vor Ort unternommen, um an der Beerdigung seiner Mutter teilzunehmen. Darüber hinaus hat er zwei weitere Reisen, jeweils nach Pakistan unternommen, beim ersten Mal, um seine nunmehrige Ehefrau kennenzulernen, und beim zweiten Mal, um sie zu heiraten.

1.3. Die Frau des Beschwerdeführers ist afghanische Staatsangehörige. Ihr Vater lebt als Taxifahrer in Kabul, gemeinsam mit ihrer Mutter, die Hausfrau ist. Sie hat weiters 2 Schwestern (Schülerinnen) und 3 Brüder (Schüler /Studenten) in Kabul. ist Diese Ehefrau zog mit dem Beschwerdeführer zunächst nicht zusammen und verblieb in der Herkunftsregion. Am 5.4.2019 ist die Ehefrau des Beschwerdeführers mit dem Flugzeug aus Afghanistan ausgereist, um nach Österreich zu gelangen, wo sie einen Asylantrag stellte, der noch unerledigt ist. Sie begründete diesen Antrag im Rahmen ihrer Erstbefragung am 08.04.2019 damit, dass ihr Vater ihr die Zwangsverheiratung mit einem anderen Mann angedroht habe, da ihr derzeitiger Mann (der Beschwerdeführer) im Gefängnis sei und man nicht wisse, wann dieser dort herauskomme. Sie hat zur Schwester des Beschwerdeführers ein vertrauensvolles Verhältnis; der Schwager des Beschwerdeführers war ihr bei der Ausreise behilflich. Die Frau des Beschwerdeführers hatte mit ihm (zumindest) bis zu seiner Inhaftierung telefonischen Kontakt. Zudem steht sie in Kontakt mit den in Graz lebenden Verwandten des Beschwerdeführers. Seit seiner Inhaftierung (also im Zeitraum Oktober 2017 bis August 2019) hat sie den Beschwerdeführer zwei Mal in der Haft besucht. Der Beschwerdeführer weiß nicht, was seine Frau beruflich macht, bei einer Einvernahme durch die belangte Behörde fiel ihm der Nachname der Frau zunächst nicht ein und er gab erst im weiteren Verlauf an, das er glaube (!), ihr Nachname sei XXXX .

1.4. Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Er nimmt Schlaftabletten ein. Drogenkonsum hat er sich abgewöhnt. Der Beschwerdeführer ist arbeitswillig und arbeitsfähig.

1.5. Beschwerdeführer kann den Kontakt zu Verwandten und/oder Bekannten in Afghanistan und Pakistan herstellen bzw. wiederherstellen.

Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in Afghanistan, die Kinder einer weiteren verstorbenen Schwester leben in Kabul und werden von der jüngeren Schwester betreut. Diese jüngere Schwester des Beschwerdeführers und ihr Mann sind Konditoren. Diese Familie lebt in einem Haus in Kabul, das früher der Mutter des Beschwerdeführers gehörte. Bis zu seiner Inhaftierung hat er seine Familienangehörigen in Afghanistan unterstützt.

In Pakistan hat der Beschwerdeführer Berufserfahrung in einer Konditorei erworben. In Österreich hat er zuletzt für 1,5 Jahre in einer Konditorei in XXXX gearbeitet, wo er ca. € 1630 monatlich verdient hat. Insgesamt war er in Österreich 4,8 Jahre lang als Arbeiter beschäftigt, zunächst in der Gastronomie, zB als Tellerwäscher. In der Haftanstalt arbeitete er zunächst in der Bäckerei, sodann in der Küche. Ein Onkel des Beschwerdeführers lebt in Österreich. Mit diesem hat er regelmäßig telefonisch Kontakt, er hat ihm bei der Heranziehung eines Strafverteidigers geholfen.

Im Iran leben Freunde des Beschwerdeführers, die er als Kollegen während seiner Zeit als Konditor in Pakistan kennengelernt hat. Diese haben ihm die Einladung ausgesprochen, er könne sie im Iran jederzeit besuchen. Einen solchen Besuch hatte der Beschwerdeführer im Jahr 2014 auch vor und ließ sich ein Visum für den Iran ausstellen. Zu dieser Reise kam dann jedoch nicht, weil der Tod seiner Mutter und seiner Schwesterdazwischen kam und er stattdessen zu deren Bestattung nach Kabul gereist ist.

Der Beschwerdeführer hat Deutschkurse besucht, aber nicht abgeschlossen.

1.6. Der Beschwerdeführer ist am 20.03.2019 vom Landesgericht Innsbruck rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt worden. Diese Verurteilung erfolgte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG, der Vergehen des Suchtgifthandels nach § 27 Abs 1 vierter, fünfter und sechster Fall SMG sowie wegen dem Vergehen der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG.

Konkret liegt ihm zur Last:

Dass er zumindest zwischen Herbst 2015 und 19.10.2017, indem er im Zuge einer Vielzahl von Verkaufshandlungen insgesamt 8300 g Cannabiskraut, davon 1906 g mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 16 % Delta-9-THC (305 g Reinsubstanz, 15-fache Grenzmenge) und im Übrigen (6394 g) mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 10 % Delta-9THC (639,4 g Reinsubstanz, 31,97-fache Grenzmenge), gewinnbringend zum Teil selbst, zum Teil durch kommissionsweise Übergabe zum Zweck des Weiterverkaufs, an zahlreiche Abnehmer veräußerte,

dass er zwischen vierten und 19.10.2017, indem er im Zuge mehrerer Fahrten von Kufstein über den Grenzübergang Kiefersfelden nach Oberrohrdorf insgesamt 200 g Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 10 % Delta-9-THC (20 g Reinsubstanz, einfache Grenzmenge) von Österreich nach Deutschland brachte,

dass er 669,5 g Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 16 % Delta-9-THC (107 g Reinsubstanz, über 5-fache Grenzmenge), sohin eine die Grenzmenge übersteigenden Menge mit dem Vorsatz an 19.10.2017 besessen und am 15.10.2017 erworben, dass sie in Verkehr gesetzt werde.

Als mildernd wertete das Strafgericht das Geständnis, die Unbescholtenheit, eine eingeschränkte Zurechnung Fähigkeit aufgrund eigener Suchtgiftergebenheit und die Sicherstellung von Suchtgift. Als erschwerend wertete das Strafgericht das Zusammentreffen von einem Verbrechenstatbestand mit zwei Vergehenstatbeständen.

Der Beschwerdeführer beging diese Taten im Rahmen eines Netzwerks mehrerer (im Strafverfahren auch mitverurteilten) Personen; er bewegte sich über einen längeren Zeitraum in einschlägigen Suchtgiftkreisen. Der Beschwerdeführer hat im Tatzeitraum auch Minderjährigen Suchtgift überlassen.

1.7. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 25.10.2011 stützte sich zur Beurteilung der Lage in Afghanistan auf die Berichtslage, die bereits im damals angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.07.2010 herangezogen worden war. Dabei handelte es sich um das Länderinformationsblatt zu Afghanistan der Staatendokumentation des Bundesasylamtes, Stand 01/2010.

In den Abschnitten zur "Sicherheitslage" fanden sich in den damals herangezogenen Länderinformationen folgende Ausführungen:

"Allgemeine Sicherheitslage

Die Sicherheitslage variiert regional und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt. Während im Süden und Südosten des Landes Aktivitäten regierungsfeindlicher Kräfte gegen die Zentralregierung und die Präsenz der internationalen Gemeinschaft die primäre Sicherheitsbedrohung darstellen, sind dies im Norden und Westen häufig Rivalitäten lokaler Machthaber, die in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt sind. Die organisierte Kriminalität hat seit 2007 landesweit stark zugenommen. Wachsende Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der bisherigen Regierungspolitik, das Wiedererstarken der Taliban, die steigende Kriminalität, die Aktivitäten illegaler Milizen sowie bewaffnete Konflikte zwischen Ethnien bestimmen das Bild. Sicherheitsrelevante Vorfälle mit Sprengfallen und Selbstmordanschläge nehmen landesweit weiter zu. Von der sich verschlechternden Sicherheitslage sind fast alle Landesteile betroffen. Der UNHCR hat zuletzt am 18. Juni 2008 eine Einschätzung über die Sicherheitslage in bestimmten Regionen im Hinblick auf die Rückkehr von Flüchtlingen abgegeben.

[...]

Sicherheitslage im Raum Kabul

Die Sicherheitslage hat sich im Raum Kabul im 1. Halbjahr 2009 nicht weiter verschlechtert. Sie bleibt weiter fragil, auch wenn sie im regionalen Vergleich zufriedenstellend ist. Ende August 2008 übernahmen die Regierungsbehörden (ANP, ANA) von ISAF formell die Sicherheitsverantwortung für die Stadt Kabul; die internationale Schutztruppe ISAF ist weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden und nationalen Sicherheitskräften gewichen. Die Lage ist dadurch nicht unsicherer geworden, vielmehr kann sogar von einer Stabilisierung der Sicherheitslage gesprochen werden. Dies ist allerdings der allgegenwärtigen und sichtbaren Präsenz afghanischer Sicherheitskräfte geschuldet, die in dieser Form nur in der Hauptstadt zu beobachten ist.

Sehr selten kommt es in Außenbezirken Kabuls zwar noch zu Raketenbeschuss, aber die Raketen können aufgrund veralteter Baureihen und primitiver Abschussvorrichtungen zumeist nicht gegen konkrete Ziele eingesetzt werden und verursachen in der Regel keine Opfer. Es gibt vereinzelt Übergriffe von Polizei und Sicherheitskräften gegenüber der Zivilbevölkerung.

Angehörige der Sicherheitskräfte stellen sich gelegentlich als Täter von bewaffneten Raubüberfällen und Diebstählen, vereinzelt auch von kriminell motivierten Entführungen, heraus.

Am 29. Mai 2006 kam es in Kabul nach dem Verkehrsunfall eines US-Konvois, bei dem eine Reihe von Zivilisten getötet wurden, in weiten Teilen der Innenstadt zu Ausschreitungen. Dabei wurden Autos von Ausländern mit Steinen beworfen und Häuser geplündert. Vorfälle dieser Art können sich jederzeit wiederholen. Obwohl die Anzahl an Selbstmordattentaten seit 2008 abgenommen hat, haben vereinzelte spektakuläre Anschläge eine neue Qualität erreicht und führten zu einer Zunahme des Unsicherheitsgefühls. Hauptanschlagsziele sind nach wie vor neben den afghanischen Sicherheitskräften und Regierungsgebäuden auch ausländische Truppen und ausländische Vertretungen.

Die jüngsten Anschläge verdeutlichen, dass auch die in Kabul stationierten internationalen Schutztruppen weiterhin bzw. zunehmend die Zielscheibe für Angriffe der Aufständischen darstellen.

Zu beobachten war im 2. Halbjahr 2008 auch eine deutliche Zunahme von Entführungen hauptsächlich afghanischer Staatsangehöriger, zumeist mit allgemein-kriminellem Hintergrund zwecks Erpressung von Lösegeld. Diese Gefahr betrifft auch Rückkehrer, wenn ihnen ausreichende finanzielle Mittel für einen Freikauf unterstellt werden. Im 1. Halbjahr 2009 war die Zahl der Entführungen hingegen wieder leicht rückläufig.

[...]

Taliban-Kämpfer und Selbstmordattentäter haben Gebäude im Zentrum Kabuls angegriffen. Die Kämpfe fanden in der Nähe des Serena Hotel und des Präsidentenpalastes statt. Laut Angaben der Taliban haben 20 Kämpfer an diesem Angriff teilgenommen. Zwei Zivilisten und drei Sicherheitsbeamte, sowie sieben Taliban-Kämpfer kamen ums Leben, über 70 Menschen wurden verletzt.

[...]

Sicherheitslage im Süden und (Süd-)Osten des Landes

Die Anti-Terror-Koalition bekämpft die radikal-islamistischen Kräfte vor allem im Süden (Helmand, Kandahar, Uruzgan) und Osten (Kunar, Khost, Paktika, Paktia) des Landes. Die Infiltration islamistischer Kräfte (u.a. Taliban) aus dem pakistanischen Siedlungsgebiet der Paschtunen nach Afghanistan hält an, das Rekrutierungspotential in afghanischen Flüchtlingslagern auf pakistanischem Territorium wie auch in Teilen der paschtunischen Bevölkerung im Süden und Osten scheint ungebrochen. Vor allem im Süden (Helmand, Kandhar), aber auch im Südosten (Kunar, Nuristan, Khost) wurde auch im ersten Halbjahr 2009 ein weiterer Anstieg von Anschlägen auf Einrichtungen der Provinzregierungen und Hilfsorganisationen verzeichnet. Hierzu zählen auch die Ermordung einer der ranghöchsten afghanischen Polizistinnen, Malalai Kakar, im September 2008 in Kandahar, und der afghanischen Frauenrechtsaktivisten Sitar Achakzai, die im April 2009 ebenfalls in Kandahr von Taliban erschossen wurde. Gleichzeitig halten Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen weiter an. Dies schließt Fehden zwischen Stämmen und Clans ein, die unter anderem für die paschtunisch geprägten Gebiete des Südens typisch sind.

[...]

Sicherheitslage im Norden und Westen des Landes

In den westlichen Provinzen Ghor (Westteil), Farah und Nimruz ist eine Reinfiltration von Taliban/Islamisten zu verzeichnen. Zunehmend Sorgen bereitet die Sicherheitslage in den Provinzen Kundus und Bahglan, in denen die Aufständischen ihre Aktivitäten im 1. Halbjahr 2009 erheblich verstärkt haben. Ziel sind neben afghanischen Sicherheitskräften und US-Militär auch die im Regionalbereich Nord stationierten deutschen Truppen. Im Norden und Nordosten werden zunehmend Aktivitäten von mit Taliban sympathisierenden Gruppen sowie der Hezb-e Islami Hekmatyar (HiG) registriert. Im Nordwesten besteht weiter das Risiko eines Wiederaufflammens von interfraktionellen Kämpfen oder Spannungen. Die Hauptakteure sind hier Jamiat-e-Islami (tadschikisch), Jumbesh-e-Milli (usbekisch) und Hezb-e-Wahdat (hazaritisch).

[...]

Sicherheitslage der internationalen Gemeinschaft

Seit 2006 kommt es regelmäßig zu Übergriffen auf Mitarbeiter von internationalen Hilfsorganisationen bzw. zu Anschlägen auf ausländische Truppen. Das Risiko von Entführungen nimmt für Mitarbeiter internationaler Organisationen weiter zu. Zwischen Juli 2007 und Anfang 2008 kam es zu fünf Entführungsfällen deutscher Staatsangehöriger. Am 15. August 2007 kamen bei einem Sprengstoffanschlag auf Fahrzeuge der deutschen Botschaft zwei Personenschutzbeamte des BKA sowie ein Angehöriger der Bundespolizei ums Leben. Der Anschlag auf das Hotel Kabul Serena am 14. Januar 2008 sowie der Anschlag auf die indische Botschaft am 7. Juli 2008 sowie in der Nähe der Deutschen Botschaft am 17. Januar 2009 haben das Unsicherheitsgefühl in den Reihen der internationalen Gemeinschaft erheblich verstärkt.

[...]

Zusätzlich zum Problem der Taliban gibt es vermehrt Raubüberfälle. Bei Überfällen oder Entführungen verwenden die Täter oft Polizei- und Armeeuniformen, bzw. -material. Ein Teil der Entführungen und Überfälle werden aber tatsächlich durch einzelne Personen aus den Reihen der Sicherheitskräfte durchgeführt.

Die Taliban sind in den meisten Distrikten, in denen die Gesellschaft stammesmäßig organisiert ist, z.B. in den Provinzen Kandahar und Helmand, außer in den Provinzhauptstädten, vorherrschend. In den östlichen Provinzen, Nangarhar, Laghman, Norestan und Kunar sind sie an den Grenzgebieten zu Pakistan aktiv. In der Provinz Ghazni und Logar sind sie in den Stammesgebieten aktiv und verüben öfters Anschläge. Außerdem kontrollieren sie einige Distrikte in der Provinz Ghazni und Logar. In allen anderen afghanischen Provinzen verüben die Taliban vereinzelt Anschläge gegen die ISAF und gegen die afghanischen Behörden. Die Taliban sind nach einigen Informationen bis dato gegen die zivile Bevölkerung in den von Nichtpaschtunen bewohnten Gebieten nicht vorgegangen, außer dass sie auf den Hauptstraßen, auch im Norden oder in Zentralafghanistan die ausländischen- und Regierungskonvois gelegentlich angreifen, dabei geraten auch Zivilisten in Gefahr, die sich zufällig in der Nähe befinden.

[...]

In Afghanistan kam es zu einer Verschlechterung und Ausweitung des bewaffneten Konfliktes seit 2008. Erhöhte Unsicherheit und Gewalt sind das Ergebnis von den Kämpfen zwischen regierungsfeindlichen und regierungsfreundlichen Truppen. Außerdem führen diese zu Vertreibungen in einem bedeutenden Teil des Landes. In mindestens 170 der insgesamt 400 Distrikte in Afghanistan, ist der Zugang eingeschränkt oder unmöglich. Dies behindert die humanitären und Aufbaumaßnahmen. Der Konflikt hat sich vom Süden, Südosten und Osten des Landes auf andere Teile, darunter die zentralen Provinzen und Teile des Nordens und Westens des Landes ausgeweitet.

[...]

Auch wenn die Regierung ihre Autorität in den Provinzzentren vertiefte, konnte die Taliban oder andere Gruppen außerhalb der Kontrolle der Regierung ihre Macht über einige Gebiete ausüben.

Landminen und nicht-detonierte Munition sorgten für Todesfälle und Verletzungen, schränkten das kultivierbare Land ein und behinderten die Rückkehr von Flüchtlingen in den von Minen betroffenen Gebieten. Die am meisten verminten Gebiete befanden sich in den Provinzen an den Grenzen zum Iran und zu Pakistan. Das UN Mine Action Center for Afghanistan (UNMACA) berichtete, dass Landminen und nicht-detonierte Munition im Schnitt 57 Personen im Monat töteten oder verletzten. Minenexplosionen in den letzten zwei Jahrzehnten betrafen 4,2 Millionen Menschen mit geschätzten 1,5 Millionen Opfern. Die UNO bildete und trainierte mit Hilfe von internationalen Geldgebern Teams zur Minenentdeckung und -entschärfung aus, die landesweit arbeiteten. UNO-Organisationen und NGOs führten für Frauen und Kinder viele Erziehungsprogramme und Kampagnen zum Verhalten in verminten Gebieten in verschiedenen Landesteilen durch. HALO Trust säuberte 1,14 Milliarden Quadratfuß Land von Minen. Zu Jahresende gab es laut UNMACA noch 83,74 Milliarden Quadratfuß ungeräumtes Land.

[...]

Mindestens 5978 Zivilisten wurden im Jahr 2009 getötet oder verletzt. Das ist die höchste Zahl seit dem Fall des Taliban-Regimes. Fast die Hälfte der zivilen Opfer waren im Süden (45%) zu beklagen. Hohe Opferzahlen wurden aber auch aus dem Südosten (15%), dem Osten (10%), aus Zentralafghanistan (12%) und den westlichen Regionen (8%) berichtet.

Der Anteil an zivilen Opfern hat erneut stark zugenommen. Gewaltakte gegen die Zivilbevölkerung gehen weiterhin von vier Quellen aus: von regierungsfeindlich eingestellten bewaffneten Gruppierungen wie Taliban, Hezb-e-Islami von Gulbuddin Hekmatyar, Haqqani-Netzwerk und anderen; von regionalen Kriegsherren und Kommandierenden der Milizen; von kriminellen Gruppierungen; von Reaktionen der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräften im Kampf gegen regierungsfeindliche Gruppierungen, insbesondere Bombardierungen.

Der Drogenhandel machte 2008 etwa 20-30 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Obwohl die Drogenbekämpfung 2008 zu einem Rückgang des Drogenanbaus von etwa 6 Prozent führte, produziert Afghanistan noch immer rund 90 Prozent des weltweit produzierten Opiums. Für 80 Prozent der ländlichen Bevölkerung stellt der Drogenhandel die Haupteinnahmequelle dar. Die Taliban erzielen geschätzte drei Fünftel ihrer Kriegsfinanzierung aus der Drogenwirtschaft.

[...]"

Unter dem Titel "Innerstaatliche Fluchtalternative" fand sich im damals herangezogenen Länderinformationsblatt die folgende Passage:

"Innerstaatliche Fluchtalternative

UNHCR hielt im Juli 2009 fest, dass in Afghanistan kaum staatlicher Schutz vorhanden ist. In zahlreichen Fällen wurden Regierungsbeamte selber beschuldigt, Gewalt angewandt oder Verstösse gegen die Menschenrechte begangen zu haben. Nicht-staatliche Akteure können ihre Opfer auch über ihren Machtbereich hinaus verfolgen und stehen oft in Beziehung zur Regierung oder den Behörden. Zudem ist für eine rückkehrende Person ein starkes Familien-, Sozial- oder Stammesnetz von grundlegender Bedeutung. Ohne dieses kann eine Person in der heutigen Situation nicht überleben.

[...]

Die Lebensbedingungen sind landesweit schlecht. Das Risiko des Einzelnen, zu einem Opfer von Gewalt oder einer Menschenrechtsverletzung zu werden, ist im gesamten Land gegeben. Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar und wirkt sich dementsprechend auf die Gefährdungssituation des Einzelnen aus. Ob eine Person sich einer möglichen Gefährdung durch ein Ausweichen im Land entziehen kann, hängt maßgeblich von dem Grad ihrer sozialen Vernetzung sowie von der Verwurzelung in Familienverband oder Ethnie ab.

[...]

Eine Ansiedlung in Kabul, Mazar-i Sharif, Jalalabad und Herat ist grundsätzlich auch für Personen ohne Beziehungen möglich, sofern sie über die nötigen finanziellen Mittel verfügen. Für mittellose Männer ohne persönliche Anknüpfungspunkte ist dies nur unter großen Schwierigkeiten möglich. Für Frauen ohne männliches Familienoberhaupt ist dies gänzlich unmöglich. Für Frauen allgemein ist die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.

[...]"

In Bezug auf die Versorgungslage lassen sich den damals herangezogenen Länderinformationen folgende Aussagen entnehmen:

"Rückkehrfragen

Grundversorgung

Aufgrund günstiger Witterungsbedingungen mit weit überdurchschnittlichen Niederschlägen sind die Ernteaussichten für das Jahr 2009 deutlich besser als im Dürrejahr 2008. Daraus dürfte in diesem Jahr auch eine deutlich verbesserte Ernährungssituation bzw. Versorgung der Bevölkerung mit Weizen als wichtigstem Grundnahrungsmittel resultieren. Von diesen verbesserten Rahmenbedingungen profitieren grundsätzlich auch die Rückkehrer.

Gleichwohl problematisch bleibt die Lage der Menschen in den ländlichen Gebieten, insbesondere des zentralen Hochlandes. Deren Versorgung ist oftmals, bedingt durch fehlende oder und nur sehr ungenügend ausgebaute Verkehrswege, sehr schwierig, im Winter häufig überhaupt nicht möglich. Hinzu kommt die bekannte Gefahr kriminell motivierter Überfälle auf kommerzielle und humanitäre Lebensmitteltransporte.

In den Städten ist die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen nach wie vor schwierig.

Staatliche soziale Sicherungssysteme wie Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung sind praktisch nicht existent. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Sie können auf übersteigerte Erwartungen bezüglich ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen, so dass von ihnen überhöhte Preise gefordert werden. Von den "Zurückgebliebenen" werden sie häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert.

[...]

2008 war der Norden des Landes von einer ernsten Dürre betroffen. Im Winter 2008/2009 waren etwa 74'000 Familien äusserst knapp an Lebensmitteln. Viele Familien wurden zu intern Vertriebenen. Die Provinz Nangarhar wurde von zwei Erdbeben heimgesucht, bei denen 22 Personen ums Leben kamen, 59 Menschen verwundet und 650 Familien vertrieben wurden. Heftige Regenfälle und Überflutungen haben über 17'000 Acres Land überflutet, über 10'000 Stück Vieh getötet sowie Häuser, Besitz, aber auch Brücken und Strassen zerstört.

Die meisten AfghanInnen können die 200-250 US-Dollar, die eine Ein- oder Zweizimmerwohnung monatlich kostet, nicht aufbringen. Gemäss Angaben des Ministeriums für ländliche Entwicklung ist die Unterkunft eines der grössten Probleme der afghanischen Bevölkerung. Rund 30 Prozent der AfghanInnen verfügen über keine eigene Wohngelegenheit. Um die Wohnungsknappheit etwas zu entschärfen, hat das Ministerium geplant, an rund 150'000 Personen Land zu vergeben. Rund 55 Prozent der afghanischen Bevölkerung verfügen nicht über Elektrizität.

Rund 77 Prozent der AfghanInnen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Anhaltende Dürren haben den Zugang zu Trinkwasser noch verknappt, was zur Verbreitung von durch Wasser übertragene Krankheiten geführt hat. Die Weizenernte fiel in Afghanistan 2008 um rund 40 Prozent tiefer aus, als 2007. Die steigenden Lebensmittelpreise und die Restriktionen der Transporte von Weizen aus Pakistan führten 2008 zu einer Lebensmittelkrise.

Die Inflationsrate betrug 2008 28,7 Prozent im Vergleich zu 12,9 Prozent 2007. Geschätzte acht Millionen Personen sind in Afghanistan auf Lebensmittelhilfe angewiesen.

[...]

Medizinische Versorgung

[...]

Die Lage von Rückkehrern

Es ist nicht bekannt, dass eine Asylantragstellung zu Sanktionen seitens der Regierung führt.

Als vordringliche Probleme, mit denen sich die Rückkehrer konfrontiert sehen, sind Land- und Grundsstücksstreitigkeiten zu nennen, die bei (i) der Zuweisung von Land durch die Regierung, (ii) der Rückforderung ihres früheren Besitzes und (iii) bei der illegalen Besetzung von Land offenkundig werden. Daneben ist die Verwirklichung anderer grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Wasser, Gesundheitsversorgung etc., häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Hinzu kommt der mangelnde Zugang zu Rechtsmitteln. Diejenigen Afghanen, die bereits in den Nachbarländern nur einen kleinen Eigenbeitrag zu ihrem Lebensunterhalt leisten konnten, sehen sich bei Rückkehr oftmals noch größeren Schwierigkeiten gegenüber, da sie über kein Startkapital verfügen und Arbeitsmöglichkeiten insbesondere in den Provinzen begrenzt sind.

Staatliche soziale Sicherungssysteme wie Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung sind praktisch nicht existent. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, stoßen auf größere Schwierigkeiten als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren, da ihnen das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk sowie die notwendigen Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. Sie können auf übersteigerte Erwartungen bezüglich ihrer finanziellen Möglichkeiten treffen, so dass von ihnen überhöhte Preise gefordert werden. Von den "Zurückgebliebenen" werden sie häufig nicht als vollwertige Afghanen akzeptiert.

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Die Eingliederung in eine fremdgewordene Heimat gestaltet sich dementsprechend schwierig. Viele AfghanInnen, die nach dem Sturz der Taliban nach Afghanistan zurückgekommen waren, haben das Land aus Angst vor einer Entführung wieder verlassen. Etwa 55'000 der kürzlich zurückgekehrten AfghanInnen leben in temporären und hilfsbedürftig aufgestellten Siedlungen. Zu den Gründen, die gegen eine Rückkehr sprechen, gehören die sich drastisch verschlechterte Sicherheitslage in immer weiteren Teilen des Landes, Landstreitigkeiten und die hohe Arbeitslosigkeit. Afghanistan gehört zudem zu den am stärksten verminten Ländern der Welt. Immer wieder befinden sich unter den Minenopfern RückkehrerInnen, die das Gebiet nicht gut kennen. Daneben können viele landwirtschaftliche Flächen wegen der Verminung nicht genutzt werden.

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Die traditionellen Familien- und Gemeinschaftsstrukturen des afghanischen Stammessystems stellen die hautsächlichen Schutz- und Bewältigungsmechanismen dar. Die Hilfe durch die Familien, die Großfamilien und die Stämme sind auf Gebiete begrenzt, wo Verbindungen der Familie oder der Gemeinschaft existieren - besonders am Herkunftsort oder dem gewöhnlichen Wohnort. Personen, die mit besonderen Schwierigkeiten bei ihrer Rückkehr zu rechnen haben, umfassen u. a. unbegleitete Frauen und alleinstehende Haushaltsvorstände, unbegleitete Kinder, unbegleitete ältere Personen, Opfer mit ernstzunehmenden Traumata, darunter Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt, Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung und Personen die medizinische Hilfe benötigen (sowohl in langer als auch kurzer Hinsicht), insbesondere Frauen.

Die Rückkehr zu anderen Orten als dem Herkunftsort oder dem vorherigen Wohnort könnte die Afghanen vor unüberwindbare Hindernisse stellen - nicht nur bei der Erhaltung ihres Lebensunterhalts oder bei der Wiederherstellung ihres Lebensunterhalts, sondern auch in Bezug auf Sicherheitsrisiken. Die Sicherheitsrisiken können unter anderem willkürliche Festnahmen und Haft, gezielte Ermordung basierend auf ethnische Rivalitäten und aufgrund von Konflikten zwischen Familien umfassen.

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Wohnraum

In den Städten ist die Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Preisen nach wie vor schwierig.

Freiwillig zurückkehrende Afghanen kamen in den ersten Jahren meist bei Familienangehörigen unter, was die in der Regel nur sehr knapp vorhandenen Ressourcen (Wohnraum, Versorgung) noch weiter strapaziert. Eine zunehmende Zahl von Rückkehrern verfügt aber nicht mehr über diese Anschlussmöglichkeiten. Das afghanische Ministerium für Flüchtlinge und Rückkehrer (MoRR) bemüht sich daher um eine Ansiedlung dieser Flüchtlinge in Neubausiedlungen für Rückkehrer (sog. "townships"). UNHCR unterstützt gemeinsam mit der "International Organisation for Migration" (IOM) das MoRR bei seiner Aufgabe, eine geordnete Rückkehr zu gewährleisten, worauf letzteres aufgrund seiner institutionellen Schwächen auch sehr angewiesen ist. Die Ansiedlung der Flüchtlinge erfolgt unter schwierigen Rahmenbedingungen: Ein Großteil der vorgesehenen "townships" ist kaum für eine permanente Ansiedlung geeignet. Oft fehlt es an der notwendigen Basisinfrastruktur (z.B. Wasserversorgung), und häufig befinden sich die vorgesehenen Ansiedlungsorte in abgelegenen Gebieten. Manche Beobachter bezeichnen daher die Ansiedlung der Rückkehrer als ein "Aussetzen in der Wüste".

Nichtregierungsorganisationen leisten hier vielfach zusätzliche Hilfe.

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Die meisten AfghanInnen können die 200-250 US-Dollar, die eine Ein- oder Zweizimmerwohnung monatlich kostet, nicht aufbringen. Gemäss Angaben des Ministeriums für ländliche Entwicklung ist die Unterkunft eines der grössten Probleme der afghanischen Bevölkerung. Rund 30 Prozent der AfghanInnen verfügen über keine eigene Wohngelegenheit. Um die Wohnungsknappheit etwas zu entschärfen, hat das Ministerium geplant, an rund 150'000 Personen Land zu vergeben.

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Die humanitäre Situation stellt das Land vor allem mit Blick auf die mehr als 5,4 Millionen - meist aus Pakistan zurückgekehrten - Flüchtlinge vor große Herausforderungen.

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Afghanistan gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Gemäss Angaben der UNO beträgt die Lebenserwartung für AfghanInnen lediglich 43 Jahre. Vor allem Kinder, Frauen und ältere Personen sind am stärksten von den kumulierten Auswirkungen bewaffneter Konflikte, hoher Lebensmittelpreise, der ökonomischen Krise sowie von Umweltfaktoren wie Dürren betroffen. Gemäss Angaben des Norwegischen Flüchtlingsrats hat die afghanische Bevölkerung "nur sehr beschränkten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Gesundheit, Bildung und Lebensunterhalt ". Die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen haben sich, auch in Kabul, in den letzten beiden Jahren verschlechtert.

Ein Grossteil der afghanischen Bevölkerung hat keine Arbeit oder ist stark unterbeschäftigt, was bedeutet, dass viele Familien ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können. Nur die wenigsten AfghanInnen verdienen die 400 US-Dollar, die für die monatlichen Auslagen notwendig sind. Die hohe Arbeitslosigkeit ist zudem einer der Gründe für den Zulauf zu den Taliban: Gemäss Angaben des Instituts for War and Peace Reporting machen junge arbeitslose Männer bis zu 70 Prozent der Talibankämpfer aus. Es fehlt aber auch an technischen Schulen oder Berufsschulen, die den über 100'000 Schulabgängern eine Perspektive geben könnten. Für Frauen ist es nach wie vor schwierig, einer Arbeit ausserhalb des Hauses nachzugehen, und für viele besteht eine äusserst eingeschränkte Bewegungsfreiheit.

Gemäss Human Rights Watch gehen auch heute lediglich 74 Prozent der Knaben in die Primarschule. Bei den Mädchen liegt die Rate sogar nur bei 46 Prozent. Die Sekundarschule besuchen dagegen nur noch 18 Prozent der Jungen und nur noch 8 Prozent der Mädchen. UNICEF schätzt, dass etwa 66 Prozent der afghanischen Bevölkerung Analphabeten sind, bei Frauen beträgt die Quote sogar etwa 90 Prozent. Insbesondere auf dem Land ist der Zugang zu Bildungseinrichtungen ungenügend.

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Rückkehr

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In Iran und in Pakistan halten sich nach Angaben des UNHCR noch knapp 3,1 Millionen afghanische Flüchtlinge auf, davon knapp 2,2 Millionen in Pakistan und ca. 900.000 in Iran. Die Mehrzahl der afghanischen Flüchtlinge, die sich in Turkmenistan und Tadschikistan aufgehalten hatten, ist freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Rückkehrer erhalten vom UNHCR eine begrenzte finanzielle Beihilfe und Sachmittel.

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Der UNHCR schätzt die Zahl der freiwilligen Rückkehrer zwischen März 2002 und Juli 2009 auf rund 4,5 Millionen Menschen. Der ganz überwiegende Teil davon kehrte mit Hilfe des UNHCR zurück. Im Jahr 2008 sind 278.000 Flüchtlinge mit UNHCR-Unterstützung nach Afghanistan zurückgekehrt (davon 275.000 aus Pakistan und 3.000 aus Iran). Bis Mitte Juli 2009 sind knapp 46.700 Menschen mit Unterstützung des UNHCR zurückgekehrt (davon rund 44.500 aus Pakistan und rund 2.100 aus Iran). Dass die in den Aufnahmeländern verbliebenen Flüchtlinge zu einem großen Teil nicht (mehr) zu einer freiwilligen Rückkehr bereit sind, beruht unter anderem darauf, dass viele Personen mittlerweile einen legalen Status in ihren Zufluchtsländern besitzen, sich dort eine wirtschaftliche Existenz aufgebaut haben, z.B. ein eigenes Geschäft führen, und ein deutlich höheres Einkommen erzielen, als es ihnen in Afghanistan möglich wäre. Ein zunehmender Teil der Afghanen scheut die Rückkehr aber auch aus Furcht vor einer sich verschlechternden Sicherheitslage. Hinzu kommen ganz konkrete Rückkehrhindernisse wie etwa ungeklärte Grundstücksfragen. So gab es im Sommer 2008 in der Provinz Takhar bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen aus pakistanischen Lagern zurückgekehrten Paschtunen und den zurückgebliebenen Tadschiken, die zwischenzeitlich die verlassenen Grundstücke in Besitz genommen hatten.

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Sowohl die pakistanische als auch die iranische Regierung forcieren seit 2007 die Rückkehr afghanischer Flüchtlinge und illegaler Migranten. So wurden weite Teile Irans für Flüchtlinge gesperrt. Die in Iran in der Regel in individuellen Unterkünften lebenden Flüchtlinge wurden aufgefordert, sich neu registrieren zu lassen und in Lager umzuziehen. Der UNHCR warnte wiederholt vor einem völkerrechtswidrigen "refoulement". Neben wirtschaftlichen Gründen (vermeintliche Konkurrenz um Arbeitsplätze) werden v.a. in Pakistan Sicherheitsgründe für die Rückführungsbemühungen der pakistanischen Regierung angeführt (pakistanische Flüchtlingslager als Basis des afghanischen Aufstands gegen die Regierung). Nach Angaben des UNHCR wurden aus Iran bis Ende Juni 2009 rund 192.000 illegale Migrantinnen und Migranten abgeschoben. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet dies einen Anstieg um 28 %.

Zwischen den Regierungen von Afghanistan und Pakistan sowie dem UNHCR existiert ein Dreiparteienabkommen, das den rechtlichen und operativen Rahmen für die freiwillige und allmähliche Rückkehr von Afghanen aus Pakistan festlegt. Dem UNHCR kommt dabei die Rolle zu, die Freiwilligkeit der Rückkehr zu überprüfen und entsprechende Unterstützung zu leisten. Bis Anfang 2008 existierte ein ähnliches Abkommen auch mit Iran. Das Abkommen mit Pakistan läuft bis Ende 2009, das Abkommen mit Iran wurde nach seinem Auslaufen im Februar 2008 erstmalig nicht erneuert. Bislang scheint sich Iran jedoch an seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention zu halten.

[...]"

Der Asylgerichthof begründete seine den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennenden Entscheidung mit folgender einzelfallbezogener Überlegung:

"Wie bereits oben ausgeführt, hat der Beschwerdeführer die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides zurückgezogen; Spruchpunkt I ist daher rechtskräftig. Es ist daher nunmehr zu prüfen, ob es begründete Anhaltspunkte dafür gibt, dass durch die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan Art. 2 oder 3 MRK oder das Protokoll Nr. 6 zur MRK verletzt würde. Solche Anhaltspunkte finden sich in den Feststellungen zur Situation in Afghanistan. Daraus geht hervor, dass die Sicherheits- und die Versorgungslage im ganzen Land prekär ist. Der Asylgerichtshof teilt nicht die Ansicht des Bundesasylamtes, das aus seinen eigenen Feststellungen einen gegenteiligen Schluss zieht. [...]

Daher kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine Gefahr iSd Art. 3 MRK droht, und eine Rückführung stünde im Widerspruch zu Art. 3 MRK."

1.8. Die heutige Lage in Afghanistan stellt sich wie folgt dar:

"Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

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Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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