TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/8 I415 2224340-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.11.2019
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Entscheidungsdatum

08.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I415 2224340-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, Staatsangehörigkeit Irak, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX, geb. XXXX, diese vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe und den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Eltern des minderjährigen Beschwerdeführers und zwei minderjährige Brüder und die minderjährige Schwester des Beschwerdeführers stellten am 31.12.2015 nach ihrer schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz. Die Genannten sind Staatsangehörige des Irak und gehören der kurdischen Volksgruppe an.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion XXXX am Tag der Antragstellung legte der Vater des Beschwerdeführers dar, den Namen XXXX zu führen. Er sei am XXXX1985 in XXXX geboren, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und bekenne sich zum Islam. Zuletzt habe er in Erbil gelebt und als Hilfsarbeiter gearbeitet.

Im Hinblick auf den Reiseweg brachte der Vater des Beschwerdeführers zusammengefasst vor, den Irak am 10.12.2015 mit der Mutter des Beschwerdeführers und den gemeinsamen Kindern legal von Erbil ausgehend auf dem Landweg in die Türkei verlassen zu haben. In der Folge sei er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und von dort aus auf dem Landweg zunächst nach Deutschland und dann nach Österreich gelangt.

Zu den Gründen der Ausreise befragt, führte der Vater aus, er habe im Irak unter Armut gelitten und keine Arbeit gefunden. Im Fall der Rückkehr fürchte er sich vor der Armut. Einer seiner Söhne würde außerdem eine medizinische Operation benötigen, die er sich im Irak nicht habe leisten können.

Die Mutter des Beschwerdeführers brachte im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion XXXX vor, den Namen XXXX zu führen. Sie sei am XXXX1992 in XXXX geboren, Angehörige der kurdischen Volksgruppe und bekenne sich zum Islam. Zuletzt habe sie in Erbil gelebt und den Haushalt geführt.

Zu den Gründen der Ausreise befragt, führte sie aus, den Irak aufgrund von Armut und Arbeitslosigkeit verlassen zu haben. Ihr jüngster Sohn benötige außerdem eine medizinische Operation, für die das Geld fehle.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.08.2016 und vom 07.08.2016, Zlen. XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX, wurden die Anträge der Genannten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 7 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates Kroatien für die Prüfung der Anträge zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung der Genannten gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG 2005 angeordnet und festgestellt, dass deren Abschiebung nach Kroatien gemäß § 61 Abs. 2 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Den dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerden wurde mit Erkenntnis vom 07.11.2016 gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG wegen Ablaufs der Überstellungsfrist Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.08.2016 und vom 07.08.2016 behoben und wurden die Anträge internationalen Schutz zugelassen.

Nach Zulassung der Verfahren wurde der Vater des Beschwerdeführers am 10.08.2017 vor dem BFA im Beisein eines gerichtlich beeideten Dolmetschers in der Sprache Sorani niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Vater einvernahmefähig zu sein und die Sprache Sorani zu verstehen. Zu seiner Person legte er konkretisierend dar, den Namen XXXX zu führen und sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung zu bekennen. Seine Mutter sei verstorben, sein Vater lebe ebenso wie seine drei Schwestern und ein Bruder in Erbil. Zwei Brüder hielten sich in Österreich auf. Im Irak habe er zuletzt als Peschmerga gedient und nebenbei als Tischler auf Baustellen gearbeitet. Mit der Mutter des Beschwerdeführers sei er seit dem 12.06.2009 verheiratet.

Befragt nach dem Grund für das Verlassen des Heimatstaates gab der Vater an, er habe in Erbil kein normales Leben führen und regelmäßig die Unterkunft wechseln müssen, da er die Miete nicht bezahlen habe können. Er sei mit seiner Familie oft "auf die Straße gesetzt" worden und habe dann die Nach auf der Straße verbringen müssen. Sein Gehalt als Peschmerga habe er nur unregelmäßig erhalten und sich deshalb nebenbei als Arbeiter verdingen müssen.

Auf Nachfrage legte der Vater dar, nach seiner Ankunft in Österreich seinen Kommandanten telefonisch darüber informiert zu haben, dass er nicht mehr als Peschmerga arbeiten wolle. Der Kommandant habe ihm daraufhin mitgeteilt, dass er ihn in Kurdistan nicht mehr sehen wolle. Auf neuerliche Nachfrage legte der Vater außerdem dar, die Peschmerga hätten seinen Vater festgenommen und diesen verhört. Der Kommandant habe ihm telefonisch ferner mitgeteilt, dass er im Fall einer Rückkehr festgenommen würde. Seinen Ausweis als Peschmerga könne er nicht vorweisen, da er ihn im Irak zurückgelassen habe.

Nach nochmaliger Nachfrage legte der Vater konkretisierend dar, ein Leibwächter seines Kommandanten ihn nach der Einreise angerufen. Dieser habe dann sein Mobiltelefon dem Kommandanten übergeben, der ihn nach dem Grund seiner Ausreise befragt habe. Daraufhin sei ihm eine lebenslange Inhaftierung angedroht worden. Wenn er nun in den Irak zurückkehren würde, müsse er entweder weiterhin seinen Dienst als Peschmerga versehen oder er werde inhaftiert. Die Mutter des Beschwerdeführers und die gemeinsamen Kinder wären im Rückkehrfall keinen Schwierigkeiten ausgesetzt, jedoch sei die Versorgung mit Nahrung und Unterkunft schwierig.

Die Mutter des Beschwerdeführers wurde ebenfalls am 10.08.2017 vor dem BFA im Beisein eines gerichtlich beeideten Dolmetschers in der Sprache Sorani niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Auch die diese bestätigte eingangs einvernahmefähig zu sein und die Sprache Sorani zu verstehen. Zu ihrer Person legte sie konkretisierend dar, den Namen XXXX zu führen und sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung zu bekennen. Ihr Vater sei verstorben, ihre Mutter lebe ebenso wie ihre drei Schwestern und ihres zwei Brüder in Erbil bzw. in der Umgebung von Erbil in der autonomen Region Kurdistan. Im Irak habe sie einige Monate als Friseurin gearbeitet und nach der Eheschließung bis zur Ausreise den Haushalt geführt.

Befragt nach dem Grund für das Verlassen des Heimatstaates legte sie dar, dass im Irak kriegerische Auseinandersetzungen vorherrschen würden. Ihr Ehegatte habe als Peschmerga an Kampfhandlungen teilnehmen müssen. Die gesamte Familie habe in einem kleinen gemieteten Haus gelebt und schwierige Lebensumstände gewärtigen müssen. Für eine Operation ihres Sohnes an dessen Augen habe sie leihen müssen. Dieser Sohn habe in Österreich eine weitere Operation benötigt, da er an einer Hasenscharte leiden würde. Ein anderer Sohn habe aufgrund eines Unfalls am Auge operiert werden müssen.

Auf Nachfrage bekräftigte sie außerdem, keine eigenen Fluchtgründe vorbringen zu wollen. Im Fall einer Rückkehr in den Irak würde sie jedoch keine Existenzgrundlage vorfinden, was auch für die gemeinsamen Kinder gelten würde. Sie werde auch im Fall einer negativen Entscheidung in Österreich bleiben.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.08.2017, Zlen. XXXX, XXXX, XXXX, XXXX und XXXX, wurden die Anträge des Vaters, der Mutter, der zwei Brüder und der Schwester des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten jeweils gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak jeweils gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider die Genannten jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Genannten in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 betrage die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, die vorgebrachte Desertion des Vaters des Beschwerdeführers von den kurdischen Peschmerga und die damit zusammenhängende und von seinem ehemaligen Kommandanten ausgehende Gefährdung werde als nicht glaubhaft erachtet. Die Mutter des Beschwerdeführers habe keine eigenen Ausreisegründe vorgebracht.

Eine Rückkehr in den Irak sei den Genannten möglich und zumutbar, da der Vater gesund und arbeitsfähig sei und er im Fall einer Rückkehr in die autonome Region Kurdistan den Lebensunterhalt seiner Familie sicherstellen könne. Darüber hinaus bestünden familiäre Anknüpfungspunkte aufgrund der in der autonome Region Kurdistan lebenden Verwandten der Eltern des Beschwerdeführers. Die Geschwister der Beschwerdeführer würden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leiden, ihre weitere medizinische Versorgung sei im Irak gewährleistet.

In der im Wege der beigegebenen Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachten gemeinsamen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wurde inhaltliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, die angefochtenen Bescheide abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und den Genannten den Status eines Asylberechtigten oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 vorliegen und den Genannten einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen und schließlich festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig sei und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG 2005 vorliegen und den Genannten eine Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.

In der Sache wird im Wesentlichen vorgebracht, das belangte Bundesamt habe die angefochtenen Bescheide auf unzureichende Länderinformationen gestützt und insbesondere die Einholung von Berichten zur Lage von Kämpfern der Peschmerga, die den Dienst beenden und denen deshalb Verfolgung drohen würde unterlassen. Darüber hinaus habe das belangte Bundesamt nur oberflächliche Berichte über die allgemeine Lage und die Sicherheitslage in der Herkunftsregion der Genannten herangezogen und es gänzlich unterlassen, die Lage der Genannten als fünfköpfige Familie im Irak zu berücksichtigen.

In der Folge werden in der Beschwerde über mehrere Seiten länderkundliche Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat, die Schutzunwilligkeit der irakischen Behörden, die Empfehlung des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge zu innerstaatlichen Fluchtalternativen sowie zur Rückkehr in den Irak und schließlich zur Desertion auszugsweise zitiert. Den Berichten zufolge drohe den Genannten im Fall einer Rückkehr in den Irak asylrelevante Verfolgung.

Am XXXX2018 wurde ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers in Feldbach im Bundesgebiet geboren. Er stellte durch seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin am 23.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Antrag des am XXXX2018 geborenen Bruders auf internationalen Schutz mit Bescheid des BFA vom 30.05.2018, Zl. XXXX, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider den Genannten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 wurde außerdem festgestellt, dass die Abschiebung des Genannten in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 betrage die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Obiger Bescheid des BFA vom 30.05.2018, Zl. XXXX, wurde der Mutter als gesetzliche Vertreterin des Sechstbeschwerdeführers am 01.06.2018 durch Hinterlegung zugestellte. Eine Beschwerde wurde dagegen nicht erhoben.

Mit Erledigung vom 09.07.2018 wurde der Verwaltungsakt seitens des BFA unter Hinweis auf die anhängigen Beschwerdeverfahren der Familienmitglieder des Sechstbeschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

Am 06.02.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Vaters und der Mutter, ihrer rechtsfreundlichen Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Sorani durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Vater und der Mutter - auch in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreter ihrer minderjährigen Kinder - einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich ihre Ausreisemotivation sowie ihre Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen und Anfragebeantwortungen erörtert.

Am XXXX wurde der Beschwerdeführers in Feldbach im Bundesgebiet geboren.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.06.2019, Zlen. L521 2170253, L521 2170255, L521 2170258, L521 2170260, L521 2170261, L521 2201029 wurden die Beschwerden des Vaters, der Mutter und der vier Geschwister des Beschwerdeführers mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 3 FPG 2005 mit 6 Monaten ab Rechtskraft der angefochtenen Bescheide neu festgesetzt wird.

Der Beschwerdeführer stellte durch seine Mutter als seine gesetzliche Vertreterin am 27.06.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach Zulassung des Verfahrens wurde seine Mutter als gesetzliche Vertreterin vor dem BFA RD Burgenland einvernommen. Dabei führte sie aus, dass der Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe und auf Nachfrage bei einer Rückkehr in den Irak auch nichts zu befürchten habe.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 27.06.2019 wurde mit Bescheid des BFA vom 09.09.2019, Zl. XXXX, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider den Genannten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 wurde außerdem festgestellt, dass die Abschiebung des Genannten in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 betrage die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der im Wege der beigegebenen Rechtsberatungsorganisation fristgerecht eingebrachten Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wurde inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert. Zudem habe sich die belangte Behörde überhaupt nicht mit dem Kindeswohl des Beschwerdeführers beschäftigt. Es werde lediglich angeführt, dass für den Beschwerdeführer im Heimatland keine Gefährdung vorläge weil auch die Familie des Beschwerdeführers von der aufenthaltsbeenden Maßnahme betroffen sei und damit auch keine Gefährdung des Kindeswohls bestehe. Weiters wurde moniert, dass es zu einer gravierenden Änderung der Sicherheitslage im Irak gekommen sei und es tagesaktuell nicht danach aussehe, dass sich die Situation im Heimatland des Beschwerdeführers verbessern werde. Auch stelle die Konfliktsituation der Türkei mit den Kurden in Syrien ein Bedrohungspotential für den Irak und sogar für den Kindesvater des Beschwerdeführers dar, da dieser ein Peschmerga sei. Das Kurdengebiet erstrecke sich auch auf den Irak, ein Konflikt der Türkei mit den Kurden in Syrien werde sich unweigerlich auf das gesamte kurdische Gebiet beziehen und die schon jetzt angespannte Situation weiter destabilisieren. Es wurde beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer den Status eines Asylberechtigten oder hilfsweise den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 vorliegen und dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen und schließlich festzustellen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig sei und festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG 2005 vorliegen und dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen. Eventualiter wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der knapp sechs Monate alte irakische Beschwerdeführer ist in Österreich geborener Sohn zweier volljähriger abgelehnter Asylwerber seiner Staatsangehörigkeit sowie der kurdischen Volksgruppe zugehörig. Der Asylantrag seiner drei Brüder (acht, sieben und ein Jahr alt) und seiner fünfjährigen Schwester gleicher Staatsangehörigkeit wurde ebenso abgelehnt. Sämtliche Ablehnungen seiner Familienmitglieder hat dieses Gericht am 05.06.2019 bestätigt.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich schon altersbedingt keine sprachlichen, sozialen oder integrativen Verfestigungen auf und kann aus demselben Grund seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten.

1.1.1. Der Vater des Beschwerdeführers wurde am XXXX1985 in Erbil geboren und lebte dort gemeinsam mit seiner Familie bis zur Ausreise in einem gemieteten Haus im Stadtteil XXXX. Er ist Muslim und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, er ist mit der Mutter des Beschwerdeführers seit dem 12.06.2009 verheiratet und der leibliche Vater des Beschwerdeführers, seiner drei minderjährigen Brüder und seiner minderjährigen Schwester.

Der Vater ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung. Aufgrund einer im Irak eingetretenen Schädigung der Trommelfelle nimmt er fallweise Ohrentropfen ein.

Er besuchte im Irak die Grundschule im Ausmaß von sechs Jahren. Im Alter von 17 Jahren trat er als Arbeiter in das Erwerbsleben ein. Ab dem Jahr 2003 diente er außerdem als Berufssoldat bei den kurdischen Peschmerga, zuletzt als Korporal. Während der dienstfreien Zeit war der er weiterhin als Arbeiter und Tischler auf Baustellen sowie als Taxifahrer tätig. Er verfügt über einen Führerschein für Personen- und Lastkraftfahrzeuge und schwere Anhänger.

Die Großmutter väterlicherseits des Beschwerdeführers verstarb im Jahr 2009 eines natürlichen Todes. Der Großvater väterlicherseits lebt in der autonomen Region Kurdistan in der Stadt Erbil gemeinsam mit zwei der drei Tanten des Beschwerdeführers, er betreibt dort einen Handel mit Altwaren. Eine weitere Tante des Beschwerdeführers ist verheiratet, sie lebt mit ihrem Ehemann und den drei Kindern ebenfalls in Erbil. In Erbil lebt schließlich einer der drei Onkel des Beschwerdeführers, er ist verheiratet, hat sechs Kinder und ist beruflich als Bauarbeiter erwerbstätig.

Zwei weitere Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers leben im Bundesgebiet: XXXX, geb. XXXX, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.04.2015 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. XXXX, geb. XXXX, hält sich aufgrund eines am 03.09.2015 gestellten Asylantrages als Asylwerber im Bundesgebiet auf, wobei der Asylantrag seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vollumfänglich abgewiesen wurde und dagegen eine - noch nicht erledigte - Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben wurde.

Am 12.12.2015 verließ der Vater des Beschwerdeführers den Irak von Erbil ausgehend gemeinsam mit seiner Familie mit dem Reisebus in die Türkei und gelangte in der Folge schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo er am 31.12.2015 in XXXX festgenommen wurde und in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Für die Ausreise und die anschließende Schleppung wendete der Vater des Beschwerdeführers ca. USD 10.000,00 auf.

1.1.2. Die Mutter des Beschwerdeführers führt den Namen XXXX, sie ist Staatsangehörige des Irak und Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Sie wurde am XXXX1992 in Erbil geboren lebte dort gemeinsam mit ihrer Familie bis zur Ausreise in einem gemieteten Haus im Stadtteil XXXX. Sie ist Moslemin und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, sie ist mit dem Vater des Beschwerdeführers seit dem 12.06.2009 verheiratet und die leibliche Mutter des Beschwerdeführers und seiner vier Geschwister.

Sie ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

Sie besuchte im Irak die Grundschule in nicht feststellbarem Ausmaß. Sie ist des Lesens und des Schreibens mächtig. Sie erlernte den Beruf der Friseurin, trat jedoch nicht in das Erwerbsleben ein und widmete sich nach ihrer Eheschließung der Führung des Haushaltes und der Erziehung der Kinder.

Der Großvater des Beschwerdeführers mütterlicherseits verstarb im Jahr 2008 eines natürlichen Todes. Die Großmutter mütterlicherseits lebt in der autonomen Region Kurdistan in der Ortschaft XXXX nördlich von Erbil, sie bezieht eine Witwenpension und ist dadurch finanziell abgesichert. Beschwerdeführer hat drei Tanten mütterlicherseits, die allesamt verheiratet sind, den Haushalt ihrer Familie führen und in der autonomen Region Kurdistan leben: Eine lebt mit ihrer Familie in der Ortschaft XXXX nördlich von Erbil, sie hat drei Kindern. Eine weitere lebt in der Ortschaft XXXX nordöstlich von Erbil, sie hat sechs Kinder. Die dritte Tante lebt in der Stadt Erbil, sie hat fünf Kinder. Zudem hat der Beschwerdeführer zwei Onkel mütterlicherseits, die in der in der Ortschaft XXXX nördlich von Erbil leben. Einer der Onkel ist alleinstehend, der andere verheiratet und Vater zweier Kinder. Ein Onkel dient als Soldat bei den Peschmerga, der zweite Bruder ist derzeit erwerbslos.

Am 12.12.2015 verließ die Mutter des Beschwerdeführers den Irak von Erbil ausgehend gemeinsam mit ihrer Familie mit dem Reisebus in die Türkei und gelangte in der Folge schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo sie am 31.12.2015 in XXXX festgenommen wurde und in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.1.3. Ein Bruder des Beschwerdeführers heißt XXXX, er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX in Erbil geboren und lebte dort gemeinsam mit seiner Familie bis zur Ausreise in einem gemieteten Haus im Stadtteil XXXX. Er verließ den Irak noch vor Erreichen des schulpflichtigen Alters. Er beherrscht Sorani und Deutsch.

Er zog sich am 28.08.2016 beim Spielen eine Verletzung des linken Auges mit einem Holzstück zu und wurde an diesem Tag von der Universitätsaugenklinik des Landeskrankenhauses XXXX eine penetrierende Wunde des Augapfels ohne Fremdkörper linksseitig S05.6 diagnostiziert. Er wurde am 28.08.2016 operativ behandelt und am 03.09.2016 entlassen. Nach Sehverschlechterung und Schmerzen wurde er vom 29.08.206 bis zum 03.09.2016 neuerlich stationär behandelt, jedoch ohne weiteren Eingriff. Am 22.12.2016 wurde die Hornhautnaht linksseitig operativ entfernt. Die Operation gestaltete sich einschließlich des postoperativen Verlaufes komplikationslos. Am 24.09.2018 wurde er zuletzt einer scleralen Fixation an der intraokularen Linse linksseitig an der Universitätsaugenklinik des Landeskrankenhauses XXXX unterzogen. Die Operation gestaltete sich einschließlich des postoperativen Verlaufes komplikationslos.

Er leidet gegenwärtig an Strabismus concomitans divergens H50.1 (Schielen linksseitig), einer Obliquus-Dysfunktion (Dyfunktion der Augenmuskeln), Pseudophakie (Ersatz der natürlichen Linse des Auges durch eine Kunstlinse linksseitig) und Amblyopie (Schwachsichtigkeit des Auges linksseitig) und ist deshalb in der Schielambulanz des Landeskrankenhauses XXXX in Behandlung. Eine vom Vater gewünschte Schieloperation wurde nicht durchgeführt.

Feststellungen hinsichtlich einer erforderlichen regelmäßigen Medikation oder erforderlicher Heilbehelfe oder Therapien können nicht getroffen werden. Eine Okklusionstherapie wurde im Oktober 2017 beendet. Er verfügt derzeit über eine Brille, trägt diese aber nicht mehr.

Ansonsten ist er gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung. Anlässlich einer kinderärztlichen Untersuchung am 20.12.2016 wurde ihm ein guter Allgemeinzustand attestiert.

Am 12.12.2015 verließ er den Irak von Erbil ausgehend gemeinsam mit seiner Familie mit dem Reisebus in die Türkei und gelangte in der Folge schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo er am 31.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.1.4. Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers führt den Namen XXXX, er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX in Erbil geboren und lebte dort gemeinsam mit seiner Familie bis zur Ausreise in einem gemieteten Haus im Stadtteil XXXX. Er verließ den Irak noch vor Erreichen des schulpflichtigen Alters. Er beherrscht Sorani und Deutsch.

Er leidet an einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte Q35.7. Er unterzog sich am 19.01.2017 einer kieferchirurgischen Korrekturoperation samt Restlochverschluss. Die Operation gestaltete sich einschließlich des postoperativen Verlaufes komplikationslos. Seit der Operation am 19.01.2017 waren keine weiteren medizinischen Behandlungen erforderlich.

Feststellungen hinsichtlich einer erforderlichen regelmäßigen Medikation oder erforderlicher Heilbehelfe oder Therapien können nicht getroffen werden.

Ansonsten ist er gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung. Im Entlassungsbrief vom 22.01.2017 wird ihm ein guter Allgemeinzustand attestiert.

Am 12.12.2015 verließ er den Irak von Erbil ausgehend gemeinsam mit seiner Familie mit dem Reisebus in die Türkei und gelangte in der Folge schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo er am 31.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.1.5. Die Schwester des Beschwerdeführers führt den Namen XXXX, sie ist Staatsangehörige des Irak und Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Sie wurde am XXXX in Erbil geboren und lebte dort gemeinsam mit seiner Familie bis zur Ausreise in einem gemieteten Haus im Stadtteil XXXX. Sie verließ den Irak noch vor Erreichen des schulpflichtigen Alters. Sie ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

Am 12.12.2015 verließ sie den Irak von Erbil ausgehend gemeinsam mit ihrer Familie mit dem Reisebus in die Türkei und gelangte in der Folge schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo sie am 31.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.1.6. Ein weiterer Bruder des Beschwerdeführers führt den Namen XXXX, er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX2018 in Feldbach im Bundesgebiet geboren.

Er ist gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung. Er stellte am 23.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.7. Der Vater und die Mutter des Beschwerdeführers verfügen über irakische Ausweisdokumente im Original, nämlich Staatsbürgerschaftsnachweise und Personalausweise. Die im Irak geborenen Geschwister des Beschwerdeführers verfügen ebenfalls über irakische Personalausweise im Original.

1.2. Zu den Ausreisegründen der Beschwerdeführer und zur Rückkehrgefährdung:

Die Mutter des Beschwerdeführers als gesetzliche Vertretung brachte für den am XXXX in Österreich geborenen Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe vor. Er hat demnach dieselben Flucht- und Asylgründe wie seine Familienmitglieder.

Aus dem rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren der Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers ergibt sich wie folgt:

1.2.1. Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers gehören keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in ihrem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund ihrer kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit oder aufgrund ihres sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen.

1.2.2. Die Mutter und Geschwister des Beschwerdeführers brachten ebenfalls keine eigenen asylrelevanten Ausreisegründe vor.

1.2.3. Es konnte nicht festgestellt werden, dass sich der Vater des Beschwerdeführers vor der Ausreise unbefugt vom Dienst bei den kurdischen Peschmerga entfernte und er nunmehr deshalb oder aus anderweitigen Gründen einer von seinem ehemaligen Kommandanten ausgehenden individuellen Gefährdung ausgesetzt wäre oder ihm aus diesem Grund im Fall einer Rückkehr in den Irak und dort in der autonomen Region Kurdistan Strafverfolgung drohen würde.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass der Großvater des Beschwerdeführers väterlicherseits nach der Ausreise des Vaters des Beschwerdeführers aufgrund der Umstände seines Ausscheidens aus dem Dienst bei den kurdischen Peschmerga festgenommen und inhaftiert sowie aus der autonomen Region Kurdistan vertrieben wurde.

1.2.4. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die minderjährigen Geschwister im Fall einer Rückkehr in den Irak und dort in der autonomen Region Kurdistan maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von geschlechtsspezifischer Gewalt, Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit oder Zwangsehe betroffen wären.

1.2.5. Es konnte schließlich nicht festgestellt werden, dass die Familie des Beschwerdeführers vor ihrer Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat einer anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt waren oder sie im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wären. Ihnen droht außerdem im Rückkehrfall keine strafrechtliche Verfolgung.

1.2.6. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Familie des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso konnte keine anderweitige individuelle Gefährdung der Familie festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine im Irak und dort in der autonomen Region Kurdistan drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie im Hinblick auf kriegerische Ereignisse, extremistische Anschläge, stammesbezogene Gewalt oder organisierte kriminelle Handlungen.

1.2.7. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Familie des Beschwerdeführers vor ihrer Ausreise in ihrem Herkunftsstaat von einer existentiellen Notlage und/oder Obdachlosigkeit betroffen waren.

Sie verfügen über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in ihrer Herkunftsregion Erbil sowie über familiäre Anknüpfungspunkte in ihrer Herkunftsregion Erbil in Gestalt der dort lebenden zahlreichen Familienangehörigen.

Der Vater des Beschwerdeführers ist ein junger, gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit grundlegender Ausbildung in der Schule sowie mit im Herkunftsstaat erworbener Berufserfahrung als Arbeiter und Tischler in der Bauwirtschaft sowie als Berufssoldat. Ihm ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung des Familienauskommens im Rückkehrfall möglich und zumutbar.

Die Mutter des Beschwerdeführers ist ebenfalls ein junger, gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit einer im Herkunftsstaat erworbenen Ausbildung als Friseurin. Auch ihr ist die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung des Familienauskommens im Rückkehrfall - soweit es die Betreuungspflicht in Ansehung der minderjährigen Beschwerdeführer zulässt - grundsätzlich möglich und zumutbar.

1.2.8. Die minderjährigen Geschwister verfügen in ihrer Herkunftsregion Erbil über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage, ferner ist eine hinreichende Betreuung durch ihre Eltern und den Familienverband und eine hinreichende Absicherung in ihren altersentsprechenden Grundbedürfnissen gegeben. Den minderjährigen Geschwistern steht ferner kostenfreier und nichtdiskriminierender Zugang zum öffentlichen Schulwesen sowie leistbarer und nichtdiskriminierender Zugang zu einer adäquaten medizinischen Versorgung in der autonomen Region Kurdistan zur Verfügung.

Selbiges gilt auch für den Beschwerdeführer.

1.2.9. Die autonome Region Kurdistan ist im Luftweg direkt mit Linienflügen (Schwechat-Erbil) gefahrlos erreichbar.

1.3. Zur Lage der Familie des Beschwerdeführers im Bundesgebiet:

1.3.1. Die Eltern und die ältesten drei Geschwister des Beschwerdeführers halten sich seit dem 31.12.2015 im Bundesgebiet auf. Sie reisten rechtswidrig in das Bundesgebiet ein.

Ein Bruder wurde am XXXX2018 im Bundesgebiet geboren.

Die Asylanträge seiner Eltern und vier Geschwister wurden vom BFA abgelehnt und wurden von diesem Gericht am 05.06.2019 bestätigt.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX ebenfalls im Bundesgebiet geboren. Er stellte am 27.06.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz und ist seither Asylwerber und verfügt ebenfalls über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Die Familie des Beschwerdeführers lebt nach einer anfänglichen Unterbringung in Übergangsquartieren des Bundes seit dem 18.03.2016 in einer Unterkunft für Asylwerber in der Stadtgemeinde XXXX. Sie beziehen seit der Antragstellung bis dato Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und sind nicht erwerbstätig. Weder der Vater noch die Mutter des Beschwerdeführers haben eine Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in Aussicht.

Der Vater besuchte Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache und absolvierte am 18.12.2018 die Prüfung auf dem Niveau A1. Er verfügt über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache. Die Mutter besuchte keine Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache, sie beherrscht die deutsche Sprache nur in rudimentärem Ausmaß.

Die beiden älteren Geschwister des Beschwerdeführers besuchen die Volksschule XXXX. Die schulpflichtigen Geschwister verfügen über altersadäquate Kenntnisse der deutschen Sprache und pflegen einen altersentsprechenden Umgang mit Freunden und Mitschülern. Die Schwester besucht den Kindergarten in XXXX, der jüngste Bruder wird von der Mutter betreut.

Ein Betreuer des Vaters attestiert ihm Hilfsbereitschaft und Pünktlichkeit, Interesse am Erwerb der deutschen Sprache und soziale Kompetenz sowie das Interesse, seinen im Irak ausgeübten Beruf eines Taxilenkers auch in Österreich ausüben zu können. Eine weitere Betreuerin attestiert ihm Pünktlichkeit und interessierte Mitarbeit beim Deutschunterricht sowie eine gewissenhafte Erledigung der Hausaufgaben. Ein Verein in XXXX bescheinigt ihm und seiner Gattin eine regelmäßige Kontaktaufnahme sowie den regelmäßigen Besuch des "LernCafe" und der Veranstaltungen des "ElternKindZentrums".

1.3.2. Die Mutter hat - von den verfahrensbeteiligten Familienangehörigen abgesehen - im Bundesgebiet keine Verwandten. In Ansehung des Vaters halten sich zwei seiner Brüder mit ihren Familien im Bundesgebiet auf. Die Brüder des Vaters leben in Oberösterreich. Sie besuchen die Familie des Beschwerdeführers etwa einmal, allenfalls zweimal monatlich und unterstützen den Vater in Form der Überlassung von Bekleidung für die minderjährigen Kinder und fallweise durch finanzielle Zuwendungen. Darüberhinausgehende Merkmale einer ein- oder wechselseitigen Abhängigkeit sind nicht feststellbar.

1.3.3. Die Familie des Beschwerdeführers ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war und ist nicht nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG 2005 geduldet. Ihr Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Sie wurden nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

1.4.1. Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Aktuelle Ereignisse

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).

Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED) Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vgl. Reuters). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Am 7.7.2019 begann die "Operation Will of Victory", an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US- geführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal) Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).

Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 9.2019).

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Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www. iraqbodycount. org/database/, Zugriff 15.10.2019

Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Juli 2019 sind 145 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im August 2019 wurden von IBC 93 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert und für September 151 (IBC 9.2019).

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Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www. iraqbodycount. org/database/, Zugriff 15.10.2019

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: "Operation Will of Victory"; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).

Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).

Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019). .

Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen

Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).

Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).

AUTONOME REGION KURDISTAN / KURDISCHE REGION IM IRAK

Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.:

Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019).

Die am 27. Mai initiierte türkische "Operation Claw" gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw) Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019)

Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. ACLED 7.8.2019).

Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor

12.7.2019) . In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan" (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).

NORD- UND ZENTRALIRAK

In den sogenannten "umstrittenen Gebieten", die sowohl von Bagdad als auch von der kurdischen Autonomieregion beansprucht werden, und wo es zu erhebliche Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen, durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Trotz der Zunahme der Sicherheitsvorfälle im gesamten Irak waren die Zahlen im Laufe des Monats August 2019 für den Zentral-Irak jedoch rückläufig (Joel Wing 09.09.2019).

Im Gouvernement Ninewa wurden im Juli 2019 sechs Vorfälle mit 24 Toten verzeichnet, wobei hier der Fund von 18 Leichen älteren Datums eingerechnet ist (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden neun Vorfälle mit 24 Toten und drei Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019). Im September wurden 22 Vorfälle mit 35 Toten und 27 Verletzten registriert, wobei bei fast allen diesen Vorfällen IEDs involviert waren. Außerdem wurde ein Mukhtar ermordet und Mossul mit Mörsergranaten beschossen (Joel Wing 16.10.2019). Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019). Der IS ist stark in der Region vertreten und konnte seine operativen Fähigkeiten erhalten (Joel Wing 5.8.2019). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den rauen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.8.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Einerseits vertreibt der IS Zivilisten aus ländlichen Gebieten, um dort Basen zu errichten, anderseits greift er wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte an (Joel Wing 9.9.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 05.08.2019). Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala, konzentriert sich aber besonders auf die Bezirke Khanaqin und Jalawla im Nordosten, welche die Zentralregierung nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 übernommen hat (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betreffen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gibt es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).

Für Juli 2019 verzeichnete Joel Wing im Gouvernement Diyala 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 41 Vorfälle - die höchste Anzahl seit August 2018, mit 21 Toten und 46 Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019) und im September 37 Vorfälle mit 21 Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019). Im September schlug der IS in fast allen Distrikten des Gouvernements zu (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück. Im Juli gab es eine Reihe von Raketen- und Mörserangriffen auf Städte und Sicherheitskräfte, ansonsten handelte es ich bei den Vorfällen meist um Schießereien und den Einsatz von IEDs (Joel Wing 5.8.2019). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei

Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kirkuk wurden im Juli 2019 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 13 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September 22 Vorfälle mit elf Toten und 19 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Salah ad-Din wurden im Juli 2019 acht Vorfälle mit zehn Toten und acht Verletzten registriert. Zu den Vorfällen zählten zwei Feuergefechte und ein Angriff auf einen Checkpoint (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden sieben Vorfälle mit vier Toten und fünf Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 9.9.2019) und im September zehn Vorfälle mit 13 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS- Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat in den vergangenen Monaten stark fluktuiert (Joel Wing 05.08.2019).

Im Gouvernement Anbar wurden im Juli 2019 fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten registriert (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 waren es vier Vorfälle mit sechs Toten und neun Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September vier Vorfälle mit 19 Toten (Joel Wing 16.10.2019).

Quellen:

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ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019): Regional Overview - Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middleeast-2-october-2019/, Zugriff 7.10.2019

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ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview - Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overviewmiddle-east-4-september-2019/. Zugriff 2.10.2019

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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