TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/10 W209 2192848-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.12.2019
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Entscheidungsdatum

10.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W209 2192842-1/17E;

W209 2192850-1/13E

W209 2192845-1/13E;

W209 2192852-1/14E

W209 2192847-1/13E;

W209 2192848-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl. 1093797501/151691152, betreffend eines Abweisung Antrages auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.12.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl. 1093805603/151691438, betreffend eines Abweisung Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.12.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

III. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl. 1093803609/151691292, betreffend eines Abweisung Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.12.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

IV. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl. 1093802601/151691357, betreffend eines Abweisung Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.12.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

V. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl. 1093801408/151691241, betreffend eines Abweisung Antrages auf Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.12.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

VI. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl. 1093800008/151691179, betreffend eines Abweisung Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.), Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.), Feststellung gemäß § 52 Abs. 9 FPG, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.12.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin XXXX (BF1), eine afghanische Staatsangehörige, ihr Ehemann XXXX (BF2) sowie deren minderjährige Kinder XXXX (BF3), XXXX (BF4), XXXX (BF5) und XXXX (BF6), allesamt afghanische Staatsangehörige, reisten im November 2015 illegal in Österreich ein und stellten, die BF5 und der BF6 vertreten durch ihre Mutter, am 03.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Steiermark am 06.11.2015 führte die BF1 zu ihren Fluchtgründe befragt aus, ihr Leben und das Leben ihres Mannes sei in Gefahr gewesen. Sie habe Angst, dass ihre Söhne mitgenommen werden würden. Es könne sich dabei nur um die Taliban gehandelt haben. Sie habe Angst, dass ihre Kinder Anschläge verüben müssten und unterdrückt werden würden. Sie habe Angst, dass ihre Tochter vergewaltigt werde. So etwas sei dort gang und gäbe.

Der BF2 gab im Rahmen seiner Erstbefragung an, dass sie von den Taliban bedroht worden seien. Seine Söhne seien in einem Alter gewesen, in dem man sie habe mitnehmen wollen. Entweder hätten sie an Anschlägen teilnehmen oder die Eltern hätten den Taliban Lösegeld bezahlen müssen. Sie seien ständig von den Taliban bedroht worden. Sie hätten sich anschließen müssen, oder hätten ihr Leben verloren. Das Lösegeld habe er nicht bezahlen können. In ihrer Umgebung seien sehr viele junge Burschen mitgenommen worden.

Der BF3 gab an, dass er wegen den Taliban das Land verlassen habe, sie hätten versucht junge Männer zu rekrutieren und Werbung gemacht.

Der BF4 gab an, dass es aufgrund des Krieges und der Taliban in Afghanistan keine Sicherheit gegeben habe. Weil er 15 Jahre alt gewesen sei, hätten die Taliban gewollt, dass er für sei arbeite. Auch habe es keine Schulmöglichkeit gegeben. Er sei mit der Grundschule fertig gewesen und hätte für die Taliban arbeiten müssen. Darum habe er dort keine Zukunft gehabt.

3. Am 21.07.2017 wurde die BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg, (in der Folge BFA), im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, einvernommen. Eingangs legte die BF1 diverse Kursbesuchsbestätigungen und Schulnachrichten der minderjährigen Beschwerdeführer vor. Tazkira und Heiratsurkunde habe sie am Weg nach Österreich verloren. Sie sei in Kabul geboren, verheiratet, Mutter von vier Kindern und Tadschikin sunnitischen Glaubens. Sie spreche Dari in Wort und Schrift, Farsi und auch ein wenig Paschtu und Deutsch. Sie sei 12 Jahre in Kabul zur Schule gegangen und habe maturiert. Sie habe eine zweijährige Ausbildung an der Universität gemacht und dann eineinhalb Jahre als Lehrerin in Kabul gearbeitet. Wegen den Mudschaheddin und den anderen Parteien habe sie nicht weiter arbeiten können. Sie sei von 1992 bis 1993 Lehrerin gewesen. Danach sei sie Hausfrau gewesen. Ihr Mann habe ihre Familie ernährt, er habe beruflich als Selbstständiger Satellitenschüsseln montiert. Ihre Adresse im Herkunftsstaat sei XXXX , XXXX in Kabul. Danach hätten sie XXXX , Kunduz gelebt. Sie hätten das Haus in Kunduz etwa 10 Tage vor der Ausreise verkauft. In Afghanistan habe sie nie Probleme mit den Behörden oder Probleme aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion gehabt. In Österreich besuche sie regelmäßig drei Mal in der Woche einen Deutschkurs und zwei Mal in der Woche einen weiteren. Außerdem besuche sie zwei Mal in der Woche ein Sprachcafé und habe einen Schneiderkurs gemacht. Sie würde in Österreich jede Arbeit annehmen und verrichten. Afghanistan habe sie verlassen, weil die Taliban ihre Söhne hätten rekrutieren wollen. Ihr ältester Sohn habe einmal persönlich mit den Taliban gesprochen. Heimgesucht seien sie nie geworden. Die Taliban seien überall. Außerdem habe ein Mann ihre Tochter heiraten wollen.

4. Der BF2 gab im Rahmen seiner Einvernahme durch das BFA am 21.07.2017 an, dass er Tadschike sunnitischen Glaubens sei und 12 Jahre die Schule in Kabul besucht habe. Er habe in Kabul und zuletzt in Kunduz gelebt und sei beruflich selbstständiger Monteur von Satellitenschüsseln gewesen. Er habe Afghanistan verlassen, da es in Kunduz unruhig gewesen sei und die Taliban dort geherrscht hätten. Die Taliban hätten von jeder Familie verlangt, dass die jungen Männer mit ihnen arbeiten sollten. Er habe aus Angst nicht mehr gearbeitet. Auch habe ein machtvoller 35-jähriger Mann seine 13-jährige Tochter heiraten wollen. Wenn er geblieben wäre, hätte dieser vielleicht seine Tochter weggenommen. Die Probleme seien einfach zu viel geworden. Die Taliban hätten in der Moschee einen Vortrag gehalten. Er selbst sei nicht dort gewesen, aber er habe es von seinem Nachbarn gehört. Sein älterer Sohn sei einmal von den Taliban aufgehalten worden. Er sei persönlich nie von den Taliban angesprochen worden, aber wenn sie herausgefunden hätten, dass er Satellitenschüsseln montiere, hätten sie ihn umgebracht. Nirgendwo in Afghanistan sei es sicher.

5. Der BF3 gab im Rahmen seiner Einvernahme durch das BFA am 21.07.2017 zu seinen Gründen für seine Ausreise befragt an, dass er mit den Taliban Probleme gehabt habe. Sie hätten junge Männer aus ihrem Wohnort zu sich bringen wollen. Einmal sei er von drei Taliban aufgehalten worden. Sie hätten ihm vorgeschlagen in den Dschihad zu ziehen, aber er sei damit nicht einverstanden gewesen und habe gewusst, dass das keine gute Idee sei. Zum ersten Mal hab er es nicht ernst genommen. Aber sie hätten es ihm ein weiteres Mal vorgeschlagen und diesmal sei es sehr ernst gewesen. Er habe gesagt, dass er damit einverstanden sei, damit sie ihn in Ruhe lassen würden. Er habe dann Angst gehabt und gewollt, dass diese Leute ihn in Ruhe lassen. Ein anderes Problem sei wegen seiner Schwester gewesen. Ein alter Mann habe sie heiraten wollen und seine Eltern seien damit nicht einverstanden gewesen. Seine Mutter und seine Schwester hätten nicht alleine nach draußen gehen können. Das erste Zusammentreffen mit den Taliban sei ungefähr eine Woche vor dem Problem mit der Schwester gewesen. Das zweite Aufeinandertreffen habe drei Tage später stattgefunden. Das sei 20-23 Tage vor der Ausreise gewesen. Vielleicht sei es auch ein Monat gewesen. Sie hätten von ihm verlangt, dass er mitgehen muss. Bei ihnen zu Hause seien sie nicht gewesen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan müsste er zu den Taliban gehen.

6. Der BF4 gab im Rahmen seiner Einvernahme durch das BFA am 21.07.2017 zu seinen Gründen für seine Ausreise befragt an, dass er die gleichen Gründe habe wie sein Vater. Die Familie sei bedroht worden, damit die Jungen sich den Taliban anschließen.

7. Die BF5 gab im Rahmen seiner Einvernahme durch das BFA am 21.07.2017 zu den Gründen für ihre Ausreise befragt an, dass sie die gleichen Gründe wie ihr Vater habe. Sie habe einen weiteren Grund, nämlich, dass jemand sie heiraten habe wollen. Sie haben diese Person nicht gekannt, es sei ein alter Mann gewesen. Sie habe in Afghanistan auch keine Freiheit gehabt und hätte immer zu Hause bleiben müssen. Sie habe nicht zur Schule gehen können und immer eine männliche Begleitung gebraucht.

8. Am 12.02.2018 wurde die BF1 ein weiteres Mal vom BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie 1992 wegen der Revolution ihr Studium abbrechen habe müssen und dann als Lehrerin gearbeitet habe. Sie habe Biologie und Chemie studiert und in der Unterstufe dann aber alle Fächer, auch Mathematik und Dari, unterrichtet. Diese Tätigkeit habe sie bis Ende 1993 ausgeführt und dann abgebrochen, weil die Sicherheitslage kritisch geworden sei. Die Tadschiken seien normalerweise Intellektuelle, und das sage sie nicht nur, weil sie eine Intellektuelle sei. Im damaligen Afghanistan sei es ein Privileg gewesen, wenn man als Farsi bzw. Dari sprechende Person bezeichnet worden sei. Die Tadschiken seien deswegen hochgeschätzt worden. Als Frau sei sie in Kunduz sehr eingeschränkt gewesen. Sie habe nicht einkaufen und auf die Straße gehen können. Ihre Tochter und sie seien sehr talentiert. Das hätten sie in Afghanistan nicht ausleben können. Sie gehe hier einmal pro Woche am Abend zur Schneiderei. Das hätte sie in Afghanistan zu jener Zeit niemals machen können. Sie gehe einkaufen, spazieren und treffe Freundinnen. Das alles sei in Afghanistan nicht so wie in Österreich gegangen. Sie hätten große Talente hinsichtlich Schneiderei und Modedesign. Ihre Tochter würde gerne Modedesignerin werden. Sie könne zudem sehr gut zeichnen und sei eine richtige Kunstmalerin. Ihr Talent liege eher im Schneidern. Das habe sie auch der Caritas-Betreuerin gesagt. Talente würden in Afghanistan ignoriert werden. Sie seien in Österreich oft im Freien - speziell in Dornbirn oder Feldkirch. Schwimmen könne sie nicht, aber ihre Kinder, diese sein auch im Bodensee gewesen. Ihr Sohn Nazir sei zwei Mal von den Taliban angesprochen worden. Sie hätten eine Zusammenarbeit mit ihm gewollt.

9. Mit Bescheiden vom 22.03.2018 wies das BFA die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und verband diese Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde den Beschwerdeführern nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt (Spruchpunkt VI.).

In den Begründungen der Bescheide traf die belangte Behörde Feststellungen zu den Beschwerdeführern und zur Lage in Afghanistan und hielt fest, dass die Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen hätten können und für sie die innerstaatliche Fluchtalternative Kabul bestünde. Die Beschwerdeführer bzw. deren Eltern würden ihren Lebensunterhalt in Kabul bestreiten können. Es seien im Verfahren keine Anhaltspunkte hervorgetreten, die die Vermutung einer besonderen Bindung der Beschwerdeführer in bzw. an Österreich rechtfertigen würden, weswegen das Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens über die privaten Interessen der Beschwerdeführer zu stellen sei.

10. Gegen die vorliegenden Bescheide erhoben die Beschwerdeführer, zu diesem Zeitpunkt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, mit Schreiben vom 11.04.2018 vollumfänglich Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass die BF1 Afghanistan aus wohlbegründeter Frucht vor Verfolgung seitens der Taliban aufgrund einer ihr unterstellten politischen Gesinnung und mangels der Fähigkeit ihres Heimatsstaates, sie vor dieser Verfolgung zu schützen, verlassen habe. Die BF1 sei mit ihrer Familie in der Provinz Kunduz wohnhaft gewesen, welche aufgrund der Aktivitäten regierungsfeindlicher bewaffneter und aufständischer Gruppen als eine der volatilen Provinzen im Osten Afghanistans gelte. Auch hätten die Taliban weiterhin ihren traditionellen Einfluss in Kunduz. Die Taliban hätten ihren Einfluss genutzt und versucht junge Männer für ihre terroristischen Aktivitäten zu rekrutieren. Nachdem der Sohn der BF1 von der Aufforderung der Taliban erzählt habe, habe sich die Familie entschieden, Afghanistan zu verlassen. Auch könne sich das Bundesverwaltungsgericht bei einer mündlichen Verhandlung selbst von der westlichen Orientierung der BF1 (Kleidung,

Lebensstil, Rechte zu Hause, Kindererziehung, kein Kopftuch, ... )

überzeugen. Sollte dem Vorbringen der BF1 keine Asylrelevanz zugebilligt werden, so seien zumindest die Voraussetzungen der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gegeben. Die Herkunftsprovinz Kunduz sei volatil und aufgrund der landesweit herrschenden prekären und volatilen Sicherheitslage in Afghanistan und des Fehlens eines größeren familiären bzw. sozialen Netzwerks bestehe für die Kernfamilie der BF1 sohin keine innerstaatliche Fluchtalternative.

11. Mit Schreiben vom 22.09.2018 legten die Beschwerdeführer eine Vollmachtsbekanntgabe für den Rechtsanwalt Mag. Julian A. Motamendi vor.

12. Am 28.11.2019 übermittelten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme. Darin wurde ausgeführt, dass es sich bei der BF1 und bei der BF5 um westlich orientierte Frauen handle, die nunmehr ein selbstständiges und selbstbewusstes Leben führen würden und keineswegs gewillt seien, sich den Unterdrückungen und Diskriminierungen gegenüber einer Frau in Afghanistan zu unterwerfen. Die BF1 sei von Anfang an stets bemüht gewesen die deutsche Sprache zu erlernen und spreche mittlerweile bereits Deutsch auf B1-Niveau. Zukünftig würde sie als Friseurin arbeiten wollen und habe sich diesbezüglich auch schon informiert. Sie sei auch ehrenamtlich in einer Schule tätig. Die BF5 spreche schon sehr gut Deutsch und habe die B1 Prüfung erfolgreich absolviert. Sie besuche momentan die Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule in Feldkirch. Die BF5 würde Designerin werden wollen und werde von ihren Eltern in jeglicher Hinsicht unterstützt. Sie habe in einem Theaterstück mitgespielt und nützt jede Chance die ihr in Österreich geboten werde. Die BF5 habe einen Freund. Die Eltern hätten nichts dagegen und würden wollen, dass ihre Tochter glücklich sei. Sowohl die BF1 als die BF5 würden schwimmen gehen, Fahrrad fahren und sich regelmäßig mit ihren Freunden treffen. Zudem gehe die BF5 ins Kino, Bowling spielen und mit ihren Freunden fort. Sie würden nunmehr ein westlich orientiertes Leben führen und sei diese Lebensführung ein Teil ihrer Identität geworden und seien sie nicht gewillt, diese Lebensführung aufzugeben. Die restlichen Beschwerdeführer seien ebenfalls sehr gut in Österreich integriert und würden sehr gut Deutsch sprechen. Der BF2 helfe seiner Frau im Haushalt und unterstütze sowohl sie als auch seine Tochter in ihrem Vorhaben und sei glücklich, dass sich diese weiter entwickeln hätten können.

Der Stellungnahme wurden diverse Empfehlungsschreiben, Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten der Beschwerdeführer, eine Bestätigung eines Gesangkurses der BF1, ein Jahreszeugnis und eine Schulbesuchsbestätigung der Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule Feldkirch der BF5 sowie eine Vielzahl weiterer Integrationsunterlagen angeschlossen.

13. Am 05.12.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der Beschwerdeführer, einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und des rechtlichen Vertreters der Beschwerdeführer durch. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zu den Beschwerdeführern:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige die, bis auf die BF1, allesamt in der Provinz Kunduz geboren und aufgewachsen sind. Die BF1 ist in Kabul geboren und lebte zuletzt mit den übrigen Beschwerdeführern in Kunduz.

Ihre Identität steht nicht fest.

Die BF1 ist mit dem BF2 verheiratet. Der BF3, der BF4, die BF5 und der BF6 sind gemeinsame Kinder der BF1 und des BF2.

Der BF3 ist am XXXX , der BF4 am XXXX , die BF5 am XXXX und der BF6 am XXXX geboren.

Die Beschwerdeführer gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind sunnitische Muslime. Die Beschwerdeführer sprechen Dari.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die BF1 und BF5 wären im Falle ihrer Rückkehr in ihr Herkunftsland der Gefahr einer Verfolgung im asylrechtlichen Sinne ausgesetzt.

Eine Prüfung des Vorbringens der übrigen Beschwerdeführer betreffend eine Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) konnte unterbleiben, weil bereits die Feststellung, dass der BF1 und BF5 eine Verfolgung iSd GFK droht, gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 auf die übrigen Beschwerdeführer als Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 22 leg.cit. durchschlägt und daher keine gesonderte Prüfung der Fluchtgründe der übrigen Beschwerdeführer erfordert (vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418).

1.3 Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan (Gesamtaktualisierung 13.11.2019)

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5. bis 8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.)

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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