TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/23 W180 2173518-1

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Veröffentlicht am 23.12.2019
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Entscheidungsdatum

23.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W180 2173515-1/20E

W180 1419188-3/18E

W180 2173518-1/17E

W180 2173520-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg PECH über die Beschwerden von

1. XXXX , geb. XXXX ,

2. XXXX , geb. XXXX ,

3. XXXX , geb. XXXX und

4. XXXX , geb. XXXX ,

alle StA. Afghanistan, 3. und 4. gesetzlich vertreten durch die Mutter 1., alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.07.2017, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX , 3. Zl. XXXX und 4. Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und ihr gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und ihr gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

IV. Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Zweitbeschwerdeführer (Zl. W180 1419188-3), ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Sadat, reiste als Minderjähriger in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23.08.2010 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.04.2011, Zl XXXX , wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem Zweitbeschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und es wurde ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Zweitbeschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, welche mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15.03.2013, Zl. C18 419.188-1/2011/5E, als unbegründet abgewiesen wurde.

Der inzwischen volljährige Zweitbeschwerdeführer reiste im Mai 2014 freiwillig aus Österreich aus und kehrte nach Afghanistan zurück. Dort heiratete er die Erstbeschwerdeführerin (Zl. W180 2173515-1), ebenfalls eine afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Sadat, und ihre gemeinsame Tochter, die Drittbeschwerdeführerin (Zl. W180 2173518-1), wurde geboren.

2. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer reisten mit der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten gemeinsam am 05.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. In ihrer Erstbefragung am 25.10.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie habe Afghanistan wegen ihres Ehemannes verlassen. Ihr Mann sei von einer Familie bedroht worden, die mit der Heirat der Erstbeschwerdeführerin und ihres Mannes nicht einverstanden gewesen sei. Diese Personen seien "sauer" gewesen, da sie dem Sohn dieser Familie versprochen gewesen sei. Diese Personen hätten sogar den Vater der Erstbeschwerdeführerin getötet. Wären die Erstbeschwerdeführerin und ihre Familie dort geblieben, wären sie wahrscheinlich umgebracht worden. Sie habe Angst um ihr Leben und um das ihrer Familie.

Die Erstbefragung des Zweitbeschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgte ebenfalls am 25.10.2015.

4. Am 09.01.2017 wurde in Österreich der Viertbeschwerdeführer (Zl. W180 2173520-1), der gemeinsame Sohn der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, geboren. Am 22.02.2017 stellte der Zweitbeschwerdeführer als gesetzlicher Vertreter für seinen Sohn einen Antrag auf internationalen Schutz.

5. Die Erstbeschwerdeführerin gab bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 06.03.2017 im Wesentlichen an, sie sei in XXXX , Kabul, Afghanistan geboren worden und habe dort mit ihren Eltern und Geschwistern gelebt. Sie habe nur fünf Jahre die Schule besucht und sonst keine Bildung. Sie habe nicht gearbeitet, da ihr Vater dies nicht gewollt habe. Ihr jetziger Ehemann, der Zweitbeschwerdeführer, sei bereits früher einmal in Österreich gewesen und dann freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Ihre Väter hätten sich von früher gekannt. Ihr jetziger Mann habe nach seiner Rückkehr bei der Familie der Erstbeschwerdeführerin ein Zimmer gemietet. Sie hätten sich verliebt und mit der Zustimmung der Eltern der Erstbeschwerdeführerin dann auch in Kabul geheiratet. Die Erstbeschwerdeführerin sei aber bereits mit einem anderen Mann, dem Cousin ihres Vaters, verlobt gewesen. Dieser Cousin des Vaters sei zunächst damit einverstanden gewesen, dass die Erstbeschwerdeführerin ihren jetzigen Mann geheiratet habe. Der Cousin des Vaters habe dann jedoch seine Meinung geändert und habe sich rächen wollen, da ihr Vater sie dem Zweitbeschwerdeführer zur Frau gegeben habe. Dieser Cousin habe ihren Vater vor ihren Augen erschossen und gedroht, auch die Erstbeschwerdeführerin, ihren Mann und ihre Tochter zu töten. Ihr Mann sei zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend gewesen, sondern erst später nach Hause gekommen. Ihr Vater sei beerdigt worden und zehn Tage nach dem Tod des Vaters hätten sie, ihr Mann und ihre Tochter Afghanistan verlassen.

In Österreich wolle die Erstbeschwerdeführerin zunächst Deutsch lernen. Sie besuche derzeit noch keinen Deutschkurs, habe aber einen beantragt. Sie wolle die Schule machen und danach arbeiten. Sie interessiere sich für viele Arbeiten, hauptsächlich für den Beruf der Köchin.

Die Erstbeschwerdeführerin machte als gesetzliche Vertreterin für ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe geltend.

Die Erstbeschwerdeführerin legte u.a. eine Tazkira, eine Heiratsurkunde, eine Geburtsurkunde ihres Sohnes, Teilnahmebestätigungen für einen Workshop, ein Info-Modul und ein Projekt sowie Empfehlungsschreiben vor.

Der Zweitbeschwerdeführer wurde ebenfalls am 06.03.2017 vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.

Für die polizeiliche Erstbefragung und die Einvernahme vor der belangten Behörde bezüglich der Dritt- und Viertbeschwerdeführer wird auf den Verfahrensgang der Eltern verwiesen. In den Akten der Kinder befinden sich keine eigenen Einvernahmeprotokolle.

6. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 25.07.2017 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

7. Mit Schreiben vom 11.08.2017 erhoben die Erst- bis Viertbeschwerdeführer fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang gegen die genannten Bescheide. Darin wurde insbesondere vorgebracht, die Erstbeschwerdeführerin habe in ihrer Zeit in Österreich die Bedeutung von Frauenrechten kennengelernt und einen neuen Zugang zu ihrer weiblichen Identität gefunden, zumal Frauen in Afghanistan mit weitreichenden Diskriminierungen und Gewalt konfrontiert seien. Aus diesem Grund wolle sie auch, dass ihre Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, in Österreich ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben ohne männliche Bevormundung und Gewaltexzesse sowie mit Zugang zu Bildung führen könne.

8. Am 07.06.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt, bei welcher die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer im Beisein ihrer Rechtsvertretung einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen wurden weitere Dokumente vorgelegt (Deutschkursbesuchsbestätigung Niveau A1 sowie Anmeldebestätigung und Terminkarte für ein Jugendcollege betreffend die Erstbeschwerdeführerin, Bestätigung über Bildungsberatung und Berechtigung zum Besuch einer Handelsakademie für Berufstätige betreffend den Zweitbeschwerdeführer, Kindergruppenbesuchsbestätigung betreffend die Drittbeschwerdeführerin, Sozialbericht der Diakonie).

Im Rahmen der Verhandlung wurden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer u.a. ausführlich zu ihrer Identität, ihrer Herkunft und Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihrem Leben in Afghanistan, ihren Familienverhältnissen, ihren Fluchtgründen, ihrem Leben in Österreich sowie zu ihrer Lebenseinstellung befragt.

9. Mit Schreiben vom 28.06.2018 wurde eine Stellungnahme eingebracht. Darin wurde auf die schlechte Lage der Frauen in Afghanistan hingewiesen. Die Diskriminierung der Frau sei in der afghanischen Gesellschaft extrem tief verwurzelt. Frauen hätten nach wie vor mit massiven Einschränkungen, willkürlicher Bestrafung, Zwangsverheiratung und Rechtelosigkeit zu kämpfen und seien von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Dies betreffe insbesondere Rückkehrerinnen. Das als Errungenschaft angeführte EVAW-Gesetz sei nach wie vor nicht umgesetzt und biete Frauen keinerlei Schutz. Für die Erstbeschwerdeführerin, die aus einer traditionellen Familie komme, würden sich die angesprochenen Einschränkungen noch weitaus massiver darstellen. Die Erstbeschwerdeführerin wäre im Fall einer Rückkehr wegen ihrer (unterstellten) politischen bzw. religiösen Überzeugung bzw. wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der nicht dem in Afghanistan vorherrschenden traditionellen Werteverständnis entsprechenden ("westlich orientierten") Frauen von asylrelevanter Verfolgung bedroht.

10. Mit Schreiben vom 18.03.2019 wurde eine weitere Stellungnahme eingebracht. Mit Schreiben vom 28.05.2019, 11.07.2019 und 06.12.2019 wurden Deutschkursteilnahmebestätigungen und Deutschkurszertifikate der Erstbeschwerdeführerin vorgelegt. Mit Schreiben vom 21.08.2019 und 18.12.2019 wurden Bestätigungen über eine ehrenamtliche Arbeit der Erstbeschwerdeführerin vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer und zu ihren Fluchtgründen:

Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan und gehören der Volksgruppe der Sadat sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam an. Ihre Muttersprache ist Dari.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind miteinander verheiratet. Sie haben in Afghanistan geheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer sind ihre gemeinsamen Kinder und sind nach wie vor minderjährig und ledig.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in XXXX , Kabul, Afghanistan geboren und hat dort gemeinsam mit ihren Eltern und Geschwistern gelebt. Sie ist in einer traditionellen Familie aufgewachsen. Sie besuchte fünf Jahre lang eine Schule in Form von Alphabetisierungskursen. Danach hielt sie sich vorwiegend zu Hause auf und war mit dem Haushalt beschäftigt. Sie musste eine Burka tragen. Sie hat nicht gearbeitet, da ihr Vater dies nicht wollte. Sie verfügte nicht über Geld und konnte nicht selbst einkaufen gehen. Der Zweitbeschwerdeführer wurde ebenfalls in XXXX Kabul geboren. Die Väter der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers waren miteinander befreundet. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben sich ineinander verliebt und im Jahr 2014 in Kabul geheiratet. Der Zweitbeschwerdeführer hat gearbeitet und für den Lebensunterhalt der Familie gesorgt. Die Erstbeschwerdeführerin war Hausfrau. In Kabul wurde im Jahr 2015 ihre Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, geboren. Kurze Zeit später haben sie mit ihrer Tochter Afghanistan verlassen und in Österreich die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Der Viertbeschwerdeführer wurde in Österreich geboren, auch für ihn wurde ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Vater der Erstbeschwerdeführerin ist bereits verstorben. Ihre Mutter und ihre Geschwister (zwei Brüder, sechs Schwestern) leben gemeinsam in Kabul. Die Erstbeschwerdeführerin hat zu ihnen regelmäßig Kontakt. Die Kernfamilie des Zweitbeschwerdeführers (Eltern, Bruder, Schwester) ist bereits verstorben. In Afghanistan hat er lediglich weiter entfernte Verwandte, zu denen er keinen Kontakt hat.

Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer leben in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer sind strafunmündig. Alle Beschwerdeführer nehmen Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.

Die Erstbeschwerdeführerin lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und lebt in Österreich nicht nach dieser Tradition. Erst in Österreich ist es ihr möglich, ein Leben ohne die Einschränkungen zu führen, denen sie in Afghanistan unterworfen war. Sie verlässt alleine das Haus, geht alleine einkaufen, bringt ihre Tochter in den Kindergarten und geht mit ihren Kindern in den Park. Sie hat bereits letztes Jahr einen Deutschkurs besucht und aktuell zunächst von April bis Juni 2019 an einem achtwöchigen Deutsch-Orientierungskurs und im Juli an einem vierwöchigen Deutschkurs teilgenommen; seit September besucht sie dreimal wöchentlich einen weiteren Deutschkurs. Die Erstbeschwerdeführerin möchte ihre Deutschkenntnisse weiter verbessern, eine Ausbildung absolvieren und danach jedenfalls selbst berufstätig sein. Sie interessiert sich vor allem für den Beruf der Köchin, da sie selbst sehr gerne kocht. Weiters möchte sie den Führerschein machen. Sie hat bereits an mehreren Kursen bzw. Workshops sowie an einem Projekt teilgenommen. Sie hat sich schon mehrfach ehrenamtlich betätigt, seit Juli 2019 arbeitet sie einmal pro Woche in einem Second-Hand-Markt und sortiert Kleiderspenden. Die Erstbeschwerdeführerin nimmt das Geld entgegen, das der Familie im Rahmen der Grundversorgung zur Verfügung steht, verwaltet es und bestimmt, wofür in der Familie Geld ausgegeben wird. Die Tochter der Erstbeschwerdeführerin besucht den Kindergarten und die Erstbeschwerdeführerin geht alleine zu Elternabenden. Die Erstbeschwerdeführerin hat in Österreich Rad fahren gelernt. Weiters geht sie laufen und schwimmen. Beim Schwimmen macht es ihr nichts aus, wenn Männer und Frauen gemischt anwesend sind. Der Erstbeschwerdeführerin ist es - wie auch ihrem Ehemann - wichtig, ihren Kindern eine gute Zukunft bieten zu können und sie möchte, dass diese eine gute Ausbildung bekommen und ein freies und selbstbestimmtes Leben führen können. Die Erstbeschwerdeführerin ist gläubige Muslimin, sie betet und besucht die Moschee. Ihr Ehemann ist weniger gläubig, was aber für die Erstbeschwerdeführerin kein Problem ist. Sie respektiert weiters auch andere Glaubensrichtungen. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin unterstützt und fördert die Eigenständigkeit seiner Frau.

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich mithin um eine eigenständige und selbstbewusste junge Frau, deren persönliche Haltung über die Lebensverhältnisse und die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen steht, denen Frauen dort hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zu Erwerbstätigkeit mehrheitlich unterworfen sind. Die nunmehrige Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Familienangehörigen sowie die Erziehung ihrer Kinder in Österreich sind als "westlich", sohin an einem auf ein selbstbestimmtes Leben ausgerichteten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert, zu bezeichnen. Die von der konservativ-afghanischen Tradition geprägten Lebensumstände, welchen die Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan unterworfen war und auch künftig wieder unterworfen wäre, stünden mit jenen, welche sie sich aus freiem Willen zu gestalten wünscht bzw. bereits gestaltet hat, ganz offenkundig in unüberwindbarem Gegensatz. Die Erstbeschwerdeführerin kann es sich nicht vorstellen, wieder nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben.

Gründe, nach denen ein Ausschluss der Beschwerdeführer hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan (Gesamtaktualisierung am 13.11.2019; Auszüge)

1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o. D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

2.969

5.669

8.638

2014

3.701

6.834

10.535

2015

3.565

7.470

11.035

2016

3.527

7.925

11.452

2017

3.440

7.019

10.459

2018

3.804

7.189

10.993

2019*

2.563*

5.676*

8.239*

Insgesamt

32114

59561

91675

* 2019: Erste drei

Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Seraj

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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