TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/8 W144 2197581-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2020
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Entscheidungsdatum

08.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W144 2197581-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX geb., StA. von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.01.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein männlicher Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, bekennt sich zum sunnitischen Glauben und spricht Dari. Er hat seinen eigenen Angaben bei der Erstbefragung zufolge vor zirka 5 Monaten (sohin im Dezember 2015) Afghanistan verlassen und sich über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien sowie Ungarn nach Österreich begeben, wo er am 03.05.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:

Im Verlauf seiner Erstbefragung nach dem Asylgesetz im Polizeianhalzezentrum (PAZ) St. Pölten vom 04.05.2016 gab der BF neben seinen Angaben zum Reiseweg im Wesentlichen an, dass er am XXXX geboren worden sei und die Grundschule 10 Jahre lang in Kabul besucht habe. Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, dass seine beiden Brüder XXXX und XXXX als Dolmetscher für die Amerkianer gearbeitet hätten. Vor ca. 5 Monaten seien 5 bis 6 bewaffnete Taliban zu ihnen nach Hause gekommen und hätten einen weiteren Bruder, nach diesen beiden Brüdern und sodann auch nach dem BF selbst gefragt, jedoch seien sie (alle drei) nicht zu Hause gewesen. Als er nach Hause gekommen sei, hätten XXXX und er beschlossen auszureisen, der Bruder XXXX sei nach Amerika gereist. Er, der BF sei mehrmals bedroht worden, weshalb er Angst um sein Leben habe.

Da der BF im Bundesgebiet - anders als noch in Ungarn, wo er den XXXX als Geburtsdatum angegeben hatte - als minderjährige Person auftrat und zudem augenscheinliche Zweifel an der behaupteten Minderjährigkeit bestanden (vgl. AV vom 10.05.2016, AS 65), wurde ein Handwurzelröntgen durchgeführt und festgestellt, dass in Bezug auf seine Hand links, FFA 76, zur Bestimmung des Knochenalters das Ergebnis "GP 31, Schmeling 4" vorliegt.

In weiterer Folge wurde ein multifaktorielles Altersgutachten eingeholt, welches unter Abwägung mehrerer Teilgutachten zum Ergebnis gelangte, dass das höchstmögliche Mindestalter des BF zum Untersuchungszeitpunkt (am 14.07.2016) 19,6 Jahre betrage, was dem XXXX als spätestmöglichem fiktiven Geburtsdatum entspreche. Das vom BF berichtete Lebensalter sei mit dem festgestellten höchstmöglichen Mindestalter nicht vereinbar, die Differenz betrage 2,06 Jahre. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 03.05.2016 habe der BF ein Mindestalter vom 19,4 Jahren aufgewiesen.

Nach zunächst erfolgter Zurückweisung seines Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG (wegen ungarischer Zuständigkeit) seitens des BFA und Behebung dieser Entscheidung durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.03.2017, Zahl W185 2142414-1/6E, wurde der BF im zweiten Rechtsgang am 03.04.2018 niederschriftlich einvernommen und brachte er vor dem BFA im Wesentlichen Folgendes vor:

Er habe vom 7. bis zum 17. Lebensjahr die Schule in Kabul besucht. Er habe in Kabul bei seinem Onkel mütterlicherseits gelebt, zu dieser Zeit seien seine Eltern und seine Geschwister in XXXX aufhältig gewesen. Seit ca. 18 bis 19 Monaten würden jedoch auch seine Eltern und Geschwister in Kabul leben. Im Bundesgebiet lebe der BF nunmehr von der Grundversorgung. Er habe hier Deutschkurse besucht, auch einen Erste-Hilfe Kurs. Familienangehörige oder sonstige Verwandte habe er in Österreich nicht. Er sei in keinen Vereinen oder Organisationen Mitglied.

Sein Vater habe vor ca. 20 Monaten einen in Pashtu verfassten Drohbrief erhalten, den er in Kopie vorliege. Zwei unbekannte Männer hätten diesen Brief seinem jüngeren Bruder übergeben. Warum der Vater nicht das Original geschickt habe, wisse er nicht. Seine Familie lebe in Kabul, in der Heimatregionen XXXX könnte diese nicht mehr leben. Der Familie gehe es gut, der Vater sei im Ruhestand und sein Bruder arbeite als ehemaliger Schneider in einem Textilgeschäft. In XXXX habe die Familie Grundstücke, welche ein weitschichtiger Verwandter betreue. Im Heimatland habe er noch Angehörige, konkret seine Eltern, 3 Brüder und fünf Schwestern, alle würden in Kabul leben. Zudem lebe ein Onkel in Kabul, fünf Onkel mütterlicherseits würden nach wie vor in XXXX aufhältig sein. Er habe keine wirtschaftlichen Gründe gehabt, seine Heimat zu verlassen. In Kabul könnte er im Falle einer Rückkehr nicht leben, dort sei sein Leben in Gefahr. Seine Brüder XXXX und XXXX hätten als Dolmetscher für die Amerikaner gearbeitet; XXXX 6 Jahre lang, XXXX ein Jahr lang; er wisse nicht, in welchem Jahr dies gewesen sei. Eines Nachts habe es an der Tür geklopft und sein jüngerer Bruder habe geöffnet. Dies sei in XXXX gewesen. Unbekannte bewaffnete Männer, vermutlich Taliban hätten nach diesen beiden Brüdern gefragt. Sein jüngerer Bruder habe geantwortet, dass diese nicht zu Hause seien, und hätten die Männer in der Folge nach ihm, dem BF selbst gefragt. Er sei in Kabul gewesen. Die Männer hätten das Haus wieder verlassen. Sein Vater habe noch in derselben Nacht seinen Onkel in Kabul angerufen und habe ihn der Onkel am nächsten Tag nach Hause zu seinem Vater gebracht. Sie hätten in der Folge den Bruder XXXX in Kabul angerufen, der ihm geraten habe, das Land zu verlassen. Noch am selben Tag nächtens sei er mit dem Onkel zurück nach Kabul gefahren, sei dort noch ca. zwei Tage und zwei Nächte verblieben und in der Folge mit dem Bruder XXXX von Kabul aus aus Afghanistan ausgereist. In Kabul selbst habe es keine Bedrohung gegeben, jedoch sei der Drohbrief in Kabul zugestellt worden, sie seien zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr im Heimatland gewesen. Der Drohbrief seit dem jüngeren Bruder in Kabul an der Haustüre übergeben worden. Der andere Bruder, XXXX , sei nach Amerika ausgereist. Er wisse nicht, warum seinem jüngeren Bruder, welcher die Männer getroffen habe, nie etwas passiert sei. Die ganze Familie sei bedroht. Nach Vorhalt, dass seine Familie doch nach wie vor in Afghanistan lebe, erklärte der BF, dass die Familie heimlich dort lebe. Wenn jemand für die Amerikaner gearbeitet habe, dann werde diese Person getötet. Nach Vorhalt dass er selbst jedoch nicht für die Amerikaner gearbeitet habe, gab der BF an, dass oft auch Angehörige von Dolmetschern getötet werden würden. Nach Nachfrage könne er nicht angeben wo genau sein Bruder XXXX gearbeitet habe, es sei in Kandarhar gewesen. Der Bruder habe eine Prüfung abgelegt, er wisse nicht wie. Nach Vorhalt, dass die Familie nicht heimlich in Kabul leben könne, wenn der Bruder ein Textilgeschäft in Kabul betreibe, gab der BF an, dass der Bruder Textilien verkaufe, er wisse jedoch nicht, wo sich das Geschäft befinde bzw. wie dieses heiße. Außerdem übernachte der Bruder oft im Textilgeschäft und nicht zu Hause.

Unter einem legte der BF nachstehende Bestätigungen vor:

* Drohbrief in Pashtu

* diverse Deutschkursbestätigungen

* Empfehlungsschreiben

* Tazkira, inklusive englische Übersetzung

* diverse Fotos vom Bruder und vom BF selbst

* Bestätigung Erste-Hilfe-Kurs

* Bestätigung Werte- und Orientierungskurs

Mit Bescheid vom 27.04.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) idgF (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. ab (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte IV und V.), und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde zusammengefasst zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass es dem BF nicht gelungen sei, den vorgebrachten Fluchtgrund glaubhaft zu machen. In Bezug auf Spruchpunkt II. wurde sinngemäß festgehalten, dass es dem BF möglich sei, die existenziellen Grundbedürfnisse zu sichern, zumal er auch Verwandtschaft in Afghanistan habe und er auch in Mazar-e-Sharif oder Herat eine Ansiedlungsalternative finden würde; es sei in Afghanistan keine landesweite extreme Gefahrenlage vorhanden. Zu Spruchpunkt IV. wurde erwogen, dass sich die Aufenthaltdauer von rund 2 Jahren gemessen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als zu gering erweise, um von einer nachhaltigen Integration ausgehen zu können und er kein Familienleben im Bundesgebiet führe. Es überwiege das öffentliche Interesse an seiner Ausweisung, weshalb eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde, in welcher im Wesentlichen darauf hinwies, dass laut Berichterstattung Zivilisten, die verdächtigt werden mit internationalen Streitkräften zusammenzuarbeiten, in erhöhtem Maße gefährdet seien, ebenso wie Zivilisten, die vermeintlich die Regierung oder die internationalen Gemeinschaften unterstützen würden. Der BF habe Drohbriefe vorgelegt, wobei ebenfalls bekannt sei, dass Taliban zuweilen Drohbriefe verteilen. Das Verfahren, insbesondere die Beweiswürdigung sei mangelhaft geblieben und würde aufgrund der Allgemeinsituation auch keine innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul oder Herat bestehen. Verwiesen wurde auf einen Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe vom März 2016 bezüglich Drohbriefe der Taliban, sowie auf einen Lagebericht von Stahlmann zur Allgemeinsituation in Afghanistan.

Der BF ist seit 10.01.2019 unbekannten Aufenthalts.

Am 08.01.2020 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, zu welcher der BF jedoch nicht erschienen ist, sodass, da auch das BFA keinen Vertreter entsendet hat, in Abwesenheit der Parteien verhandelt wurde (Protokollauszug):

"Vorgehalten wird, dass das Vorbringen des BF nicht glaubwürdig erscheint. So hat er im Rahmen der Erstbefragung angegeben, dass er mehrmals bedroht worden sei. Was sich jedoch angesichts seiner Angaben vor dem BFA als nicht haltbar herausstellt, da eine

persönliche Bedrohung, noch dazu mehrmals nicht erfolgt ist. [ ... ]

Weiters fällt auf, dass das Vorbringe des BF zur Bedrohungssituation sehr vage und unbestimmt gehalten ist, und er bei der Nachfrage der Details oftmals keine Antwort erstatten kann.

Es wird nicht verkannt, dass der BF Fotos von seinen Brüdern vorgelegt hat, die diese als Dolmetscher für die Amerikaner zeigen sollen, was letztlich nicht in Abrede gestellt werden kann, doch kann hieraus alleine noch kein Bedrohungsszenario für den BF bzw. für dessen Familie erkannt werden. Für eine mangelnde Bedrohung im Heimatstaat spricht auch der Umstand, dass sich die Familie des BF Eltern, ein Bruder, mehrere Schwestern und Onkel in Kabul aufhalten. Soweit der BF diesbezüglich einwendet, dass sich die Familie versteckt halte, ist zu entgegnen, dass derartiges nicht nachvollziehbar erscheint, wenn etwa ein Verwandter in einem Textilgeschäft arbeitet. Zudem hat der BF auf die Nachfrage wie es seiner Familie in Kabul gehe spontan geantwortet, dass es dieser gut gehe, sein Vater im Ruhestand sei und sein Bruder als ehemaliger Schneider in einem Textilgeschäft arbeite - von einer Bedrohung bzw. Gefahrenlage in der sich die Familie befinden würde, hat der BF spontan nichts erwähnt, sondern erst später nach Vorhalt pauschal behauptet, dass Angehörige von Dolmetschern generell bedroht seien.

Zudem ist durch ein eingeholtes Altersfestellungsgutachten evident, dass der BF unrichtige Angaben zu seinen Personalien angegeben hat, wenn er in Bundesgebiet unter dem Geburtsdatum XXXX aufgetreten ist, da dieses Alter um mindestens zwei Jahre vom tatsächlichen Mindestalter abweicht. Vor dem Hintergrund, dass der BF in Ungarn unter dem Geburtsdatum XXXX aufgetreten ist, ist ersichtlich, dass er keine scheue zeigt, unwahre Angaben zu Protokoll zu geben.

Der BF hätte die Gelegenheit gehabt diesbezüglich Stellung zu nehmen und sein Vorbringen allenfalls glaubhaft darzulegen.

Weiters wird vorgehalten, dass selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung stünde, im konkreten Einzelfall allenfalls auch Kabul, wo sich eine vielzahl von Verwandten des BF aufhält. Diesbezüglich wird zur allgemein Situation das aktuelle LIB zu Afghanistan vorgehalten, ebenso die UNHCR-Guidlines vom August 2018 und die EASO Country Guidance. Auch diesbezüglich hätte der BF Stellung nehmen können."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF war bereits zum Antragszeitpunkt entgegen seiner Behauptungen volljährig. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, spricht Dari und bekennt sich zum sunnitischen Glauben. Der BF hat Familienangehörige in Kabul, konkret seine Eltern, 3 Brüder und mehrere Schwestern sowie einen Onkel. Ein Bruder arbeitet als Schneider in einem Textilgeschäft in Kabul.

Nicht festgestellt werden kann hingegen, dass der BF selbst einer Bedrohungssituation aufgrund einer Dolmetscher-Tätigkeit zweier seiner beiden Brüder für die Amerikaner ausgesetzt gewesen ist.

Der BF leidet an keinen Krankheiten.

Der BF, der sich seit Mai 2016 im Bundesgebiet befindet, lebt nicht in einer Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft und ist ledig sowie kinderlos. Im österreichischen Bundesgebiet halten sich keine Familienangehörige oder Verwandte auf. Der BF hat einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 besucht und erfolgreich absolviert, weiters einen Werte und Orientierungskurs im September 2017 sowie einen Basisbildungskurs im März 2018, zudem einen erste Hilfe Grundkurs im Juli 2017. Seitens der Gemeinde XXXX liegt eine Bestätigung vom März 2018 über ehrenamtliche Hilsftätigkeiten vor.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan landesweit Lebensgefahr oder Eingriffe in seine körperliche Integrität, etwa von Seiten der Taliban drohen.

Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan wird Folgendes festgestellt:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o. D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

2.969

5.669

8.638

2014

3.701

6.834

10.535

2015

3.565

7.470

11.035

2016

3.527

7.925

11.452

2017

3.440

7.019

10.459

2018

3.804

7.189

10.993

2019*

2.563*

5.676*

8.239*

Insgesamt

32114

59561

91675

* 2019: Erste drei

Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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