TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/23 W180 2177746-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.01.2020
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Entscheidungsdatum

23.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W180 2177748-1/20E

W180 2177746-1/23E

W180 2177751-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Georg PECH über die Beschwerden von

1. XXXX , geb. XXXX ,

2. XXXX , geb. XXXX und

3. XXXX , geb. XXXX ,

alle StA. Afghanistan, 3. gesetzlich vertreten durch die Mutter 1., alle vertreten durch RA Mag. Martin Sauseng, Jakominiplatz 16, 8010 Graz, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.11.2017, 1. Zl. XXXX , 2. Zl. XXXX und 3. Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und ihr gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III. Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und ihr gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (Zl. W180 2177748-1), eine afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken, reiste mit ihrem Ehegatten, dem Zweitbeschwerdeführer (Zl. W180 2177746-1), und ihrer minderjährigen Tochter, der Drittbeschwerdeführerin (Zl. W180 2177751-1), in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte gemeinsam mit diesen am 23.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In ihrer Erstbefragung am 23.10.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie stamme aus XXXX , Afghanistan. Sie habe in Pakistan 12 Jahre die Schule besucht und mit der Reifeprüfung abgeschlossen. Später habe sie in XXXX in Afghanistan gelebt. Zu ihrem Fluchtgrund führte sie an, sie habe Angst in ihrem Heimatland, weil es keine Sicherheit gebe und die Regierung sie nicht beschützen könne. Sie habe Angst, vernichtet zu werden. Die Taliban seien dort. Es habe Drohungen seitens der Taliban gegeben, weil die Erstbeschwerdeführerin Lehrerin gewesen sei. Ihre Familie würde dadurch bedroht, wenn sie weiter unterrichten würde. Ihr sei gesagt worden, dass sie sich nicht wundern solle, wenn ihrem Ehegatten oder ihrer Tochter dann etwas passiere. Die Taliban würden nicht wollen, dass eine Frau überhaupt aus dem Haus gehe. In deren Augen sei eine Frau nichts wert. Es habe auch mehrmals Giftanschläge auf Schulen in ihrer Heimat gegeben. Sie sei selbst einmal betroffen gewesen und habe deshalb ins Spital müssen. Die Drohungen seien auch gegenüber ihrem Ehegatten ausgesprochen worden. Im Fall einer Rückkehr in ihre Heimat habe die Erstbeschwerdeführerin Angst um ihr Leben und das Leben ihrer Familie.

Die Erstbefragung des Zweitbeschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgte ebenfalls am 23.10.2015.

3. Die Erstbeschwerdeführerin gab bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 04.09.2017 im Wesentlichen an, nachdem sie von Pakistan nach Afghanistan zurückgekommen sei, sei sie vier oder fünf Jahre lang als Lehrerin tätig gewesen. Sie habe in der Stadt XXXX gelebt. Sie habe zunächst zwei Jahre lang an einer Schule unterrichtet und sei eines Tages auf dem Weg zur Schule bedroht worden. Ein Mann habe zu ihr gesagt, sie sei eine Frau, sie solle zu Hause bleiben und nicht als Lehrerin arbeiten. Später habe sie dies ihrem Ehemann erzählt, der gesagt habe, sie solle selbst entscheiden, ob sie weiter unterrichten wolle. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich dafür entschieden, weiter zu unterrichten und habe in eine Schule gewechselt, die nicht so weit entfernt von ihrem Haus gewesen sei. Sie sei wieder bedroht worden. Ein Mann habe sie morgens auf dem Schulweg aufgehalten und eine Flasche in der Hand gehabt. Er habe gesagt, er würde das Gesicht der Erstbeschwerdeführerin mit dieser Säure übergießen, wenn sie das nächste Mal in die Schule gehen würde. Sie habe ihrem Mann auch von diesem Vorfall erzählt und seither habe ihr Mann sie mit dem Auto in die Schule gebracht und auch wieder dort abgeholt. Kurze Zeit später habe man in ihrer Schule mit einem Spray ein Giftmittel versprüht und versucht, die Leute zu vergiften. Die Schüler seien ins Krankenhaus gebracht worden und die Erstbeschwerdeführerin sei von ihrem Mann abgeholt und zu Hause verarztet worden. Sie habe trotz alledem weitergemacht. Dann sei ihr Mann, der als Kassier in einer Bank gearbeitet habe, bedroht worden und man habe dessen Bruder, ihren Schwager, getötet. Da habe ihr Mann entschieden, dass sie Afghanistan verlassen sollten.

In Österreich besuche die Erstbeschwerdeführerin Deutschkurse und ihre Tochter besuche die Schule.

Die Erstbeschwerdeführerin machte als gesetzliche Vertreterin für ihre Tochter keine eigenen Fluchtgründe geltend.

Die Erstbeschwerdeführerin legte u.a. ihre Tazkira und die ihrer Tochter, Dienstausweise, verschiedene Bestätigungen und Zertifikate über besuchte Workshops und Seminare sowie über die Tätigkeit als Lehrkraft, eine Deutschkursbestätigung, Arztbefunde und Schulzeugnisse und Schulbesuchsbestätigungen ihrer Tochter in Österreich vor.

Der Zweitbeschwerdeführer wurde ebenfalls am 04.09.2017 vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.

Für die polizeiliche Erstbefragung und die Einvernahme vor der belangten Behörde bezüglich der Drittbeschwerdeführerin wird auf den Verfahrensgang der Eltern verwiesen. Im Akt der Drittbeschwerdeführerin befinden sich keine eigenen Einvernahmeprotokolle.

4. Mit den angefochtenen Bescheiden vom 10.11.2017 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

5. Mit Schreiben vom 19.11.2017 erhoben die Erst- bis Drittbeschwerdeführer fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang gegen die genannten Bescheide. Darin wurde insbesondere vorgebracht, die Erstbeschwerdeführerin sei wegen ihrer Tätigkeit als Lehrerin von Taliban-Terroristen mit dem Umbringen bedroht worden. Zudem weise die Erstbeschwerdeführerin eine westliche Lebenseinstellung auf und wünsche, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan wäre sie einer geschlechtsspezifischen Verfolgung ausgesetzt. Als westlich orientierte Frau habe sie eine Haltung, die den konventionellen afghanischen Werten widerspreche. Sie sei sich der sozio-kulturellen Problematik der Stellung der Frau in Afghanistan bewusst und könne sich mit der konservativen Wertehaltung der dortigen Gesellschaft diesbezüglich nicht abfinden. Die Erstbeschwerdeführerin habe die Rechte und die Lebensweise von Frauen in Österreich als selbstverständlich angenommen und wisse dies zu schätzen.

6. Am 27.04.2018, fortgesetzt am 27.06.2018, fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt, bei welcher die Erst- bis Drittbeschwerdeführer im Beisein ihrer Rechtsvertretung einvernommen wurden. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. In Ergänzung der bereits vorgelegten Unterlagen wurden weitere Dokumente vorgelegt (u.a. Deutschkursbestätigung und Teilnahmebestätigung für einen Werte- und Orientierungskurs und für ein Integrationsprojekt sowie Unterlagen bezüglich einer Deutsch-Konversationsgruppe, eines Frauenfrühstücks und eines Frauenschwimmkurses betreffend die Erstbeschwerdeführerin, Mietvertrag für Geschäftsräumlichkeiten und Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem betreffend den Zweitbeschwerdeführer, Empfehlungsschreiben).

Im Rahmen der Verhandlung wurden die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer u.a. ausführlich zu ihrer Identität, ihrer Herkunft und Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, ihrem Leben in Afghanistan und in Pakistan, ihren Familienverhältnissen, ihren Fluchtgründen, ihrem Leben in Österreich sowie zu ihrer Lebenseinstellung befragt. Ergänzend wurde auch die Drittbeschwerdeführerin im Beisein ihrer Eltern einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer und zu ihren Fluchtgründen:

Alle Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan. Die Erstbeschwerdeführerin gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, ihre Muttersprache ist Dari. Der Zweitbeschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Usbeken an, seine Muttersprache ist Usbekisch. Alle Beschwerdeführer gehören der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an.

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind miteinander verheiratet. Sie haben im Jahr 2005 in Pakistan geheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin ist ihre gemeinsame Tochter und ist nach wie vor minderjährig und ledig.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in Afghanistan in der Provinz Kunduz, Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und hat zunächst dort mit ihrer Familie gelebt. Die erste bis sechste Schulstufe hat die Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan besucht. Dann ist ihre Familie mit ihr nach Pakistan gezogen, wo die Erstbeschwerdeführerin die Schule ab der siebten Klasse fortgesetzt und auch abgeschlossen hat. Nach dem Schulabschluss war die Erstbeschwerdeführerin in Pakistan an der Schule, die sie selbst besucht hat, vier Jahre lang als Lehrerin tätig. Ihren Ehemann, den Zweitbeschwerdeführer, hat die Erstbeschwerdeführerin über ihren Schwager, den Ehemann ihrer Schwester, kennen gelernt. Der Zweitbeschwerdeführer stammt aus Afghanistan, Provinz Balkh, Distrikt XXXX , Dorf XXXX . Nach der Hochzeit in Pakistan bekam der Zweitbeschwerdeführer eine Arbeitsstelle in XXXX , Afghanistan und die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind im Jahr 2006 gemeinsam nach XXXX übersiedelt, wo sie bis zur Ausreise gelebt haben. Dort wurde die Drittbeschwerdeführerin geboren. Die Erstbeschwerdeführerin war zunächst Hausfrau, dann gelang es ihr, in XXXX wieder eine Stelle als Lehrerin zu finden. Die Erstbeschwerdeführerin war aufgrund ihrer Tätigkeit als Lehrerin Bedrohungen ausgesetzt und wechselte aus diesem Grund an eine andere Schule, wo sie jedoch erneut bedroht wurde. Die Beschwerdeführer haben Afghanistan im Jahr 2015 verlassen und schließlich in Österreich die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gestellt.

Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin ist bereits verstorben. Der Vater und der Bruder der Erstbeschwerdeführerin haben zuletzt in der Provinz Kunduz gelebt, sie weiß jedoch nicht, wo sich diese derzeit aufhalten und hat keinen Kontakt zu ihnen. Die Schwester der Erstbeschwerdeführerin ist verheiratet und lebt in XXXX . Die Erstbeschwerdeführerin hat weiters eine Tante väterlicherseits in Deutschland, zu der sie Kontakt hat, sowie eine Tante mütterlicherseits, die sie jedoch noch nie getroffen hat. Der Zweitbeschwerdeführer hat an Familienangehörigen nur mehr einen Bruder, der in Kuwait lebt und zu dem er Kontakt hat, weiters eine Schwester und einen Onkel mütterlicherseits, die in XXXX wohnen. Zu den beiden letztgenannten hat er keinen Kontakt.

Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer leben in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten. Die Drittbeschwerdeführerin ist strafunmündig. Die Beschwerdeführer nehmen keine Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch.

Die Erstbeschwerdeführerin lehnt die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und lebt in Österreich nicht nach dieser Tradition. Sie ist nun in der Lage, so zu leben, wie es ihren Wünschen und ihrer inneren Überzeugung entspricht. Erst in Österreich ist es ihr möglich, sich unbefangen in der Öffentlichkeit zu bewegen und gefahrlos das Haus alleine verlassen zu können. In Pakistan und Afghanistan verfolgte sie zielstrebig ihre Ausbildung und war um ihr berufliches Fortkommen bemüht, konnte ihrer Tätigkeit als Lehrerin allerdings nicht uneingeschränkt und ungefährdet nachgehen. In Österreich hat sich die Erstbeschwerdeführerin bereits Deutschkenntnisse angeeignet. Sie möchte diese noch weiter verbessern und besucht deshalb mehrmals in der Woche Deutschkurse. Ihr Ziel ist es, ihren ursprünglichen Beruf als Lehrerin hier ausüben zu können. Der Zweitbeschwerdeführer hat sich in Österreich bereits im Jahr 2017 selbständig gemacht und ein Lebensmittelgeschäft eröffnet, das er weiterhin betreibt, sodass die Familie selbsterhaltungsfähig ist. Die Erstbeschwerdeführerin arbeitet bei ihrem Mann im Geschäft mit. Ansonsten bringt die Erstbeschwerdeführerin ihre Tochter in die Schule und holt sie ab. Nachmittags hilft sie ihrer Tochter bei ihren Hausaufgaben. Die Erstbeschwerdeführerin geht zu Elternsprechtagen und Elternabenden in der Schule ihrer Tochter. Die Erstbeschwerdeführerin hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen und besucht einen Frauenschwimmkurs. Sie geht alleine einkaufen und fährt alleine mit ihrer Tochter mit dem Zug zu Besuch zu ihren ehemaligen Nachbarinnen im früheren Wohnort. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nahm die Erstbeschwerdeführerin an einem Integrationsprojekt teil. Weiters sind die Erstbeschwerdeführerin und ihre Familie sehr gut integriert. Sie haben Freunde und Unterstützer in Österreich, die mit ihnen gemeinsame Unternehmungen machen, wie etwa Wandern oder Konzertbesuche. Auch wurden sie in die Kirche eingeladen und haben an Festen teilgenommen. Die Erstbeschwerdeführerin hat auch bereits an Veranstaltungen speziell für Frauen teilgenommen und plant, ein "Frauenfrühstück" zu besuchen. Die Erstbeschwerdeführerin wünscht sich für ihre Tochter, dass diese weiter die Schule besucht und künftig selbst entscheidet, was sie machen möchte. Sie wird ihrer Tochter auch die zukünftige Partnerwahl überlassen. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung besuchte die Drittbeschwerdeführerin die vierte Klasse Volksschule und war für die Neue Mittelschule angemeldet. Die Drittbeschwerdeführerin möchte einmal Ärztin werden, da sie kranken Menschen helfen möchte. Der Zweitbeschwerdeführer ist ein sehr freidenkender Mensch. Er und die Erstbeschwerdeführerin erziehen ihre Tochter liberal. Weiters unterstützt und fördert der Zweitbeschwerdeführer die Erstbeschwerdeführerin in allen Belangen und wünscht sich, dass diese künftig wieder in ihrem Beruf als Lehrerin arbeiten kann.

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich mithin um eine eigenständige und selbstbewusste Frau, deren persönliche Haltung über die Lebensverhältnisse und die grundsätzliche Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft im eindeutigen Widerspruch zu den in Afghanistan bislang vorherrschenden gesellschaftlich-religiösen Zwängen steht, denen Frauen dort hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zu Erwerbstätigkeit mehrheitlich unterworfen sind. Die Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Familienangehörigen sowie die Erziehung ihrer Tochter in Österreich sind als "westlich", sohin an einem auf ein selbstbestimmtes Leben ausgerichteten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert, zu bezeichnen. Die von der konservativ-afghanischen Tradition geprägten Lebensumstände, welchen die Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan unterworfen war und auch künftig wieder unterworfen wäre, stünden mit jenen, welche sie sich aus freiem Willen zu gestalten wünscht bzw. bereits gestaltet hat, ganz offenkundig in unüberwindbarem Gegensatz. Die Erstbeschwerdeführerin kann es sich nicht vorstellen, nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben.

Gründe, nach denen ein Ausschluss der Beschwerdeführer hinsichtlich der Asylgewährung zu erfolgen hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan (Gesamtaktualisierung am 13.11.2019; Auszüge)

1. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o. D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

2.969

5.669

8.638

2014

3.701

6.834

10.535

2015

3.565

7.470

11.035

2016

3.527

7.925

11.452

2017

3.440

7.019

10.459

2018

3.804

7.189

10.993

2019*

2.563*

5.676*

8.239*

Insgesamt

32114

59561

91675

* 2019: Erste drei

Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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