TE Vwgh Erkenntnis 1998/4/28 96/02/0396

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Veröffentlicht am 28.04.1998
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Index

L40056 Prostitution Sittlichkeitspolizei Steiermark;
L70706 Theater Veranstaltung Steiermark;
L70716 Spielapparate Steiermark;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
24/01 Strafgesetzbuch;
41/06 Pornographie;

Norm

ABGB §879 Abs1;
PornG 1950 §1;
ProstG Stmk 1998;
StGB §218;
VeranstaltungsG Stmk 1969 §16 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des K in Wagendorf, vertreten durch Dr. Hans Kortschak, Rechtsanwalt in Leibnitz, Hauptplatz 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 10. Juli 1996, Zl. UVS 30.5-26/95-2, betreffend Übertretung des Steiermärkischen Veranstaltungsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz vom 12. April 1995 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe in dem von ihm betriebenen Gastlokal L. (bordellähnlicher Betrieb) am 4. Mai 1994 von 01.00 Uhr bis 01.15 Uhr und am 20. Mai 1994 von 23.15 Uhr bis 23.30 Uhr einen Mann und eine Frau auf einer Bühne im Gastraum "verbotene sittenwidrige Handlungen" ausführen lassen, obwohl solche Veranstaltungen verboten seien. Der Mann und die Frau hätten in unbekleidetem Zustand Geschlechtsverkehr in verschiedenen Variationen durchgeführt. Der Beschwerdeführer habe dadurch § 16 Abs. 1 des Steiermärkischen Veranstaltungsgesetzes (im folgenden kurz: VAG), LGBl. Nr. 192/1969, verletzt. Es wurde über ihn eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Weiters wurde dem Beschwerdeführer der Ersatz der Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 10. Juli 1996 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 24 VStG mit der Maßgabe ab, daß die Übertretungsnorm "§ 19 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 Abs. 1

Stmk. Veranstaltungsgesetz" zu lauten habe. Im übrigen wurden dem Beschwerdeführer die Kosten des Berufungsverfahrens vorgeschrieben.

In der Begründung führte die belangte Behörde unter anderem aus, bei der Bewertung der unbestritten gebliebenen und zu den angeführten Tatzeiten festgestellten "öffentlichen Darbietungen" nach dem Kriterium "sittenwidrig" im Sinne des § 16 Abs. 1 VAG sei von dem "in unserem Kulturkreis bestehenden sexuellen Moralbegriff" auszugehen. Danach sei zu beurteilen, ob die öffentliche Zurschaustellung eines Geschlechtsverkehrs als "sittlich einwandfreies, den geltenden moralischen Grundsätzen unserer Gesellschaft angepaßtes Verhalten oder aber als eine sittenwidrige, gegen die guten Sitten verstoßende Handlung" anzusehen sei. Im Sinne der "anzustellenden Betrachtungsweise" stehe für die belangte Behörde fest, daß es sich bei den vom Beschwerdeführer durchgeführten Veranstaltungen um sittenwidrige und somit verbotene Veranstaltungen im Sinne des VAG gehandelt habe.

Daran vermöge auch das Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Berufung, wonach die Veranstaltung weder perverse Praktiken, noch abstoßende oder sonst einem normalen Sexualverhalten widersprechende Handlungen gezeigt habe, insofern nichts zu ändern, als "sittenwidrig" in seiner Bedeutung nicht dem Begriff "pervers" gleichzusetzen sei. Bei der Beurteilung des Vorliegens des Tatbildmerkmales "sittenwidrig" sei es nach Ansicht der belangten Behörde auch nicht erforderlich "daß bei der öffentlichen Durchführung des Geschlechtsverkehrs obszöne, abartige Sexualpraktiken angewendet" würden.

Insofern der Beschwerdeführer noch ausführe, daß die Veranstaltung in einem "bordellähnlichen Betrieb" durchgeführt worden sei, so finde nach Ansicht der belangten Behörde seine Rechtsmeinung, wonach bei Prüfung der Sittenwidrigkeit einer Veranstaltung darauf abzustellen sei, "wie die Veranstaltung als solche ausgestattet sei und in welchem Rahmen bzw. wo sie stattfinde", im Gesetz keine Deckung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 VAG findet dieses Gesetz auf alle öffentlichen Schaustellungen, Darbietungen und Belustigungen (im folgenden kurz "Veranstaltungen") Anwendung.

Gemäß § 1 Abs. 2 VAG sind öffentlich im Sinne dieses Gesetzes alle Veranstaltungen, zu denen auch Personen Zutritt haben, die nicht vom Veranstalter persönlich geladen und ihm nicht schon vor dem Zeitpunkt der Veranstaltung bekannt sind.

Gemäß § 16 Abs. 1 VAG sind Veranstaltungen, die die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder das Ansehen oder die Einrichtungen der Republik Österreich oder eines Bundeslandes oder einer sonstigen Gebietskörperschaft oder einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft gefährden oder verrohend oder sittenwidrig sind, verboten.

Gemäß § 19 Abs. 1 erster Satz VAG hat der Veranstalter für die Erfüllung aller Bestimmungen dieses Gesetzes und der aufgrund derselben erlassenen Verfügungen Sorge zu tragen.

In der Beschwerde werden vom Beschwerdeführer die ihm von der Behörde zur Last gelegten Tathandlungen bestätigt. Er wendet sich im wesentlichen gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung des Begriffes "sittenwidrig" im Sinne des § 16 Abs. 1 VAG. Von der belangten Behörde sei von Anbeginn eine Sittenwidrigkeit des gezeigten Geschlechtsverkehrs angenommen worden. Aufgrund seiner Behauptung, wonach bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit einer Veranstaltung darauf abzustellen sei, wie die Veranstaltung als solche ausgestaltet sei und in welchem Rahmen und wo diese stattfinde, hätte die belangte Behörde aufgrund des § 67d AVG eine mündliche Verhandlung anberaumen müssen, um in deren Verlauf "die tatsächliche Ausgestaltung" und auch die "Rahmenbedingungen" dieser Veranstaltung zu ermitteln. Mangels ausdrücklichen Verzichts auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte diese von der belangten Behörde durchgeführt werden müssen. Insbesondere könne der von der belangten Behörde getroffenen Bewertung der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 16 Abs. 1 VAG nicht gefolgt werden. Die von der belangten Behörde getroffene vage Definiton, welche dem § 16 Abs. 1 VAG zugrunde gelegt worden sei, gehe von einem Moralbegriff aus, "der in seiner Einseitigkeit der Auslegung in den Grundsätzen unserer Gesellschaft keine Deckung" finde. Insbesondere begründe die belangte Behörde nicht, worin konkret die Sittenwidrigkeit eines öffentlich auf einer Bühne in einem "bordellähnlichen Betrieb" dargebotenen Geschlechtsverkehrs bestehe. Es werde weder auf die Räumlichkeiten, in denen diese Veranstaltung stattgefunden habe, noch "auf den Inhalt der Darbietungen" abgestellt.

Unter Hinweis auf die Bestimmungen des Wiener und des Kärntner Prostitutionsgesetzes vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, daß darin die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Örtlichkeit auch in der Frage der Sittenwidrigkeit verdeutlicht werde, weil es nicht Absicht des Gesetzgebers sei, die Anbahnung und Ausübung der Prostitution "generell als sittenwidrig" zu verbieten, sondern er durch die örtliche Beschränkung den gesellschaftlichen Anforderungen Rechnung trage.

Unter Bezugnahme auf die Zulässigkeit der Darstellung des Geschlechtsverkehrs im Rahmen des § 1 des Pornographiegesetzes sei es nach Meinung des Beschwerdeführers evident, daß bei der Bewertung der Sittenwidrigkeit eines öffentlich gezeigten Geschlechtsverkehrs sehr wohl auf die inhaltliche Ausgestaltung derselben abzustellen sei. Die belangte Behörde sei daher rechtsirrig von der Erfüllung des Tatbestandsmerkmales Sittenwidrigkeit als zentraler Voraussetzung für die Strafbarkeit der Handlung des Beschwerdeführers ausgegangen.

Vom Beschwerdeführer wird nicht in Abrede gestellt, daß es sich bei dem ihm zur Last gelegten Veranstaltungen in seinem als "bordellähnlich" qualifizierten Betrieb um öffentliche Veranstaltungen im Sinne des § 1 Abs. 2 VAG gehandelt hat.

Wenngleich gemäß § 16 Abs. 1 VAG "sittenwidrige" Veranstaltungen verboten sind, enthält dieses Gesetz keine nähere Definition des Begriffes "sittenwidrig". Auch die Materialien zum VAG (Vorlage der Steiermärkischen Landesregierung, Beilage 140 zu den stenographischen Berichten, Steiermärkischer Landtag, VI. Periode, 1969, Einl.-Zl. 768) enthalten keine nähere Umschreibung, was unter einer "sittenwidrigen" Veranstaltung zu verstehen ist. Aus dem allgemeinen Verbot der Durchführung von "sittenwidrigen" Veranstaltungen (§ 16 Abs. 1 VAG), das noch vor dem "Verbot des Veranstaltungsbesuches durch Kinder und Jugendliche" (siehe § 17 VAG) geregelt ist, kann aber sehr wohl dessen Schutzzweck, nämlich Veranstaltungen, in denen "sittenwidrige Handlungen" vorgenommen werden, aus der Öffentlichkeit zu verbannen, entnommen werden.

Unter dem unbestimmten Begriff "sittenwidrig" im Sinne des § 16 Abs. 1 VAG ist nach der allgemeinen Bedeutung dieses Begriffes ein Verstoß gegen die guten Sitten zu verstehen. Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit sind etwa nach der zu

§ 879 Abs. 1 ABGB entwickelten Judikatur die Wertentscheidungen und Grundprinzipien der Rechtsordnung maßgebend (vgl. etwa Dittrich-Tades, ABGB, 34. Auflage, S. 859, E 35b zu

§ 879 ABGB).

So stellt auch das steiermärkische Gesetz betreffend Anstandsverletzung, Lärmerregung und Ehrenkränkung, LGBl. Nr. 158/1975, die Verletzung des öffentlichen Anstands (vgl. § 1 leg. cit.) unter Verwaltungsstrafe. Die dabei vom selben Gesetzgeber getroffene Wertentscheidung läßt erkennen, daß dieser ein durchaus dem Verbot von sittenwidrigen Veranstaltungen (§ 16 VAG) vergleichbares und auch gleichgelagertes Ziel verfolgt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ist ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. etwa das zu § 1 des vorzitierten Stmk. Landesgesetzes ergangenen hg. Erkenntnisses vom 24. November 1986, Zl. 83/10/0316). Die zur Verletzung des öffentlichen Anstands entwickelten Grundsätze sind aufgrund der Vergleichbarkeit des Schutzzweckes auch auf die Auslegung des Begriffes "sittenwidrig" nach § 16 Abs. 1 VAG übertragbar. Unter Berücksichtigung des anzulegenden objektiven Maßstabes war die gegenständliche Veranstaltung - wie die belangte Behörde im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat - als "sittenwidrig" im Sinne des § 16 Abs. 1 VAG zu qualifizieren. Da der Gesetzgeber hinsichtlich dieses Verbotes nicht nach dem Ort, an dem eine solche (öffentliche) Veranstaltung stattfindet, differenziert und eine Regelung der "bordellähnlichen Einrichtungen" erst durch das (nach Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getretene) Steiermärkische Prostitutionsgesetz, LGBl. Nr. 16/1998, erfolgte, kam es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht darauf an, daß die sittenwidrige Veranstaltung in einem solchen Betrieb stattfand. Der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Verfahrensrüge der durch die belangte Behörde unterlassenen konkreten Ermittlungen betreffend die "Sittenwidrigkeit" des gezeigten Geschlechtsverkehrs in einem "bordellähnlichen Betrieb" kam daher keine Relevanz zu.

Dieses Auslegungsergebnis steht einer allfälligen Strafbarkeit nach § 218 StGB - wofür im Beschwerdefall keine Anhaltspunkte vorliegen - nicht entgegen, weil geschütztes Rechtsgut nach dieser zuletzt genannten Bestimmung nicht etwa ein (durch "polizeiliche Maßnahmen" zu schützendes) Interesse der Allgemeinheit ist, unsittliche Handlungen aus der Öffentlichkeit zu verbannen, und auch nicht "das Scham- und Sittlichkeitsgefühl der Allgemeinheit". Vielmehr schützt § 218 StGB das Interesse den Einzelnen, nicht ungewollt mit unzüchtigen Handlungen konfrontiert zu werden (vgl. etwa Pallin, in Foregger-Nowakowski, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Rz. 1 zu § 218 StGB).

Auch die vom Beschwerdeführer zum Begriff der "Unzüchtigkeit" nach § 1 des Pornographiegesetzes erwähnte strafrechtliche Judikatur kann schon wegen des davon zu unterscheidenden weiteren Begriffs der "Sittenwidrigkeit" nicht auf das VAG übertragen werden. Darüberhinaus bezieht sich etwa die Strafbestimmung des § 1 Abs. 1 Pornographiegesetz auch nicht auf die unmittelbare Darstellung des Geschlechtsverkehrs im Rahmen einer Veranstaltung im dargestellten Sinne. Es ist auch nicht hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer nach den vorgenannten, strafgerichtlich zu ahndenden Bestimmungen belangt worden wäre.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996020396.X00

Im RIS seit

18.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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