Entscheidungsdatum
11.02.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G311 2179924-1/13E
G311 2179931-1/10E
G311 2179928-1/10E
G311 2179926-1/10E
G311 2179932-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) des XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX, 2.) der XXXX, geboren am XXXX, 3.) der minderjährigen XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX, 4.) der minderjährigen XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX und 5.) des minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, alle Staatsangehörigkeit:
Irak, vertreten durch den MigrantInnen Verein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2017,
Zahlen: zu 1.) XXXX, zu 2.) XXXX, zu 3.) XXXX, zu 4.) XXXX und zu
5.) XXXX, betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach
Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.08.2019 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG werden XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX, XXXX, geboren am XXXX, XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX, XXXX (alias: XXXX), geboren am XXXX und XXXX, geboren am XXXX, jeweils der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX (alias: XXXX), XXXX, XXXX(alias: XXXX), XXXX (alias: XXXX) und XXXXjeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerden werden die jeweiligen Spruchpunkte
III. bis VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet. Aus dieser Ehe stammen die minderjährige Drittbeschwerdeführerin, die minderjährige Viertbeschwerdeführerin und der minderjährige Fünftbeschwerdeführer.
Der Erstbeschwerdeführer reiste gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin und der Dritt- sowie Viertbeschwerdeführerin illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie gemeinsam am 10.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 stellten.
Am 15.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin statt. Beiden brachten zu ihren Fluchtgründen befragt zusammengefasst vor, sie hätten den Irak wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen. Täglich würden Menschen (auch Kinder) getötet werden und hätten sie beide Angst um ihre Familie. Der Bruder und der Schwager des Erstbeschwerdeführers wären weiters von Männern einer Drogenbande bedroht worden.
Am XXXX wurde der minderjährige Fünftbeschwerdeführer im Bundesgebiet geboren. Es handelte sich um eine Frühgeburt. Der Erstbeschwerdeführer beantrage am 26.07.2016 für den minderjährigen Fünftbeschwerdeführer ein Familienverfahren hinsichtlich seines Antrages auf internationalen Schutz. Der Antrag stütze sich ausschließlich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin. Für den Fünftbeschwerdeführer bestünden keine eigenen Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen.
Die niederschriftliche Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, fand am 13.10.2017 statt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst an, er sei Sunnit, die Zweitbeschwerdeführerin Schiitin. Er habe Probleme mit der streng religiösen schiitischen Familie der Zweitbeschwerdeführerin gehabt. Schon der Eheschließung sei von der Schwiegerfamilie nicht zugestimmt worden. Nur einer der Brüder der Zweitbeschwerdeführerin hätte den Erstbeschwerdeführer gemocht und der Ehe zugestimmt, nachdem der Schwiegervater bereits verstorben gewesen sei. Die Schwiegerfamilie hätte sich im Laufe der Zeit immer mehr religiös radikalisiert und nach dem Tod des ältesten Bruders der Zweitbeschwerdeführerin (welcher als einziger der Eheschließung zugestimmt hätte) den Erstbeschwerdeführer dazu gedrängt, sich von der Zweitbeschwerdeführerin zu trennen. Sonst würde man ihn töten. Außerdem habe man ihm auch die Kinder wegnehmen wollen. Seine Tätigkeit beim Militär sei wegen der Probleme mit der Schwiegerfamilie auch insofern problematisch gewesen, als er immer 14 Tage durchgehend Dienst versehen haben müssen und dann für sieben Tage zuhause gewesen sei. Es sei zu gefährlich, in eine andere Provinz im Irak zu ziehen. Auch könne er Frau und Kinder nicht alleine leben lassen. Die Brüder der Zweitbeschwerdeführerin hätten eine der Töchter durch Übergießen mit brühendem Wasser am Fuß verletzt und den Erstbeschwerdeführer auch geschlagen. Während der Erstbeschwerdeführer bei der Arbeit gewesen sei, habe sich die Zweitbeschwerdeführerin immer in ihrem Elternhaus aufgehalten und sei dort von ihren Angehörigen unter Druck gesetzt worden. Sie habe zwei Suizidversuche unternommen. Die Familie der Zweitbeschwerdeführerin habe weiters gute Beziehungen zur schiitischen Miliz Asa-ib Ahl al-Haqq (AAH). Nach einem Vorfall in der Cafeteria bei der Arbeit wären die Brüder der Zweitbeschwerdeführerin zum Vorgesetzten des Erstbeschwerdeführers beim Militär gegangen und hätten ihn "schlecht geredet". Außerdem hätten sie Leute geschickt, die ihn bedrohen. Der Erstbeschwerdeführer habe auf der Militärbasis die Cafeteria geführt, diese aber zusperren und schnell verlassen müssen, als ihn die Zweitbeschwerdeführerin angerufen habe, dass sie von ihren Eltern geschlagen worden wäre. Während der Abwesenheit des Erstbeschwerdeführers sei aus der Cafeteria Geld gestohlen worden, weshalb man ihn einen Monat als Strafe in der Basis eingesperrt habe. Um das fehlende Geld zurückzahlen zu können, habe er sich Geld leihen müssen. Würde er in den Irak zurückkehren, würde er bestraft werden. Auch der Bruder des Erstbeschwerdeführers sei von der AAH bedroht worden, nachdem der Bruder in einen Autounfall mit AAH-Mitgliedern verwickelt gewesen sei. AAH-Mitglieder seien zum Bruder nach Hause gekommen und hätten sein Auto anzünden wollen. Eine Anzeige des Bruders sei erfolglos gewesen und sei dieser deswegen auch im August 2015 aus dem Irak ausgereist. Nach der Ausreise des Bruders sei seitens der AAH damit gedroht worden, das Familienhaus durch Brandstiftung zu zerstören, sodass auch die Eltern des Erstbeschwerdeführers hätten fliehen müssen.
Der Erstbeschwerdeführer beabsichtige weiters, zum Christentum zu konvertieren. Seiner Ehefrau habe er dies bisher nur angedeutet, aber es nicht öffentlich gemacht. Er interessiere sich bereits seit 1990 für das Christentum. Christen hätten während des Krieges auch Muslime in ihren Häusern aufgenommen und sie gut behandelt. Auch hätte er Christen als Nachbarn gehabt. Wann er konvertieren möchte, wisse er jedoch noch nicht.
Im Zuge der Einvernahme brachte der Erstbeschwerdeführer nachfolgende Unterlagen/Beweismittel zur Vorlage:
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Bestätigung des Kardinals XXXX vom 02.03.2017 über die Zulassung des Erstbeschwerdeführers zu den Sakramenten der Eingliederung (AS 37 und 109 Erstbeschwerdeführer);
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Konvolut medizinischer Unterlagen und Befunde des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers der infolge einer Frühgeburt nach Kaiserschnitt auf der neonatologischen Intensivstation behandelt wurde (AS 43 ff Erstbeschwerdeführer);
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Kursbestätigung Deutschkurs A1 vom 02.03.2017 und vom 16.09.2016 für den Erstbeschwerdeführer (AS 77 f Erstbeschwerdeführer);
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Integrationskurs-Bestätigung vom 10.10.2017 und 26.09.2017 für den Erstbeschwerdeführer (AS 81 f Erstbeschwerdeführer);
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Anmeldebestätigung zum Basisbildungskurs Alpha 2 des BFI für den Erstbeschwerdeführer (AS 85 Erstbeschwerdeführer);
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Anmeldebestätigung zum Alphabetisierungskurs 2 des BFI für den Erstbeschwerdeführer (AS 87 Erstbeschwerdeführer);
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Empfehlungsschreiben der Flüchtlingshilfe des XXXX für die Beschwerdeführer vom 12.10.2017 (AS 89 Erstbeschwerdeführer);
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Teilnahmebestätigung des Roten Kreuzes an einem Erste-Hilfe-Workshop vom 18.05.2017 für den Erstbeschwerdeführer (AS 91 Erstbeschwerdeführer);
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Konvolut von Teilnahmebestätigungen für den Erstbeschwerdeführer an diversen Integrationskursen oder Veranstaltungen bzw. Info-Modulen (AS 93 ff Erstbeschwerdeführer);
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Auszahlungsbeleg für Unterstützungsdienste durch Flüchtlinge für vom Erstbeschwerdeführer durchgeführte Malerarbeiten vom 20.10.2016 sowie Auflistung gemeinnütziger Tätigkeiten des Erstbeschwerdeführers für den Monat August 2017 (AS 111 ff Erstbeschwerdeführer);
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irakische Heiratsurkunde des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin samt deutscher Übersetzung (AS 115 ff und 167 ff Erstbeschwerdeführer) sowie Beurkundung der Anerkennung der Vaterschaft des Erstbeschwerdeführers zum minderjährigen Fünftbeschwerdeführer (AS 121 ff Erstbeschwerdeführer);
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Foto des Erstbeschwerdeführers mit dem Bundespräsidenten (AS 125 Erstbeschwerdeführer);
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Bestätigung vom 11.10.2017 über psychotherapeutischen Behandlungsbedarf der Zweitbeschwerdeführerin (AS 127 Erstbeschwerdeführer);
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österreichische Geburtsurkunde des Fünftbeschwerdeführers (AS 129 Erstbeschwerdeführer);
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Kopien der irakischen Reisepässe des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin (AS 131 ff Erstbeschwerdeführer);
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Kopien der irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin (AS 155 ff Erstbeschwerdeführer);
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Kopien der irakischen Personalausweise des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin (AS 159 ff Erstbeschwerdeführer);
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Kopien des irakischen Militärausweises, der irakischen Wahlkarte und der irakischen Meldekarte des Erstbeschwerdeführers (AS 163 ff Erstbeschwerdeführer);
Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, sie sei wegen ihrer psychischen Situation (Depressionen und Angst) in ärztlicher Behandlung. Ihr seien auch Medikamente verordnet worden, die sie bei Angst einnehmen soll, könne deren Namen aber nicht angeben. Sie fühle sich jedoch in der Lage, die Einvernahme durchzuführen. Weiters sei ihr im Zuge der Kaiserschnitt-Geburt des Fünftbeschwerdeführers die Gebärmutter entfernt worden. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, sie und ihre Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe und würden sich auf das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers beziehen. Die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers würden sich auf ihre Brüder beziehen. Die Probleme mit ihnen hätten begonnen, als der älteste Bruder verstorben sei. Ihre jüngeren Brüder seien schon immer gegen die Heirat der Zweitbeschwerdeführerin (als Schiitin) mit dem Erstbeschwerdeführer (einem Sunniten) gewesen. Sie hätten versucht, die Zweitbeschwerdeführerin vom Erstbeschwerdeführer zu trennen, indem sie die Zweitbeschwerdeführer mit zu sich nach Hause genommen und zur Scheidung gedrängt hätten. So hätten die Brüder die Zweitbeschwerdeführerin nach dem Tod des ältesten Bruders zum Tragen eines Niqab gezwungen; zuvor habe sie nur ein Kopftuch getragen. Die Brüder würden mit der AAH zusammenarbeiten und habe sie Angst vor diesen.
Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (jeweils Spruchpunkt III.), gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eingeräumt (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine konkrete, sie persönlich treffende asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung im Irak oder zukünftig bei einer Rückkehr dorthin hätten glaubhaft machen können. Es sei dem Erstbeschwerdeführer nicht gelungen, ein fundiertes und substanziiertes Vorbringen rund um etwaige Fluchtgründe darzulegen. Sein Vorbringen sei vage und abstrakt. Die vom Erstbeschwerdeführer in der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt vorgebrachten Gründe seien nicht identisch. Er habe sein Vorbringen gesteigert und könne schon deswegen von seiner Unglaubwürdigkeit ausgegangen werden. Zur vorgebrachten Bedrohung durch die Familie der Zweitbeschwerdeführerin habe der Erstbeschwerdeführer keine Angaben dazu machen können, in welcher Art und Weise er bedroht worden sei, welche Personen involviert gewesen seien und an welchen Tagen diese Bedrohungen stattgefunden hätten. Es stelle einen Widerspruch dar, wenn der Erstbeschwerdeführer einerseits ausführe, die Zweitbeschwerdeführerin und auch die Töchter wären von der Familie der Zweitbeschwerdeführerin misshandelt worden, ein Umzug der Beschwerdeführer in eine andere Provinz aber wegen der Trennung von der Familie der Zweitbeschwerdeführerin aber nicht möglich sei. Die Situation könne somit nicht derart schlimm gewesen sein, wenn die Beschwerdeführer freiwillig dort geblieben seien. Der Erstbeschwerdeführer habe einen sehr nervösen Eindruck gemacht. Auch zur Bedrohung des Bruders des Erstbeschwerdeführers habe er keine näheren Details nenne können, zumal der Bruder des Erstbeschwerdeführers in dessen Einvernahme vor dem Bundesamt den vom Erstbeschwerdeführer geschilderten Unfall überhaupt nicht erwähnt habe. Eine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak bestehe nicht mehr, wenngleich sich die Lage für Sunniten durchaus schwierig darstelle. Eine Rückkehr der Beschwerdeführer nach Bagdad sei zumutbar, zumal sie dort über Bekannte verfügen würden, die sie unterstützen könnten. Es sei weiters zumutbar, den Lebensunterhalt durch eigene Arbeitsleistung oder der Unterstützung der im Irak lebenden Angehörigen zu sichern. Eine Konversion des Erstbeschwerdeführers zum Christentum habe er lediglich in den Raum gestellt, jedoch nicht angegeben, ob und gegebenenfalls wann diese tatsächlich erfolgen sollte. Nur weil sich der Erstbeschwerdeführer mit dem Gedanken getragen habe, zum Christentum zu konvertieren, könne keine Verfolgung aus diesem Grund im Irak angenommen werden, zumal Christen - auch wenn sich ihre Zahl inzwischen verringert habe - jahrelang in Bagdad gelebt hätten. Hätte der Erstbeschwerdeführer tatsächlich konvertieren wollen, hätte er es längst getan. Eine systematische Christenverfolgung im Irak finde nicht statt. Insgesamt habe der Erstbeschwerdeführer kein asylrelevantes und glaubhaftes Vorbringen erstattet. Die Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin sowie der Fünftbeschwerdeführer hätten keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Eine maßgebliche Integration der Beschwerdeführer im Bundesgebiet liege nicht vor.
Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.
Mit am 11.12.2017 beim Bundesamt per Fax einlangendem Schriftsatz vom 01.12.2017 erhoben die Beschwerdeführer durch ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die sie betreffenden Bescheide des Bundesamtes. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den Beschwerdeführer den Status von Asylberechtigten oder allenfalls subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und das Verfahren zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen; in eventu feststellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und eine Abschiebung in den Irak unzulässig ist und den Beschwerdeführern einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; einen länderkundlichen Sachverständigen beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation im Irak befasst und eine mündliche Verhandlung durchführen. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführer als Fluchtgründe eine Verfolgung aus religiösen und politischen Gründen bzw. wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe geltend gemacht hätten. Die Beschwerdeführer würden wegen ihrer gemischt-religiösen Ehe, ihrer Herkunft und ihrer westlichen Lebensanschauung von den Angehörigen der Zweitbeschwerdeführerin, welcher Mitglieder der radikal-schiitischen Miliz AAH seien, mit dem Umbringen bedroht werden. Außerdem befürchte die Zweitbeschwerdeführerin Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen aufgrund ihrer mit der streng-islamischen Ordnung im Irak unvereinbaren Lebenseinstellung und weiteren Verfolgungshandlungen durch die mit dem irakischen Staat verbundenen Milizen. Den Ausführungen des Bundesamtes in den angefochtenen Bescheiden sei entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen sehr konkrete Angaben gemacht und die fluchtauslösenden Erlebnisse gerade in einer Art und Weise geschildert hätten, wie es von jemandem zu erwarten wäre, der ein Ereignis tatsächlich erlebt habe. Sie hätten ausführlich und konkret Details, Zeit- und Ortsangaben oder Wahrnehmungen und Emotionen geschildert. Die Vorgehensweise religiös motivierter Terroristen sei nicht immer rational erklärbar. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten übereinstimmende Angaben gemacht. Es lägen keine Widersprüche vor. Eine Beurteilung der Bedrohung der Beschwerdeführer wegen ihrer gemischt-religiösen Ehe durch die Angehörigen der Zweitbeschwerdeführerin sowie die fehlende Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des irakischen Staates hätte die belangte Behörde nicht vorgenommen. Es wäre dem Bundesamt offen gestanden, entsprechende Recherchen im Herkunftsland anzustellen. Auch die vom Bundesamt herangezogenen Länderberichte würden eine zunehmende Eskalation des interkonfessionellen Bürgerkrieges im Irak belegen. Unbeachtet sei auch der Umstand geblieben, dass eine Verfolgung durch bewaffnete radikal-schiitische Milizen einer staatlichen Verfolgung gleichkomme und der Zweitbeschwerdeführerin auch geschlechtsspezifische Verfolgung als Frau drohe. Die westliche Lebenseinstellung der Zweitbeschwerdeführerin widerspreche der streng islamischen Gesellschaftsordnung im Irak und wäre sie im Falle einer Rückkehr dorthin in der Ausübung ihrer fundamentalen Menschenrechte eingeschränkt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe nicht zur Verfügung, da sich die diesbezügliche Situation im gesamten Irak als gleich darstelle. Auch lasse die allgemeine Sicherheitslage eine Rückkehr in den Irak nicht zu, zumal mangels familiärem bzw. sozialem Auffangnetz im Irak eine existenzbedrohende Notlage drohe. Schließlich seien die Beschwerdeführer im Bundesgebiet schon beeindruckend integriert, hätten die deutsche Sprache erlernt und soziale Kontakte geknüpft. Sie seien weiters arbeitsfähig und -willig.
Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 18.12.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Per E-Mail vom 23.04.2018, beim Bundesverwaltungsgericht am 24.04.2018 einlangend, wurden der Taufschein des Erstbeschwerdeführers vom 31.03.2018 über die Taufe und Firmung am selben Tag sowie eine Meldebestätigung vom 12.04.2018 vorgelegt.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.08.2019 wurden den Beschwerdeführern zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung relevante Länderberichte zum Irak vorab zur Kenntnisnahme übermittelt und ihnen die Möglichkeit eingeräumt, bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben bzw. dazu in der mündlichen Verhandlung Stellung zu nehmen.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.08.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin (diese auch als gesetzliche Vertreterin der unmündig minderjährigen Beschwerdeführer), ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung, eine Vertreterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen.
Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG verbunden.
Auf Befragen gab der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei in Bagdad, XXXX, geboren. Nach dem Sturz Husseins 2003 sei XXXX ein sunnitisches Viertel geworden. Die Zweitbeschwerdeführerin sei zwar in Bagdad geboren, habe mit ihrer Familie aber in XXXX, einem schiitischen Bezirk nordöstlich von Bagdad (in Richtung Diyala), gelebt. Der Erstbeschwerdeführer habe die Zweitbeschwerdeführerin über ihren älteren Bruder kennengelernt, mit dem der Erstbeschwerdeführer gemeinsam in einer Werkstatt als Automechaniker in XXXX gearbeitet habe. Er habe gleich um ihre Hand angehalten, sei ein Jahr mit ihr verlobt gewesen und habe die Zweitbeschwerdeführerin geheiratet, als sie dreizehn oder vierzehn Jahre alt gewesen sei. Bis zur Ausreise hätten sie weiterhin in XXXX gelebt. Er sei Sunnit, seine Ehefrau Schiiten. Der Rechtsvertreter merkte dazu an, dass der Erstbeschwerdeführer die Frage auf sein Leben im Irak bezogen habe. Es gäbe ein paar vom Erstbeschwerdeführer näher geschilderte Unterschiede zwischen Schiiten und Sunniten (etwa welche religiösen Führer angebetet würden, wie oft oder wann am Tag gebetet werde). Zu den konkreten Fluchtgründen befragt, gab der Erstbeschwerdeführer sodann an, dass der Hauptgrund für die Ausreise die Probleme aufgrund seiner gemischten Ehe mit der Zweitbeschwerdeführerin gewesen seien. Wegen dieses Problems sei das ganze irakische Volk niedergemetzelt worden. Persönlich sei er sehr offen gewesen und habe seinen sunnitischen Glauben im Irak nicht wirklich praktiziert. Der älteste Bruder der Zweitbeschwerdeführerin, der auch der beste Freund des Erstbeschwerdeführers und ein Intellektueller gewesen sei, habe nichts gegen die Heirat gehabt. Er sei jedoch durch eine Autobombe ums Leben gekommen. Dies sei der Anlass für die übrigen drei Brüder der Zweitbeschwerdeführerin gewesen, sich zu radikalisieren. Es sei für eine Frau im Alter der Zweitbeschwerdeführerin zu gefährlich, alleine (auch mit Kindern) zuhause zu bleiben, also habe sie sich immer mit den beiden Töchtern in ihrem Elternhaus aufhalten müssen, wenn der Erstbeschwerdeführer zwei Wochen Dienst beim Militär gehabt habe (er habe alle zwei Wochen für eine sieben Tage frei gehabt). Es habe dann Anfang 2015 (nach dem Tod des ältesten Bruders der Zweitbeschwerdeführerin) geheißen, er dürfe seine Frau und seine Kinder nicht mehr sehen, weil er Sunnit sei und nun die Schiiten an der Macht seien. Als er seine Familie habe abholen wollen, hätten sie ihn verprügelt. Weiters hätten die Brüder der Zweitbeschwerdeführerin Mitglieder der schiitischen Miliz aufgefordert, den Erstbeschwerdeführer aufzuhalten. Einer davon (XXXX) habe ihn dabei verletzt. Die ältere Tochter habe deswegen geweint, woraufhin man ihr als Strafe den Fuß mit heißem Wasser verbrannt habe. Er habe seine Frau und Kinder dann zehn Monate nicht sehen dürfen, aber mit der Schwiegermutter, welche Mitleid mit den Beschwerdeführern gehabt habe, vereinbaren können, dass diese mit der Zweitbeschwerdeführerin und den beiden Töchtern zu einem genauen vereinbarten Zeitpunkt einkaufen geht. Der Erstbeschwerdeführer habe sie dort getroffen und quasi "entführt". Er sei mit seiner Ehefrau und den Kindern mit dem Fahrzeug eines Freundes in den Bezirk XXXX gefahren und dann gleich in die Türkei geflogen. Er habe für die Reise in die Türkei bereits alles vorbereitet gehabt, damit sie nicht lange im Irak bleiben müssen. In der Türkei hätten sie sich dann etwa einen Monat aufgehalten.
Er sei am 31.03.2017 [richtig: 2018] in XXXX getauft worden. Er empfinde bereits seit den 1990er Jahren eine Zuneigung zum Christentum, da er damals mit der Familie in Bagdad, XXXX, gelebt habe, wo auch viele Christen gelebt hätten. Es handle sich bei Christen um friedliebende Personen. Als er nach Österreich gekommen sei, habe er dieselbe Erfahrung gemacht. Das sei für ihn ein Anlass gewesen, ein Vorbild für seine Familie zu sein, die die Gewalt im Irak nicht mehr erleben müsse, so wie er sie erlebt habe. Es solle für sie ein Weg für Freiheit und Liebe sein. Er habe zufällig Araber gesehen, die in die Kirche gegangen und Christen seien. Mit diesen habe er sich angefreundet und so sei er dorthin gekommen. er gehe jeden Montag in der Kirche und auch zur monatlichen Messe. Auf näheres Befragen gab der Erstbeschwerdeführer an:
"[...]
VR: Üben Sie den römisch/katholischen Glauben aus?
BF1: Ich gehe jeden Montag in die Kirche und auch zur monatlichen Messe.
VR: Was sind die wichtigsten Gebete im röm/kath Glauben?
BF1: Vater unser im Himmel.
Über Nachfrage gibt der BF an: Ich gehe jeden Montag in die Kirche, ich bin allerdings noch nicht ganz fortgeschritten.
VR: Es gibt ein Glaubensbekenntnis für die jeweilige christliche Religion, kennen Sie das?
BF1: Nicht stehlen, nicht lügen, es ist auch das Abendmahl.
VR: Was sind die wichtigsten christlichen Feiertage?
BF1: Das ist das Osterfest, das letzte Abendmahl, Weihnachten, das sind die wichtigsten Feste.
VR: Was sind wichtige Merkmale für Ostern?
BF1: Die Seele Jesu ist in den Himmel gefahren.
VR: Was feiert man zu Weihnachten?
BF1: Das ist die Geburt Jesu in Betlehem im Stall. Es gibt 3 Weihnachtsfeiertage.
VR: Kann man den Namen Ali dem sunnitischen oder schiitischen Glauben zuordnen?
BF1: Wie schon erwähnt, gab es zu meiner Zeit keine Probleme, ich bin Sunnit, aber man konnte die Kinder nennen, wie man wollte. Meine Tochter habe ich zB Zainab genannt.
Zainab ist ein schiitischer Name, es war die Tochter von Imam Ali.
BehV an BF1: Wie lange dauerte Ihre Taufvorbereitung?
BF1: Ich kann mich nicht genau erinnern, aber das hat ca. 9 Monate, vielleicht auch etwas weniger gedauert.
BehV an BF1: Wurden Sie im Irak religiös erzogen?
BF1: Nein.
BehV: Haben Sie im Irak ein religiöses Leben geführt?
BF1: Nein.
BehV: Kennen Sie die 5 Säulen des Islam?
BF1: Man muss beten, den Hadsch gehen und beten, man muss das Schahada beten, fasten.
BehV: Was ist für Sie der wesentlichste Unterschied zwischen Islam und Christentum?
BF1: Ich war kein praktizierender Religiöser im Irak, ich habe dort nur das Schlachten von Menschen gesehen, ich möchte nicht, dass meine Familie so leben muss. Meine Kinder waren im Irak gezwungen Kopftuch und Hijab zu tragen. In Österreich müssen sie das nicht. Im November 2015 habe ich den Irak verlassen, damals waren meine Kinder ca. 4 und 2. Die Kinder waren auf der Flucht fast erfroren. Einmal sind wir fast ertrunken. Erst beim zweiten Versuch kamen wir sicher an. Einmal habe ich die Flucht ergriffen, um meine Kinder in Sicherheit zu bringen. Wir haben ein zweites Mal überlebt, bei einer Rückkehr würde die gesamte Familie getötet, und zwar von der eigenen Familie meiner Frau, wenn nicht von dieser, sondern von den Milizen. Abgesehen davon werde ich noch von meiner Familie verfolgt, weil der Mann meiner Schwester hier war und er mitbekommen hat, dass ich konvertiert bin.
[...]"
Zum Gesundheitszustand des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers gab der Erstbeschwerdeführer an, diesem gehe es mittlerweile gut. Als Folge der Frühgeburt habe er im Winter Probleme mit den Lungen gehabt. Wäre er im Irak im sechsten Schwangerschaftsmonat geboren worden, hätte er nicht überlebt. Er sei regelmäßig in Behandlung im XXXX Kinderspital und beim Kinderarzt. Im Winter bedürfe er öfters einer Sauerstoff- und Inhalationstherapie. Aktuelle Befunde würde derzeit aber nicht vorliegen.
In weiterer Folge wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommen. Diese gab auf Befragen zusammengefasst an, ihr ältester Bruder sei Automechaniker in einer Werkstatt gewesen, wie auch der Erstbeschwerdeführer. Über den Bruder und auch die Nachbarn hätten sich der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin kennengelernt. Der Erstbeschwerdeführer habe über die Nachbarn um ihre Hand angehalten. Sowohl sie und ihre Familie als auch der Erstbeschwerdeführer und dessen Familie hätten in XXXX gelebt. Nach der Hochzeit im Jahr 2003 hätten sie gemeinsam ein Haus gemietet und hätten dort mit ihren späteren Kindern gelebt. Sie sei bei der Hochzeit dreizehneinhalb Jahre alt gewesen. Sie sei gebürtige Schiitin, habe aber seit ihrem Aufenthalt in Österreich das Gefühl, dass sie lieber Sunnitin sein wolle (sie wolle Bahait bzw. Wahabit sein). Im Irak sei sie von den Brüdern gezwungen worden, ihre Religion nach außen hin zu praktizieren. Sie habe daher beten, fasten und religiös leben müssen. Der Hauptgrund der Flucht seien die Brüder der Zweitbeschwerdeführerin aber auch die allgemeine Lage und die Gesellschaft im Irak gewesen. Man habe sich nie sicher gefühlt. Der älteste Bruder sei ein guter Freund des Erstbeschwerdeführers gewesen und habe nichts gegen eine gemischte Ehe gehabt. Nachdem der älteste Bruder jedoch verstorben sei, hätten die Probleme mit den jüngeren Brüdern begonnen. Sie hätten versucht sie zu zwingen, sich vom Erstbeschwerdeführer scheiden zu lassen und hätten ihr zehn Monate lang verboten, der Erstbeschwerdeführer zu sehen. Sie hätten versucht, einen anderen Mann für sie zu finden und den Erstbeschwerdeführer "kaputt zu schlagen". Sie sei im Elternhaus eingesperrt worden und hätten sie auch die Töchter geschlagen, wenn diese zu ihrem Vater wollten. Nicht nur die Zweitbeschwerdeführerin, sondern auch die Töchter (eine davon erst zwei Jahre alt), seien von den Brüdern gezwungen worden, Hijab zu tragen. Sie wisse, dass der Erstbeschwerdeführer zum Christentum konvertiert sei. Er schildere ihr den Inhalt der Religion und sehe sie, dass das Christentum eine friedliche Religion sei. Bei den religiösen Feierlichkeiten des Erstbeschwerdeführers (Initiation, Taufe, Firmung) sei sie nicht dabei gewesen, da sie die Kinder habe betreuen müssen und der Fünfbeschwerdeführer in dieser Zeit öfters im Krankenhaus gewesen sei. Sie wisse, dass der Erstbeschwerdeführer etwa drei oder vier Mal im Monat in die Kirche gehe. Es könne auch sein, dass es öfters sei. Da sie jedoch im Altersheim arbeite, sei sie nicht immer zuhause und könne das nicht genau sagen. Sie hätten Weihnachten insofern gefeiert, als sie einen Baum gekauft, gebacken und weiters das gemacht hätten, was die Kinder sich gewünscht haben. Auf näheres Befragen gab die Zweitbeschwerdeführerin dazu an:
"[...]
VR: Kennen Sie die Gestik mit der Hand, mit der ein Gebet eingeleitet wird?
BF2: Ja (die BF2 macht das Kreuzzeichen).
VR: Wissen Sie, was zu Weihnachten gefeiert wird?
BF2: Das ist die Geburt Jesus-Christus.
VR: Kennen Sie ein weiteres christliches Fest aus dem Jahreskreis?
BF2: Genau kann es das nicht sagen, wir haben jedenfalls das Weihnachtsfest mit den Kindern gefeiert.
VR: Kennen Sie das Osterfest?
BF2: Ich weiß, dass das ein Anlass ist, bei dem Jesus Christus in den Himmel fährt. Ich weiß nicht genau, wann im Jahr das Osterfest stattfindet.
[...]
BehV an BF2: Sie sagten, dass sie selten zu Hause sind, weil Sie arbeiten, wo sind dann Ihre Kinder?
BF2: Sie bleiben bei meinem Mann zu Hause.
BehV: Warum nähern Sie sich jetzt der sunnitischen Glaubensrichtung an?
BF2: Erstens, weil ich meinen Mann über alles liebe und zweitens, weil ich von meiner Familie so aggressiv behandelt wurde.
BehV: Warum nähern Sie sich dann nicht dem Christentum an?
BF2: Ich brauche Zeit, um mich für alles entscheiden, auch höre ich meinem Mann zu, wenn er von Christentum redet.
BehV: Werden Ihre Kinder religiös erzogen?
BF2: Ich möchte nicht zu einer Religion zwingen, das sollen sie später selbst entscheiden, das soll nicht mein Wille sein.
BehV: Versucht Ihr Mann Ihre Kinder religiös zu erziehen?
BF2: Auch das bezieht sich auf meinen Mann, wir möchten den Kindern das ersparen, weil wir schon so viel erlebt haben.
[...]"
Als Frau habe sie im Irak kein Leben gehabt. Frauen würden nicht respektiert und hätten keine Rechte. Schon als kleines Mädchen sei man gezwungen, Hijab zu tragen. In Österreich könne man sich kleiden wie man möchte. Im Irak dürfe eine Frau sich auch nicht "gepflegt" zeigen, daher etwa die Nägel lackieren oder sich schminken. In Österreich gehe sie in ihrer Freizeit im Sommer gerne mit den Kindern ins Schwimmbad. Im Irak sei Schwimmen ein Tabu.
Zum Gesundheitszustand des Fünftbeschwerdeführers gab die Zweitbeschwerdeführerin an, es gehe ihm derzeit gut, er habe jedoch im Winter immer Probleme mit dem Atmen. Er verkühle sich schnell und habe Lungenprobleme. Im Sommer bedürfe er keiner ärztlichen Behandlung, im Winter jedoch immer (Inhalationen, Injektionen). Im Winter sei sie mit ihm etwa zwei Mal im Monat im Spital.
Seitens der Rechtsvertretung der Beschwerdeführer wurde in der Verhandlung ein Konvolut von Unterlagen vorgelegt, die in Kopie zum Akt genommen wurden:
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Fotos des Erst- und Fünftbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin nach der Geburt des Fünftbeschwerdeführers im Krankenhaus/Intensivstation;
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Familienfotos aus dem Irak und aus Österreich;
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Foto des Erstbeschwerdeführers mit dem Kardinal;
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Schul-/Kindergartenfotos der Dritt- und Viertbeschwerdeführerin;
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ÖSD - Sprachzertifikate auf Niveau A1 vom 23.05.2018 (Erstbeschwerdeführer) und 27.06.2018 (Zweitbeschwerdeführerin);
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Unterstützungsschreiben und Bestätigung über ehrenamtliche bzw. gemeinnützige Tätigkeiten des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin;
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Teilnahmebestätigungen der Zweitbeschwerdeführerin für einen Kompetenzworkshop für erwachsene AsylwerberInnen (Oktober/November 2018), einen Deutschkurs Basisbildung A1 zwischen 17.09.2018 und 31.05.2019;
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Kursbestätigung des XXXX vom 27.08.2019 über die Teilnahme des Erstbeschwerdeführers an einem Kurs zur Integrationsprüfung (Prüfung am 02.12.2019) des ÖIF auf Niveau A1;
Seitens der erkennenden Richterin wurde in weiterer Folge auf die bereits zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur allgemeinen Lage im Irak verwiesen und deren Bedeutung sowie das Zustandekommen dieser Berichte erklärt. Seitens der Parteien wurde auf eine Stellungnahme verzichtet.
Den Parteien wurde weiters für allfällige schriftliche Schlussausführungen eine Frist von zwei Wochen eingeräumt. Die mündliche Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.
Per E-Mail vom 10.09.2019, beim Bundesverwaltungsgericht am 11.09.2019 einlangend, übermittelte der den Erstbeschwerdeführer taufende Pfarrer eine mit 10.09.2019 schriftliche "Bestätigung der Authentizität der Konversion" des Erstbeschwerdeführers, worin zusammengefasst ausgeführt wird, der Pfarrer sei seit drei Jahren mit dem Erstbeschwerdeführer in Kontakt und sei dieser im Flüchtlingsheim mit syrischen Christen in Kontakt gekommen. Sodann habe der Erstbeschwerdeführer von dem langgehegten Wunsch erzählt, Christ zu werden. Diesen habe er bereits im Irak getragen, aber sei dem aus Rücksicht auf seine Familie, im Speziellen mit Rücksicht auf die strenggläubige islamische Ehefrau, nicht nachgekommen. Er habe ohne das Wissen seiner Ehefrau mit den Taufvorbereitungen begonnen. Unmittelbar nachdem der Erstbeschwerdeführer vom Kardinal die Tauferlaubnis erhalten habe, habe die Ehefrau durch eine Unachtsamkeit eines Freundes vom Konversionswunsch des Erstbeschwerdeführers erfahren. Dies habe zu massiven Spannungen in der Ehe und Schließlich zum Entschluss der Ehefrau geführt, sich damals von ihm zu trennen. Wegen dieser Schwierigkeiten sei die Taufe aufgeschoben und schließlich zu Ostern 2018 durchgeführt worden. Seit der Taufe sei der Erstbeschwerdeführer aktives Mitglied er Legionsgruppe arabischer Christen. Dabei engagiert er sich an der Missionarsarbeit an arabisch-sprechenden Zuwanderern. Den Sonntagsgottesdienst feiere er in der libanesischen Gemeinde mit. Er könne die Aufrichtigkeit seiner Konversion bestätigen.
Am 13.09.2019 langte der mit 12.09.2019 datierte Schriftsatz des Bundesamtes mit schriftlichen Schlussausführungen beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass es dem Erstbeschwerdeführer aus Sicht des Bundesamtes nicht gelungen sei, eine tief verwurzelte Hinwendung zum Christentum glaubhaft zu machen. Er habe keinen plausiblen Grund nennen können, weshalb er sich aus freien Stücken einem neuen Glauben zugewendet und sich sogar für eine Taufe entschieden habe. Die diesbezüglichen Antworten auf die an ihn gerichteten Fragen in der mündlichen Verhandlung seien äußerst vage und allgemein. Eine substanziierte Beschreibung der für ihn sinnstiftenden Elemente des christlichen Glaubens habe er nicht geben können. Das vom Erstbeschwerdeführer wiedergegebene Wissen über das Christentum sei leicht erlernbar und sage nichts über die tatsächliche Verinnerlichung des Glaubens aus. Es sei auch nicht derart umfangreich, dass man daraus auf eine eingehende Beschäftigung mit dem christlichen Glauben schließen könnte. Eine intensive Beschäftigung mit der ursprünglichen (eigenen) Religion sei nötig, um überhaupt beurteilten zu können, welche Religion für einen die richtige sei. Der Erstbeschwerdeführer habe aber angegeben, seinen sunnitischen Glauben im Irak nicht praktiziert und auch nicht religiös gelebt zu haben. Es sei nicht nachvollziehbar, dass er ohne einleuchtenden Grund ein derartiges Interesse an einer fremden Religion entwickle und am Ende aus tiefster Überzeugung konvertiere. Es werde auf die einschlägige Judikatur verwiesen, wonach es nicht auf den Formalakt der Taufe, sondern auf die religiöse Einstellung für die Beurteilung der Frage, ob eine Konversion vorliegt, ankommt. Für das Bundesamt stehe fest, dass sich der Erstbeschwerdeführer nicht intensiv mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt und sich in der Folge ernsthaft und nachhaltig dem Christentum zugewandt habe. Es sei davon auszugehen, dass er den christlichen Glauben im Irak nicht praktizieren werde oder missionierend in einer herausgehobenen Position tätig wäre. Die vorgebrachten familiären Probleme hätten weiters in der Verhandlung im Vergleich zur Einvernahme vor dem Bundesamt eine Steigerung erfahren. So habe etwa die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt nicht angegeben, dass ihr und den Töchtern von den Brüdern Gewalt angetan worden sei. Es lägen insgesamt keine asylrelevanten Fluchtgründe vor. Zur Vermeidung familiärer Probleme im Irak sei es den Beschwerdeführern sehr wohl zumutbar, in ein anderes Gebiet des Irak umzuziehen. Dass ein Leben im Irak durchaus möglich sei, zeige sich auch daran, dass der Ehemann der Schwester des Erstbeschwerdeführers, ein Sunnit, wieder freiwillig in den Irak zurückgekehrt sei.
Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme des Bundesverwaltungsgerichtes vom 13.12.2019 wurde den Beschwerdeführern und dem Bundesamt die aktuelle Kurzinformation zur Sicherheitslage im Irak vom 30.10.2019 zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen übermittelt.
Mit am 30.12.2019 einlangender Stellungnahme vom selben Tag wurde im Wesentlichen das Beschwerdevorbringen wiederholt und Berichte zur Lage im Irak aus den Jahren 2014, 2015 und 2017 zur Lage von Frauen und Konvertiten zum Christentum vorgelegt. Die zum Parteiengehör übermittelten, aktualisierten Berichte würden die Beschwerdeführer in ihren Befürchtungen bestätigen, da darin die weiterhin katastrophale Sicherheits- und Wirtschaftslage sowie die mangelnde Effizienz und Durchschlagskraft der Zentralbehörden aufgezeigt würden. Den Beschwerdeführern drohe aus den vorgebrachten Gründen asylrelevante Verfolgung im Irak. Im Falle einer Rückkehr/Abschiebung bestehe zudem die reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung aufgrund der schlechten allgemeinen Situation.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige des Irak und Angehörige der Volksgruppe der Araber. Ihre Muttersprache ist Arabisch. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet. Aus dieser Ehe stammen die drei minderjährigen Beschwerdeführer, nämlich die Drittbeschwerdeführerin, die Viertbeschwerdeführerin sowie der am 23.06.2016 in Österreich geborene Fünftbeschwerdeführer (vgl etwa Erstbefragung Erstbeschwerdeführer vom 15.01.2016, AS 1 ff Erstbeschwerdeführer; Erstbefragung Zweitbeschwerdeführerin vom 15.01.2016, AS 1 ff Zweitbeschwerdeführerin; Erstbeschwerdeführer, Niederschrift Bundesamt vom 13.10.2017, AS 171 ff Erstbeschwerdeführer; Zweitbeschwerdeführerin, Niederschrift Bundesamt vom 13.10.2017, AS 23 ff Zweitbeschwerdeführerin; Kopie der irakischen Heiratsurkunde, AS 115 ff Erstbeschwerdeführer; österreichische Geburtsurkunde Fünftbeschwerdeführer, AS 129 Erstbeschwerdeführer; Kopien der irakischen Reisepässe des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin, AS 133 ff Erstbeschwerdeführer; Kopien der irakischen Personalausweise des Erstbeschwerdeführers sowie der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin, AS 159 ff Erstbeschwerdeführer; Kopien der irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, AS 155 ff Erstbeschwerdeführer).
Der Erstbeschwerdeführer verließ gemeinsam mit der Zweit-, Dritt- und Viertbeschwerdeführerin den Irak legal auf dem Luftweg am 20.11.2015 und flogen sie von Bagdad nach Istanbul in die Türkei, wo sie sich etwa zehn Tage aufhielten. Von dort reisten sie in der Folge schlepperunterstützt über Griechenland, Serbien, Kroatien und Slowenien illegal nach Österreich, wo sie am 10.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellten (vgl etwa Erstbefragung Erstbeschwerdeführer vom 15.01.2016, AS 5 ff Erstbeschwerdeführer; Erstbefragung Zweitbeschwerdeführerin vom 15.01.2016, AS 5 ff Zweitbeschwerdeführerin; Erstbeschwerdeführer, Niederschrift Bundesamt vom 13.10.2017, AS 176 Erstbeschwerdeführer; Ausreisestempel Irak und Einreisestempel Istanbul/Türkei in den Reisepässen der Beschwerdeführer, AS 131 ff Erstbeschwerdeführer).
Der Erstbeschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig, in Bagdad geboren und aufgewachsen, und hat dort die Schule (Grundschule, drei Jahre Mittelschule und zwei Klassen einer technischen Schule) besucht, wobei er sich auf Elektronik spezialisiert hat. Er zog mit seiner Familie, nämlich den beiden Eltern, dem Bruder und den beiden Schwestern, nach XXXX nordöstlich von Bagdad, wo er mit ihnen vor seiner Heirat mit der Zweitbeschwerdeführerin im gemeinsamen Haushalt lebte und einer Arbeit als Automechaniker in einer Werkstatt nachging. Nach der Eheschließung mit der Zweitbeschwerdeführer lebte er mit dieser (und in weiterer Folge auch mit der Dritt- und der Viertbeschwerdeführerin) in einem eigens gemieteten Haus in XXXX. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt verpflichtete sich der Erstbeschwerdeführer beim irakischen Militär und war dort für die Fahrzeuge der Kaserne, darunter Wartungen und Reparaturen, verantwortlich. Er befand sich jeweils 14 Tage durchgehend im Dienst und hatte dann sieben Tage frei (vgl etwa Erstbefragung Erstbeschwerdeführer vom 15.01.2016, AS 1 ff Erstbeschwerdeführer; Erstbeschwerdeführer, Niederschrift Bundesamt vom 13.10.2017, AS 172 ff Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotoko