TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/13 W239 2185090-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.02.2020
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Entscheidungsdatum

13.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W239 2185090-2/21E

W239 2185092-2/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Theresa BAUMANN über die Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) von 1.) XXXX , geb. XXXX , und 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , beide StA. Somalia, betreffend deren Antrag auf internationalen Schutz vom 12.04.2016 bzw. vom 27.06.2016 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.01.2020 zu Recht erkannt:

A)

Den Anträgen auf internationalen Schutz wird stattgegeben und 1.) XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, idgF. und 2.) XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass 1.) XXXX und 2.) XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine somalische Staatsangehörige, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 12.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.04.2016 gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihrer Person an, sie stamme aus der Region Gedo in Somalia, gehöre zur Volksgruppe der Darood und bekenne sich zum sunnitischen Islam. Ihre Eltern, ihr Ehemann XXXX , sowie ihr Sohn und ihre drei Töchter seien in Somalia aufhältig. Sie sei derzeit im achten Monat schwanger.

Als Fluchtgrund brachte die Erstbeschwerdeführerin vor: "Ich habe meinen Mann XXXX geheiratet, obwohl meine Familie damit nicht einverstanden war, weil er ein Minderheitenangehöriger ist. Mein Vater und meine Geschwister haben uns beiden gedroht, uns zu töten. Es gibt in Somalia keine Regierung, an die ich mich wenden konnte."

Im Falle einer Rückkehr nach Somalia befürchte sie, getötet zu werden.

2. Am XXXX brachte die Erstbeschwerdeführerin im Bundesgebiet ihre Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, zur Welt und stellte als gesetzliche Vertreterin für diese am 27.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Am 02.10.2017 brachte der ausgewiesene Vertreter der Beschwerdeführerinnen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eine Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungsfrist gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 BVG ein.

4. Am 02.02.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein mit "Säumigkeit der Vorlage der Säumnisbeschwerde (Vorlageerinnerung)" betitelter Schriftsatz ein, in dem darauf verwiesen wurde, dass das BFA die Säumnisbeschwerde vom 02.10.2017 bislang nicht dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt habe. Beantragt wurde, das Bundesverwaltungsgericht möge dem BFA daher die Vorlage der Säumnisbeschwerde samt Akten auftragen.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.02.2018 wurde dieser Antrag zurückgewiesen.

Am 21.02.2018 erfolgte letztlich die Beschwerdevorlage an das Bundesverwaltungsgericht.

5. Mit Verfahrensanordnungen vom 20.03.2018 und vom 11.09.2018 beauftragte das Bundesverwaltungsgericht das BFA gemäß § 19 Abs. 6 AsylG 2005 mit der Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin, insbesondere hinsichtlich des genauen Fluchtgrundes betreffend sie selbst und betreffend die minderjährige Tochter und hinsichtlich der Situation im Herkunftsstaat.

6. Am 05.10.2018 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem BFA statt, bei der sich im Wesentlichen Folgendes ereignete: Zu Beginn machte die Beschwerdeführerin über Nachfrage Angaben zu ihrer Herkunft und ihrer Familiensituation, wobei sie insbesondere angab, dass sie zum zweiten Mal verheiratete sei. Die erste Ehe habe von 2008 bis Juni 2013 angedauert. Ihr erster Mann habe zum Clan der Sheikal gehört und sei Lastwagenfahrer gewesen; sie stehe mit ihm nicht mehr in Kontakt. Aus dieser Ehe würden ein Sohn und drei Töchter entstammen. Aktuell kümmere sich die Mutter der Beschwerdeführerin um die Kinder; sie selbst habe keinen Kontakt zu den Kindern, der letzte Kontakt sei vor der Ausreise aus Somalia im Oktober 2015 gewesen.

Die in Österreich geborene Tochter, die Zweitbeschwerdeführerin, stamme aus der zweiten Ehe der Beschwerdeführerin. Sie habe ihren zweiten Mann im März 2015 kennen gelernt, als sie bei ihm Schuhe reparieren habe lassen. Am 03.08.2015 hätten sie traditionell geheiratet. Der Sheikh habe die Eheschließung durchgeführt, es seien zwei Zeugen, und zwar Freunde ihres Mannes, dabei anwesend gewesen. Eine Heiratsurkunde oder sonstige Bescheinigung besitze die Beschwerdeführerin nicht. Ihr zweiter Mann heiße XXXX , sei etwa 32 Jahre alt, bekenne sich zum Islam und gehöre zum Clan der Madhiban, Sub-Clan Reer Mahmud. Weitere Informationen zu seinem Clan habe sie nicht. Vom Beruf sei er Schuhmacher. Sie hätten nach ungefähr fünf Monaten geheiratet, hätten aber nie zusammengelebt. Die Beschwerdeführerin habe mit ihren Eltern, ihren Geschwistern und ihren Kindern gewohnt und er habe bei sich gewohnt; das sei etwa 15 Minuten zu Fuß voneinander entfernt gewesen, und zwar in XXXX in der Region Gedo, wo die Beschwerdeführerin auch geboren worden und aufgewachsen sei. Die beiden hätten sich etwa zwei Mal pro Woche bei einer Freundin der Beschwerdeführerin getroffen. Die Eltern der Beschwerdeführerin hätten von der zweiten Eheschließung nichts gewusst. Über Vorhalt und Nachfrage, wer ihr die Erlaubnis zu Heirat gegeben habe bzw. wer ihr männlicher Vormund gewesen sei, erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie ihren Mann heiraten habe wollen und das auch getan habe; sie selber habe das entschieden und es sei die Ehe auch gültig. Es sei in ihrer Religion erlaubt, zu heiraten, wenn keine Gründe dagegensprächen; es stehe im Koran, dass alle Menschen gleich seien. Wie ein Mensch aussehe oder was ein Mensch glaube, sei eine persönliche Sache. Würden sich zwei Menschen lieben, dann sollten sie heiraten; das stehe auch im Koran.

Über Aufforderung, in einer freien Erzählung ihren Fluchtgrund darzulegen, führte die Erstbeschwerdeführerin Folgendes aus: "Ich habe am 03.08.2015 meinen zweiten Mann geheiratet und habe dann gemerkt, Ende September, dass ich schwanger bin. Meine Eltern haben auch gemerkt, dass ich krank bin und dass ich schwanger bin. Sie wollten wissen, wer der Vater ist. Ich erzählte meinen Eltern, dass ich einen neuen Mann geheiratet habe und mein Vater wollte, dass ich diesen Mann vorstelle. Ich habe meinen Mann meinem Vater nicht vorgestellt, da ich wusste, dass es ein Problem geben wird, da mein Mann von einer Minderheit stammt. Meine Brüder haben erfahren, wer dieser Mann ist und sie haben dies auch meinem Vater mitgeteilt. Sie haben mich geschlagen und meinten, dass ich diesen Mann zu ihnen bringen muss. Ich habe dann meinen Mann informiert, was passiert ist, und dass er zu meinem Vater gehen muss. Mein Mann kam zu meinem Vater und zu meinen Brüdern, um sich vorzustellen. Das ist einfach ganz anders gelaufen. Meine Brüder und mein Vater haben meinen Mann zusammengeschlagen und sie haben auch mich geschlagen, sie haben mich bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen. Ich bin erst in der Früh zu Bewusstsein gekommen. Ich war in ein Zimmer gesperrt und meine Familie meinte, dass ich eine Schande für die Familie bin und dass sie nicht erlauben werden, dass ein Madhiban-Kind in der Familie geboren wird. Sie haben mich jeden Tag geschlagen, weil sie wollten, dass ich das Kind verliere. Sie haben mir sogar etwas zum Schlucken gegeben. Sie haben gemerkt, dass das Baby nicht herauskommt und sie sagten, dass bevor das Baby herauskommt, solle ich sterben. Mein Vater bedrohte mich immer, dass ich, bevor ich das Baby habe, tot sein werde. Meine kleine Schwester hat erfahren, dass mich die Familie eines Abends umbringen wollte und dass mein Vater bereits ein Seil vorbereitet hat. Meine Schwester hat das Zimmer gemeinsam mit einer Freundin aufgesperrt. Sie haben mir geholfen und ich bin dann von dort weggeflüchtet und so habe ich meine Heimat verlassen."

Im Anschluss an die freie Erzählung wurden der Beschwerdeführerin seitens des BFA zahlreiche Fragen gestellt und Vorhalte gemacht, die die Beschwerdeführerin großteils vage und teilweise widersrpüchlich beantwortete. Des Weiteren wurde ihr die Möglichkeit gegeben, ein Vorbringen in Bezug auf die in Österreich geborenen Zweitbeschwerdeführerin zu erstatten. Dazu führte sie unter anderem aus, ihre Tochter gehöre den Madhiban an und sei moslemischen Glaubens. Sie sei gesund. Vorgelegt wurde eine ärztliche Bestätigung vom 04.10.2018, der sich entnehmen lässt, dass bei der Zweitbeschwerdeführerin keine Genitalverstümmelung (FGM) vorliegt und sie sich in einem guten altersentsprechenden Allgemeinzustand befindet. Konkret gab die Erstbeschwerdeführerin dazu an: "Meine Tochter wird als Angehörige der Madhiban diskriminiert. Sie wird auch mit meiner Familie Probleme haben, sie wird von den eigenen Geschwistern ausgegrenzt. Sollte sie nach Somalia zurückgehen, wird sie beschnitten. Und ich möchte sie nicht nach Somalia bringen, weil ich sie vor den Schmerzen bewahren will."

Zur drohenden Zwangsbeschneidung erklärte die Erstbeschwerdeführerin über verschiedene Nachfragen weiter, dass sie selbst ihre Tochter keiner Beschneidung unterziehen würde, auch nicht in Europa unter hygienisch unbedenklichen Voraussetzungen. Auch wenn sie als Mutter nichts dazu sage, werde man in Somalia herausfinden, dass die Tochter nicht beschnitten sei; die anderen Kinder würden die Tochter fragen, und sie würde dann nein sagen. Sie werde gefragt werden, wenn sie aus dem Ausland komme, denn alle würden neugierig sein. In Somalia gebe es keine unbeschnittenen Mädchen. Wie der Kindesvater zur Tradition der Beschneidung stehe, könne die Erstbeschwerdeführerin nicht einschätzen, aber alle Menschen in Somalia seien der Meinung, dass Beschneidung etwas Gutes sei. Vorgehalten, dass sie doch wissen müsse, wie der Kindesvater, den sie geliebt habe, zu diesem Thema stehe, antwortete die Erstbeschwerdeführerin, dass sie nur kurze Zeit miteinander verheiratet gewesen seien. Damals hätten sie andere Probleme gehabt; sie wolle jetzt nicht sagen, dass er dazu diese oder jene Meinung habe, da sie es nicht einschätzen könne. Die Erstbeschwerdeführerin selbst sei auch beschnitten. Zu den aktuellen Informationen der Staatendokumentation hinsichtlich weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) führte die Erstbeschwerdeführerin aus, wenn ihre Tochter einmal groß sei und heiraten wolle, werde kein Mann sie nehmen, wenn sie nicht beschnitten sei. Dass es, wie in den Berichten angedeutet, auch in Somalia Eltern gebe, die ihre Töchter nicht beschneiden lassen würden, und diese Töchter dann als standhafte unbeschnittene Mädchen einen aufgeschlossenen Mann heiraten könnten, sei "nur eine Wahrscheinlichkeit". Die Beschwerdeführerin glaube nicht, dass es auch in Europa dieselbe Stigmatisierung von unbeschnittenen Frauen in der hier ansässigen somalischen Community gebe. Vorgehalten, dass sie als eigenständige und selbstbewusste Frau gegen die Beschneidung ihrer Tochter in Somalia auftreten könne, so wie sie es auch jetzt mache, entgegnete die Beschwerdeführerin, in Somalia sei das schwer, weil die Mehrheit der Leute das nicht wolle und die Tradition der beschnittenen Mädchen als wertvoll ansehe. Die Erstbeschwerdeführerin und auch der Kindesvater würden die Zweitbeschwerdeführerin nicht gegen ihren Willen verheiraten und würden auch keiner Eheschließung mit einem Mann zustimmen, den diese ablehne. Innerhalb der somalischen Community in Österreich werde die Erstbeschwerdeführerin ihre Tochter vor einer Zwangsehe schützen; die Tochter werde hier sicher die Freiheit haben, sich selbst einen Mann auszusuchen. Hier gebe es nicht so einen großen Druck wie in Somalia.

7. Am 16.01.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine mündliche Verhandlung statt, bei der die Erstbeschwerdeführerin die Gelegenheit erhielt, Ausführungen zur Identität und Herkunft sowie zu etwaigen Integrationsbemühungen in Österreich zu machen und anschließend ihre Fluchtgründe darzulegen sowie als gesetzliche Vertreterin der Zweitbeschwerdeführerin für diese ein Vorbringen zu erstatten.

Hinsichtlich ihrer eigenen Fluchtgründe brachte die Erstbeschwerdeführerin in der freien Erzählung Folgendes vor: "Am 03.08.2015 habe ich meinen Mann geheiratet. Ich habe ihn heimlich geheiratet, ohne, dass es die Familie weiß, aufgrund der Clanzugehörigkeit. Wir haben geheiratet und ich lebte weiterhin im Haus meiner Familie. Eine Weile haben wir unsere Ehe geheim gehalten und wir haben uns im Haus meiner Freundin getroffen. Dann bin ich schwanger geworden. Ich bin dann krank geworden, die Familie wusste nicht, dass ich verheiratet war. Mir ist es schlecht gegangen, mir war übel, schwindelig. Mein Vater und meine zwei Brüder haben mich dann zum Arzt gebracht. Ich wurde dort untersucht und der Arzt hat ihnen meine Schwangerschaft mitgeteilt. Meine Familie hat mich gefragt, wie das passieren konnte und wie ich schwanger werden konnte. Dann musste ich sagen, dass ich verheiratet bin. Sie haben es mir nicht geglaubt, sie dachten, dass ich mit einem unehelichen Kind schwanger bin und mit der Geschichte, die ich vorgebracht habe, meine Sünde decken möchte. Sie haben mich dann nach Hause gebracht, mein Vater war sehr wütend. Die Familie sagte mir, wenn es wirklich stimmt, dass ich geheiratet habe, muss ich meinen Mann herzeigen und zur Familie bringen. Sie haben mich in einem Zimmer eingesperrt, sie fürchteten, dass ich flüchten würde. Sie nahmen mir zuerst mein Handy ab und brachten es mir dann wieder und sagten mir, dass ich meinen Mann jetzt anrufen muss. Ich habe mit ihm gesprochen, ich dachte, er wird kommen und es werden sich die Probleme lösen. Ich habe ihn davon überzeugt, dass er zu uns kommt. Es war am Abend, als er zu uns kam, um meine Brüder und meinen Vater zu sehen. Dann hat die Familie erkannt, dass mein Mann ein Madhiban ist. Dann hat meine Familie gesagt, dass ich einen Madhiban geheiratet habe, sogar einen Schuster. Meine Familie hatte davor meinen Mann gefragt, ob er mich wirklich geheiratet hat, was mein Mann bejahte. Meine Brüder und mein Vater ärgerten sich sehr, weil wir diese Clanzugehörige nicht heiraten dürfen. Dann ist es zum Streit gekommen, es ist handgreiflich geworden, meine Familie hat meinen Mann und mich geschlagen. Sie haben mich geschlagen, bis ich das Bewusstsein verloren habe. Als ich wieder das Bewusstsein erlangt habe, war niemand bei mir. Ich war in einem Zimmer eingesperrt. Meine Familie hat alle Grenzen überschritten. Sie wollten, dass ich das ungeborene Kind abtreibe. Meine Brüder und mein Vater haben mich geschlagen, damit ich das Baby verliere. Mein Vater hat mir gesagt, wenn ich diese Schwangerschaft nicht unterbreche, werde ich sterben. Sie haben mir traditionelle Dinge gegeben, wie z.B. Honig und das Fett vom Schaf, sie mischten diese Sachen, damit ich das Baby verliere. Sie haben mich in der Früh, bevor sie arbeiten gegangen sind, geschlagen, und auch am Abend, als sie zurückkamen. Mein Vater hat die Entscheidung getroffen, mich zu töten, nachdem diese Schwangerschaft nicht abgebrochen werden konnte. Er hat entschieden, dass man mich mit einem Seil erdrosselt. Meine Mutter hat meinem Vater gesagt, dass ich eine Mutter von vier Kindern bin und er soll mich am Leben lassen, wenn man diese Schwangerschaft nicht beenden kann. Mein Vater hat meiner Mutter vorgeworfen, dass sie mich unterstützt und davon wusste. Er hat gesagt, er will es nicht zulassen, dass ich dieses Baby auf die Welt bringe. Meine jüngere Schwester hat das mitbekommen, sie hat mir gesagt, dass es geplant wurde, dass ich mit einem Seil erdrosselt werde, und der Zeitpunkt wurde auch festgelegt. Meine Schwester und meine Freundin haben mir geholfen. Sie haben das Schloss aufgebrochen und die Tür geöffnet, um mir die Flucht zu ermöglichen. Meine Freundin hat mir geholfen, sie hat mich mit einem Auto weggeschickt und mir etwas Geld gegeben. Dann bin ich nach Äthiopien gekommen."

In weiterer Folge wurden der Erstbeschwerdeführerin zum Fluchtvorbringen zahlreiche Fragen gestellt und Vorhalte gemacht. Im Anschluss daran wurde ihr die Möglichkeit gegeben, als gesetzliche Vertretung für ihre Tochter ein Vorbringen zu erstatten. Hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin wurde zu Beginn der Verhandlung ein aktueller ärztlicher Befundbericht vom 07.01.2020 vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass bei ihr keine Hinweise auf Verletzungen oder Verstümmelungen (Beschneidungen) im Genitalbereich vorliegen. Die Erstbeschwerdeführerin wiederholte dazu ihre Befürchtung, dass die Tochter beschnitten würde, wenn sie nach Somalia müsste. Die Familie werde sie nicht in Ruhe lassen. Es sei auch oft so, dass Mädchen, wenn sie noch jung seien, zwangsverheiratet würden. Die Erstbeschwerdeführerin habe Angst, dass der Tochter etwas passiere. Sie lehne die Tradition der Beschneidung von Mädchen ab; sie habe das selbst erlebt, es sei schmerzhaft, und sie wolle nicht, dass ihre Tochter dieselben Schmerzen erleiden müsse. Sie selbst sei im Alter von sieben Jahren beschnitten worden, auch ihre Schwestern und ihre Mutter seien beschnitten. In der Familie gehe die Tradition bis weit zur Generation der Urgroßmutter; niemand sei unbeschnitten geblieben. Wie der Kindesvater zu diesem Thema stehe, könne die Erstbeschwerdeführerin nicht sagen. Ihre Schwangerschaft sei damals noch nicht weit fortgeschritten gewesen und so hätten sie das nicht besprochen. Eigentlich wisse sie nicht, wie er dazu stehe. Es sei eine weitverbreitete Tradition und er hätte vielleicht zugestimmt, dass die Tochter beschnitten werde. Über Nachfrage gab die Erstbeschwerdeführerin weiter an, dass sie in Somalia nicht die Macht habe, ihre Tochter zu beschützen. Eine Beschneidung könne auch ohne ihre Zustimmung durchgeführt werden; niemand werde das mit ihr besprechen. Vorgehalten, dass sie ihren Angaben nach keinen Kontakt zu ihrer eigenen Familie, zu ihrem Mann und zur Familie des Mannes habe, und nachgefragt, wer dann Druck auf sie ausüben solle, erklärte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie zu ihrer oder zur Familie ihres Mannes gehen müsse, wenn sie nach Somalia abgeschoben werde. Zu ihrer Familie könne sie sowieso nicht gehen und wenn sie zur Familie ihres Mannes gehe, müsste die Tochter beschnitten werden. Davor könne sie die Tochter nicht schützen. Es sei in Somalia eine Schande, wenn ein Mädchen unbeschnitten bleibe. Sie werde dann nicht geheiratet. Man könne die Sache auch nicht geheim halten. In der Gesellschaft könne die Tochter gefragt werden, ob sie beschnitten sei. Und wenn sie heirate, werde es auf jeden Fall herauskommen und dann sei es eine Schande, wenn sie unbeschnitten sei. Auch wenn die Tochter wegen irgendwelchen Beschwerden ins Spital müsse, könne dort herauskommen, dass sie nicht beschnitten sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführerinnen und den vorgebrachten Fluchtgründen:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der in Österreich geborenen, minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin. Sie stellte im österreichischen Bundesgebiet am 12.04.2016 für sich und am 27.06.2016 als gesetzliche Vertreterin für ihre Tochter die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Es liegt ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 vor.

Beide Beschwerdeführerinnen sind somalische Staatsangehörige. Die Erstbeschwerdeführerin gehört zum Clan der Darood und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Somalisch. Sie stammt aus dem Dorf XXXX in der Region Gedo im Südwesten Somalias und hat dort von 1997 bis 2005 die Grundschule besucht.

Aus erster Ehe der Erstbeschwerdeführerin entstammen ein Sohn und drei Töchter; diese leben in Somalia und werden von der Mutter der Erstbeschwerdeführerin versorgt.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin aufgrund der behaupteten zweiten Eheschließung in Somalia Bedrohungen zu gewärtigen hatte.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist unbeschnitten.

Festgestellt wird, dass der Zweitbeschwerdeführerin in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende Verfolgung von maßgeblicher Intensität in Form der Gefahr einer Genitalverstümmelung droht, wogegen sie vom somalischen Staat keinen effektiven Schutz erwarten kann. Aufgrund der landesweit üblichen Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) kommt der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zu.

Die Beschwerdeführerinnen sind strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zum Herkunftsstaat Somalia:

Die Feststellungen zur Lage in Somalia stützen sich (auszugsweise) auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung: 17.09.2019):

"(...)

2. Politische Lage

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 4.3.2019, S.5), aber als autonomer Staat mit eigener Armee und eigener Rechtsprechung funktioniert (NLMBZ 3.2019, S.7). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2018, S.4).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2018, S.5). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten (AA 5.3.2019b). Das Land hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Der Aufbau von Strukturen auf Bezirksebene geht hingegen nur langsam voran (UNSC 15.5.2019, Abs.50).

Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 4.3.2019, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 5.6.2019b, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2018, S.33).

Die Herausforderungen sind dabei außergewöhnlich groß, staatliche Institutionen müssen von Grund auf neu errichtet werden. Zusätzlich wird der Wiederaufbau durch die Rebellion von al Shabaab, durch wiederkehrende Dürren und humanitäre Katastrophen gehemmt. Außerdem sind Teile der staatlichen Elite mehr mit der Verteilung von Macht und Geld beschäftigt, als mit dem Aufbau staatlicher Institutionen (BS 2018, S.33). In vielen Bereichen handelt es sich bei Somalia um einen "indirekten Staat", in welchem eine schwache Bundesregierung mit einer breiten Palette nicht-staatlicher Akteure (z.B. Clans, Milizen, Wirtschaftstreibende) verhandeln muss, um über beanspruchte Gebiete indirekt Einfluss ausüben zu können (BS 2018, S.23). Zudem ist die Bundesregierung finanziell von Katar abhängig, das regelmäßig außerhalb des regulären Budgets Geldmittel zur Verfügung stellt (SEMG 9.11.2018, S.30).

Somalia ist keine Wahldemokratie, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2018, S.13f). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 13.3.2019, S.23; vgl. FH 5.6.2019b, A1) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 4.3.2019, S.5f). Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 geplant (AA 5.3.2019b). Angesichts der bestehenden Probleme bleibt aber abzuwarten, ob diese Wahlen wirklich stattfinden werden (NLMBZ 3.2019, S.9). Bei den Vorbereitungen dafür wurden bisher nur wenige Fortschritte gemacht (FH 5.6.2019b, A3).

Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 13.3.2019, S.23), und es gibt diesbezüglich Konflikte mit den Bundesstaaten (NLMBZ 3.2019, S.7).

Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Ende 2016 / Anfang 2017 besetzt (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt. Zuvor waren Abgeordnete unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b). Das Unterhaus wurde nach Clan-Zugehörigkeit besetzt, das Oberhaus nach Zugehörigkeit zu Bundesstaaten. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2018, S.14/19). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2018, S.22). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. AA 5.3.2019b; BS 2018, S.22).

Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. BS 2018, S.13f). Die 4.5-Formel hat zwar politischen Fortschritt gewährleistet, ist aber zugleich Ursprung von Ressentiments (SRSG 13.9.2018, S.2).

Die Präsidentschaftswahl fand am 8.2.2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten (AA 4.3.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.14; USDOS 13.3.2019, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 13.3.2019, S.1). Im März 2017 bestätigte das Parlament Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 5.3.2019b; vgl. BS 2018, S.14). Die aktuelle Regierung agiert wie eine Regierung der nationalen Einheit. Sie wurde so zusammengesetzt, dass alle relevanten Clans und Gruppen sich in ihr wiederfinden (AA 4.3.2019, S.10).

Gemäß einer Quelle üben aber salafistische Netzwerke zunehmend Einfluss auf die Regierung aus (NLMBZ, S.8f). Nach anderen Angaben kann von Salafismus keine Rede sein, vielmehr sind der Präsident und seine Entourage Moslembrüder bzw. deren Ideologie sehr nahestehend (ME 27.6.2019). Wieder eine andere Quelle berichtet, dass die politische Basis des Präsidenten eine nationalistische ist (ICG 12.7.2019, S.10). Gleichzeitig unterwandert al Shabaab das System, indem sie Wahldelegierte zur Kooperation zwingt (Mohamed 17.8.2019).

Das Konzept einer politischen Opposition ist nur schwach ausgeprägt, die Regeln der Politik sind abgestumpft. Misstrauensanträge, Amtsenthebungsverfahren und Wahlen werden zur Bereicherung und zum politischen Machtausbau missbraucht (SRSG 13.9.2018, S.4). Generell sind die Beziehungen zwischen Bundesregierung und Parlament problematisch. Außerdem kam es 2018 zu einer großen Zahl an Personaländerungen, so wurde etwa der Bürgermeister von Mogadischu, zahlreiche Minister und der Chief Justice ersetzt (NLMBZ, S.8f).

Gegen Ende 2018 war vom Parlament ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Farmaajo eingeleitet worden. Dieses Verfahren wurde jedoch Mitte Dezember 2018 aus formalen Gründen für ungültig erklärt bzw. zurückgezogen (VOA 20.12.2018; vgl. FH 5.6.2019b, A1; UNSC 15.5.2019, Abs.3). Auch zwischen Ober- und Unterhaus ist es zu politischen Auseinandersetzungen gekommen (AMISOM 15.1.2019a; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.3). Diese wurden im Juli 2019 vorläufig beigelegt (UNSC 15.8.2019, Abs.3).

Ein nationaler Versöhnungsprozess ist in Gang gesetzt worden. Dieser wird international unterstützt (UNSC 21.12.2018, S.6).

Föderalisierung: Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, wurden im Rahmen eines international vermittelten Abkommens von 2013 bis 2016 die Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und HirShabelle neu gegründet (AA 5.3.2019b; vgl. USDOS 13.3.2019, S.1; BS 2018, S.4f/12). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 5.3.2019b; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.22). Mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel konnten wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 4.3.2019, S.4). Beim Prozess der Föderalisierung gab es in den letzten Jahren signifikante Fortschritte (BS 2018, S.3). Allerdings hat keine dieser Verwaltungen die volle Kontrolle über die ihr nominell unterstehenden Gebiete (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. BS 2018, S.15).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance:

Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).

Wichtige Detailfragen zur föderalen Staatsordnung sind weiterhin ungeklärt, z.B. die Einnahmenverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten; die jeweiligen Zuständigkeiten im Sicherheitsbereich; oder die Umsetzung der für 2020 geplanten Wahlen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7) - und die gesamte Frage der Machtverteilung zwischen Bund und Bundesstaaten (UNSC 15.5.2019, Abs.25; vgl. UNSC 21.12.2018, S.5).

Die Bundesregierung tut sich schwer, in den Bundesstaaten Macht und Einfluss geltend zu machen (NLMBZ 3.2019, S.7). Außerdem kommt es in den Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten immer wieder zu (politischen) Spannungen (AA 5.3.2019b; vgl. NLMBZ 3.2019, S.7), die manchmal auch in Gewalt eskalierten (BS 2018, S.4).

Zusätzlich haben die Bundesstaaten abseits des Nationalen Sicherheitsrates 2017 einen Kooperationsrat der Bundesstaaten (CIC) geschaffen, welcher unter Ausschluss der Bundesregierung arbeitet (SEMG 9.11.2018, S.5; vgl. AA 5.3.2019b). Während andere Mitglieder des CIC den Dialog mit der Bundesregierung verweigerten (AMISOM 12.10.2018), hat der Präsident von HirShabelle, Mohamed Abdi Waare, diesen zwischenzeitlich gesucht (AMISOM 12.10.2018; vgl. UNSC 21.12.2018, S.1). Der CIC hat bereits zweimal die Kooperation mit der Bundesregierung suspendiert (SEMG 9.11.2018, S.31f), so etwa im September 2018. Im Oktober 2018 haben alle Bundesstaaten außer HirShabelle angekündigt, gemeinsame Sicherheitskräfte aufzustellen (UNSC 21.12.2018, S.1). Generell herrscht zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten ein besorgniserregendes Maß an Misstrauen (SRSG 13.9.2018, S.3). Dadurch wird auch die Lösung von Schlüsselfragen zu Politik und Sicherheit behindert (UNSC 15.5.2019, Abs.2; vgl. SRSG 3.1.2019, S.2).

Bei dieser Auseinandersetzung kommt u.a. die Krise am Golf zu tragen: In Somalia wird eine Art Stellvertreterkrieg ausgetragen, bei welchem die unterschiedlichen Interessen und Einflüsse speziell von Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) eine Rolle spielen. Dies hat die schon bestehenden Spannungen zwischen der Bundesregierung und den Bundesstaaten weiter verschärft, erstere ist in zunehmende Isolation geraten (SEMG 9.11.2018, S.4/30; vgl. ICG 12.7.2019, S.9; FH 5.6.2019b, C1). Diese Entwicklung hat zur Destabilisierung Somalias beigetragen (NLMBZ 3.2019, S.10). Allerdings gibt es zumindest Anzeichen für eine Verbesserung der Situation (UNSC 15.5.2019, Abs.80). So hat sich Präsident Farmaajo für die Verschlechterung der Beziehungen zu den Bundesstaaten öffentlich entschuldigt (ICG 12.7.2019, S.9). Die Bundesregierung versucht insbesondere HirShabelle und Galmudug in ihr Lager zu ziehen (BMLV 3.9.2019). Trotzdem bleiben die Spannungen bestehen (UNSC 15.8.2019, Abs.2).

1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Jubaland wurde im Jahr 2013 gebildet, damals wurde auch Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Bis Anfang August hatten sich für die Neuwahl des Präsidenten neun Kandidaten registrieren lassen (UNSC 15.8.2019, Abs.6). Am 22.8.2019 wurde dann Ahmed Madobe als Präsident bestätigt. Die Wahl war allerdings umstritten: Da die Bundesregierung mehr Kontrolle gewinnen möchte, hat sie erklärt, die Wahl nicht anzuerkennen und den Wahlkandidaten der Opposition, Abdirashif Mohamad Hidig, zu unterstützen (BAMF 26.8.2019, S.6). Der Verwaltung von Jubaland ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Dadurch, dass die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden, wurde die Machtbalance verbessert (BFA 8.2017, S.57ff). Diese Inkorporation funktioniert auch weiterhin, die Verwaltung in Kismayo hat sich weiter gefestigt. Außerdem konnten durch die Kooperation mit Teilen der Marehan auch die nicht der al Shabaab zuneigenden Gebiete von Gedo gefestigt werden (ME 27.6.2019).

2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed "Lafta Gareen" ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat - der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow - war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019).

3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): HirShabelle wurde 2016 etabliert. Zum Präsidenten wurde Ali Abdullahi Osoble gewählt. Anführer der Hawadle hatten eine Teilnahme verweigert (USDOS 13.3.2019, S.24f). Im Oktober 2017 wurde Mohamed Abdi Waare zum neuen Präsidenten, nachdem sein Vorgänger des Amtes enthoben worden war (UNSOM, 24.10.2017). Nach politischen Spannungen haben sich die Beziehungen zwischen Exekutive und Legislative verbessert (UNSC 15.5.2019, Abs.8). Die im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu aufgeflammten Clankonflikte sind gegenwärtig weitgehend abgeflaut (ME 27.6.2019). Dazu beigetragen haben Bemühungen des Premierministers und Katars, wobei letzteres Investitionen in Aussicht gestellt hat. Man ist auf die Hawadle zugegangen. Die Clans - v.a. in Middle Shabelle - haben daraufhin ihre Proteste gegen die Regionalverwaltung reduziert. Unklar ist, ob diese neue Haltung Bestand haben wird. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung (BMLV 3.9.2019). Sowohl in den von HirShabelle in Middle Shabelle kontrollierten Gebieten wie auch in Belet Weyne ist eine Verbesserung der Verwaltung zu verzeichnen (BMLV 3.9.2019).

4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): Im Jahr 2015 wurde die Regionalversammlung von Galmudug vereidigt. Sie wählte Abdikarim Hussein Guled zum ersten Präsidenten. Dieser trat im Feber 2017 zurück. Unter dem neuen Präsidenten Ahmed Duale Gelle "Haaf" wurden Friedensgespräche mit der Ahlu Sunna Wal Jama'a (ASWJ) initiiert. Die Gruppe kontrolliert Teile von Galgaduud (USDOS 13.3.2019, S.24). Ende 2017 wurde mit der ASWJ ein Abkommen zur Machtteilung abgeschlossen (UNSC 15.5.2019, Abs.7; vgl. AMISOM 5.7.2019). Ab September 2018 wuchsen die politischen Spannungen. Im Oktober 2018 wurde in Cadaado ein Gegenpräsident gewählt, während Ahmed "Haaf" weiterhin von Dhusamareb aus regiert (UNSC 21.12.2018, S.2). In der Folge kam es zu Diskussionen und Spannungen über das Datum der nächsten Wahlen. Im März 2019 hat die NISA sogar die Kontrolle über das Gelände des Präsidentensitzes übernommen (UNSC 15.5.2019, Abs.7). Während Haaf das Abkommen mit der ASWJ für nichtig erklärt hat, hat diese mit der Bundesregierung eine Einigung erzielt (UNSC 15.8.2019, Abs.5). Galmudug wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016, S.17).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (4.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia - Innenpolitik, URL, Zugriff 10.4.2019

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AMISOM (5.7.2019): Somalia starts process to integrate Ahlu Sunna forces into the Somali Security Forces, URL, Zugriff 16.7.2019

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AMISOM (17.1.2019a): 17 January 2019 - Morning Headlines [Quelle:

Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

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AMISOM (15.1.2019a): 15 January 2019 - Daily Monitoring Report [Quelle: Halbeeg News], Newsletter per E-Mail

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AMISOM (12.10.2018): 12 October 2018 - Daily Monitoring Report [Quelle: Jowhar News], Newsletter per E-Mail

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (26.8.2019): Briefing Notes 26. August 2019

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BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, URL, Zugriff 31.5.2019

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BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung (Österreich) (3.9.2019): Anfragebeantwortung an die Staatendokumentation

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BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Somalia Country Report, URL, Zugriff 19.3.2019

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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation, URL, Zugriff 24.6.2019

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FH - Freedom House (5.6.2019b): Freedom in the World 2019 - Somalia, URL, Zugriff 22.7.2019

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ICG - International Crisis Group (12.7.2019): Somalia-Somaliland:

The Perils of Delaying New Talks - Africa Report N°280, URL, Zugriff 8.7.2019

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ISS - Institute for Security Studies / Meressa K Dessu / Dawit Yohannes (28.2.2019): Is this the right time to downsize AMISOM?, URL, Zugriff 13.3.2019

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ME - Militärstrategischer Experte (27.6.2019): Interview mit der Staatendokumentation

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Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia, URL, Zugriff 23.8.2019

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NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken (Niederlande) (3.2019):

Country of Origin Information Report on South and Central Somalia (nicht veröffentlichte englische Version), niederländische Version auf URL, 18.6.2019

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group / UN Security Council (9.11.2018): Report of the Monitoring Group on Somalia and Eritrea submitted in accordance with resolution 2385 (2017), URL, Zugriff 8.1.2019

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SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Nicholas Haysom (3.1.2019): Statement to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

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SRSG - Special Representative of the Secretary-General for Somalia, Mr. Michael Keating (13.9.2018): Briefing to the Security Council on Somalia, URL, Zugriff 6.5.2019

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UNSC - UN Security Council (15.8.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 22.8.2019

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UNSC - UN Security Council (15.5.2019): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 15.7.2019

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UNSC - UN Security Council (27.12.2018): January 2019 Monthly Forecast, URL, Zugriff 15.7.2019

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UNSC - UN Security Council (21.12.2018): Report of the Secretary-General on Somalia, URL, Zugriff 7.5.2019

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UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (24.10.2017):

Mohamed Abdi Waare inaugurated as the second President of HirShabelle state, URL, Zugriff 4.9.2019

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USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Somalia, URL, Zugriff 18.3.2019

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VOA - Voice of America / Mohamed Olad Hassan (20.12.2018):

Somalia's Parliament Drops Impeachment of President, URL, Zugriff 22.1.2019

2.1. Puntland

(...)

3. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Die Sicherheitslage bleibt instabil und unvorhersagbar (AMISOM 7.8.2019, S.2). Zwar ist es im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 zu weniger sicherheitsrelevanten Zwischenfällen und auch zu einer geringeren Zahl an Todesopfern gekommen, doch ist die Sicherheitslage weiterhin schlecht. Sie ist vom bewaffneten Konflikt zwischen AMISOM (African Union Mission in Somalia), somalischer Armee und alliierten Kräften auf der einen und al Shabaab auf der anderen Seite geprägt. Zusätzlich kommt es in ländlichen Gebieten zu Luftschlägen (NLMBZ 3.2019, S.17). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 13.3.2019, S.1). Wer sich in Somalia aufhält, muss sich der Gefährdung durch Terroranschläge, Kampfhandlungen, Piraterie sowie kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein (AA 17.9.2019). Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2018, S.31).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017, S.21; vgl. BMLV 3.9.2019).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017, S.21/91f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2019). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und - in noch stärkerem Ausmaß - in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (Deutschland) (17.9.2019): Somalia - Reise- und Sicherheitshinweise - Reisewarnung, URL, Zugriff 17.9.2019

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2019): Africa (Data through 19 January 2019), URL, Zugriff 23.1.2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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