TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/2 G306 2182882-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2020
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Entscheidungsdatum

02.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G306 2182882-1/25E

G306 2182888-1/22E

G306 2182887-1/22E

G306 2182885-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) des XXXX, geb. XXXX, 2.) der XXXX, geb. XXXX, 3.) des XXXX, geb. XXXX, und 4.) des XXXX, geb. XXXX, allesamt StA.: Irak, vertreten durch RA Mag. Alfred WITZLSTEINER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.12.2017, Zlen. XXXX,

XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

A)

I. Den Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und den Beschwerdeführern jeweils der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

III. In Erledigung der Beschwerden werden die Spruchpunkte III. und VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1), stellte am 20.07.2015, und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), der Drittbeschwerdeführer (im Folgenden: BF3) und der Viertbeschwerdeführer (im Folgenden: BF4), der BF3 und der BF4 gesetzlich vertreten durch die BF2, stellten gemeinsam am 14.09.2015, die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005).

2. Der BF1 wurde am 20.07.2015 und die BF2 am 15.09.2015 vor einem Organ der Bundespolizei niederschriftlich erstbefragt.

3. Am 05.09.2017 wruden der BF1 und die BF2 jeweils vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen.

4. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des BFA, den Beschwerdeführern (im Folgenden: BF) jeweils zugestellt am 13.12.2017, wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.), sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise im Ausmaß von 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI.).

5. Mit per E-Mail am 10.01.2018 eingebrachten gemeinsamen Schriftsatz erhoben die BF durch ihren seinerzeitigen Rechtsvertreter, RA Mag. Laszlo SZABO, Beschwerde gegen den zuvor genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurde neben der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, jeweils in eventu, die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sowie jener des subsidiär Schutzberechtigten, die Erklärung der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung sowie die ersatzlose Behebung der Entscheidung beantragt.

6. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG vom BFA vorgelegt, wo sie am 15.01.2018 einlangten.

7. Am 02.01.2019 fand in der Grazer Außenstelle des BVwG eine mündliche Verhandlung statt, an jener der BF1 und die BF2 persönlich teilnahmen, und ein Zeuge einvernommen wurde.

Die belangte Behörde wurde geladen, verzichtet jedoch auf eine Teilnahme an der Verhandlung.

8. Mit am 04.05.2018 und am 19.09.2018 jeweils beim BVwG eingelangtem gemeinsamem Schriftsätzen nahmen die BF durch ihren aktuellen Rechtsvertreter (im Folgenen: RV) ergänzend Stellung und brachten diverse Unterlagen in Vorlage.

9. Mit Erkenntnissen des BVwG, GZen.: G306 2182882-1/13E, -2182888-1/11E, -2182887-1/11E und -2182885-1/11E, vom 06.05.2019, wurden die gegenständlichen Beschwerden zur Gänze abgewiesen.

10. Mit Erkenntnis des VfGH, E 2050-2053/2019, vom 23.09.2019, wurde den Beschwerden der BF insoweit stattgegeben als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreis richteten, und das Erkenntnis des BVwG in diesem Umfang aufgehoben.

11. Mit verfahrensleitenden Beschlüssen des BvwG, GZen.: G306 2182882-1/22Z, -2182888-1/19Z, -2182887-1/19Z und -2182885-1/19Z, vom 19.12.2019 wurde den BF, zu Handen ihres RV, aktuelle Länderberichte in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak übermittelt. Gleichzeitig wurden diese zur Stellungnahme sowie zur Bekanntgabe allfälliger neuer Sachverhalte binnen zwei Wochen aufgefordert.

12. Mit Schriftsatz vom 04.12.2019 brachte der BF1 ergänzende Unterlagen in Vorlage.

13. Mit am 14.01.2020 beim BVwG eingelangtem gemeinsamen Schriftsatz gaben die BF eine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF führen die im Spruch angeführten Identitäten (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige der Republik Irak. Die BF sind Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennen sich der BF1, der BF3, der BF4 zum muslimisch-sunnitischen und die BF2 zum muslimischen-schiitischen Glauben. Die Muttersprache der BF ist arabisch.

Der BF1 und die BF2 sind miteinander verheiratet und leibliche Eltern des BF3 und des BF4.

Die BF verließen den Irak gemeinsam am 27.08.201 Richtung Türkei. Der BF1 reiste am 17.07.2015 weiter nach Österreich und folgten die BF2, der BF3 und der BF4 dem BF1, über Griechenland kommend am 20.07.2015 nach Österreich. Der BF1 stellte am 20.07.2015, die restlichen BF am 14.09.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Die BF wurden allesamt in Bagdad geboren und lebten bis zuletzt ebendort. Es halten sich weiterhin Familienangehörige der BF, konkret die Mutter und Geschwister der BF2 sowie Onkeln, Tanten und eine Schwester des BF1 im Irak, in Bagdad.

Der BF1 besuchte mehrjährig die Schule und studierte 2003 bis 2007 an der Uni in Bagdad, und schloss diese mit einem Bachelor-Titel in "Wirtschafts-Management" ab.

Der BF 1 war zuletzt als Beamter, konkret dem XXXX in Bagdad, erwerbstätig, und in der Lage seinen Lebensunterhalt, und jenen der sonstigen BF hinreichend zu sichern.

Die BF2 besuchte ebenfalls mehrjährig die Schule im Irak und besuchte von 2000 bis 2004 die Universität in Bagdad, welche sie mit einem Bachelor-Titel in Biologie erfolgreich abschloss. Die BF2 war insgesamt 4 Monate für im öffentlichen Dienst im Herkunftsstaat erwerbstätig, ansonsten als Hausfrau tätig.

Im Bundesgebiet hält sich ein Onkel des BF1 auf, zu jenem weder ein gemeinsamer Haushalt noch ein engeres Verhältnis besteht. Sonst verfügen die BF über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich.

Der BF1, der BF3 und der BF4 sind gesund, und der BF1 zudem arbeitsfähig.

Die BF2 leidet an einer Postraumatischen Belastungsströrung und einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome, welche medikamentös sowie psychotherapeutisch behandelt wird. Das Bestehen einer lebesnbedrohlichen, sich im Endstadium befindlichen Erkrankung konnten jedoch nicht festgestellt werden. Ebenfalls konnten keine Anhaltspunkte, welche eine Arbeitsfähigkeit der BF2 ausschließen könnten festgestellt werden.

Der BF1 und die BF2 besuchten jeweils einen Deutschsprachkurs der Nivaustufe A2 und legten eine entsprechende Deutschsprachprüfung jeweils mit Erfolg ab.

Der BF1 besuchte zudem einen Werte- und Orientierungskurs am XXXX.2017, nahm an einer Kompetenzanalyse der XXXX am 12.12.2016 sowie am Basismodul des XXXX beim XXXX in arabischer Sprache am 25.08.2018 teil, ist Mitglied im Gesangsverein XXXX und in einem Fanklub des lokalen Handballvereins. Zudem war er in der Gemeinde sowie im Altersheim ehrenamtlich, und ist in der örtlichen Pfarrgemeinde nach wie vor gemeinnützig tätig. Am XXXX.2019 hat der BF1 zudem die Integrationsprüfung auf dem Deutschsprachniveau B1 erfolgreich bestanden und am XXXX.2019 ein freies Gewerbe "Hausbetreuung" angemeldet.

Auch die BF2 war in der Ortsgemeinde und örtlichen Pfarre ehrenamtliche tätig und nahm am Basismodul des Projekts XXXX beim XXXX in arabischer Sprache am 25.08.2018 sowie an der XXXX des XXXX am 14.12.2018 teil, und besuchte im Zeitraum 10.04.2018 bis 18.12.2018 Deutschsprachkurse der Niveaustufe B1.

Die BF lebten überwiegend von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und geht die BF2 keiner geregelten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nach. Der BF1 ging in den Zeiträumen 19.12.2017 bis 09.01.2018, 05.09.2018 bis 21.10.2018, 22.10.2018 bis 14.12.2018 und 01.04.2019 bis 30.09.2019 unselbstständigen sowie von 23.01.2019 bis 31.01.2019, 06.03.2019 bis 31.03.2019 und 12.10.2019 bis 31.10.2019 mit Dienstleistungsscheck entlohnten Erwerbstätigkeiten im Bundesgbiet nach. Seit 23.10.2019 weist der BF eine Versicherungsmeldung als selbständig Erwerbstätiger auf.

Der BF3 und der BF4 besuchen jeweils die Schule in Österreich und erweisen sich die BF in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten.

Die BF verfügen über soziale Anknüpfungspunkte in Österreich.

Die gegenständlichen Anträge auf Zuerkennung des internationalen Schutzes wurden mit Erkenntnissen des BVwG, G306 2182882-1/13E, -2182888-1/11E, -2182887-1/11E und -2182885-1/11E, vom 06.05.2019, zur Gänze abgewiesen.

Mit Erkenntnis des VfGH, E 2050-2053/2019, vom 23.09.2019, wurde den dagegen erhobenen Beschwerden der BF insoweit stattgegeben, als sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidär Schutzberechtigten und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und Festsetzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise richteten, und das Erkenntnis des BVwG in diesem Umfang aufgehoben. Die Behanldung der Beschwerde im Umfang der Nichtzuerkennung des Status des Aslyberechtigten wurde hingegen abgelehent und den VwGH abgetreten.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

1.1. KI vom 30.10.2019, Sicherheitsupdate 3. Quartal 2019 und jüngste Ereignisse (relevant für Abschnitt 3. Sicherheitslage)

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).

Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 7.8.2019). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Am 7.7.2019 begann die "Operation Will of Victory", an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der US-geführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: "Operation Will of Victory"; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).

Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).

Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019).

Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).

Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian 29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).

BAGDAD

Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019, von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019).

Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).

AUTONOME REGION KURDISTAN / KURDISCHE REGION IM IRAK

Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.:

Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019).

Die am 27. Mai initiierte türkische "Operation Claw" gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019)

Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. ACLED 7.8.2019).

Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan'' (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).

NORD- UND ZENTRALIRAK

In den sogenannten "umstrittenen Gebieten", die sowohl von Bagdad als auch von der kurdischen Autonomieregion beansprucht werden, und wo es zu erhebliche Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen, durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Trotz der Zunahme der Sicherheitsvorfälle im gesamten Irak waren die Zahlen im Laufe des Monats August 2019 für den Zentral-Irak jedoch rückläufig (Joel Wing 9.9.2019).

Im Gouvernement Ninewa wurden im Juli 2019 sechs Vorfälle mit 24 Toten verzeichnet, wobei hier der Fund von 18 Leichen älteren Datums eingerechnet ist (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden neun Vorfälle mit 24 Toten und drei Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019). Im September wurden 22 Vorfälle mit 35 Toten und 27 Verletzten registriert, wobei bei fast allen diesen Vorfällen IEDs involviert waren. Außerdem wurde ein Mukhtar ermordet und Mossul mit Mörsergranaten beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019). Der IS ist stark in der Region vertreten und konnte seine operativen Fähigkeiten erhalten (Joel Wing 5.8.2019). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den rauen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.8.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Einerseits vertreibt der IS Zivilisten aus ländlichen Gebieten, um dort Basen zu errichten, anderseits greift er wiederholt die lokale Verwaltung und Sicherheitskräfte an (Joel Wing 9.9.2019). Ein Hauptproblem Diyalas ist die mangelhafte Kommunikation zwischen den vielen unterschiedlichen Sicherheitsakteuren in der Region (Joel Wing 9.9.2019), andererseits gibt es generell zu wenige Sicherheitskräfte in Diyala, was der IS auszunutzen versteht (Joel Wing 5.8.2019). Der IS hat Zugang zu allen ländlichen Gebieten in Diyala, konzentriert sich aber besonders auf die Bezirke Khanaqin und Jalawla im Nordosten, welche die Zentralregierung nach dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 übernommen hat (Joel Wing 5.8.2019). Die übrigen Vorfälle betreffen hauptsächlich den Norden und das Zentrum von Diyala. Im Süden und Westen gibt es hingegen kaum sicherheitsrelevante Vorfälle (Joel Wing 9.9.2019).

Für Juli 2019 verzeichnete Joel Wing im Gouvernement Diyala 28 sicherheitsrelevante Vorfälle mit elf Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 41 Vorfälle - die höchste Anzahl seit August 2018, mit 21 Toten und 46 Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019) und im September 37 Vorfälle mit 21 Toten und 30 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019). Im September schlug der IS in fast allen Distrikten des Gouvernements zu (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kirkuk gehen die Zahlen der sicherheitsrelevanten Vorfälle, bis auf wenige Spitzen, kontinuierlich zurück. Im Juli gab es eine Reihe von Raketen- und Mörserangriffen auf Städte und Sicherheitskräfte, ansonsten handelte es ich bei den Vorfällen meist um Schießereien und den Einsatz von IEDs (Joel Wing 5.8.2019). Wie im benachbarten Diyala handelte es sich bei Vorfällen in Kirkuk meist um Schießereien, Angriffe auf Kontrollpunkte, Überfälle auf Städte und Vertreibungen aus ländlichen Gebieten, wobei sich der IS auf den Süden des Gouvernements konzentrierte. Unter anderem wurden eine Polizeistation und ein Armeestützpunkt angegriffen, sowie ein Polizeihauptquartier mit Mörsern beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kirkuk wurden im Juli 2019 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit sechs Toten und 13 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 19 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 34 Toten und 19 Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September 22 Vorfälle mit elf Toten und 19 Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Salah ad-Din wurden im Juli 2019 acht Vorfälle mit zehn Toten und acht Verletzten registriert. Zu den Vorfällen zählten zwei Feuergefechte und ein Angriff auf einen Checkpoint (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden sieben Vorfälle mit vier Toten und fünf Verwundeten verzeichnet (Joel Wing 9.9.2019) und im September zehn Vorfälle mit 13 Toten und zehn Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Das Gouvernement Anbar, früher ein IS-Zentrum, wird nun hauptsächlich für den Transit von IS-Kämpfern zwischen dem Irak und Syrien genutzt (Joel Wing 16.10.2019). Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Anbar hat in den vergangenen Monaten stark fluktuiert (Joel Wing 5.8.2019).

Im Gouvernement Anbar wurden im Juli 2019 fünf sicherheitsrelevante Vorfälle mit neun Toten und 14 Verletzten registriert (Joel Wing 5.8.2019), im August 2019 waren es vier Vorfälle mit sechs Toten und neun Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September vier Vorfälle mit 19 Toten (Joel Wing 16.10.2019).

SÜDIRAK

Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS (Joel Wing 9.9.2019).

Im Gouvernement Babil wurden im Juli 2019 drei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August waren es acht Vorfälle mit fünf Toten und 48 Verletzten. Es handelt sich dabei um die höchste Zahl an Vorfällen seit Juni 2018. Darunter befand sich ein schwerer Angriff mit einer Motorradbombe (VBIED) auf einen Markt im Norden des Gouvernements (Joel Wing 9.9.2019). Im September waren es wieder drei Vorfälle mit einem Toten und fünf Verletzten (Joel Wing 16.10.2019).

Im Gouvernement Kerbala wurde im Juli ein Vorfall mit einem Toten und drei Verletzten verzeichnet. Es handelte sich dabei um den Einsatz einer Haftbombe an einem Auto (Joel Wing 5.8.2019). Im September wurde ein sicherheitsrelevanter Vorfall mit zwölf Toten und fünf Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019). Hierbei wurde an einem Checkpoint im Norden von Kerbala Stadt eine Autobombe gezündet (Joel Wing 16.10.2019; vgl. VOA 21.9.2019). Von Sicherheitskräften entdeckte Waffenlager des IS weisen darauf hin, dass dieser über eine große Menge an Sprengmitteln verfügt (Joel Wing 16.10.2019).

In Basra wurde im August ein Vorfall ohne Opfer registriert. Es handelte sich dabei um eine gegen British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld gerichtete IED (Joel Wing 9.9.2019). Demonstrationen gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und mangelnde Grundversorgung halten an, wobei iranisch unterstützte PMFs beschuldigt werden, sich an der Unterdrückung der Proteste zu beteiligen und Demonstranten und Menschenrechtsaktivisten anzugreifen (Diyaruna 7.8.2019; vgl. Al Jazeera 25.10.2019).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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