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E000 EU- Recht allgemeinNorm
ARB1/80 Art13Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der S Y, in W, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelder Straße 120/28, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 26. Jänner 2017, VGW- 151/016/1099/2017-2, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in
nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 34 Abs. 1 a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin, einer türkischen Staatsangehörigen, gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 28. Dezember 2016, mit dem der Erstantrag der Revisionswerberin "auf Ausstellung eines entsprechenden Aufenthaltstitels, mit dem auch eine unselbständige Tätigkeit durchgeführt werden kann," gemäß § 19 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) in Verbindung mit § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen worden war, als unbegründet ab.
Das Verwaltungsgericht führte im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin habe im Antrag trotz zweier Mängelbehebungsaufträge entgegen dem (näher erörterten) Präzisierungsgebot des § 19 Abs. 2 NAG den Grund des Aufenthalts (Aufenthaltszweck) nicht genau bezeichnet, obwohl das NAG bei der beabsichtigten unselbständigen Erwerbstätigkeit eines Drittstaatsangehörigen mehrere mögliche Aufenthaltstitel vorsehe. Ein Vorgehen nach § 23 Abs. 1 NAG sei nicht geboten gewesen, habe sich doch aus dem Antrag der beabsichtigte Aufenthaltszweck (und damit auch ein anderer benötigter Aufenthaltstitel) gerade nicht ergeben. Auch eine Berufung auf den Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) versage, weil selbst unter der Annahme, dass auf Grund der Stillhalteklausel des ARB 1/80 das Fremdengesetz (FrG) 1997 anzuwenden sei, nach dessen § 14 Abs. 3 im Antrag der jeweilige Aufenthaltszweck bekanntzugeben gewesen sei und § 19 Abs. 2 NAG daher insofern keine neue Beschränkung darstelle.
2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in deren Zulässigkeitsbegründung die Revisionswerberin im Wesentlichen ausführt, das Verwaltungsgericht sei von der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH 10.7.2014, Dogan, C-138/13) und der daran anschließenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Demnach hätten im Sinn der Stillhalteklausel des ARB 1/80 Bestimmungen des NAG, die den Zugang türkischer Staatsangehöriger zum Arbeitsmarkt einschränkten, außer Betracht zu bleiben. Die Revisionswerberin habe eindeutig dargelegt, dass sie als Arbeiterin (Verkäuferin im Lebensmittelhandel) berufstätig sein wolle und einen diesbezüglichen Aufenthaltstitel beantrage. Damit sei der Antrag hinreichend konkret abgefasst worden, die Revisionswerberin sei nicht gehalten gewesen, sich "in die einschränkenden Gesetzesbestimmungen des NAG entsprechend einzufügen". Im Übrigen habe sich das Verwaltungsgericht unrichtig auf das FrG 1997 bezogen, obwohl die Gesetzeslage im Zeitpunkt des EU-Beitritts Österreichs anzuwenden sei.
3.2. Mit diesen Ausführungen vermag die Revisionswerberin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuwerfen.
4.1. Voranzustellen ist zunächst, dass in den gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorzubringenden Zulässigkeitsgründen konkret auf die betreffende Rechtssache bezogen aufzuzeigen ist, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch nicht beantwortet hat. Dabei hat der Revisionswerber konkret darzulegen, dass der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt einer der von ihm ins Treffen geführten hg. Entscheidungen gleicht, das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall dennoch anders entschieden hat und es damit von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen ist (vgl. etwa VwGH 20.9.2018, Ra 2018/11/0118).
4.2. Diesen Anforderungen wird das gegenständliche Zulässigkeitsvorbringen insofern nicht gerecht, als sich die Revisionswerberin nur ganz allgemein auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bezieht, ohne auch nur eine einzige hg. Entscheidung zu zitieren und ohne - im Sinn der obigen Ausführungen - konkret darzulegen, dass der zu beurteilende Sachverhalt einer ins Treffen geführten Entscheidung gleiche, das Verwaltungsgericht dennoch anders entschieden habe und es somit von der ständigen Rechtsprechung abgewichen sei.
Soweit sich die Revisionswerberin auf das Urteil des EuGH in der Sache Dogan beruft, legt sie ebenso nicht dar, inwiefern in Bezug auf jene Entscheidung durch Zugrundelegung welcher hg. Rechtsprechung im angefochtenen Erkenntnis abgewichen worden sei (vgl. VwGH 26.9.2018, Ra 2018/02/0132). Im Übrigen ist der Verwaltungsgerichtshof der Judikatur in der Sache Dogan (wonach das vom deutschen Gesetzgeber neu eingeführte Erfordernis des Nachweises von Deutschkenntnissen eine neue Beschränkung im Sinn der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 darstelle) in ständiger Rechtsprechung gefolgt (vgl. etwa VwGH 24.3.2015, Ro 2014/09/0057; 25.4.2019, Ra 2018/22/0289).
4.3. Aber auch mit dem Vorbringen, wonach sie mit Blick auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 den angestrebten Aufenthaltstitel und den Aufenthaltszweck hinreichend dargelegt habe und nicht gehalten gewesen sei, sich "in die einschränkenden Gesetzesbestimmungen des NAG entsprechend einzufügen", vermag - wie im Folgenden zu zeigen sein wird - die Revisionswerberin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuwerfen.
5.1. Aus § 19 Abs. 1 und 2 NAG ergibt sich, dass in einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels der konkret angestrebte Aufenthaltstitel und der konkret verfolgte Aufenthaltszweck genau zu bezeichnen sind (vgl. in dem Sinn bereits VwGH 18.3.2010, 2010/22/0019). Unzulässig ist nach § 19 Abs. 2 NAG das gleichzeitige Stellen mehrerer oder weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens oder das Stellen eines Antrags, aus dem sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben.
5.2. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung in der Regel an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten (vgl. VwGH 27.7.2017, Ra 2016/22/0066). Eine Einschränkung dieses Grundsatzes kann sich (unter anderem) aus der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 ergeben, welche die Anwendbarkeit neu eingeführter Bestimmungen ausschließt, wenn eine restriktivere (verschärfte) Regelung getroffen wird, als sie eine frühere Rechtslage seit dem EU-Beitritt Österreichs vorgesehen hat (vgl. etwa VwGH 31.5.2017, Ra 2016/22/0089; 14.12.2006, 2005/18/0168). Die Stillhalteklausel kommt freilich nur dann und nur insoweit zur Anwendung, als durch die sonst grundsätzlich maßgebliche Rechtslage eine Verschärfung - im Sinn einer Schlechterstellung des Antragstellers - eingetreten ist, andernfalls ist auf die nach den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien maßgebliche Rechtslage (im Revisionsfall die im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts geltende Fassung des NAG) abzustellen (vgl. etwa VwGH 16.1.2018, Ra 2017/22/0209; 23.11.2017, Ra 2016/22/0099; 18.1.2017, Ra 2016/22/0021).
6.1. Vorliegend geht die Revisionswerberin mit Blick auf die Stillhalteklausel davon aus, dass sie nicht gehalten sei, den konkret angestrebten Aufenthaltstitel und den konkret verfolgten Aufenthaltszweck genau zu bezeichnen. Sie zeigt dabei jedoch nicht auf bzw. ist auch nicht ersichtlich, inwiefern sie durch die diesbezüglichen Bestimmungen des § 19 Abs. 1 und 2 NAG schlechter gestellt wäre als durch eine frühere Rechtslage seit dem EU-Beitritt Österreichs. Insbesondere sieht das NAG diverse Aufenthaltstitel mit einem entsprechenden Aufenthaltszweck für Fremde vor, die die Aufnahme einer unselbständigen
Erwerbstätigkeit in Österreich anstreben, sodass insoweit eine Verschlechterung im Vergleich zu einer früheren Rechtslage nicht zu sehen ist.
Die gebotene Festlegung auf (nur) einen konkreten Aufenthaltstitel und Aufenthaltszweck lässt ebenso - selbst im Fall eines dabei unterlaufenen Fehlers - keinen Nachteil erkennen. Der Revisionswerberin ist es nämlich unbenommen, neben dem "Hauptantrag" auch einen oder mehrere Eventualanträge zu stellen (vgl. VwGH 13.12.2011, 2010/22/0168), sodass sie sich gegen die Folgen einer allfälligen unrichtigen Festlegung des Aufenthaltstitels und Aufenthaltszwecks absichern kann.
6.2. Würde - dem Standpunkt der Revisionswerberin folgend - der gegenständliche Antrag als hinreichend erachtet, müsste die belangte Behörde bzw. das Verwaltungsgericht das Antragsvorbringen dahingehend deuten, welcher konkrete Aufenthaltstitel und genaue Aufenthaltszweck nun tatsächlich gewollt sei. Eine Befugnis zur amtswegigen Umdeutung kommt der belangten Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht aber nicht zu (vgl. etwa VwGH 7.2.2008, 2007/21/0476; 16.10.2007, 2006/18/0199).
Ein Antrag, der auf mehrere Aufenthaltstitel zu beziehen wäre und keinen eindeutigen Aufenthaltszweck erkennen ließe, könnte zudem das Verbot des gleichzeitigen Stellens mehrerer Anträge sowie des Stellens eines Antrags mit verschiedenen Aufenthaltszwecken unterlaufen.
7. Nicht zuletzt ist festzuhalten, dass eine Verschlechterung der Rechtsposition der Revisionswerberin im Vergleich zur früheren Rechtslage nach dem FrG 1997 und nach dem diesem vorangehenden Aufenthaltsgesetz (AufG) und Fremdengesetz 1992 auch deshalb nicht zu sehen ist, weil schon die §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 2 und 3 FrG 1997 dahingehend zu verstehen waren, dass im Antrag ein bestimmter Aufenthaltstitel und der jeweilige Aufenthaltszweck konkret anzugeben waren, und weil auch bereits nach § 6 Abs. 1 AufG der Aufenthaltszweck (unter Glaubhaftmachung des Fehlens von Ausschließungsgründen nach § 5 AufG) genau anzugeben war.
8. Insgesamt ist daher festzuhalten, dass - mit Blick auf die Gesetzeslage sowie die bereits vorliegende Judikatur - in der maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung (vgl. VwGH 23.11.2017, Ra 2015/22/0162) keine Rechtsfrage aufgeworfen wird, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
Wien, am 27. Februar 2020
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017220040.L00Im RIS seit
24.04.2020Zuletzt aktualisiert am
24.04.2020