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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §55Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der B B K in W, vertreten durch Mag. Eva Velibeyoglu, Rechtsanwältin in 1100 Wien, Columbusgasse 65/22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 8. Juli 2019, W195 2204632-1/9E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 sowie Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Die 1972 geborene Revisionswerberin ist Staatsangehörige von Bangladesch und befindet sich seit September 2006 im Bundesgebiet. Im Zeitraum 13. September 2006 bis 22. Februar 2017 war sie Hausangestellte bei mehreren in Österreich tätigen Diplomaten, galt insoweit als "Trägerin von Privilegien und Immunitäten" und verfügte daher über einen "Lichtbildausweis für Träger von Privilegien und Immunitäten" nach § 95 FPG (Legitimationskarte, zuletzt auf Basis der Verordnung des Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten über die Ausstellung von Lichtbildausweisen an Angehörige jener Personengruppen, die in Österreich Privilegien und Immunitäten genießen, BGBl. II Nr. 137/2010).
2 Im Hinblick auf den bevorstehenden Ablauf der ihr zuletzt ausgestellten Legitimationskarte (22. Februar 2017) beantragte die Revisionswerberin am 20. Februar 2017 die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt-EU". Mit Bescheid vom 21. August 2017 wies der Landeshauptmann von Wien diesen Antrag ab, da die Revisionswerberin nicht die erforderlichen Deutschkenntnisse (Deutsch auf Niveau B1) nachgewiesen habe. 3 In der Folge, am 5. Jänner 2018, stellte die Revisionswerberin dann einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005, dem sie u.a. ein mit 22. September 2017 datiertes Zertifikat über die erfolgreiche Ablegung einer Deutschprüfung Niveau B1 anschloss.
4 Mit Bescheid vom 24. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den genannten Antrag ab und erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die Revisionswerberin eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG. Außerdem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Bangladesch zulässig sei und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 8. Juli 2019 als unbegründet ab. Es stellte insbesondere fest, dass die Revisionswerberin seit 22. Februar 2017 ohne Beschäftigung sei und sich nicht mehr legal im Bundesgebiet aufhalte; sie verfüge über eine Einstellungszusage als Küchenhilfe, wohne mit einer Freundin zusammen und habe Kontakt zu Freundinnen, mit denen sie auch einen Teil ihrer Freizeit verbringe; derzeit habe die Revisionswerberin keine regelmäßigen Einkünfte, sie verfüge noch über Ersparnisse in der Höhe von EUR 1.800,-- und sei im Wege der Selbstversicherung krankenversichert. Der Ehemann und die volljährige Tochter der Revisionswerberin - so das BVwG weiter - lebten in Bangladesch, in Bezug auf die Intensität der Kontakte zu ihrer Tochter habe die Revisionswerberin unterschiedliche Angaben gemacht. 6 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung räumte das BVwG ein, dass der lange Aufenthalt der Revisionswerberin in Österreich, der zum größten Teil "zulässig" gewesen sei, für sie spreche. Allerdings habe sie im Hinblick auf ihre Stellung als "Trägerin diplomatischer Immunitäten und Privilegien" nicht legitimerweise die Erwartung haben können, sich auf Dauer in Österreich aufzuhalten. Zusammenfassend ergebe sich, dass das persönliche Interesse der über keine Familienangehörigen im Bundesgebiet verfügenden Revisionswerberin an einem Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an einer Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens nicht übersteige, weshalb ihr der beantragte Aufenthaltstitel nicht zu erteilen sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 3. Oktober 2019, E 3101/2019-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Über die dann ausgeführte außerordentliche Revision - das BVwG hat gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ausgesprochen, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei - hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG nach § 25a Abs. 1 VwGG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig; sie ist auch berechtigt.
9 Es ist unstrittig, dass sich die Revisionswerberin seit September 2006 in Österreich befindet und somit - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - knapp 13 Jahre im Bundesgebiet aufhält. Dem kommt entscheidungswesentliche Bedeutung zu.
10 Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, auf die schon in den Zulässigkeitsausführungen der Revision zutreffend Bezug genommen wird, ist nämlich bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an seinem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Außerdem erachtete der Verwaltungsgerichtshof auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte ein Überwiegen des persönlichen Interesses eines Fremden an einem Verbleib im Inland dann nicht als zwingend, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen diesen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. aus jüngerer Zeit etwa VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0243, Rn. 9, mwN).
11 Das BVwG ist auf diese Judikaturlinie zwar nicht eingegangen, hat aber immerhin erkannt, dass ihr langjähriger Aufenthalt in Österreich für die Revisionswerberin spricht. Es verwies allerdings auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes,
in denen trotz langjährigem Aufenthalt und dem Vorliegen von Integrationsschritten die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bejaht worden sei, doch sind die insoweit angeführten Entscheidungen mit dem vorliegenden Fall schon deshalb nicht vergleichbar, weil die jeweils zu Grunde liegende Aufenthaltsdauer deutlich hinter den hier zu beurteilenden knapp 13 Jahren zurückblieb und jedenfalls nie zehn Jahre erreichte. 12 Im angefochtenen Erkenntnis wurde auch erkannt, dass die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Revisionswerberin in Österreich bis Februar 2017 und ihre damit im Zusammenhang ausgeübte Erwerbstätigkeit zu Gunsten der Revisionswerberin ausschlagen. Schon im Hinblick darauf durfte das BVwG nicht davon ausgehen, sie habe die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt, um sich sozial und beruflich zu integrieren, und zwar unabhängig davon, dass die tatsächlichen Deutschkenntnisse der Revisionswerberin - wie vom BVwG noch festgestellt - "spärlich" sind.
13 Das BVwG konnte aber auch keine Umstände aufzeigen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer der Revisionswerberin im Inland maßgeblich relativieren könnten. Dass sie allenfalls auf Grund ihrer Rechtsstellung nicht mit einem dauerhaften Aufenthalt in Österreich habe rechnen dürfen, mag zwar zutreffen, ist aber durch die langjährige tatsächliche Beschäftigung in verschiedenen Diplomatenhaushalten und der damit verbundenen besonderen rechtlichen Stellung "überholt" und angesichts der schon mehrfach erwähnten knapp 13-jährigen Gesamtaufenthaltsdauer in Österreich keinesfalls mehr von Relevanz.
14 Zusammenfassend ergibt sich damit, dass die für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gleichermaßen wie für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung maßgebliche Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG vom BVwG in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgenommen worden ist. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
15 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren auf gesonderten - über den dort genannten Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand hinausgehenden - Zuspruch von Umsatzsteuer und auf den Ersatz einer Web-ERV-Gebühr hat in der genannten Verordnung keine Deckung und war daher abzuweisen (vgl. etwa VwGH 16.5.2019, Ra 2018/21/0122, Rn. 15). Wien, am 4. März 2020
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210380.L00Im RIS seit
05.05.2020Zuletzt aktualisiert am
05.05.2020