TE Vwgh Beschluss 2020/3/4 Ra 2019/21/0161

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Veröffentlicht am 04.03.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z4
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z6
NAG 2005 §11 Abs4 Z1
NAG 2005 §11 Abs4 Z2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. April 2019, L502 1302615-3/94E, betreffend ersatzlose Behebung (insbesondere) einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot (mitbeteiligte Partei: M G in S, vertreten durch die Rechtsanwälte Gruber Partnerschaft KG in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der am 1. Juni 2000 geborene Mitbeteiligte ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste im November 2005 gemeinsam mit seiner Mutter nach Österreich, wo sich bereits sein Vater als Asylwerber befand.

2 Auch der Mitbeteiligte stellte einen Asylantrag, der letztlich - wie die Anträge seiner Eltern und einer 2006 geborenen Schwester - erfolglos blieb. Mit dem in Bezug auf die Eltern des Mitbeteiligten, seine Schwester und ihn selbst ergangenen verfahrensabschließenden Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28. Juni 2011 wurde allerdings festgestellt, dass die Ausweisung des Mitbeteiligten, seiner Mutter und seiner Schwester auf Dauer unzulässig sei; die erstinstanzlich ergangene Ausweisung des Vaters des Mitbeteiligten wurde dagegen, weil dieser insbesondere gegen die Mutter des Mitbeteiligten gewalttätig geworden war, bestätigt.

3 In der Folge erhielt der Mitbeteiligte (ebenso wie seine Mutter und seine Schwester) Aufenthaltstitel "Rot-Weiss-Rot - Karte Plus", zuletzt mit Gültigkeit bis 15. August 2016. Am 23. Juni 2016 stellte der Mitbeteiligte fristgerecht einen Verlängerungsantrag.

4 Mittlerweile war er jedoch straffällig geworden. Er hatte im Zeitraum September 2014 bis 28. Oktober 2014 (sohin als 14- Jähriger) insbesondere durch Kontaktaufnahme mit Anhängern des "Islamischen Staates" sowie der terroristischen Vereinigung "Al Kaida" und durch Verschaffung von Informationen für den Bau einer Sprengvorrichtung, die auf einem belebten Platz in Wien zur Explosion gebracht werden sollte, das Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB sowie das Vergehen der Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat nach § 278f Abs. 2 StGB begangen. Er wurde deswegen mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 26. Mai 2015 zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren verurteilt, aus deren unbedingtem Teil (acht Monate) er - unter Anrechnung der Vorhaft - nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haft am 12. Juni 2015 unter Anordung von Bewährungshilfe bedingt entlassen wurde.

5 Der Mitbeteiligte wurde allerdings rückfällig und beging im Zeitraum Juni 2015 (gerade 15-jährig) bis zumindest November 2015 erneut das Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB, indem er dergestalt Propaganda für den "Islamischen Staat" machte, dass er einem anderen zwei einschlägige Lichtbilder übermittelte und diesen darin bestärkte, als Kämpfer in Syrien für den "Islamischen Staat" tätig zu sein. Der Mitbeteiligte wurde deswegen mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 28. April 2016 wegen des genannten Verbrechens - und des insoweit weiter verwirklichten Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a zweiter Fall Z 1, Z 2 und Z 3 StGB - zu einer 20-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die er unter Anrechnung der Vorhaft zur Gänze (Haftentlassung Ende September 2017) verbüßte. Vom Widerruf der mit Urteil vom 26. Mai 2015 gewährten bedingten Strafnachsicht und der dann folgenden bedingten Entlassung (siehe Rn. 4) wurde abgesehen und die Probezeit jeweils auf fünf Jahre verlängert.

6 Im Hinblick auf die Straftaten des Mitbeteiligten erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn mit Bescheid vom 25. Jänner 2017 gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot. Außerdem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei und sprach aus, dass einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.

7 Der dagegen erhobenen Beschwerde erkannte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung zunächst gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zu. Mit Erkenntnis vom 3. Jänner 2018 gab es dann der Beschwerde Folge und behob den Bescheid des BFA vom 25. Jänner 2017 gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG ersatzlos.

8 Über außerordentliche Revision des BFA wurde diese Entscheidung mit Erkenntnis VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0027, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Dem lag im Ergebnis zu Grunde, dass die vom BVwG angestellte positive Zukunftsprognose in Bezug auf den Mitbeteiligten auf einer nicht ausreichend tragfähigen Beurteilungsgrundlage beruhte.

9 In der Folge bestellte das BVwG Dr. K., Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Primaria der forensischen Abteilung einer Universitätsklinik, zur Sachverständigen und erteilte ihr den Auftrag, ein Gutachten insbesondere zu der Frage zu erstellen, ob eine Zukunftsprognose dahingehend getroffen werden könne, dass vom Mitbeteiligten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr im Hinblick auf die Begehung von Straftaten im Zusammenhang mit islamistischem Gedankengut ausgehe. 10 In ihrem nach Untersuchung des Mitbeteiligten erstatteten Gutachten vom 13. Februar 2019 gelangte die bestellte Sachverständige zusammenfassend zu dem Ergebnis, es fänden sich aktuell "aus psychiatrischer Sicht keinerlei Anzeichen dafür, dass (der Mitbeteiligte) dem islamistischen Gedankengut des IS weiter anhängt und im Hinblick auf die Begehung entsprechender Straftaten eine Gefahr darstellt."

11 Insbesondere im Hinblick auf dieses Gutachten kam das BVwG im nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 17. April 2019 zu dem Ergebnis, dass vom Mitbeteiligten keine maßgebliche Gefährdung mehr ausgehe und behob davon ausgehend - auch mit Hinweis auf Art. 8 EMRK - in Stattgebung der erhobenen Beschwerde den zu Grunde liegenden Bescheid des BFA vom 25. Jänner 2017 erneut gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG ersatzlos. Dabei bezog es, wie schon die Sachverständige im unter Rn. 10 erwähnten Gutachten, auch zwei von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gegen den Mitbeteiligten wegen Gefährdung seiner Mutter und seiner Schwester verhängte Betretungsverbote in Bezug auf die gemeinsame Wohnung (insoweit erging dann auch eine einstweilige Verfügung gegen den Mitbeteiligten) in seine Beurteilung, der zudem eine neuerliche Einvernahme des Mitbeteiligten im Zuge der fortgesetzten Beschwerdeverhandlung vom 1. April 2019 voranging, mit ein. Außerdem sprach es gemäß §25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

12 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision nur zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

14 In dieser Hinsicht verweist das BFA in seiner Amtsrevision, zu der der Mitbeteiligte im Rahmen des durchgeführten Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen sei, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe -

in Freiheit wohl verhalten hat. Für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden sei daher in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich, wobei der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen sei, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert habe.

15 Das BFA räumt in diesem Zusammenhang dann allerdings selbst ein, dass im Vorerkenntnis VwGH 26.4.2018, Ra 2018/21/0027, festgehalten wurde, es sei nicht absolut auszuschließen, dass ausnahmsweise auch schon kurze Zeit nach der Haftentlassung unter besonderen Umständen ein für die Gefährdungsprognose maßgeblicher Gesinnungswandel konstatiert werden könne. Das sei etwa dann nicht zu beanstanden, wenn - wie im vorliegenden Fall - die zu Grunde liegenden Straftaten knapp nach Überschreiten der Strafmündigkeitsgrenze gesetzt wurden und die altersmäßige Persönlichkeitsentwicklung des betreffenden Fremden in Verbindung mit dem nach der Tat gesetzten Verhalten eine deutliche Abkehr von dem in der Vergangenheit gezeigten Verhaltensmuster schon nach kurzer Zeit hinreichend deutlich erkennen bzw. erwarten ließen (vgl. Rn. 16 des genannten Erkenntnisses).

16 Davon ist das BVwG nach neuerlicher Gewinnung eines persönlichen Eindrucks vom Mitbeteiligten im Zuge der fortgesetzten Beschwerdeverhandlung - unter vorrangiger Berufung auf die Schlussfolgerungen im eingeholten Sachverständigengutachten - ausgegangen. In diesem Gutachten wird, worauf das BFA hinweist, in Bezug auf die zukünftige Entwicklung des Mitbeteiligten zwar die Bedeutung weiterer Kontakte mit dem vom Mitbeteiligten konsultierten Therapeuten sowie einer baldigen Klärung seines Aufenthaltsstatus sowie der Möglichkeit, eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen, betont, nichtsdestotrotz aber definitiv festgehalten, es bestünden keinerlei Anzeichen dafür, dass der Mitbeteiligte weiter islamistischem Gedankengut anhänge und von ihm eine entsprechende Gefährdung ausgehe.

17 Dass sich das BVwG dem anschloss und deshalb eine auf islamistisches Gedankengut zurückzuführende Gefährdung seitens des Mitbeteiligten nicht (mehr) für gegeben erachtete, ist nicht zu beanstanden. Das BFA bemängelt zwar in seiner Revision, dass das Gutachten einzelne Berichte über den Mitbeteiligten, die während seines Haftaufenthaltes erstattet wurden und kein uneingeschränkt positives Bild zeichnen, nicht berücksichtigt habe, doch trifft der Vorwurf in dieser Form nicht zu. Der Sachverständigen wurden nämlich auch diese Berichte als Grundlage für ihr Gutachten übermittelt; dass sie dann im Gutachten nicht ausdrücklich als Informationsquelle angeführt wurden, heißt nicht, dass sie von der Sachverständigen ausgeblendet worden wären. Im Übrigen ist aber mit dem BVwG zu konstatieren, dass das Gutachten auf einer eigenen Untersuchung der Sachverständigen - deren Kompetenz das BFA nicht anzweifelt - beruht und dass ihm eine wesentlich zeitnähere, aktuelle Entwicklungen berücksichtigende Einschätzung des Mitbeteiligten zu Grunde liegt.

18 Dabei hat die Sachverständige insbesondere auch die im Sommer 2018 gegen den Mitbeteiligten verhängten Betretungsverbote und das diesen zu Grunde liegende gewalttätige Verhalten des Mitbeteiligten miteinbezogen. Dass sie im Hinblick darauf zu einer anderen Beurteilung der Persönlichkeit des Mitbeteiligten hätte gelangen müssen, zeigt die Revision nicht auf.

19 Durfte das BVwG nach dem Gesagten das von der beigezogenen Sachverständigen erstattete Gutachten als maßgebliche Grundlage für seine Entscheidung heranziehen, so erweist es sich dann aber auch als vertretbar, dass das BVwG insgesamt das Vorliegen einer maßgeblichen Gefährdung im Sinn des § 11 Abs. 4 Z 1 und Z 2 NAG (siehe dazu näher das Vorerkenntnis vom 26. April 2018, Rn. 12) verneinte. In diesem Zusammenhang ist zwar noch anzumerken, dass die den Betretungsverboten zu Grunde liegenden Verhaltensweisen des Mitbeteiligten, wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision noch ausgeführt wird, "nicht isoliert zu betrachten" waren. Dass dessen ungeachtet nicht davon auszugehen ist, der Mitbeteiligte hänge weiterhin islamistischem Gedankengut an und werde in entsprechende Verhaltensmuster zurückfallen, ergibt sich aus dem Sachverständigengutachten. Dass aber unter Bezugnahme auf diese Verhaltensweisen und auch in Anbetracht des seinerzeitigen strafrechtswidrigen Verhaltens des Mitbeteiligten davon auszugehen sei, er stelle nunmehr in anderer Form eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar (§ 11 Abs. 4 Z 1 NAG), macht letztlich auch die Revision - die im Übrigen auf die vom BVwG auch angesprochene Interessenabwägung nicht eingeht - nicht geltend.

20 Somit zeigt die Revision eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutimng im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht auf. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

21 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 4. März 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210161.L00

Im RIS seit

05.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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