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32/02 Steuern vom Einkommen und ErtragNorm
EStG 1988 §124b Z53Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofrätin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des Finanzamts Feldkirch in 6800 Feldkirch, Reichsstraße 154, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 9. September 2019, Zl. RV/1100495/2016, betreffend Einkommensteuer 2015 (mitbeteiligte Partei: E H in A, vertreten durch Dr. Robert Mayer, Rechtsanwalt in 6840 Götzis, Vorarlberger Wirtschaftspark 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der im Jahr 1954 geborene Mitbeteiligte war - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - bis 31. Jänner 2008 als Grenzgänger bei einem Unternehmen in der Schweiz unselbständig beschäftigt.
2 Sein Vorsorgeguthaben der "2. Säule (berufliche Vorsorge, Pensionskasse)" wurde bei Beendigung dieses Schweizer Dienstverhältnisses von der betrieblichen Vorsorgeeinrichtung einerseits bar ausbezahlt und andererseits auf ein Freizügigkeitskonto einer Freizügigkeitsstiftung überwiesen. Im Streitjahr wurde das Freizügigkeitskonto schließlich aufgelöst und das (verbliebene) Guthaben iHv 133.605,50 CHF (= 123.233,84 EUR) zuzüglich Zinsen und abzüglich der Quellensteuer im Betrage von 10.254,40 CHF (= 9.458,36 EUR) per 9. März 2015 an den Mitbeteiligten ausbezahlt.
3 Das Finanzamt besteuerte die "Freizügigkeitsleistung" (123.233,84 EUR) ohne Gewährung der Drittelbegünstigung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988.
4 In seiner dagegen eingebrachten Beschwerde beantragte der Mitbeteiligte die Anwendung der streitgegenständlichen Steuerbegünstigung und führte aus, er habe keine Wahlmöglichkeit gehabt. Er sei 2008 von der Schweizer Firma wegen Krankheit gekündigt worden. Daher habe er sein Guthaben aus der privaten Firmen-Pensionskasse herausnehmen und auf ein gesperrtes Freizügigkeitskonto in der Schweiz einzahlen müssen. Erst im Alter von 60 Jahren könne der obligatorische Teil herausgenommen werden. 5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das BFG der Beschwerde statt. Begründend führte es aus, der Mitbeteiligte sei im Zeitpunkt der Kündigung seines Dienstverhältnisses 53 Jahre alt gewesen, weshalb eine vorzeitige Pensionierung in der beruflichen Vorsorge nicht möglich gewesen sei. Mit Beendigung des Dienstverhältnisses sei das bestehende Vorsorgeverhältnis mit der Pensionskasse seiner bisherigen Schweizer Arbeitgeberin aufgelöst worden. Der Mitbeteiligte habe damit die Vorsorgeeinrichtung (die Pensionskasse) verlassen, bevor ein Vorsorgefall eingetreten sei. Demzufolge habe er Anspruch auf eine Austrittsleistung nach Art. 2 FZG und schließlich aufgrund des endgültigen Verlassens der Schweiz einen Anspruch auf Barauszahlung der Austrittsleistung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a FZG, nicht aber einen solchen auf Verbleib in der Pensionskasse und (späteren) Bezug einer Altersrente gehabt. Der Revisionswerber habe infolgedessen kein begünstigungsschädliches Wahlrecht im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zwischen gleichrangigen Ansprüchen gehabt. Dabei sei es nicht begünstigungsschädlich gewesen, dass das Vorsorgeguthaben zunächst (teilweise) auf das Freizügigkeitskonto einer Freizügigkeitsstiftung übertragen worden sei.
6 Die Möglichkeit zur Übertragung der Austrittsleistung auf eine Freizügigkeitspolice stelle nach Ansicht des BFG kein begünstigungsschädliches Wahlrecht im Sinne einer "obligatio alternativa" dar, weil kein Anspruch auf Verbleib in der Pensionskasse und den (späteren) Bezug einer Altersrente bestehe. Auch könne der bei einer Freizügigkeitspolice auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhende Rentenanspruch nicht mit einem gesetzlichen Rentenanspruch gleichgestellt werden. Der vom Finanzamt aus den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 22. November 2018, Ra 2018/15/0086, gezogenen Schlussfolgerung, dass die nach den gesetzlichen Bestimmungen vorgesehene Option, den Vorsorgeschutz durch die Übertragung des Pensionskassenguthabens auf eine Freizügigkeitspolice aufrechtzuerhalten, der begünstigten Besteuerung gemäß § 124b Z 53 EStG 1988 daher entgegenstehe, schließe sich das BFG nicht an. 7 Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ließ das BFG mit der Begründung nicht zu, dass sich die zu lösenden Rechtsfragen auf solche beschränkten, die bereits in der bisherigen VwGH-Rechtsprechung beantwortet worden seien.
8 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamtes, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BFG habe in Abweichung zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Bestimmung des § 124b Z 53 EStG 1988 auf die gegenständliche Kapitalauszahlung angewendet, obwohl anlässlich des Verlassens der Vorsorgeeinrichtung ein Wahlrecht zwischen Übertragung des Vorsorgeguthabens auf ein Freizügigkeitskonto oder eine Freizügigkeitspolice, somit ein nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schädliches Wahlrecht zwischen Kapitalabfindung und Rente ausgeübt worden sei.
9 Der Verwaltungsgerichtshof leitete daraufhin gemäß § 36 VwGG das Vorverfahren ein; der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt
hat, setzt § 124b Z 53 EStG 1988 voraus, dass (insbesondere bei ausländischen Pensionskassen im Hinblick auf die dortige gesetzliche Situation) den Anspruchsberechtigten keine andere Möglichkeit als die Inanspruchnahme der Pensionsabfindung eingeräumt ist (vgl. VwGH 29.3.2017, Ra 2015/15/0033, mwN). 13 Im Erkenntnis vom heutigen Tag, Ro 2019/15/0003, hat der Verwaltungsgerichtshof zu einem vergleichbaren, allerdings die liechtensteinische Gesetzeslage betreffenden, Fall ausgesprochen, entscheidend sei, ob ein Vorsorgeschutz mit späterem Rentenanspruch durch eine entsprechende Disposition über die Freizügigkeitsleistung im Rahmen einer Freizügigkeitspolice hätte aufrecht erhalten werden können (vgl. auch VwGH 23.1.2020, Ra 2018/15/0107). Dass die spätere Rentenleistung nicht von der Vorsorgeeinrichtung des früheren Arbeitgebers, sondern von einem "privaten Versicherungsunternehmen" erfolgt, steht der Annahme eines Wahlrechtes nicht entgegen, sofern ein Verbleib innerhalb des ausländischen Vorsorgesystems trotz Beendigung der Tätigkeit als Grenzgänger möglich war und daraus ein späterer Rentenbezug hätte erfolgen können.
14 In Verkennung der Rechtslage hat das Bundesfinanzgericht keine konkreten Feststellungen darüber getroffen, ob dem Mitbeteiligten nach der schweizerischen Rechtslage und der hiezu in der Schweiz gepflogenen Interpretation sowie den tatsächlichen Gegebenheiten eine Aufrechterhaltung des Vorsorgeschutzes mit späterem Rentenanspruch möglich gewesen wäre.
15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 5. März 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019150127.L01Im RIS seit
26.05.2020Zuletzt aktualisiert am
26.05.2020