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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §58Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht), gegen das - am 20. Juni 2017 mündlich verkündete und mit 3. Juli 2017 schriftlich ausgefertigte - Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW- 151/011/1855/2017-22, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: K B in W, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1.1. Die Mitbeteiligte, eine im Jahr 1978 geborene marokkanische Staatsangehörige, reiste am 15. Juli 2016 mit einem - für den Zeitraum vom 15. Juli bis zum 28. August 2016 ausgestellten - Schengen-Visum C nach Österreich ein. Sie blieb über den Ablauf des Visums hinaus unrechtmäßig im Bundesgebiet.
Am 27. Juli 2016 schloss die Mitbeteiligte die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger (im Folgenden: Ehemann). Am 29. Juli 2016 stellte sie beim Revisionswerber einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Sie berief sich dabei auf ihre Ehe, wobei sie (unter anderem) angab, dass sie mit dem Ehemann in dessen Wohnung in Wien leben wolle und dieser auch für ihren Lebensunterhalt aufkommen werde.
1.2. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2016 räumte der Revisionswerber der Mitbeteiligten zum Ergebnis der Beweisaufnahme Parteiengehör ein. Er führte dabei aus, dass auf Grund des (näher erörterten) Einkommens und der Aufwendungen des Ehemanns das anrechenbare Familieneinkommen weit unter dem Richtsatz nach § 293 ASVG liege und daher der Aufenthalt zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG führen könnte, sowie dass der unrechtmäßige Verbleib der Mitbeteiligten im Bundesgebiet - obwohl eine Rückreise auch mit Blick auf Art. 8 EMRK möglich sei - das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG begründe.
Die Mitbeteiligte machte daraufhin ergänzende Ausführungen zum Einkommen des Ehemanns und behauptete insbesondere das Vorliegen von zu berücksichtigenden Sparguthaben. Sie legte auch weitere diesbezügliche Beweise vor und stellte Beweisanträge.
2.1. Mit Bescheid vom 20. Dezember 2016 wies der Revisionswerber den Antrag der Mitbeteiligten gemäß den §§ 11 Abs. 2 Z 4 iVm. Abs. 5, 11 Abs. 1 Z 5 iVm. 21 Abs. 6 NAG ab.
Der Revisionswerber führte begründend aus, nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens beziehe der Ehemann ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von EUR 977,39. Daraus müsse er noch die Wohnungsmiete von EUR 213,77 (der höhere Wert der freien Station komme fallbezogen nicht zum Tragen) und die Rate im Privatkonkurs von EUR 30,-- bezahlen. Das anrechenbare Familieneinkommen liege daher unter dem Richtsatz für ein Ehepaar nach § 293 ASVG von EUR 1.323,58. Die behaupteten Sparguthaben könnten nicht berücksichtigt werden, weil dagegen erhebliche Bedenken bestünden. So lauteten die Sparbücher namentlich auf keine Person, die Einzahlungen seien erst nach der Antragstellung bzw. unmittelbar vor der Beweisvorlage getätigt worden, es seien nur die für ein Jahr erforderlichen zusätzlichen Mittel ausgewiesen worden, wobei die Herkunft unklar sei (der im Privatkonkurs befindliche Ehemann könne das Geld jedenfalls nicht selbst angespart haben). Aus den dargelegten Erwägungen sei mangels Nachweis ausreichender Mittel nicht auszuschließen, dass der Aufenthalt der Mitbeteiligten zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.
Der Revisionswerber führte ferner aus, es sei mangels eines gegenteiligen Vorbringens bzw. Nachweises davon auszugehen, dass die Mitbeteiligte weiterhin illegal in Österreich aufhältig sei. Insofern bestünden keine besonders berücksichtigungswürdigen Gründe, die eine Ausreise in das Heimatland unmöglich bzw. unzumutbar machten. Auf die Ehe komme es nicht entscheidend an, sei diese doch zu einem Zeitpunkt geschlossen worden, zu dem sich die Mitbeteiligte ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sei. Zudem sei den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert beizumessen, diese würden durch die Überschreitung der sichtvermerksfreien Zeit gravierend verletzt. Auch die Abwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG falle daher - nicht zuletzt wegen der bisher kaum vorhandenen Integration - zu Ungunsten der Mitbeteiligten aus.
2.2. Die Mitbeteiligte erhob gegen den Bescheid Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, der Revisionswerber habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Insbesondere habe er die zum Nachweis der Herkunft der finanziellen Mittel beantragte zeugenschaftliche Vernehmung des Ehemanns unterlassen, worin ein willkürliches Vorgehen zu erblicken sei.
3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde statt und erteilte der Mitbeteiligten den Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" für die Dauer eines Jahres.
3.2. In den Entscheidungsgründen legte das Verwaltungsgericht zunächst den bisherigen Verfahrensgang dar, wobei es insbesondere den Ablauf der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai und 20. Juni 2017 darstellte, die in der Verhandlung abgelegten Aussagen (des Ehemanns und dessen Tochter) weitgehend wörtlich wiedergab und die vorgelegten Beweise und das ergänzende Vorbringen näher erörterte.
In der Folge führte das Verwaltungsgericht aus:
"Es ist die Feststellung zu treffen, dass die allgemeinen Voraussetzungen des ersten Teiles NAG vor dem erkennenden Gericht nachgewiesen werden konnten. Die aus § 293 ASVG erfließenden Richtsätze für ein Ehepaar und ergo deren Haushaltseinkommen sind erfüllt."
Weiters hielt das Verwaltungsgericht fest:
"Beweiswürdigend kann zusammenfassend ausgeführt werden, dass glaubwürdig die finanziellen Nachweise zeugenschaftlich vor dem VGW durch den Gatten der Bf, deren Bruder und die Tochter des Ehegatten der BF unter Beweis gestellt wurden. Die dem Gericht unmittelbar dargelegten Unterlagen befinden sich im Gerichtsakt. Ebenso wurde durch die Erklärung des BFV, bezogen vom KSV über die Verfügbarkeit des unpfändbaren Einkommensteiles, somit das Sparguthaben des Gatten der BF schlüssig begründet. Letztlich konnten auch die finanziellen Rücklagen der BF und der dem VGW vorgelegte Dienstvorvertrag in die Beurteilung miteinbezogen werden. Der ausgewiesene Vertreter ist seiner Mitwirkungspflicht umfassend nachgekommen, als er die beiden Verwandten als Zeugen der Behörde benannte, die glaubwürdig deren finanzielle Unterstützung des Ehegatten der Bf vor dem Gericht unter Beweis stellten. Insbesondere wurde eine Mitteilung des Kreditorenschutzverbandes aus 1870 vorgelegt, aus der eindeutig hervorgeht, dass durch die Ansparung des vorgelegten Sparbuches durch den Ehegatten der Beschwerdeführerin keinerlei Schädigung von Gläubigerinteressen zu Folge des Privatkonkurses desselben entstanden ist.
Die finanzielle Leistungsstärke der beiden Verwandten, die vor dem Gericht am 9.5.2017 als Zeugen ausgesagt, wurde vom Gericht nicht in Zweifel gezogen. Auf Basis dieser zusätzlichen Einkommensquellen, die dem VGW an zwei Verhandlungstagen nachgewiesen wurden, war das Haushaltseinkommen als ausreichend anzusehen gewesen. Der Landeshauptmann wirkte an beiden Verhandlungstagen unentschuldigt nicht mit und erstattete kein gegenteiliges Vorbringen, insbesondere verteidigte er auch nicht die im abweisenden Bescheid angezogenen Abweisungsgründe, und ist somit den Ausführungen des BFV und der Zeugen und insbesondere der festgestellten ausreichenden finanziellen Situation nicht entgegengetreten."
Schließlich führte das Verwaltungsgericht aus:
"Rechtlich ist festzustellen, dass nunmehr die Voraussetzungen erfüllt sind und daher der begehrte AT zu erteilen war. Der BFV wurde darauf hingewiesen, dass im Verlängerungsverfahren die Einkommenssituation erneut einer Prüfung unterzogen werde.
§ 47 NAG idgF lautet (...)
Rechtlich folgt daraus, dass nunmehr die Voraussetzungen des § 47 im Verband § 11 Abs. 2 NAG erfüllt sind. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass für den Fall, dass das Haushaltseinkommen gemäß der Richtsätze aus § 293 ASVG nicht erreicht würde, diese Geldmittel durch Sparguthaben und Zuwendungen Dritter, gegenständlich der zeugenschaftlich einvernommenen verwandten Zeugen, ausgeglichen werden kann. VwGH in Ra (...).
Die übrigen Erteilungsvoraussetzungen wurden im Verfahren vor dem Landeshauptmann nicht beanstandet und erfuhren auch im Rechtsmittelverfahren des Verwaltungsgerichts Wien keine andere Beurteilung."
3.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei.
4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit einem Aufhebungsantrag.
Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Abweisung der Revision.
5. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Revision - in der unter anderem geltend gemacht wird, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Begründungspflicht bzw. zum notwendigen Inhalt einer Entscheidung - ist zulässig und berechtigt.
6.1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, hat die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 VwGVG den Anforderungen zu entsprechen, die in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden (vgl. etwa VwGH 27.1.2017, Ra 2015/03/0059; 28.2.2019, Ra 2018/22/0309).
6.2. Nach § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige - eine Rechtsverfolgung durch die Partei im Wege einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ermöglichende - konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, infolge derer bei Vorliegen widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung gerade jener Sachverhalt festgestellt wurde, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben (vgl. VwGH 24.7.2017, Ro 2014/08/0043, mwN). Die bloße Zitierung von Beweisergebnissen - wie etwa von Zeugen- oder Parteienaussagen - ist weder erforderlich noch hinreichend (vgl. VwGH 21.6.2017, Ra 2016/03/0086). Lässt eine Entscheidung die notwendigen Begründungselemente in einer Weise vermissen, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei im Wege der nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts maßgeblich beeinträchtigt wird, dann führt ein solcher Begründungsmangel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung schon aus diesem Grund (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/03/0086; 9.8.2018, Ra 2016/22/0104).
7.1. Vorliegend wird das angefochtene Erkenntnis den aufgezeigten Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung in keiner Weise gerecht, lässt doch die Entscheidung eine hinreichende Ausführung der notwendigen Begründungselemente vermissen.
Insbesondere fehlt es zur Gänze an den mit Blick auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 47 Abs. 2 NAG einschließlich der Voraussetzungen des 1. Teils (des NAG) notwendigen Tatsachenfeststellungen.
Soweit das Verwaltungsgericht die Aussage der vernommenen Zeugen wiedergibt, ist daraus nicht zu erkennen, welchen konkreten Sachverhalt es als erwiesen annimmt. Die bloße Referierung der Aussagen kann die erforderlichen, auf die entscheidungswesentlichen
Punkte zu fokussierenden, klar und nachvollziehbar zu treffenden Feststellungen nicht ersetzen.
Mit dem Fehlen der gebotenen Tatsachenfeststellungen geht zwangsläufig auch das Fehlen einer nachvollziehbaren Würdigung der aufgenommenen Beweise und einer entsprechenden Darstellung der rechtlichen Erwägungen einher. Die (oben unter Punkt 3.2. zitierten) Ausführungen des Verwaltungsgerichts sind jedenfalls als völlig ungenügend zu erachten.
7.2. Im Hinblick auf die bestehenden gravierenden Mängel unterschreitet die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses die Qualitätserfordernisse einer rechtsstaatlichen Entscheidung und entzieht sich damit einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof (vgl. etwa VwGH 28.9.2018, Ra 2015/08/0080, mwN).
8. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Wien, am 12. März 2020
Schlagworte
Begründung BegründungsmangelBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017220137.L00Im RIS seit
12.05.2020Zuletzt aktualisiert am
12.05.2020