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L55007 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz TirolNorm
Alpenkonvention Prot6 Bodenschutz 2002 Art14 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der B GmbH & Co KG in K, vertreten durch Mag. Thomas Margreiter, Rechtsanwalt in 6250 Kundl, Dr. Bachmannstraße 27, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 18. April 2019, Zl. LVwG-2019/41/0037-13, betreffend naturschutzrechtliche Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Lienz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde - in Stattgebung einer Beschwerde des Tiroler Landesumweltanwaltes - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Revisionswerberin die beantragte naturschutzrechtliche Bewilligung zur Errichtung einer Skipiste ("Gornerpiste") und Verlegung einer Beschneiungsleitung samt Energie- und Steuerkabel gemäß § 29 Abs. 8 Tiroler Naturschutzgesetz 2005, LGBl. Nr. 26/2005 idF LGBl. Nr. 32/2017 (TNSchG 2005), in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 des Protokolls zur Durchführung der Alpenkonvention von 1991 im Bereich Bodenschutz BGBl. III Nr. 235/2002 idF BGBl. III Nr. 111/2005 (Protokoll "Bodenschutz"), versagt. 2 Begründend führte das Verwaltungsgericht, gestützt auf das Gutachten des geologischen und hydrologischen Amtssachverständigen, aus, dass sich die geplante Schipiste gänzlich innerhalb eines mächtigen Talzuschubs mit klar erkennbarem Abrissbereich am Grat des Gornerberges befinde. Infolge klimatischer Einflüsse bzw. ausgelöst durch entsprechend hohe Niederschlagsmengen und/oder Schmelzwasser könne eine Beschleunigung der tiefgreifenden Rutschmasse oder Teilen davon bzw. eine Zunahme der Bewegungsraten nicht ausgeschlossen werden. Die Schipiste sei aufgrund ihrer Positionierung auf einer tiefgreifenden Massenbewegung möglicherweise nicht auf die gesamte Konzessionsdauer bestandsicher und könnten örtliche Schäden durch Hangbewegungen nicht ausgeschlossen werden. Es könne zum spontanen Abbruch von Pistenteilen ohne sichtbare Vorankündigungen an der Geländeoberfläche kommen und könne trotz entsprechender Maßnahmen (keine Versickerung von Pistenwässern im umgebenden Gelände, Ableitung der Pistenwässer durch Kontrollen und Wartungen) eine Reaktivierung/Beschleunigung des Talzuschubes Gornerberg nicht ausgeschlossen werden.
3 Art. 14 Abs.1 dritter Teilstrich Bodenschutzprotokoll beinhalte - so das Verwaltungsgericht weiter - ein Verbot der Genehmigung von Skipisten in labilen Gebieten, das durch die Vorschreibung von Auflagen nicht außer Kraft gesetzt werden könne. 4 Nach der "Checkliste labile Gebiete" liege ein labiles Gebiet dann vor, wenn eine nachhaltige Verschlechterung des Ist-Zustandes im Hinblick auf Hang(in)stabilität (Erosion, Wasserhaushalt, usw) gegeben sei, oder/und wenn gravierende negative Folgen des Pistenbaus sich fachlich nicht abschätzen ließen, wobei alle Phasen des Projekts unter Beachtung der möglichen Naturprozesse in die Betrachtung miteinzubeziehen seien (Errichtung, Betrieb, Störfall, Nachsorge).
5 Demnach sei im vorliegenden Fall von einem "labilen Gebiet" im Sinne des Bodenschutzprotokolls der Alpenkonvention auszugehen, sodass schon aus diesem Grund die beantragte naturschutzrechtliche Bewilligung zwingend zu versagen sei.
6 Aber auch eine nach dem TNSchG 2005 durchzuführende Interessenabwägung könnte zu keiner Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung für die beantragte Gornerpiste führen. Den Ausführungen des naturkundefachlichen Amtssachverständigen zufolge bestehe ein langfristiges öffentliches Interesse an der Erhaltung der Schutzfunktion des betroffenen, großflächig zu rodenden, Bergwaldes, welches die touristischen Interessen an der Errichtung der Skipiste - einer ca. 850 m langen "schwarzen Piste", durch welche vor allem für geübte Wintersportler der Wechsel zwischen den Schigebieten Kals und Matrei attraktiviert werde - deutlich überwögen. 7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es liege keine einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere zur Definition des "labilen Gebietes" und der zu dessen Beurteilung heranzuziehenden Kritierien, vor. Der vorliegende Revisionsfall unterscheide sich von dem dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Juni 2005, 2004/03/0116, zu Grunde liegenden Sachverhalt. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung beruhe auf einer gravierenden Verletzung von Verfahrensvorschriften, wodurch von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen worden sei. 11 Gemäß § 29 Abs. 8 TNSchG 2005 ist eine beantragte naturschutzrechtliche Bewilligung zu versagen, wenn eine Voraussetzung für ihre Erteilung nicht vorliegt.
12 Gemäß Art. 14 Abs. 1 dritter Teilstrich des Protokolls "Bodenschutz" wirken die Vertragsparteien in geeigneter Weise darauf hin, dass Genehmigungen für den Bau und die Planierung von Skipisten in Wäldern mit Schutzfunktionen nur in Ausnahmefällen und bei Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen erteilt und in labilen Gebieten nicht erteilt werden.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat im erwähnten Erkenntnis 2004/03/0116 (Pkt. II.2.3.) zunächst ausgesprochen, dass Art. 14 Abs. 1 dritter Teilstrich des Protokolls "Bodenschutz" unmittelbar anwendbar und bei der Beurteilung der (naturschutzrechtlichen) Genehmigungsvoraussetzungen zu prüfen ist.
14 In der Sache hat der Verwaltungsgerichtshof dieser Entscheidung die Auffassung zu Grunde gelegt, dass "die Bezeichnung ,labiles Gebiet' für ein Gelände zutreffe, in dem für abschätzbare Zukunft nicht sicher gestellt sei, dass Gleichgewicht bestehe oder auf Grund anthropogener Einwirkungen bestehen bleibe. Von einem derartigen Gleichgewicht kann aber im Fall aktiver Hangbewegungen, wie sie im vorliegenden Fall unstrittig in einem (großen) Teil des Projektsgebietes festgestellt wurden, nicht
gesprochen werden, sodass ... die von der belangten Behörde
getroffene Beurteilung, dass die zu errichtenden Skipisten in derartigen labilen Gebieten zu liegen kämen, nicht als unzutreffend erkannt werden kann." (Pkt. II.2.6.)
15 Zusammenfassend kommt in diesem Erkenntnis die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausdruck, dass die inhaltliche Bedeutung des Begriffs "labiles Gebiet" auch mit "Rutschhang" bzw. "Rutschterrain" umschrieben werden kann und die naturschutzrechtliche Genehmigung zu versagen ist, wenn ein wesentlicher Teil des Projektsgebietes in geologisch ungünstigem, von Hangbewegungen betroffenen Gelände gelegen ist (Pkte. II.2.5. und 2.8.).
16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. etwa VwGH 27.2.2019, Ra 2019/10/0010, und 21.11.2019, Ra 2019/10/0177, jeweils mwN).
17 Ausgehend von der obzitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis 2004/03/0116 hat im vorliegenden Revisionsfall das Verwaltungsgericht - gestützt auf die Feststellungen, dass bei Errichtung der projektierten Piste Hangbewegungen bzw. eine Beschleunigung der tiefgreifenden Rutschmasse nicht ausgeschlossen seien und es zum spontanen Abbruch von Pistenteilen ohne sichtbare Vorankündigung bzw. zu einer Reaktivierung/Beschleunigung des Talzuschubs Gornerberg kommen könne - das Vorliegen eines "labilen Gebietes" im Sinne des Protokolls "Bodenschutz" in nicht zu beanstandender Weise angenommen. Ein Abweichen von der genannten Rechtsprechung liegt nicht vor.
18 Mit dem erwähnten Zulässigkeitsvorbringen werden weder über den Einzelfall hinausreichende Fragen aufgeworfen noch bietet der vorliegende Fall Anhaltspunkte dafür, dass das Verwaltungsgericht den ihm zustehenden Anwendungsspielraum überschritten oder gar eine krasse oder unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hätte (vgl. VwGH 30.1.2019, Ra 2018/10/0198, mwN). 19 Da somit bereits die Annahme des Vorliegens eines "labilen Gebiets" die Versagung der naturschutzrechtlichen Bewilligung trägt, kommt es auf die vom Verwaltungsgericht zudem - lediglich hilfsweise - vorgenommene Interessenabwägung bzw. das diesbezügliche Zulässigkeitsvorbringen nicht an.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 20. März 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019100197.L00Im RIS seit
12.05.2020Zuletzt aktualisiert am
12.05.2020