TE OGH 2020/3/27 13Os15/20k

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Veröffentlicht am 27.03.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat am 27. März 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in der Strafsache gegen Helmut S***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 und 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 11. November 2019, GZ 40 Hv 12/19a-27, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Helmut S***** eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach (richtig) § 207 Abs 1 und 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 sowie mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I) und mehrerer Vergehen der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 (II) schuldig erkannt.

Danach hat er

(I) an einer unmündigen Person, nämlich an dem am ***** 1992 geborenen S***** R*****, außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen vorgenommen, wobei die Taten beim Genannten eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich Angstzustände und eine Depression sowie somatische Symptome wie Schlafstörungen, Herzrasen und Zittern, somit eine an sich schwere und länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung zur Folge hatten, indem er

1) im Sommer 2000 in H***** im Kino ***** zwei Mal mehrere Minuten lang dessen Penis über der Hose streichelte, als dieser auf seinem Schoß saß,

2) im Sommer 2003 in A***** beim Baden in der Badewanne in der Wohnung von G***** R***** mehrere Minuten lang dessen nackten Penis betastete und massierte sowie

3) in A***** beim Fernsehen im Bett im „Enkelzimmer“ der Wohnung von G***** R***** mehrere Minuten lang dessen nackten Penis intensiv massierte, als dieser mit dem Rücken auf ihm lag, nämlich

a) kurze Zeit nach der zu 2 geschilderten Tat und

b) zum Jahresende 2003, weiters

(II) S***** R***** außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er ihn bei den zu I/3/a und I/3/b geschilderten Taten mit einer Hand festhielt und ihn dadurch am Weglaufen hinderte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus Z 5, 5a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider ist die Feststellung, wonach sämtliche vom Angeklagten an S***** R***** vorgenommenen sexuellen Missbrauchshandlungen die eingetretenen schweren Verletzungsfolgen bewirkten (US 9), keineswegs undeutlich (Z 5 erster Fall). Vielmehr ist dieser unzweifelhaft zu entnehmen, dass jede einzelne der urteilsgegenständlichen Verhaltensweisen für die festgestellten Verletzungen mitkausal war (vgl dazu RIS-Justiz RS0091997 [T2]).

Als undeutlich kritisiert der Beschwerdeführer auch die Feststellung, das Opfer leide an schweren somatischen Symptomen verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung (US 9), weil nicht erkennbar sei, ob die somatischen Symptome bereits Gesundheitsschädigungen seien oder Letztere darüber hinausgehend hinzutreten würden. Dieses Vorbringen unterlässt die gebotene Gesamtbetrachtung der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0117995 [T1]), wonach S***** R***** ab Mai 2016 unter körperlichen Symptomen wie Schwindel und Tinnitus litt, welche sich verstärkten und zum Jahresende 2016 in Zittern, Herzrasen und Schlafstörungen mit Albträumen mündeten, in der Folge Konzentrationsstörungen und „Flashbacks“ betreffend die Missbrauchshandlungen auftraten und sich die Verfassung des Genannten zu einer Depression mit Angstzuständen verschlechterte, weshalb dieser im Februar 2018 in stationäre Behandlung aufgenommen und erst nach einer Woche soweit stabilisiert wurde, dass die weitere, bis November 2018 andauernde medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung ambulant durchgeführt werden konnte, was eine Gesundheitsschädigung von Mai 2016 bis November 2018 und – in komprimierter Form – drei Wochen leichte, neun Tage mittelstarke und vier Tage starke seelische Schmerzen bedingte (US 8 f).

Die Kritik, das Gericht verwende „verba legalia, ohne näher darzulegen, an welchen Gesundheitsschädigungen“ das Opfer konkret leide (der Sache nach Z 10), orientiert sich nicht an den angeführten Feststellungen US 8 f (RIS-Justiz RS0099810).

Keineswegs übergangen (Z 5 zweiter Fall) hat das Erstgericht die Aussage der Zeugin Manuela S*****, wonach ihr S***** R***** von weniger Übergriffen (als vom Erstgericht festgestellt) erzählt habe. Vielmehr haben die Tatrichter die Anzahl der dieser Zeugin vom Opfer geschilderten Missbrauchshandlungen unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich das Opfer dafür schämte und damals „nicht sehr aussagefreudig war“, ausdrücklich als unerheblich beurteilt (US 17).

Als offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) erachtet der Beschwerdeführer die Konstatierungen zu den seelischen und psychischen Folgen der Tathandlungen sowie zu den Schmerzperioden (US 9), weil das Erstgericht „nicht in nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise“ dargelegt hätte, „aus welchen Gründen es die Angaben des Sachverständigen als glaubwürdig erachtet“. Damit verkennt er, dass der Begründungspflicht schon durch die Verweisung auf das für stichhaltig erachtete, zur relevierten Feststellung ergangene Sachverständigengutachten (US 15 f) entsprochen wird (RIS-Justiz RS0099508).

Ebenfalls mit der Behauptung offenbar unzureichender Begründung bekämpft der Beschwerdeführer die Feststellung, wonach der Angeklagte nach etwa einer halben Stunde Aufenthalts im Badezimmer „noch immer nicht genug hatte“ und deshalb das Opfer vor dem zu Schuldspruch I/3/a erfassten Sachverhalt ins „Enkelzimmer“ schickte (US 6). Damit wendet er sich jedoch seinem Vorbringen zuwider nicht gegen die Feststellung einer entscheidenden Tatsache, weil das Tatmotiv weder die Schuldfrage noch den anzuwendenden Strafsatz berührt (RIS-Justiz RS0088761).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO) darin, eigene Erwägungen zur Glaubhaftigkeit der vom Erstgericht ausführlich erörterten Aussagen des Opfers (US 10 bis 15) anzustellen, und verlässt solcherart den Anfechtungsrahmen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0099649 und RS0100555).

Die den Entfall der Qualifikation des § 207 Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) kritisiert das angebliche Fehlen von Feststellungen zur Intensität der konstatierten somatischen Symptome sowie der Depression und der Angstzustände. Dabei übergeht sie erneut die gerade dazu getroffenen Feststellungen (US 8 f iVm US 1 [RIS-Justiz RS0099775]).

Der Einwand der Sanktionsrüge (Z 11), bei gemeinsamer Aburteilung mit den zu AZ 40 Hv 15/12g des Landesgerichts Feldkirch urteilsgegenständlichen Taten wäre eine deutlich geringere Strafe verhängt worden, stellt ein bloßes Berufungsvorbringen dar. Die im Sinn des § 31 Abs 1 StGB eingegrenzte Strafbefugnis hat das Schöffengericht nicht überschritten (Z 11 erster Fall).

Die Behauptung, das Erstgericht habe entgegen dem Doppelverwertungsverbot (Z 11 zweiter Fall) erschwerend gewertet, dass „die Missbrauchshandlungen bei S***** R***** zu einer schweren Körperverletzung führten“, ist urteilsfremd (vgl US 20).

Hinzugefügt sei, dass die von den Tatrichtern vorgenommene erschwerende Wertung der Verletzungsfolgen als an sich schwer und mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbunden (US 20) – somit über das für die Subsumtion nach § 207 Abs 3 erster Fall StGB idF BGBl I 1998/153 notwendige Ausmaß hinausgehend – unter dem Aspekt des Doppelverwertungsverbots nicht zu beanstanden ist (RIS-Justiz RS0132896, RS0119312, RS0099961 [T14], RS0090977).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E127812

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00015.20K.0327.000

Im RIS seit

20.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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