TE OGH 2020/2/20 5Ob214/19k

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.02.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Manfred Buchmüller GmbH in Altenmarkt, gegen die beklagte Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Friedrich Kühleitner & Mag. Franz Lochbichler Rechtsanwälte OG in Schwarzach im Pongau, wegen Vertragsaufhebung und 522.372,76 EUR sA, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse 59.039,46 EUR) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse 492.275,65 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. Oktober 2019, GZ 4 R 60/19z-66, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger hat von der Beklagten mit Kauf- und Bauträgervertrag vom 14. Oktober 2011 (./A) Liegenschaftsanteile verbunden mit Wohnungseigentum an einer Wohnung und zwei Kfz-Abstellplätzen in einer von der Beklagten im Nahbereich einer Skipiste errichteten Wohnhausanlage erworben und im Dezember 2011 übergeben erhalten. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind sein Begehren auf Aufhebung dieses Kaufvertrags wegen Arglist, Rückzahlung des – von ihm selbst um Benutzungsentgelt für den Zeitraum von Dezember 2012 bis Klageeinbringung verminderten – Kaufpreises und auf Ersatz des Vertrauensschadens.

Das Erstgericht bejahte arglistiges Verhalten des Geschäftsführers der Beklagten, hob den Kaufvertrag auf und gab dem Klagebegehren weitgehend statt. Kosten für weiter verwendbare Möbel und Lampen seien allerdings nicht durch die Vertragsanfechtung frustriert. Für die Küche sei ein Gebrauchsvorteil anzurechnen. Die Gegenforderung aus dem Titel des Nutzungsentgelts sei nur für den Zeitraum zuzusprechen, in dem der Kläger die Wohnung tatsächlich genutzt habe, daher vom Einzug Anfang Dezember 2012 bis zu seinem Auszug im November 2017.

Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen nur insoweit teilweise Folge, als es einen Irrtum des Erstgerichts bei der Berechnung der Schadenersatzansprüche des Klägers in Bezug auf die Grunderwerbsteuer im Umfang von 500 EUR korrigierte und der Kläger sich im Sinn des Vorbringens der beklagten Partei Nutzungsentgelt bereits ab Übergabe der Wohnung anrechnen lassen müsse.

Die dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionen der klagenden und der beklagten Partei zeigen keine erheblichen Rechtsfragen auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Zur Revision der beklagten Partei:

1.1. Die angeblich erhebliche Rechtsfrage, ab welcher Distanz von einem „direkten Pistenzugang“ gesprochen werden könne, ist hier – abgesehen von der grundsätzlichen Einzelfallabhängigkeit von Auslegungsfragen (RIS-Justiz RS0042936) – schon deshalb nicht zu beantworten, weil nach den den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen des Erstgerichts dieser Begriff im Rahmen der Zusicherungen des Geschäftsführers der Beklagten ganz konkret definiert worden war: Der direkte Pistenzugang besteht demnach in der Überquerung der im Eigentum der C***** stehenden Grundstücke Nr 489/1 und 489/2 und wurde – wie sich aus den Beweiswürdigungsüberlegungen ergibt – dem Kläger bei der Besichtigung vor Ort vom Geschäftsführer der Beklagten von der Terrasse aus sogar gezeigt. Ob im Fall, dass der Geschäftsführer der Beklagten den direkten Pistenzugang nicht so erklärt und gezeigt hätte, ein solcher auch dann vorliegen könnte, wenn die Wegstrecke zum Erreichen der Piste 130 m statt 65 m beträgt, ist hier daher nicht zu beantworten.

1.2. Ob der Irreführende absichtlich oder doch bewusst vorgegangen ist, ob er Unrichtiges vorgetäuscht hat oder ob der Irregeführte dadurch zur Einwilligung gebracht wurde, sind Fragen tatsächlicher Natur (RS0014776), ebenso ob die List Einfluss auf die Willensbildung des anderen hatte (RS0014762). An die diesbezüglichen, vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts ist der Oberste Gerichtshof daher gebunden. Nur der Schluss, ob die Feststellungen die Annahme listigen Verhaltens rechtfertigen, fällt in den Bereich der rechtlichen Beurteilung, wäre daher vom Obersten Gerichtshof überprüfbar (RS0108896). Allerdings ist dies immer nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und wirft somit in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (8 Ob 91/17s; RS0014829 [T4]). Eine auch im Einzelfall aufzugreifende grobe Fehlbeurteilung der Vorinstanzen liegt nicht vor:

1.3. List iSv § 870 ABGB ist bewusste Täuschung und setzt daher ein – für den Irrtum kausales – vorsätzliches Verhalten des Irreführenden voraus (RS0014821). Der durch Arglist Getäuschte kann die Aufhebung des Vertrags selbst bei unwesentlichem Motivirrtum verlangen (RS0014807). Voraussetzung ist nur die Kausalität des Irrtums für den Vertragsabschluss (RS0014790). Schweigen erfüllt dann den Tatbestand der Arglist, wenn der Schweigende gegen eine ihm obliegende Aufklärungspflicht verstößt (RS0014817), die dann besteht, wenn der andere Teil nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs eine Aufklärung erwarten durfte (RS0014811; RS0014790 [T4, T8]). List erfordert, dass der andere den Irrenden bewusst in Irrtum führt oder den ihm bekannten Irrtum ausnützt, also positive Kenntnis davon hat, dass der andere Teil irrt, und dass der Irrtum einen Einfluss auf seinen Willensentschluss ausübt (RS0014829; RS0014765). Dafür genügt allerdings bedingter Vorsatz, der Täuschende muss den Irrtum des anderen Teils ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, grobe Fahrlässigkeit reicht nicht aus (10 Ob 74/05p mwN). Die Entscheidungen der Vorinstanzen orientierten sich an diesen Rechtsprechungsgrundsätzen.

1.4. Die Argumentation der Beklagten, ihr Geschäftsführer habe seine subjektive, nur objektiv unrichtige Meinung zur Möglichkeit des direkten Pistenzugangs geäußert, widerspricht dem festgestellten Sachverhalt, wonach er sogar wusste, dass der von ihm – als den Wert der Wohnung nachhaltig gewährleistend angepriesene – direkte Pistenzugang über die Nachbargrundstücke 489/1 und 489/2 nicht rechtlich gesichert war. Von einem bloßen Irrtum des Geschäftsführers der Beklagten kann daher keine Rede sein. Dass er es zumindest ernstlich für möglich hielt, dass der von ihm gezeigte Pistenzugang entscheidend für den Kaufvertrag war, schloss das Berufungsgericht nicht nur aus den mündlichen Zusicherungen bei Besichtigung, sondern auch daraus, dass die direkte Zugangsmöglichkeit zur Piste im Beisein des Geschäftsführers der Beklagten in der Kanzlei des Vertragserrichters noch einmal besprochen wurde und der Mitarbeiter der Kanzlei dort die Auskunft erteilte, dies gehe ohnedies aus dem Grundbuchsauszug hervor, was der Geschäftsführer der Beklagten – dem die Unrichtigkeit dieser Auskunft bewusst sein musste – nicht richtig stellte. Es steht auch fest, dass der Kläger – hätte er gewusst, dass tatsächlich kein gesichertes Recht auf einen direkten Pistenzugang wie vom Geschäftsführer der Beklagten gezeigt besteht – die Wohnung auch zu einem geringeren Preis nicht gekauft hätte. Wenn das Berufungsgericht im Gesamtkontext dieser
– hinsichtlich ihrer Auslegung über den Einzelfall hinaus nicht bedeutsamen (RS0118891) – Feststellungen von Täuschungs- und Beeinflussungsvorsatz des Geschäftsführers der Beklagten ausging, hält sich dies im Rahmen bereits vorliegender Rechtsprechung (vgl etwa 3 Ob 47/16g; 4 Ob 11/13s). Spätestens die ausdrückliche Nachfrage der Gattin des Klägers nach dem zugesicherten direkten Pistenzugang vor Vertragserrichtung machte für den Geschäftsführer der Beklagten die Bedeutung dieses Punktes ganz klar; aus dem Umstand, dass er auch zu diesem Zeitpunkt – ungeachtet seines festgestellten gegenteiligen Wissens – nicht darauf hinwies, dass der von ihm gezeigte direkte Zugang zur Piste rechtlich nicht gesichert war, auf den Beeinflussungsvorsatz zu schließen und sekundäre Feststellungsmängel hiezu zu verneinen, ist keine auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung.

1.5. Einer Abgrenzung zwischen Geschäftsirrtum und Motivirrtum einerseits bzw wesentlichem und unwesentlichem Irrtum andererseits bedarf es im Fall der Vertragsanfechtung wegen Arglist nach § 870 ABGB gar nicht (RS0079857). Im Hinblick auf den vom Erstgericht festgestellten hypothetischen Parteiwillen, wonach der Kläger den Kaufvertrag bei Kenntnis der tatsächlichen Zugangssituation zur Piste nicht abgeschlossen hätte, wäre hier im Übrigen ohnedies von einem wesentlichen Irrtum auszugehen.

1.6. Dass ein Schriftformvorbehalt auf das Recht zur Vertragsanfechtung wegen Arglist nicht durchschlägt, entspricht höchstgerichtlicher Rechtsprechung (8 Ob 158/70; 1 Ob 154/15a). Das Recht auf Anfechtung eines Vertrags wegen eines Mangels wie Irrtum oder Arglist ergibt sich nicht aus dem Vertrag, sondern aus Willensmängeln beim Abschluss des Vertrags (RS0016130 [T1]). Diesen für den Fall des Irrtums – zu 1 Ob 154/15a im Übrigen eine andere Eigentumswohnung in derselben Wohnungseigentumsanlage betreffend – aufgestellten Grundsätzen ist umso mehr für den Fall der Anfechtung wegen arglistigen Verleitens zum Vertragsabschluss zu folgen. Auch insoweit ist keine erhebliche Rechtsfrage zu beantworten.

2. Zur Revision der klagenden Partei:

2.1. Der Schadenersatzanspruch des Irregeführten gemäß § 874 ABGB richtet sich auf das negative Vertragsinteresse (RS0014882). Der Schädiger hat den Geschädigten so zu stellen, wie er stünde, wenn er mit der Gültigkeit seiner Verpflichtung nicht gerechnet hätte (RS0016377 [T3]). Da das Erstgericht – für den Obersten Gerichtshof bindend – feststellte, der Kläger hätte bei Kenntnis der wahren Sachlage eine andere Immobilie erworben und mit vergleichbaren Möbeln ausgestattet, ist das Argument, die von ihm aufgewendeten Kosten für Lampen und Möbel wären auch dann aufgelaufen, hätte er nicht auf die Gültigkeit dieses Vertrags vertraut, weshalb insoweit kein Vertrauensschaden vorliege, nicht korrekturbedürftig.

2.2. Der mit seinem Anfechtungsbegehren Durchdringende hat gemäß § 877 ABGB alles zurückzustellen, was er aus dem Vertrag zu seinem Vorteil erhalten hat. Die Rechtsfolgen im Einzelnen richten sich nach allgemeinem Bereicherungsrecht (RS0016321; RS0016328). Der Benutzer hat ein dem verschafften Nutzen angemessenes Entgelt zu entrichten (RS0019850). Der redliche Benützer hat den Vorteil zu vergüten, der nach seinen subjektiven Verhältnissen entstanden ist (RS0020150 [T5]; RS0019883). Im Fall der Rückabwicklung eines Wohnungskaufs ist dem Verkäufer ein Benützungsentgelt zu bezahlen (RS0016342 [T1]). Nach herrschender Rechtsprechung kann insbesondere bei üblicherweise (auch) vermieteten Wohnungen ein zu zahlender Mietzins Anhaltspunkte für die Bemessung des Gebrauchsvorteils sein (RS0016342 [T3] = 6 Ob 147/05v). Bei Ermittlung des Zeitraums, für den im Fall der Rückabwicklung dem Verkäufer ein Benützungsentgelt zu bezahlen ist, knüpft die Rechtsprechung daran an, wie lange die Wohnungsbenützung dem Käufer zuzurechnen ist. Eine Zurechnung ist jedenfalls von dem Zeitpunkt an auszuschließen, in dem der Käufer dem Verkäufer vorbehaltslos die Rückstellung der Wohnung angeboten und der Verkäufer dies ausgeschlagen hat (RS0016342). Auf eine bloß theoretische Nutzungsmöglichkeit ist beim redlichen Bereicherungsschuldner hingegen nicht abzustellen (8 Ob 126/15k mwN).

2.3. Wenn auch das Berufungsgericht etwas missverständlich davon sprach, der Kläger habe seine Wohnung unmittelbar nach Übergabe im November 2011 aus welchen Gründen auch immer nicht genutzt, war doch im Verfahren nicht strittig, dass die Übergabe der Objekte gemäß Kauf und Bauträgervertrag ./A an den Kläger erfolgte, dieser sie daher ab Dezember 2011 ausschließlich nutzen konnte wie dies Punkt X dieses Vertrags entsprach. Der Kläger bezog die Wohnung zwar zunächst noch nicht, er richtete die Wohnung aber – wie sich aus den von ihm selbst vorgelegten Rechnungen ./K bis ./O und den dort ausgewiesenen Lieferdaten ergibt – ab diesem Zeitpunkt seinen Vorstellungen entsprechend ein. Dazu kommt, dass es dem Kläger nach den Feststellungen beim Ankauf nicht primär um eine Wohnmöglichkeit, sondern um Geldanlage durch Kauf einer Immobilie ging. Angesichts dessen von einer Nutzung der Objekte durch den Kläger bereits ab Übergabe auszugehen, bildet daher im Ergebnis keine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts. Dass der daraus resultierende Gebrauchsvorteil mit dem der Höhe nach im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen ortsüblichen Mietzins anzusetzen ist, bestreitet im Revisionsverfahren niemand mehr.

2.4. Bei der Lösung der Frage, für wie lange der Kläger als Bereicherungsschuldner Benützungsentgelt zu bezahlen hat, haben sich die Vorinstanzen an bereits vorliegender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientiert. Zu 8 Ob 126/15k sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass bei einem berechtigten Wandlungsbegehren zwar nur jener Wertverlust zu berücksichtigen ist, der bis zu dem Zeitpunkt entstanden ist, zu dem der Kläger erstmals berechtigt Wandlung begehrt hat (vgl RS0120321). Der Verkäufer kann sich bei verzögerter Abwicklung auf eine bloß theoretische Gebrauchsmöglichkeit ebensowenig berufen wie auf den nur infolge Zeitablaufs eingetretenen Wertverlust. Unmissverständlich stellte der 8. Senat dort aber auch klar, dass die Einschränkung nicht für die Anrechnung jenes tatsächlichen Nutzens gilt, den der Kläger durch eine fortgesetzte Verwendung der Sache lukriert hat, indem er sich den Aufwand für eine Ersatzbeschaffung erspart hat (so auch 8 Ob 74/13k; 2 Ob 95/06v). Genau dieser Fall liegt hier vor, hat doch der Kläger ungeachtet seines Wandlungsbegehrens die Wohnung nicht nur als Wertanlage, sondern auch durch Gebrauch zum Wohnen bis zu seinem Auszug im November 2017 tatsächlich genutzt und sich damit Aufwand für die Anschaffung einer vergleichbaren Wohnung erspart. Auch ein Widerspruch zur Klauselentscheidung 2 Ob 142/06f ist daher nicht zu erkennen.

3. Damit waren beide Revisionen zurückzuweisen, einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E127805

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00214.19K.0220.000

Im RIS seit

17.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.04.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten