Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 26. März 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in der Strafsache gegen Saber A***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Jugendgeschworenengericht vom 9. Oktober 2019, GZ 10 Hv 30/19p-127, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Saber A***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 8. Dezember 2018 in S***** die sechzehnjährige M***** F***** vorsätzlich getötet, indem er ihr mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 18 cm einen Stich von hinten in die Lunge versetzte.
Die Geschworenen bejahten die anklagekonform nach dem Verbrechen des Mordes (§ 75 StGB) gestellte Hauptfrage (1) und verneinten die nach dem Vorliegen von Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit (§ 11 StGB) gestellte Zusatzfrage (2). Demgemäß blieben die in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB und der Vergehen der grob fahrlässigen Tötung nach § 81 Abs 1 StGB sowie der fahrlässigen Tötung nach § 80 Abs 1 StGB (4, 7, 10) gestellten Eventualfragen, die jeweiligen Zusatzfragen nach dem Vorliegen von Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB (5, 8, 11) und die jeweiligen Eventualfragen nach der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung gemäß § 287 Abs 1 StGB (3, 6, 9, 12) unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 6 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Mohammad T***** (ON 126 S 132 f) Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht verletzt. Dieser Zeuge wurde zum Beweis dafür beantragt, dass „das soeben vom Zeugen R***** Javad geschilderte Telefonat in dieser Form, insbesondere die Ankündigung, dass er jemanden töten werde bzw dass er nach einem Messer gesucht hat, nicht stimmt. Der Angeklagte bestreitet vehement, solche Äußerungen getätigt zu haben und die Handlungen, wie beschrieben, gesetzt zu haben. Der Zeuge [R*****] hat sowohl gestern als auch heute unmissverständlich kundgetan, dass sie zu dritt in diesem Raum zusammengesessen sind und dass sämtliche Gespräche und Äußerungen des Angeklagten für ihn klar wahrnehmbar waren und sohin zwingend logisch und lebensnah ist, dass sie dies auch für den beantragten Zeugen gewesen sind. Die Anklage fußt bezüglich des Mordvorsatzes auf Indizien und stützt sich die Anklage auch in der schriftlichen und vorgetragenen Form ausdrücklich auf die Aussagen des Zeugen R*****, wodurch es die Verteidigungsrechte entgegen der EMRK vehement einschränken würde und dem Prinzip der materiellen Wahrheit zuwiderlaufen würde, einen unabhängigen dritten Zeugen zu diesen widersprechenden Beweisergebnissen, nämlich der Aussage des Zeugen und der Behauptung des Angeklagten, zu hören (ON 126 S 127 f)“. Nachdem der Angeklagte in der Hauptverhandlung dazu ergänzend ausgesagt hatte, es seien „nur R***** und er, somit keine dritte Person im Zimmer gewesen (ON 126 S 131)“, wurde der Beweisantrag dahin erweitert, dass der Angeklagte die vom Zeugen R***** geschilderten Äußerungen sowie die Anwesenheit des Mohammad T***** bestreite und nur der Zeuge T***** „diesen Widerspruch aufklären“ könne (ON 126 S 132).
Die Richtigkeit der Begründung des Erstgerichts für seine abweisende Entscheidung steht nicht unter Nichtigkeitssanktion, wenn nur dem Antrag auch nach der – auf den Zeitpunkt der Antragstellung bezogenen – Ansicht des Obersten Gerichtshofs (im Ergebnis) keine Berechtigung zukam (RIS-Justiz RS0116749; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.98); die vom Rechtsmittelwerber insofern vorgetragene Kritik geht daher ins Leere.
Dem Beweisantrag war nicht zu entnehmen, weshalb die beantragte Beweisaufnahme – in Anbetracht der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, es sei keine dritte Person im Zimmer anwesend gewesen – das behauptete Ergebnis erwarten lasse (RIS-Justiz RS0099453, RS0118444). Demzufolge war das Begehren auf unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RIS-Justiz RS0099353; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330).
Das im Rechtsmittel zur Antragsfundierung nachgetragene Vorbringen hat im Hinblick auf das insoweit geltende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (vgl RIS-Justiz RS0099618).
Gesetzeskonforme Ausführung einer Fragenrüge (Z 6) verlangt vom Beschwerdeführer nicht nur die deutliche und bestimmte Bezeichnung der vermissten Fragen, sondern auch jenes Sachverhalts, auf den die Rechtsbegriffe der §§ 312 ff StPO abstellen, vorliegend somit eines die begehrten Eventualfragen und Zusatzfragen indizierenden Tatsachensubstrats (RIS-Justiz RS0117447; vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23).
Diesen Anfechtungskriterien wird die Beschwerde nicht gerecht. Der Beschwerdeführer moniert das Unterbleiben von Eventualfragen nach den Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung gemäß § 87 Abs 1 und Abs 2 dritter Fall StGB und der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang gemäß § 86 Abs 2 StGB, jeweils kombiniert mit Zusatzfragen nach dem Vorliegen von Zurechnungsunfähigkeit gemäß § 11 StGB und weiteren Eventualfragen nach der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung gemäß § 287 Abs 1 StGB. Er vermag jedoch mit dem Hinweis auf die Angaben des Angeklagten (ON 28 S 12 [polizeiliche Vernehmung], ON 68 [Jugenderhebungen], ON 106 S 14 [Wiedergabe der im Ermittlungsverfahren erfolgten Aussagen im Sachverständigengutachten], ON 126 S 28 ff [Aussage in der Hauptverhandlung]), der im Ermittlungsverfahren einen Tötungsvorsatz in Abrede stellte, sich auf ein Unfallgeschehen berief und in der Hauptverhandlung angab, sich an den Tathergang nicht mehr erinnern zu können, sowie auf dessen „Nachtatverhalten“, nämlich Zudecken des toten Opfers und Einschlafen sowie Hinterlegen gemeinsamer Fotos neben diesem, kein in der Hauptverhandlung vorgekommenes, die begehrte weitere Fragestellung indizierendes, Verfahrensergebnis zu bezeichnen.
Der Umstand, dass die Art der Tat nicht zwingend zum Tod eines Menschen führe, lässt im Übrigen zwar die Schlussfolgerung nach bloßem Verletzungsvorsatz denkbar erscheinen, begründet aber für sich allein kein die Fragestellung erforderndes Indiz (vgl erneut RIS-Justiz RS0117447 [T12]).
Der von der Sanktionsrüge (Z 13 zweiter Fall) geltend gemachte Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) liegt nicht vor, weil das Geschworenengericht die vom Opfer anlässlich der Tötung erlittenen Qualen (vgl ON 126 S 49: Erstickungstod mit einer erst mehrere Minuten nach Zufügung der Verletzung eintretenden Bewusstlosigkeit des Opfers) zu Recht als erschwerend iSd § 33 Abs 1 Z 6 StGB gewertet hat (US 3; vgl RIS-Justiz RS0090977).
Entgegen der Sanktionsrüge (Z 13 dritter Fall) hat das Geschworenengericht mit der im Rahmen generalpräventiver Überlegungen getroffenen Aussage, es sei der Begehung strafbarer Handlungen anderer, „auch im sozialen, freundschaftlichen und kulturellen Umfeld des Angeklagten“ entgegenzuwirken und „klar zu dokumentieren, dass sich … (Messer-)Attacken nicht lohnen und mit einem friedlichen, respektvollen Zusammenleben in Österreich nicht vereinbar sind“ (US 4), nicht auf die Volkszugehörigkeit des Angeklagten abgestellt (vgl dazu RIS-Justiz RS0120234), sondern archaisch-autoritär geprägtes Sozialverhalten generell negativ bewertet.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E127794European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0120OS00160.19Z.0326.000Im RIS seit
17.04.2020Zuletzt aktualisiert am
17.04.2020