TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/4 W124 1438265-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.10.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

04.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

W124 1438265-3/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX und am XXXX zu Recht erkannt:

A)

1. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., III., IV., V. und VII. wird gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, § 57 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG, § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 4 und Abs. 9 FPG, § 46 FPG, § 53 Abs. 1 und Abs. 3 FPG jeweils idgF, als unbegründet abgewiesen.

2. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. wird als unbegründet abgewiesen, mit der Maßgabe, dass es zu lauten hat:

"Gemäß § 55 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren:

1.1. Verfahren über Antrag auf internationalen Schutz

1.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte seine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In der Folge wurde er am XXXX niederschriftlich vor dem Bundesasylamt einvernommen.

1.1.2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX , Zl. XXXX , sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine bis XXXX befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Festgestellt wurde im Wesentlichen, dass der BF keine familiären und/ oder sozialen Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat habe. Es könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass er sich zum Entscheidungszeitpunkt im Herkunftsstaat selbstständig ein gesichertes Umfeld herstellen könne, in welchem seine dringlichsten Lebensbedürfnisse gewährleistet wären. Er sei in Afghanistan geboren, im Alter von zwei Jahren mit seiner Tante in den Iran verzogen und dort aufgewachsen. Von diesem Zeitpunkt an habe er sich ununterbrochen im Iran aufgehalten. Als alleinstehender minderjähriger männlicher Jugendlicher ohne familiäre Anknüpfungspunkte sei der BF sohin aufgrund der mangelnden Existenzsicherung und der erhöhten Gefährdungslage besonders vulnerabel und bestehe für ihn demzufolge die reale Gefahr eines erheblichen Schadens im Sinne einer unmenschlichen Behandlung. Einen asylrelevanten Sachverhalt habe er nicht glaubhaft dargetan.

Auf den Seiten 14 bis 42 des Bescheids wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan getroffen.

Beweiswürdigend wurde unter anderem festgehalten, dass die Angaben des BF zu seinem Alter sowie zum Verbleib seiner Angehörigen als glaubhaft erachtet werden.

Rechtlich folgerte das Bundesasylamt, dass der BF aufgrund der individuellen Faktoren (Minderjährigkeit, fehlende familiäre Anknüpfungspunkte, langjähriger Aufenthalt im Iran) sowie der Lage in Afghanistan derzeit (noch) im Fall seiner Rückkehr in eine ausweglose Lage geriete und ihm objektiv die Lebensgrundlagen entzogen werden.

1.1.3. Die gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , abgewiesen.

Festgestellt wurde, dass das Vorbringen des BF zu einer möglichen Gefährdung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht glaubhaft sei.

Beweiswürdigend wurde unter anderem ausgeführt, dass der BF in Hinblick auf sein Lebensalter von zwei Jahren im Zeitpunkt der Vorfälle, die dazu geführt hätten, dass seine Tante mit ihm Afghanistan verlassen habe, nicht in der Lage sein könne, über eigene Wahrnehmungen zu berichten. Nicht nachvollziehbar sei es allerdings, dass ihm auch seine Tante, die mit ihm bis zu seinem 13. Lebensjahr zusammengelebt habe, keine näheren Umstände zu einer drohenden Gefährdung in Afghanistan erzählt habe und der BF danach auch nicht aktiv gefragt habe. Aufgrund des Umstandes, dass der BF über keine eigenen Wahrnehmungen zu den Todesumständen seiner Eltern verfüge, und auch später keine konkreten Informationen dazu von seiner Tante eingeholt habe, könne eine Verfolgung des BF aus asylrechtlich relevanten Gründen nicht für maßgeblich wahrscheinlich gehalten werden.

1.1.4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) vom XXXX , wurde die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis XXXX verlängert. Mit Bescheid vom XXXX erfolgte eine weitere Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis zum XXXX .

1.2. Strafverfahren

1.2.1. Mit Urteil des BG XXXX vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der leichten Körperverletzung nach § 83 StGB sowie wegen des Vergehens der Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt.

1.2.2. Mit Urteil des LG XXXX vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX , wurde der BF wegen der Vergehen der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z 2 StGB, der Vergehen der (versuchten) schweren Körperverletzung nach den §§ 15 Abs. 1, 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z 2 StGB, des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 und Abs. 2 zweiter Deliktsfall StGB, des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1 und 84 Abs. 2 Z 2 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB sowie des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von 22 Monaten und 20 Tagen verurteilt, wobei ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 15 Monaten und 20 Tagen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

1.2.3. Mit Urteil des LG XXXX vom XXXX , rechtskräftig seit XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens der (versuchten) absichtlich schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Jahren verurteilt.

2. Gegenständliches Verfahren:

2.1. Mit Schreiben vom XXXX wurde dem BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mitgeteilt, dass aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilungen ein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden sei. Aufgrund seiner Volljährigkeit und der geänderten Situation in Afghanistan, insbesondere aufgrund des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative, stehe der Rückkehr des BF nach Afghanistan nunmehr nichts entgegen. Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF würden zudem aufzeigen, dass er nicht gewillt sei, die österreichischen Gesetze einzuhalten. Die begangenen Straftaten würden auch auf eine besondere Gewaltbereitschaft des BF schließen lassen.

Dem BF wurde Möglichkeit zur Stellungnahme binnen einer Frist von einem Monat eingeräumt.

2.2. Mit Stellungnahme vom XXXX brachte der BF im Wege seines Vertreters vor, dass die strafrechtlichen Verurteilungen nicht entschuldbar seien und in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sei, dass der BF als Waise aufgewachsen sei, weshalb er sozialen Anschluss gesucht habe. Nach dem letzten Vorfall habe er beschlossen, den Kontakt zu seinem bisherigen Freundeskreis endgültig abzubrechen. Der BF sei als minderjähriger Flüchtling in einer Wohngemeinschaft untergebracht worden. Seine Betreuerin habe ihn während des Strafverfahrens sowie nach der Haftentlassung unterstützend begleitet. Zwischen ihm und seiner Betreuerin habe sich eine Mutter-Sohn-Beziehung entwickelt. Seit September XXXX lebe er bei seiner Betreuerin und deren Familie. Er habe sich sehr gut in die Familie integriert, habe die A1-Deutschprüfung absolviert und bereite sich auf die nächste Prüfung vor. In der Justizanstalt habe er einen Deutsch- und Mathematikkurs belegt.

Zu einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan wurde ausgeführt, dass der BF noch ein Kleinkind gewesen sei, als er mit seiner Tante Afghanistan verlassen habe. An seine Eltern könne er sich nicht erinnern, da diese früh verstorben seien. Seine Tante sei schließlich verstorben, als er 11 Jahre alt gewesen sei. Der BF kenne weder Afghanistan, noch habe er dort etwaige familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte. Beinahe sein gesamtes Leben habe er im Iran sowie in Österreich verbracht. Im Fall seiner Rückkehr wäre der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr der Verletzung seiner in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt.

Sollte die Behörde zu dem Ergebnis kommen, dass der subsidiäre Schutzstatus gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 3 AsylG abzuerkennen sei, wäre die Aberkennung in jedem Fall mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei.

Beiliegend wurden folgende Dokumente (in Kopie) übermittelt:

-

Unterstützungserklärung Familie XXXX vom XXXX ;

-

Unterstützungserklärung Frau XXXX BA vom XXXX .

2.3. Mit Schriftsatz vom XXXX wurden ein Unterstützungsschreiben von Frau XXXX (in Kopie) vorgelegt.

2.4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX , wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde ihm gemäß § 9 Abs. 4 AsylG seine Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung bzw. ab Entlassung aus der Strafhaft festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein Einreiseverbot für die Dauer von 10 Jahren erlassen.

2.5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF im Wege seines Vertreters fristgerecht Beschwerde und führte nach Darstellung des Sachverhalts im Wesentlichen aus, dass der angefochtene Bescheid infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung rechtswidrig sei. Es sei nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Ermittlungsergebnisse das Bundesamt zu dem Ergebnis komme, dass der BF nicht den Großteil seines Lebens im Iran verbracht habe. Die Behauptung der Behörde, die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich wesentlich verbessert, stehe überdies in Widerspruch zu den allgemeinen Länderinformationen. Ferner seien vor dem Hintergrund der prekären Sicherheitssituation familiäre bzw. soziale Kontakte in Afghanistan für eine menschenwürdige Existenzsicherung unerlässlich. Dies gehe im Fall von Personen, die mit der afghanischen Gesellschaft und den afghanischen Gepflogenheiten nicht vertraut seien, überdies aus der aktuellen Judikatur des BVwG sowie des VwGH hervor. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG würden sohin nicht vorliegen. Ferner sei nur eine unzureichende Prüfung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung durchgeführt worden und verfüge der BF über ein schützenswertes Privatleben iSd Art. 8 EMRK.

2.6. Mit Stellungnahme vom XXXX wurde vom BF im Wege seines Vertreters vorgebracht, er sei am XXXX aus der Haft entlassen worden und stehe derzeit unter elektronischem Hausarrest. Er lebe wieder im Haushalt der Familie XXXX . Während der Haft habe er sich intensiv mit seinen Straftaten auseinandergesetzt und an einem Gewaltpräventionsprogramm teilgenommen. Ferner habe er wöchentliche Deutschkurse absolviert und in verschiedenen Fächern am Unterricht teilgenommen. Bereits einen Tag nach seiner Entlassung habe er eine Vollzeitbeschäftigung als Küchenhilfe aufgenommen und verdiene monatlich € 1.460,-- brutto. Der BF habe beschlossen, vom Islam auszutreten, habe jedoch vom zuständigen Magistrat keine Ausstellung einer Austrittsbestätigung erhalten. Er interessiere sich für das Christentum und feiere sämtliche religiöse Feiertage mit der Familie, die ihn aufgenommen habe. Während seines Aufenthalts in Österreich habe er eine moderne und westliche Lebensweise angenommen und sei überaus motiviert, die österreichische Kultur und Tradition kennenzulernen. Dies beinhalte auch, dass er die österreichische Küche schätze und Schweinefleisch esse. Ferner habe er sich den Rücken und seine Brust großflächig tätowieren lassen, was in der afghanischen Gesellschaft nicht toleriert werde und strikt verboten sei.

In der Folge wurde Stellung zur aktuellen Situation in Afghanistan bezogen. Unter anderem wurde vorgebracht, dass der SV Dr. Rasuly in anderen Verfahren vor dem BVwG im Jahr 2018 die prekäre Sicherheitslage in Kabul seit Ende 2017 bestätigt habe. Aus seinem Gutachten vom 03.01.2017 gehe hervor, dass Personen ohne Schulbildung keine menschenwürdige Existenz in Kabul aufbauen könnten. Mit reinen Hilfstätigkeiten, wie etwa als Schuster, ließe sich kein Einkommen generieren, mit dem eine Existenz gesichert werden könne. In der Folge wurde auf die besondere Vulnerabilität des BF aufgrund seiner Konversion sowie als Rückkehrer aus dem Westen hingewiesen.

Hinsichtlich der übermittelten Ausführungen des SV werde darauf hingewiesen, dass seine Angaben in Widerspruch zu den Berichten des UNHCR stehen und seine persönliche Meinung darstellen würden, die durch keine verlässliche Quelle belegt seien.

Mit der Stellungnahme wurden folgende Dokumente (in Kopie) in Vorlage gebracht:

-

Antrag auf Bewilligung des elektronischen Hausarrestes;

-

Bestätigung der Ehegatten XXXX zur Unterkunftsnahme;

-

Arbeitsbestätigung;

-

Anmeldebestätigung XXXX vom XXXX ;

-

Konvolut an Lichtbildern;

-

Teilnahmebestätigung Gewaltpräventionsprogramm;

-

Teilnahmebestätigung Deutschkurse sowie Unterrichtsfächer;

-

Zertifikat Seminar "Persönlichkeitstraining mit Mediacoaching";

-

Berichte des ORF aus 2017 zur Sicherheitslage Afghanistan;

-

UNHCR Bericht 12.03.2018;

-

Gutachten Dr. RAsuly vom 03.01.2017;

-

Gutachten Dr. Rasuly in der Verhandlung 28.01.2018.

2.7. Mit hg. Beschluss vom XXXX wurde der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverwiesen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesamt die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unterlassen habe, zumal es keine mündliche Einvernahme des BF durchgeführt habe und das dem BF übermittelte Schreiben nicht geeignet gewesen sei, die Behörde von dieser Pflicht zu entbinden. Gezielte Fragestellungen zum Privat- und Familienleben seien gänzlich ausgeblieben.

2.8. Am XXXX fand eine mündliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt.

Eingangs bestätigte der BF seine Personaldaten und führte an, er stamme aus der Provinz Uruzgan in Afghanistan. Aktuell wohne er bei der Familie XXXX . Er habe keinen Glauben, interessiere sich jedoch für das Christentum. Im Gefängnis habe er über die Religion nachgedacht und festgesellt, dass seine Religion nur Hass und Grausamkeit kenne. Wer töte, komme im Islam ins Paradies. Damit wolle er nichts mehr zu tun haben. Frau XXXX , welche er "Mama" nenne, habe ihm gesagt, dass Gott allen vergebe. Er möchte mehr über das Christentum wissen und einen Taufkurs besuchen, aktuell gebe es in der evangelischen Kirche in XXXX aber keinen. Er sei in die Kirche gegangen und habe sich ab dem zweiten Mal zugehörig gefühlt. Es sei gerufen worden, dass Gott überall sei und er habe das Gefühl gehabt, er sei auch in ihm. Das erste Mal habe er dieses Gefühl in der Kirche gehabt, in der Moschee sei er nie gewesen. Den Koran habe er nicht gelesen, er sei kein Muslim. Seine Informationen über den Islam habe er von Youtube, dem Fernsehen und anderen Medien. Die ganze Familie des BF sei evangelisch, er kenne den Unterschied zum katholischen Glauben noch nicht. Er lerne das Christentum erst kennen.

Laut Niederschrift zeigte der BF eine Tätowierung am rechten Unterarm, welche Vögel mit dem Schriftzug "Always Refugee" darstelle. Seine Tätowierung auf der Brust zeige einen Drachen. Ferner habe er eine Tätowierung auf dem Rücken mit einer Kerze und dem Schriftzug "Mahdi Afg.m". Der BF brachte dazu vor, das Tattoo auf seiner Hand würde bedeuten, dass er immer Flüchtling sei. Mit seinem Tattoo am Rücken habe er die Freundschaft mit einer Person, die er in Griechenland kennengelernt habe, besiegeln wollen. Tätowierte Menschen würden in Afghanistan als schlechte Menschen gelten. Es sei ein Zeichen, dass man im Gefängnis gewesen sei und kämpfen würde. Wenn man auf die Straße gehe, würden gewalttätige Menschen sagen, man solle mit ihnen kämpfen. Auf Nachfrage gab er an, das kleine Tattoo könne man entfernen. Wenn er schwimmen gehe, würden die Leute seine Tätowierungen sehen. In Afghanistan würde er damit Probleme bekommen, da es unüblich sei. Man sei unrein und könne nicht beten. Auf der Straße würde man sagen, dass er kein Muslim sei.

In der Folge wurde er zur Schlägerei im XXXX sowie zu seinen weiteren Straftaten befragt. Zu seinem Verhältnis zu Frau XXXX gab er an, sie sei seine ehemalige Betreuerin gewesen. Immer, wenn er etwas gemacht habe, habe sie mit ihm geredet und versucht, ihn mit Worten zu überzeugen. Sie habe ihn wie ihren eigenen Sohn behandelt und ihn auch im Gefängnis regelmäßig besucht. Zu den Gründen, warum ihn seine Betreuerin bei sich aufgenommen habe, gab er an, er sei krank gewesen, seine Wohnung sei weit weg gewesen und seine ehemalige Betreuerin habe ihn mit nachhause genommen und gesund gepflegt. Er brauche nichts zu bezahlen, da er zur Familie gehöre. Allerdings helfe er im Haushalt mit.

Aufgrund seiner Fußfessel sei er derzeit immer zuhause. Er spiele Tischtennis, gehe mit seiner Familie schwimmen und dürfe am Samstag vier Stunden hinaus. Am Sonntag gehe er in die Kirche. Politisch aktiv oder Mitglied einer Partei sei der BF nicht. Aufgrund seiner Volksgruppe sei er im Herkunftsstaat nicht verfolgt worden. In Afghanistan habe er niemanden, die allgemeine Lage sei schlecht gewesen und sein Leben wäre im Fall der Rückkehr in Gefahr. Von seiner Tante habe er gehört, dass seine Eltern von den Cousins väterlicherseits ermordet worden seien. Er selbst sei im Iran aufgewachsen und sei noch ein Kind gewesen, weshalb er nicht mehr wisse. Den Namen der Tante wisse er nicht, da man in Afghanistan Erwachsene nur mit Onkel oder Tante anspreche. Sie sei an Tuberkulose verstorben. Der Arbeitgeber im Iran, der ihm die Flucht finanziert habe, sei nicht mit ihm verwandt. Seine Tante und er hätten viel für ihn gearbeitet und seine Tante habe ihm gesagt, er solle ihn nach Europa schicken, wenn sie sterbe.

In Österreich habe der BF keine Freundin oder Lebenspartnerin. Er habe auch keine Obsorgepflichten. Aktuell arbeite er in der XXXX am XXXX und in der XXXX . Er verdiene € 1.200,--. Eine Berufsausbildung habe er nicht abgeschlossen.

2.9. Mit Schriftsatz vom XXXX wurde Stellung zur aktuellen Situation in Afghanistan bezogen und auf ein Gutachten des SV Dr. Rasuly verwiesen, wonach sich in Kabul Personen ohne Schulbildung keine menschenwürdige Existenz aufbauen könnten. Ferner wurde ausgeführt, dass der BF als Angehöriger der Minderheit der Hazara besonders vulnerabel sei. Die Versorgungslage könne in Kabul nicht ausreichend gewährleistet werden und sei die Integration von Rückkehrenden sehr schwierig. Die Kapazitäten der Regierung, Rückkehrende aufzunehmen, seien gering. Der enorme Anstieg an Rückkehrenden habe zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten in den wichtigsten Städten der Provinzen und Distrikte in Afghanistan geführt. Familien seien nach wie vor der größte Schutzmechanismus in Afghanistan. Ferner sei das junge Alter des BF zu berücksichtigen. Auch aufgrund des Umstandes, dass der BF kein Moslem mehr sei, sei er im Fall der Rückkehr in besonderer Weise gefährdet.

In der Folge wurden nachstehende verfahrensrelevante Dokumente (in Kopie) vorgelegt:

-

Gutachten des SV Dr. Rasuly; vom XXXX ;

-

Patenschaftsvereinbarung zwischen dem BF und Frau XXXX vom XXXX ;

-

Sprachzertifikat A1;

-

Terminbestätigung Fahrschule;

-

Gehaltsabrechnungen XXXX sowie Tätigkeitsbestätigung;

-

Konvolut an Lichtbildern;

-

Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs vom XXXX ;

-

Bescheid über die Änderung der Pfarrgemeindezugehörigkeit vom XXXX

-

Anmeldung zur Konfirmationszeit XXXX , ausgestellt von der Evangelischen Pfarrgemeinde A.B. XXXX ;

2.10. Am XXXX wurde DI XXXX als Zeugin vor dem Bundesamt einvernommen. Die Zeugin gab im Wesentlichen an, dass sie den BF im Rahmen des Projekts "Open Heart Projekt" der KIJA aufgenommen habe. Das Projekt ermögliche Flüchtlingskindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne Eltern bei Mentorenfamilien zu wohnen. Sie habe an diesem Projekt teilnehmen und etwas Gutes vor Ort machen wollen. Zuerst sei der BF tageweise, dann wochenweise und zuletzt auf Dauer bei ihnen gewesen. Ausschlaggebend sei gewesen, dass er keine Familie im Herkunftsstaat habe und sich daher besser in die Familie eingliedern habe können. Er sei ein Teil der Familie und sie pflege eine Art Mutter-Kind-Beziehung zu ihm.

2.11. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde ihm die mit Bescheid vom XXXX , erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von 14 Tagen ab Entlassung aus der Strafhaft bzw. ab dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe mittels elektronisch überwachtem Hausarrest festgesetzt, unter der Bedingung, dass der Bescheid zu diesem Zeitpunkt bereits in Rechtskraft erwachsen ist (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den BF ein Einreiseverbot für die Dauer von 10 Jahren erlassen.

Festgestellt wurde, dass der BF der Volksgruppe der Hazara angehöre und sich aktuell zu keiner Religion bekenne. Er sei volljährig, halte sich seit XXXX überwiegend in Österreich auf und sei psychisch sowie physisch gesund. Er sei wiederholt straffällig geworden und zweimal wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden, sodass auch der subsidiäre Aberkennungstatbestand gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 AsylG vorliege. Die Gründe für die seinerzeitige Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG würden nicht mehr vorliegen. Der BF habe einen Deutschkurs A1 absolviert, mache den Mopedführerschein und arbeite in der XXXX . Weitere Ausbildungen habe er in Österreich nicht absolviert. Er verbüße aktuell eine längere Haftstrafe und sei insgesamt dreimal rechtskräftig verurteilt worden. Er sei ledig, habe keine Kinder und keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Ferner sei er mit den im Herkunftsstaat herrschenden sozialen und kulturellen Gepflogenheiten vertraut und beherrsche eine der dort gesprochenen Sprachen auf Muttersprachenniveau.

Auf den Seiten 16 bis 110 wurden allgemeine Feststellungen zur Situation in Afghanistan getroffen.

Hinsichtlich des Einreiseverbots wurde insbesondere auf die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF hingewiesen und gefolgert, dass der BF aufgrund seiner Gewaltbereitschaft eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, weshalb gegen ihn gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ein befristetes Einreiseverbot für die Dauer von zehn Jahren ausgesprochen werde.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. und II. gefolgert, dass für den BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan bestehe und sich seine persönlichen Umstände jedenfalls grundlegend geändert hätten. Die Gründe für die seinerzeitige Erteilung des Schutzstatus würden sohin nicht mehr vorliegen. Darüber hinaus sei auch der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG erfüllt. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten sei ihm folglich abzuerkennen. Ihm sei daher ex lege die entsprechende Aufenthaltsberechtigung zu entziehen. Zu Spruchpunkt III. wurde festgehalten, dass die Voraussetzungen gemäß § 57 AsylG nicht vorliegen würden. Im Zuge einer Interessensabwägung kam das Bundesamt in der Folge zu dem Ergebnis, dass die Schutzwürdigkeit des Privatlebens des BF aufgrund der begangenen Straftaten in den Hintergrund rücke und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässig sei, zumal auch keine Anhaltspunkte hervorgetreten seien, wonach der BF im Fall der Rückkehr in seinen in Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder im Protkoll Nr. 6 oder 13 zur Konvention gewährleisteten Rechten verletzt wäre. Die Flüchtlingseigenschaft komme dem BF nicht zu und bestehe für Afghanistan auch keine Empfehlung iSd § 50 Abs. 3 FPG. Zu Spruchpunkt VII. wurde ferner ausgeführt, dass die Gesamtbeurteilung der strafrechtlichen Verurteilungen, des Verhaltens des BF, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte die Erlassung eines Einreiseverbots in der Dauer von 10 Jahren rechtfertigen und das Einreiseverbot notwendig sei, um die von ihm ausgehende schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hintanzuhalten.

2.12. Am XXXX erhob der BF im Wege seines ausgewiesenen Vertreters gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde und führte begründend nach Darstellung des Sachverhalts aus, dass das vorliegende Beschwerdeverfahren rechtlich im Wesentlichen auf die Frage beschränkt sei, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weiterhin vorliegen würden, da sich der Bescheid explizit auf § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG stütze. Entgegen der Argumentation des Bundesamtes bestehe für den BF keine innerstaatliche Fluchtalternative. In diesem Zusammenhang werde darauf verwiesen, dass in Bezug auf das Vorliegen einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative ein wenig strengerer Maßstab anzulegen ist als in Bezug auf die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes. Im Bescheid werde eine Veränderung darin erblickt, dass der BF nicht mehr minderjährig sei. Allerdings sei ihm mit Bescheid vom XXXX seine Aufenthaltsberechtigung verlängert worden und sei er in diesem Zeitpunkt bereits volljährig gewesen. Die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus könne daher nicht auf diesen Umstand gestützt werden. Seit der letzten positiven Entscheidung über die Verlängerung des subsidiären Schutzes habe sich die Lage im Herkunftsstaat nach den Ausführungen im Länderinformationsblatt nicht verbessert, sondern deutlich verschlechtert. Überdies wäre er aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Europa im Herkunftsstaat einer maßgeblichen Gefahr ausgesetzt. Der BF befinde sich nunmehr seit sechs Jahren in Österreich, sei bei einer Familie aufgenommen worden und habe in der Folge eine moderne und westliche Lebensweise angenommen. Er gehe nicht in die Moschee, faste nicht im Ramadan und esse auch Schweinefleisch. Den Kontakt mit seinen afghanischen Freunden habe er abgebrochen und pflege hauptsächlich Kontakt mit der Familie. Er sei ein vollwertiges Familienmitglied geworden. Auch Aufgrund seiner Tätowierungen könne er seine "Verwestlichung" kaum verbergen. Wie in der Niederschrift der Einvernahme vom XXXX festgehalten, sei er auf der Brust, am Rücken und am rechten Unterarm tätowiert. Unter Verweis auf einen EASO-Bericht wurde festgehalten, dass Tätowierungen in Afghanistan allgemein als unislamisch betrachtet würden und nach islamischen Recht verboten seien. Afghanen mit westlichen Tattoos würden diese in der Öffentlichkeit aus Angst vor negativen Reaktionen verstecken. Nach den aktuellen UNHCR-Richtlinien seien die berichtete Stigmatisierung und Diskriminierung von Auslandsrückkehrern zu berücksichtigen (vgl. S. 110 der UNHCR-Richtlinien). Unter Verweis auf das Gerichtsgutachten von Friederike Stahlmann wurde festgehalten, dass Rückkehrer durch den Verdacht bedroht seien, im Westen Gebote des Islams oder soziale Normen verletzt zu haben. Entführungen seien für jene ein besonderes Problem, die wie Europa-Rückkehrer im Ruf stünden, über Ressourcen zu verfügen, die sie nicht haben. Die Vertrauenswürdigkeit sei aufgrund zahlreicher Verdachtsmomente grundlegend in Frage gestellt. Weiters wurde ausgeführt, dass aufgrund der Zugehörigkeit des BF zur Volksgruppe der Hazara keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe, und wurde diesbezüglich auf verschiedene Länderberichte, insbesondere das Länderinformationsblatt, die UNHCR-Richtlinien sowie das Stahlmann-Gutachten, verwiesen. Davon abgesehen verfüge der BF in Afghanistan über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte. Die Bedeutung eines solchen Netzwerkes stehe laut UNHCR außer Frage. Beim BF liege eine besondere Vulnerabilität vor, da er zur diskriminierten ethnischen Minderheit der Hazara gehöre, fast die gesamte Zeit seines Lebens außerhalb Afghanistans verbracht habe, in Afghanistan über absolut keinen sozialen Anschluss verfüge und in Europa in mehrerlei Hinsicht klar gegen religiöse Normen des Islams verstoßen habe. Im angefochtenen Bescheid sei überdies festgestellt worden, dass sich der BF zu keiner Religion bekennt. Inzwischen habe sich sein großes Interesse am Christentum zum nachhaltigen Glauben entwickelt. Auch aufgrund des Abfalls vom Islam sei seine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich. Ferner gehe nach wie vor für den BF eine Gefahr von jenem Cousin aus, der seine Eltern umgebracht habe. Das BVwG habe in der Entscheidung vom XXXX lediglich festgehalten, dass sein Vorbringen nicht asylrelevant sei. Das Fluchtvorbringen des BF sei vor dem Hintergrund der Länderinformationen jedoch schlüssig. Selbst nach dem langen Aufenthalt des BF im Ausland sei nicht unwahrscheinlich, dass der Cousin von der Rückkehr des BF erfahren und ihn in der Folge ermorden würde, insbesondere aus Angst vor einer Vergeltungsmaßnahme des nunmehr erwachsenen BF. Abschließend wurde ausgeführt, dass bei der Beurteilung einer möglichen innerstaatlichen Fluchtalternative die vorhandenen Gefährdungen nicht isoliert zu betrachten seien. Aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Gefährdungen, denen der BF in Afghanistan ausgesetzt wäre, sei das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative jedenfalls zu verneinen. In den UNHCR-Richtlinien werde das Bestehen einer Fluchtalternative in Kabul verneint. Auch die Provinzen Herat und Balkh kämen aufgrund der aktuellen Dürre als interne Fluchtaltenrative nicht infrage. Auf Seite 111 der UNHCR-Richtlinien werde ferner ausgeführt, dass der enorme Anstieg an Rückkehrern aus Pakistan und dem Iran zu einer extremen Belastung der ohnehin schon überlasteten Aufnahmekapazität der afghanischen Städte geführt habe. Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass arbeitsfähige Männer sowohl in der traditionellen Hierarchie der Schutz- und Hilfsbedürftigkeit, als auch in der Priorisierung internationaler Organisationen an letzter Stelle stehen. Eine der wenig verbliebenen Optionen zur Überlebenssicherung sei die Kriminalität. Eine weitere Möglichkeit sei, sich den Aufständischen anzuschließen.

2.13. Die Beschwerdevorlage langte am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

2.14. Mit Schriftsatz vom XXXX wurden folgende Dokumente in Vorlage gebracht:

-

Taufschein vom XXXX

-

Stellungnahme Pfarrer XXXX ,

-

Konvolut an Lichtbildern.

2.15. Mit Ladung vom XXXX wurde dem BF das Länderinformationsblatt Afghanistan vom 26.03.2019, die UNHCR-Richtlinien 2018, die Information zur IOM Rückkehr- und Reintegrationsunterstützung, der EASO-Bericht Netzwerke Stand Jänner 2018, auszugsweise Übersetzung des EASO-Berichts Juni 2018 sowie Stellungnahmen des SV Dr. Rasuly zur Stellungnahme binnen 10 Tagen übermittelt.

2.16. Mit Schriftsatz vom XXXX stellte der BF einen Vertagungsantrag.

2.17. Nach entsprechendem Ersuchen um Auskunftserteilung wurde dem BVwG von der Justizanstalt XXXX mit Schreiben vom XXXX mitgeteilt, dass der BF bei seiner Einlieferung angegeben habe, Moslem zu sein. In der Folge habe er jedoch keine besondere Verköstigung erhalten.

2.18. Mit Schriftsatz vom XXXX stellte der BF im Wege seines ausgewiesenen Vertreters erneut einen Antrag auf Vertagung der anberaumten Verhandlung und übermittelte beiliegend Rückmeldungen schriftlicher Substitutionsanfragen sowie einen diesbezüglichen Aktenvermerk.

2.19. Zur mündlichen Beschwerdeverhandlung am XXXX ist der BF nicht erschienen. Der Vertreterin des Bundesamtes wurde in dieser Verhandlung im Zuge der Akteneinsicht der Schriftsatz vom XXXX samt Beilagen zur Kenntnis gebracht.

2.20. Mit Schriftsatz vom XXXX wurde vom BF im Wege seines ausgewiesenen Vertreters die Übermittlung des Verhandlungsprotokolls vom XXXX beantragt. Zu den übermittelten Länderinformationen wurde festgehalten, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert habe. Ergänzend wurde das Länderinformationsblatt auszugsweise zitiert. Es werde befürchtet, dass ein Abzug amerikanischer Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbare Machtkämpfe zwischen verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könne. Der aktuelle UNAMA-Jahresbericht habe im Übrigen für die Provinz Balkh einen Anstieg von zivilen Opfern um 76% registriert. Die Annahme des Länderinformationsblatts vom XXXX , die Provinz Balkh sei nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sei nicht richtig.

Zu den Ausführungen des landeskundlichen Sachverständigen werde angemerkt, dass diese nicht mehr aktuell seien, sondern älter als zwei bzw. als drei Jahre. Die Annahmen, wonach Hazara keinen Diskriminierungen mehr ausgesetzt wären, seien unrichtig. Laut Auszug von Dr. Rasuly vom 23.03.2017 komme es immer wieder zu Entführungen und Köpfungen von Hazara und seien laut Länderinformationsblatt auch Anschläge auf Hazara verübt worden. Auch die Annahme des Sachverständigen, wonach Rückkehrer aus dem Iran in Afghanistan nicht diskriminiert werden, sei unzutreffend. Die Unterschiede in der gesprochenen Sprache, im Dialekt und im Akzent sowie der Art des Ausdrucks würden bei lokalen Gemeinschaften nicht nur großes Fremdheitserleben auslösen, sondern seien mitunter so gravierend, dass auch alltägliche Kommunikation scheitern könne. Aus dem Stahlmann-Gutachten gehe hervor, dass Rückkehrer aus dem Iran radikal von der übrigen Bevölkerung ausgeschlossen werden. Aus den UNHCR-Richtlinien gehe auch die besondere Gefahr für Rückkehrer aus Europa hervor (vgl. S. 52 - 53 UNHCR-Richtlinien). Ergänzend wurde auf das Stahlmann-Gutachten sowie das Gutachten von Mag. Mahringer vom 15.05.2017 verwiesen. Die Annahme des Sachverständigen, wonach Rückkehrer keinen Nachteil in Afghanistan erleiden würden, widerspreche daher den einschlägigen Länderinformationen. Für Reintegrationsprojekte gebe es zudem Teilnahmekriterien und könnten nur eine bestimmte Anzahl an Personen teilnehmen. Es könne also nicht von einem dauerhaft zur Verfügung stehenden Angebot ausgegangen werden. Auch im eingeführten Dokument zur IOM Rückkehr- und Reintegrationsunterstützung werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Projektteilnahme der Genehmigung des BFA und der Verfügbarkeit von freien Plätzen unterliege. Nach telefonischer Auskunft einer Mitarbeiterin des Landesbüros der IOM für Österreich werde bei nicht bloß geringfügigen Vorstrafen keine Reintegrationsunterstützung gewährt. In der Folge wurde auf den Global Peace Index 2019 verwiesen, wonach Afghanistan von 163 Ländern das am wenigsten friedliche Land sei und die wirtschaftlichen Kosten von Gewalt 47% des BIP ausmachen. Abschließend wurde ausgeführt, dass das Länderinformationsblatt keine ausreichenden Informationen zu Apostasie sowie zum Thema Konversion enthalte und wurde daher auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung verwiesen. Der BF habe sich taufen lassen und sei daher davon auszugehen, dass dieser Umstand aufgrund der großen Community in Österreich im Fall seiner Rückkehr bekannt sein werde.

2.21. Mit Schreiben vom XXXX beantragte das Bundesamt die Ladung einer Person, welche den Raufhandel mit Todesfolge, in welchen der BF verwickelt gewesen sei, als Unbeteiligte beobachtet habe.

2.22. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt.

(...)

RV legt vor:

-

Zeugnis zur Integrationsprüfung des ÖSD A2 - welches als (Beilage ./A) in Kopie;

-

Bericht der Bewährungshilfe "NEU START" vom XXXX - welcher als (Beilage ./B) in Kopie;

-

Auszug aus dem Konfirmationsbuch vom XXXX - welcher als (Beilage ./C) in Kopie;

-

Zeitungsbericht vom Standard vom XXXX (Beilage ./D) in Kopie;

-

Tätigkeitsbeschreibung - ( Beilage ./E).

(...)

BFV: Der BF stellt in eventu auch den Antrag auf Aufhebung von Spruchpunkt V des angefochtenen Bescheides bzw. auf Feststellung, dass die Abschiebung des BF nach AFG nicht zulässig ist.

(...)

R: Wo haben Sie vor Verlassen des Heimatlandes AFG gelebt. Gegliedert in Dorf, Distrikt, und Bezirk Sie gelebt haben bzw. wo wurden Sie geboren?

BF: Ich bin in der Provinz HOROZGAN, im Distrikt XXXX geboren. Das Dorf kann ich nicht schreiben, ich kann es nur aussprechen.

R: Wie heißt das Dorf?

D spricht hinsichtlich der Aussprache des Dorfes noch einmal mit dem BF. Demnach heißt das Dorf XXXX .

Der BFV merkt an, dass der BF angegeben hat, dass er dies von seiner Tante wisse.

R: Wie heißt Ihre Tante?

BF: Ich weiß nicht, wie meine Tante heißt.

R: Wie haben die anderen Leute zu Ihrer Tante gesagt?

BF: In einem islamischen Land sagen alle Onkel oder Tante.

R: Wie haben die Leute, die Ihre Tante nicht gekannt haben, Ihre Tante angesprochen?

BF: Ich war klein, ich war draußen spielen.

BF ist schwer verständlich und die Verhandlung wird in der Sprache des BF fortgesetzt.

R wiederholt die Frage.

BF: Ihr Name .... Sie war sehr alt. Sie wurde mit dem Titel "TANTE"

gerufen.

R: Von allen Leuten, die sie kannten?

BF: Alle sagten zu ihr "TANTE".

R: Wie alt war Ihre Tante?

BF: Über 50 oder 60 Jahre. So genau weiß ich es nicht.

R: Warum haben Sie den IRAN verlassen?

BF: Meine Tante hatte eine Krankheit gehabt. Sie hatte Tuberkulose gehabt. Sie ist schon verstorben.

R: Wann ist Ihre Tante verstorben?

BF: XXXX .

R: Wann XXXX ?

BF: Ich weiß nicht wann sie verstorben ist. Ich habe nicht gefragt, wie alt ich im IRAN gewesen bin.

R: Wieso sind Sie nach dem Tod Ihrer Tante nicht im IRAN geblieben?

BF: Vor ihrem Tod hat sie ihre Arbeitgeber, welcher ein Perser gewesen ist, beauftragt mich mit Hilfe ihrer Ersparnisse nach EUROPA zu bringen.

R: Hat es dafür einen konkreten Grund gegeben?

BF: Ja, es bestand Gefahr für mich.

R: In wie fern?

BF: Mein Onkel vs (väterlicherseits).... Meine Tante vs hat mir erzählt, dass mein Onkel vs meine Eltern umgebracht habe. Er würde mich auch umbringen aufgrund der Grundstücksstreitigkeiten.

R: Wie heißt Ihr Onkel vs?

BF: Seinen Namen weiß ich nicht.

R: Wie alt waren Sie, als Sie AFG verlassen haben?

BF: ich war ganz klein, 5 oder 10 Monate.

R: Woher wissen Sie das?

BF: Alles meine Tante erzählt.

R: Sind Sie bei Ihrer Tante ms (mütterlicherseits) aufgewachsen?

BF: Es war die Schwester meines Vaters.

R: Warum ist es zu Grundstücksstreitigkeiten gekommen?

BF: Ja.

R wiederholt die Frage.

BF: Ich habe diese Geschichte von meiner Tante erfahren. Details von dieser Geschichte weiß ich nicht. Damals war ich ein kleines Kind. Deshalb habe ich meine Tante nicht mehr danach gefragt.

R: Haben Sie, als Sie später im IRAN waren, mit Ihrer Tante darüber gesprochen. Haben Sie Ihre Tante näher zu den Ereignissen befragt?

BF: Ich war ein Kind. Es war mir nich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten