TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/2 W270 2203620-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.01.2020
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Entscheidungsdatum

02.01.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W270 2203620-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. GRASSL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. AFGHANISTAN, vertreten durch das Land Oberösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger, dieses vertreten durch das Diakoniewerk Oberösterreich, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.07.2018, Zl. XXXX , betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (in Folge: "Beschwerdeführer") stellte am 02.09.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei seiner am selbigen Tag stattgefundenen Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er befragt zu seinen Fluchtgründen an, dass er Afghanistan wegen der Taliban verlassen habe. Einer seiner Brüder sei beim Militär und ein weiterer bei der Polizei. Deswegen sei seine Familie ständig bedroht worden.

3. Bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 12.04.2018 gab der Beschwerdeführer zu den Gründen für seine Asylantragstellung befragt im Wesentlichen an, dass die Taliban die Familie des Beschwerdeführers mehrmals aufgesucht hätten, weil einer seiner Brüder beim Militär und ein anderer seiner Brüder bei der Polizei gearbeitet habe. Die Taliban hätten verlangt, dass der Vater des Beschwerdeführers ihn zu den Taliban schicke, weil diese ihn zum Selbstmordattentat hätten anleiten wollen.

4. Mit Stellungnahme vom 25.04.2018 äußerte sich der Beschwerdeführer nochmals zu seinem Fluchtvorbringen und legte weitere Beweismittel zu seinem Gefährdungspotential aufgrund einer zwangsweisen Rekrutierung sowie zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan vor.

5. Die belangte Behörde wies den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m.

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) mit Bescheid vom 03.07.2018 ab. Dem Beschwerdeführer wurde mit gegenständlichem Bescheid der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und diesem gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.07.2019 erteilt (Spruchpunkt III.). Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht habe glaubhaft machen können. Es bestünden jedoch Gründe für die Annahme, dass für den Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung derzeit eine nicht ausreichende Lebenssicherheit bestehe, bzw. er bei Rückkehr in eine andere als seine Heimatprovinz in eine ausweglose Lage geraten würde.

6. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde schilderte der Beschwerdeführer nochmals sein Fluchtvorbringen und verweist diesbezüglich auf weitere Beweismittel zur Gefahr der zwangsweisen Rekrutierung.

7. Gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie weitere länderkundliche und sonstige Informationen im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht.

8. Am 24.10.2019 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, in deren Rahmen der Beschwerdeführer insbesondere nochmals zu den geltend gemachten Fluchtgründen sowie seinem Leben in Österreich einvernommen wurde und weitere Urkunden zu seiner Integration sowie den Bescheid der belangten Behörde betreffend die Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.07.2021, vorlegte. In der mündlichen Verhandlung wurden von Seiten des Bundesverwaltungsgerichtes noch weitere länderkundliche und sonstige Informationen in das Verfahren eingeführt und dem Beschwerdeführer diesbezüglich eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt.

9. Mit Schriftsatz vom 11.11.2019 nahm der Beschwerdeführer Stellung.

II. Feststellungen:

1. Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1. Identität, Herkunft und Sprachkenntnisse:

1.1.1. Der Beschwerdeführer trägt den Namen " XXXX " und ist Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan. Er wurde dort am XXXX in der Provinz Kunar, im Distrikt Chawkai (oder "Chawkay"), geboren und ist dort bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr bei seiner Familie aufgewachsen.

1.1.2. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er kann in dieser Sprache auch lesen und schreiben. Daneben spricht er noch ein wenig Farsi und ein wenig Deutsch.

1.2. Volksgruppe und Religion:

Der Beschwerdeführer gehört der afghanischen Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam.

1.3. Familiäre Situation und wirtschaftliche Lage:

1.3.1. Im Herkunftsdistrikt verfügte die Familie des Beschwerdeführers über ein Haus und Grundstück. Zwei Brüder des Beschwerdeführers, " XXXX " und " XXXX " arbeiteten für die afghanischen Sicherheitskräfte. Ersterer war beim Militär und arbeitete beim Begleitschutz für Konvois, Zweiterer arbeitete für die Polizei.

1.3.3. Der Beschwerdeführer steht regelmäßig - ungefähr einmal pro Monat - mit seiner Familie in Kontakt.

1.4. Ausbildung und Berufserfahrung:

1.4.1. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan zumindest sieben Jahre eine staatliche Schule besucht.

1.4.2. Der Beschwerdeführer verfügt über Arbeitserfahrung, er hat in der Türkei in einem Unternehmen gearbeitet, das T-Shirts und Stühle produzierte.

1.5. Gesundheitszustand:

Der Beschwerdeführer leidet weder an schweren physischen noch psychischen Erkrankungen oder Gebrechen. Er befindet sich weder in ärztlicher noch medikamentöser Behandlung.

1.6. Ausreise aus Afghanistan und Antragstellung in Österreich:

Der Beschwerdeführer verließ im Jahr 2016 aus Afghanistan und stellte schließlich am 02.09.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.7. Zur Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers:

1.7.1. Mit Bescheid vom 03.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt und ihm außerdem eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

1.7.2. Mit Bescheid vom 24.07.2019 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 03.07.2021 erteilt.

2. Zum individuellen Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.1. Der Beschwerdeführer wurde nicht von den Taliban aufgefordert, für diese als Selbstmordattentäter oder in sonst irgendeiner unterstützenden Art und Weise tätig zu werden. Der Beschwerdeführer wurde von den Taliban nicht persönlich bedroht und es wurden auch sonst keine Handlungen oder Maßnahmen gegen diesen von jener Gruppierung gesetzt.

2.2. Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat weder Probleme mit den Behörden noch wurde er wegen seiner Nationalität, seinem Geschlecht, seiner sexuellen Orientierung oder seinem Bekenntnis zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen oder wegen einer Zugehörigkeit zu einer anderen gesellschaftlichen Gruppe bedroht oder wurde sonst eine Handlung oder Maßnahme aus diesen Gründen gegen ihn gesetzt.

3. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

3.1. Der Beschwerdeführer lebt in einem Heim in XXXX .

3.2. Der Beschwerdeführer absolviert eine Lehre zum KfZ-Mechaniker bei der Fa. XXXX in XXXX . Daneben geht er in die Berufsschule. Vor Beginn seiner Ausbildung war er u.a. in einem Hotel beschäftigt.

3.3. In seiner Freizeit geht der Beschwerdeführer in der Stadt XXXX und am Wochenende manchmal auch in XXXX mit Freunden, darunter seine österreichischen Freunde " XXXX ", " XXXX " und " XXXX ", spazieren. Er spielt außerdem Fußball in XXXX und hat drei Mal die Woche Training. Er übt auch den Laufsport aus.

3.4. Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Familienangehörige noch sonstige Verwandte. Er ist allerdings mit " XXXX " seit ungefähr einem Jahr liiert. Diese hat er beim Eislaufen kennengelernt. Sie ist 17 Jahre alt und geht noch in die Schule.

3.5. Der Beschwerdeführer lernt neben der Berufsschule mit XXXX wöchentlich Deutsch.

3.6. Von seinem sozialen Umfeld wird der Beschwerdeführer u.a. als gastfreundlich, arbeitswillig und wissbegierig bezeichnet.

3.7. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

3.8. Zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erschien der Beschwerdeführer bekleidet mit einer Lederjacke, einem gestreiften Kapuzenpulli, einer Jean. Er hatte seine Haare rötlich eingefärbt.

4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

4.1. Zur allgemeinen Lage in Afghanistan:

4.1.1. Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten. Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni.

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand.

Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019 [in Folge: "LIB"], Abschnitt 3. "Sicherheitslage")

4.1.2. Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Allgemeines

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität.

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen. Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben.

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes. Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan. Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert, welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde.

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind. Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt. Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000. Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen.

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll 12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden.

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren.

(Auszüge bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem LIB, Abschnitt. 3. "Sicherheitslage")

4.1.3. Grundversorgungs- und Wirtschaftslage:

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport.

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern. Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern.

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft, wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar. Die Inflation lag im Jahr 2018 durchschnittlich bei 0,6% und wird für 2019 auf 3,1% prognostiziert.

Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird. Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Es wird erwartet, dass sich das Real-BIP in der ersten Hälfte des Jahres 2019 vor allem aufgrund der sich entspannenden Situation hinsichtlich der Dürre und einer sich verbessernden landwirtschaftlichen Produktion erhöht.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 21. "Grundversorgung")

4.1.4. Rechtsschutz und Justizwesen in Afghanistan:

Gemäß Artikel 116 der Verfassung ist die Justiz ein unabhängiges Organ der Islamischen Republik Afghanistan. Die Judikative besteht aus dem Obersten Gerichtshof (Stera Mahkama, Anm.), den Berufungsgerichten und den Hauptgerichten, deren Gewalten gesetzlich geregelt sind. In islamischen Rechtsfragen lässt sich der Präsident von hochrangigen Rechtsgelehrten des Ulema-Rates (Afghan Ulama Council - AUC) beraten. Dieser Ulema-Rat ist eine von der Regierung unabhängige Körperschaft, die aus rund 2.500 sunnitischen und schiitischen Rechtsgelehrten besteht.

Das afghanische Justizwesen beruht sowohl auf dem islamischen [Anm.:

Scharia] als auch auf dem nationalen Recht; letzteres wurzelt in den deutschen und ägyptischen Systemen. Die rechtliche Praxis in Afghanistan ist komplex: Einerseits sieht die Verfassung das Gesetzlichkeitsprinzip und die Wahrung der völkerrechtlichen Abkommen - einschließlich Menschenrechtsverträge - vor, andererseits formuliert sie einen unwiderruflichen Scharia-Vorbehalt. Ein Beispiel dieser Komplexität ist das neue Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist. Die Organe der afghanischen Rechtsprechung sind durch die Verfassung dazu ermächtigt, sowohl das formelle, als auch das islamische Recht anzuwenden.

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan üblicherweise akzeptiert wird, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang; oft werden die Bestimmungen des islamischen Rechts zugunsten des Gewohnheitsrechts missachtet, welches den Konsens innerhalb der Gemeinschaft aufrechterhalten soll. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht.

Gemäß dem allgemeinen Scharia-Vorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, sodass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem, islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits, zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und stehen Fortschritten im Menschenrechtsbereich entgegen. Wenn keine klar definierte Rechtssetzung angewendet werden kann, setzen Richter und lokale Schuras das Gewohnheitsrecht durch. Es gibt einen Mangel an qualifiziertem Justizpersonal und manche lokale und Provinzbehörden, darunter auch Richter, haben nur geringe Ausbildung und fundieren ihre Urteile auf ihrer persönlichen Interpretation der Scharia, ohne das staatliche Recht, Stammesrecht oder örtliche Gepflogenheiten zu respektieren. Diese Praktiken führen oft zu Entscheidungen, die Frauen diskriminieren.

Trotz erheblicher Fortschritte in der formellen Justiz Afghanistans, bemüht sich das Land auch weiterhin für die Bereitstellung zugänglicher und gesamtheitlicher Leistungen; weit verbreitete Korruption sowie Versäumnisse vor allem in den ländlichen Gebieten gehören zu den größten Herausforderungen. Auch ist das Justizsystem weitgehend ineffektiv und wird durch Drohungen, Befangenheit, politischer Einflussnahme und weit verbreiteter Korruption beeinflusst. Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist in der Verfassung verankert, wird aber in der Praxis selten durchgesetzt. Rechtsstaatliche (Verfahrens-)Prinzipien werden nicht konsequent und innerhalb des Landes uneinheitlich angewandt.

Dem Gesetz nach gilt für alle Bürgerinnen und Bürger die Unschuldsvermutung und Angeklagte haben das Recht, beim Prozess anwesend zu sein und Rechtsmittel einzulegen; jedoch werden diese Rechte nicht immer respektiert. Beschuldigte werden von der Staatsanwaltschaft selten über die gegen sie erhobenen Anklagen genau informiert. Die Beschuldigten sind dazu berechtigt, sich von einem Pflichtverteidiger vertreten und beraten zu lassen; jedoch wird dieses Recht aufgrund eines Mangels an Strafverteidigern uneinheitlich umgesetzt. Dem Justizsystem fehlen die Kapazitäten, um die große Zahl an neuen oder veränderten Gesetzen zu absorbieren. Der Zugang zu Gesetzestexten wurde verbessert, jedoch werden durch die schlechte Zugänglichkeit immer noch einige Richter und Staatsanwälte in ihrer Arbeit behindert.

Richterinnen und Richter

Das Justizsystem leidet unter mangelhafter Finanzierung und insbesondere in unsicheren Gebieten einem Mangel an Richtern. Die Unsicherheit im ländlichen Raum behindert eine Justizreform, jedoch ist die Unfähigkeit des Staates, eine effektive und transparente Gerichtsbarkeit herzustellen, ein wichtiger Grund für die Unsicherheit im Land.

Die Rechtsprechung durch unzureichend ausgebildete Richter basiert in vielen Regionen auf einer Mischung aus verschiedenen Gesetzen. Ein Mangel an Richterinnen - insbesondere außerhalb von Kabul - schränkt den Zugang von Frauen zum Justizsystem ein, da kulturelle Normen es Frauen verbieten, mit männlichen Beamten zu tun zu haben. Nichtsdestotrotz, gibt es in Afghanistan zwischen 250 und 300 Richterinnen. Der Großteil von ihnen arbeitet in Kabul; aber auch in anderen Provinzen wie in Herat, Balkh, Takhar und Baghlan.

Der Zugriff der Anwälte auf Verfahrensdokumente ist oft beschränkt. Richter und Anwälte erhalten oft Drohungen oder Bestechungen von örtlichen Machthabern oder bewaffneten Gruppen. Berichten zufolge zeigt sich die Richterschaft respektvoller und toleranter gegenüber Strafverteidigern, jedoch kommt es immer wieder zu Übergriffen auf und Bedrohung von Strafverteidigern durch die Staatsanwaltschaft oder andere Dienststellen der Exekutive. Anklage und Verhandlungen basieren vorwiegend auf unverifizierten Zeugenaussagen, einem Mangel an zuverlässigen forensischen Beweisen und willkürlichen Entscheidungen, die oft nicht veröffentlicht werden.

Einflussnahme durch Verfahrensbeteiligte oder Unbeteiligte sowie Zahlung von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems. Es gibt eine tief verwurzelte Kultur der Straflosigkeit in der politischen und militärischen Elite des Landes. Im Juni 2016 wurde auf Grundlage eines Präsidialdekrets das "Anti-Corruption Justice Center" (ACJC) eingerichtet, um gegen korrupte Minister, Richter und Gouverneure vorzugehen. Der afghanische Generalprokurator Farid Hamidi engagiert sich landesweit für den Aufbau des gesellschaftlichen Vertrauens in das öffentliche Justizwesen. Das ACJC, zu dessen Aufgaben auch die Verantwortung für große Korruptionsfälle gehört, verhängte Strafen gegen mindestens 67 hochrangige Beamte, davon 16 Generäle der Armee oder Polizei sowie sieben Stellvertreter unterschiedlicher Organisationen, aufgrund der Beteiligung an korrupten Praktiken. Alleine von 1.12.2018-1.3.2019 wurden mehr als 30 hochrangige Personen der Korruption beschuldigt und bei einer Verurteilungsrate von 94% strafverfolgt. Unter diesen Verurteilten befanden sich vier Oberste, ein stellvertretender Finanzminister, ein Bürgermeister, mehrere Polizeichefs und ein Mitglied des Provinzialrates.

(Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 4. "Rechtsschutz/Justizwesen")

4.1.5. Sicherheitsbehörden in Afghanistan:

Im Zeitraum 2011 - 2014 wurde die Verantwortung für die Sicherheitsoperationen in Afghanistan schrittweise auf die afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) übertragen. Die ANSF setzt sich aus staatlichen Sicherheitskräften zusammen, darunter die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Luftwaffe (AAF), die afghanische Nationalpolizei (ANP), die afghanische lokale Polizei (ALP) und das National Directorate for Security (NDS), welches als Geheimdienst fungiert.

Die Wirksamkeit der afghanischen Streitkräfte hängt nach wie vor von der internationalen Unterstützung ab, um die Kontrolle über das Territorium zu sichern und zu behalten und die operative Kapazität zu unterstützen.

Die Polizeipräsenz ist auch in den Städten stärker und die Polizeibeamten sind verpflichtet, Richtlinien wie den ANP-Verhaltenskodex und die Richtlinien zum Einsatz von Gewalt einzuhalten. Die Reaktion der Polizei wird jedoch als unzuverlässig und inkonsistent bezeichnet, die Polizei hat eine schwache Ermittlungskapazität, es fehlt an forensischer Ausbildung und technischem Wissen. Der Polizei wird auch weit verbreitete Korruption, Gönnerschaft und Machtmissbrauch vorgeworfen:

Einzelpersonen in den Institutionen können ihre Machtposition missbrauchen und Erpressung zur Ergänzung ihres niedrigen Einkommens einsetzen. Es kam weiterhin zu willkürlichen Verhaftungen und Inhaftierungen durch die Polizei, und Folter ist bei der Polizei endemisch. Untätigkeit, Inkompetenz, Straffreiheit und Korruption führen zu Leistungsschwächen.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019 [in Folge:

"EASO-Länderleitfaden Afghanistan"], des European Asylum Support Office [in Folge: "EASO"], abrufbar https://www.easo.europa.eu/country-guidance, abgerufen 16.12.2019, S. 122 mit Verweis auf weitere Quellen)

4.1.6. Folter und unmenschliche Behandlung:

Laut der afghanischen Verfassung (Artikel 29) sowie dem Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) ist Folter verboten. Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC). Wenngleich Afghanistan die UN-Konvention gegen Folter ratifiziert hat, Gesetze zur Kriminalisierung von Folter erlassen hat und eine Regierungskommission zur Folter einsetzte, hat die Folter seit Regierungsantritt im Jahr 2014 nicht wesentlich abgenommen - auch werden keine hochrangigen Beamten, denen Folter vorgeworfen wird, strafrechtlich verfolgt.

Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken, dennoch gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlung durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Mitarbeiter von Haftanstalten und Polizisten. Obwohl es Fortschritte gab, ist Folter in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet. Rund ein Drittel der Personen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen wurden, sind gemäß einem Bericht der UNAMA von Folter betroffen. Es gibt dagegen keine Berichte über Folter in Haftanstalten, die der Kontrolle des General Directorate for Prison and Detention Centres des afghanischen Innenministeriums unterliegen. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger.

Der Anteil der Personen, die über Folter berichteten, ist in den vergangenen Jahren leicht gesunken. Auch existieren große Unterschiede abhängig von der geografischen Lage der Haftanstalt:

wurde bei einer Befragung durch UNAMA durchschnittlich von rund 31% der Befragten (45 Häftlinge) in ANP-Anstalten von Folter oder schlechter Behandlung berichtet (wenngleich dies ein Rückgang zum Vorjahreswert ist, der 45% betrug), so gaben 77% der Befragten (22 Häftlinge) aus einer ANP-Anstalt in Kandahar an, gefoltert und schlecht behandelt zu werden. Anstalten des NDS in Kandahar und Herat, konnten erwähnenswerte Verbesserungen vorweisen, während die Behandlung von Häftlingen in den Provinzen Kabul, Khost und Samangan auch weiterhin besorgniserregend war. Die Arten von Misshandlung umfassen schwere Schläge, Elektroschocks, das Aufhängen an den Armen für längere Zeit, Ersticken, Quetschen der Hoden, Verbrennungen, Schlafentzug, sexuelle Übergriffe und Androhung der Exekution.

Die afghanische Regierung hat Kontrollmechanismen eingeführt, um Fälle von Folter verfolgen und verhindern zu können. Allerdings sind diese weder beim NDS noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig. Daher erfolgt eine Sanktionierung groben Fehlverhaltens durch Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden bisher nur selten. Die Rechenschaftspflicht der Sicherheitskräfte für Folter und Missbrauch ist schwach, intransparent und wird selten durchgesetzt. Eine unabhängige Beobachtung durch die Justiz bei Ermittlungen oder Fehlverhalten ist eingeschränkt bis inexistent. Mitglieder der ANP und ALP sind sich ihrer Verantwortung weitgehend nicht bewusst und unwissend gegenüber den Rechten von Verdächtigen.

Das Gesetz sieht Entschädigungszahlungen für die Opfer von Folter vor, jedoch ist die Barriere für einen Beweis der Folter sehr hoch. Für eine Entschädigungszahlung ist der Nachweis von physischen Anzeichen von Folter am Körper eines Inhaftierten notwendig.

(Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 6. "Folter und unmenschliche Behandlung")

4.1.7. Binnenflüchtlinge:

Im Jahresverlauf 2018 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre. UNHCR berichtet für das gesamte Jahr 2018 von ca. 350.000-372.000 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden. Trotz des im Zeitvergleich hohen Ausmaßes der Gewalt war im Jahr 2018 das Ausmaß der konfliktbedingten Vertreibungen geringer als im Jahr 2017, als ca. 450.000-474.000 Menschen durch den Konflikt innerhalb Afghanistans vertrieben wurden. Aufgrund der Dürre, vorwiegend in den Provinzen Herat und Badghis, kommen ca. 287.000 IDPs hinzu. Nach Angaben von UNOCHA sind im ersten Halbjahr 2019 rund 210.000 neue Konflikt induzierte Binnenflüchtlinge hinzugekommen. Mehr als die Hälfte von ihnen stammen aus den Provinzen Takhar, Faryab und Kunar.

Die Gesamtzahl von Binnenflüchtlingen lag IDMC zufolge Stand Jahresende 2018 bei ca. 2,598,000 Menschen.

Die meisten IDPs stammen aus unsicheren ländlichen Ortschaften und kleinen Städten und suchen nach relativ besseren Sicherheitsbedingungen sowie Regierungsdienstleistungen in größeren Gemeinden und Städten innerhalb derselben Provinz.

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Der begrenzte Zugang zu humanitären Hilfeleistungen führt zu Verzögerungen bei der Identifizierung, Einschätzung und zeitnahen Unterstützung von Binnenvertriebenen. Diesen fehlt weiterhin Zugang zu grundlegendem Schutz, einschließlich der persönlichen und physischen Sicherheit sowie Unterkunft.

IDPs sind in den Möglichkeiten eingeschränkt, ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft kommt es nach der ersten Binnenvertreibung zu einer weiteren Binnenwanderung. Mehr als 80% der Binnenvertriebenen benötigen Nahrungsmittelhilfe. Vor allem binnenvertriebene Familien mit einem weiblichen Haushaltsvorstand haben oft Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen zu erhalten, weil sie keine Identitätsdokumente besitzen.

Die afghanische Regierung kooperiert mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, Rückkehrern und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung bezüglich vulnerabler Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, der erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen fördert sowie humanitäre und entwicklungspolitische Aktivitäten erstellt und diese koordiniert.

(Auszug bzw. Zusammenfassung aus dem LIB, Abschnitt 20. "IDPs und Flüchtlinge")

4.2. Zur Lage in der Provinz Kunar:

4.2.1. Zur Sicherheitslage in Kunar im Jahr 2016:

Khaama Press berichtete, dass AGEs, darunter auch Taliban-Kämpfer, in mehreren Distrikten in Kunar tätig sind und häufig Aufstandsaktivitäten durchführen. Im September 2015 wurde eine Intensivierung der ISAF/ANSF-Militäroperationen zur Entfernung der pakistanischen Kämpfer, darunter Taliban, TTP, Al-Qaida, Hezb-e Islami, Lashkar-e Taeeba, Lashkar-e Mujahedeen, Albadar Mujahedeen und Salafis, beschlossen. Dennoch blieb die Sicherheitslage in dieser Provinz instabil und die regierungsfeindlichen Elemente drangen von der pakistanischen Seite der Grenze in Kunar ein. Die ANSF sehen sich mit Hit-and-Run-Angriffen der regierungsfeindlichen Elemente konfrontiert, die dann bei bewaffnetem Widerstand nach Pakistan zurückfliehen. Nach dem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen führten die militärischen Operationen im benachbarten Nangarhar sowie der Druck der Taliban dazu, dass das IS eine kleine, sekundäre Präsenz in der Provinz Kunar aufbaute. Die UNAMA bestätigte diese Präsenz.

Laut Khaama Press vom April 2016 gehörte Kunar zu den volatilen Provinzen im Osten Afghanistans. Ein Bombenanschlag in der Provinzhauptstadt Asadabad tötete im September 2015 mindestens 28 Zivilisten. Im Februar 2016 tötete ein Selbstmordattentäter in einem Park in der Stadt Asadabad mindestens 11 Personen und verwundete 40. Die meisten der Opfer waren Zivilisten, darunter auch Kinder. Im März 2016 explodierte in Asadabad eine magnetische Sprengkapsel, wobei ein ANA-Soldat getötet und sieben weitere Personen, darunter auch Zivilisten, verletzt wurden. Im August 2016 wurden bei einer Explosion in einem Marktgebäude in Asadabad 10 Zivilisten verletzt. Zwei Wochen später wurden bei einem Raketenangriff auf eine Versammlung im Zentrum von Asadabad am Unabhängigkeitstag zwei Zivilisten getötet und 49 weitere verwundet. Im Rest der Provinz fanden im September 2015 Kämpfe und Luftangriffe statt. Mindestens vier Zivilisten wurden bei einem Bombenangriff im Dezember 2015 getötet. Im Januar und Februar 2016 wurde erneut von Kämpfen, Luftangriffen und Säuberungsaktionen der ANSF berichtet. Im März, April und Mai 2016 wurde von Kämpfen in der Provinz Kunar berichtet. Eine wichtige Straße zwischen den östlichen Provinzen Nuristan und Kunar wurde durch einen Felssturz blockiert, und Taliban-Kämpfer behinderten die Bemühungen um die Wiedereröffnung der Straße. Die Sicherheitskräfte starteten im Mai 2016 die Operation "Sher Ghashai" (Löwenpfeil), um die Straße wieder zu öffnen, was auch gelang, wie von Anwohnern bestätigt wurde. Im April 2016 erlitten die Taliban nach Angriffen auf Sicherheitsposten in den Distrikten Marwara und Sarkano der Provinz Kunar Verluste. Im Juni 2016 wurden im Bezirk Sarkano Zusammenstöße zwischen TTP und afghanischen Taliban-Gruppen gemeldet, bei denen mehrere aufständische Kämpfer getötet wurden. Im gleichen Monat wurde berichtet, dass die afghanischen Grenzprovinzen, darunter auch Kunar, in den vorangegangenen Monaten unter grenzüberschreitenden Beschussmaßnahmen gelitten hatten, bei denen es zu zivilen Opfern und materiellen Schäden kam.

Im Distrikt Chawkay kam es zu 49 sicherheitsrelevanten Vorfällen, in den am meisten betroffenen Distrikten, etwa Sirkanay oder Nari zu über 250.

(Auszug bzw. Zusammenfassung entscheidungsrelevanter Passagen aus dem EASO Country of Origin Information Report Afghanistan, Security Situation, November 2016 [in Folge: "EASO-Bericht Sicherheitslage November 2016], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_security_report.pdf, abgerufen am 20.12.2019, Abschnitt 2.5.3.)

4.2.2. Zur aktuellen Lage in der Provinz Kunar:

Allgemeines

Kunar liegt im Osten Afghanistans, an der afghanisch-pakistanischen Grenze. Die Provinz grenzt im Norden an Nuristan, im Osten an Pakistan (Provinz Khyber Pakhtunkhwa), im Süden an Nangarhar und im Westen an Laghman. Neben der Provinzhauptstadt Asadabad ist die Provinz in die folgenden Distrikte unterteilt: Bar Kunar (auch Asmar), Chapa Dara, Sawkay (auch Chawkay), Dangam, Dara-e-Pech (auch Manogi), Ghazi Abad, Khas Kunar, Marawara, Narang wa Badil, Nari, Noorgal, Sar Kani, Shigal, Watapoor und Sheltan. Letzterer wird als "temporärer Distrikt" definiert, was bedeutet, dass er als Teil der Provinz gilt, aber sein Status als solcher vom afghanischen Parlament noch nicht genehmigt wurde.

Die afghanische zentrale Statistikorganisation schätzte die Bevölkerung von Kunar für den Zeitraum 2019-20 auf 490.690. Sie besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai und Nuristani.

Eine Autobahn führt von Jalalabad durch die Distrikte Nurgal, Chawkay, Narang, Asadabad, Shigal nach Asmar. Vom Distrikt Asmar führt eine Straße durch die Distrikte Ghaziabad und Nari in die Provinz Nuristan. Die Provinz hat eine 175 Kilometer lange Grenze mit Pakistan (NPS o.D.kn). Diese Grenze, auch als Durandlinie bezeichnet, erhält nun eine Grenzbefestigung, die sich derzeit in Bau befindet und weit fortgeschritten ist. Diese Grenzbefestigung durch Pakistan soll entlang der gesamten Länge der Grenze in zwei bis drei Jahren abgeschlossen sein. Auf die Art sollen grenzüberschreitende Bewegungen von Aufständischen und Schmugglern unterbunden werden. Jedoch werden auch die Bewegungen von Zivilisten eingeschränkt, die familiäre Beziehungen auf beiden Seiten der Staatsgrenze haben. Im Jahr 2016 berichtete eine Quelle von drei offiziellen Grenzübergängen zwischen Kunar und Pakistan: Arandu, Gursal und Nawa-Pass. Um von Kunar nach Pakistan zu gelangen müsse man über Nangarhar fahren - was einen Umweg von mehreren Stunden bedeutet. Es gibt jedoch mehrere inoffizielle Durchlässe durch den Grenzzaun, die von Schmugglern und Aufständischen genutzt werden, welche die pakistanischen Grenzwächter bestechen.

Laut UNODC Opium Survey 2018 wurde in Kunar auf einer Fläche von

1.723 Hektar Schlafmohn angebaut, was einem Anstieg der Anbaufläche von 6% entspricht.

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die in der Provinz aktiven terroristischen Organisationen sind unter anderem: ISKP und Lashkar-e Taiba. Berichten zufolge soll sich die Präsenz des ISKP auf die östlichen Regionen - Kunar und Nangarhar - konzentrieren; die Stärke der Organisation wird mit 2.500 - 4.000 Kämpfern beziffert. Angeblich sollen Kämpfer des ISKP in Kunar eine eigene lokal-gefärbte Version des Islamischen Staates gegründet haben; in manchen Fällen offenbar aus opportunistischen Gründen - in der Regel Dispute mit anderen aufständischen Gruppen - mit denen sie zuvor verbunden waren. Das Überlaufen wurde wohl auch dadurch begünstigt, dass viele Kunaris (im Gegensatz zu den meisten anderen Afghanen) Salafisten sind, was sie - aufgrund ideologischer Ähnlichkeiten - anfälliger für den Wechsel zum Islamischen Staat macht.

Die Anzahl der al-Qaida-Aufständischen in Afghanistan wird von offizieller Seite auf 240 geschätzt - wobei sich die signifikanteste Anzahl auf 3 Provinzen - Badakhshan, Kunar und Zabul - verteilen soll. Kunar ist nach wie vor eine Region, in der ausländische Aufständische zu finden sind; die Lashkar-e-Tayyiba rekrutiert hier nach wie vor und finanziert Aktivitäten. Afghanischen Beamten zufolge beträgt die geschätzte Anzahl ihrer Mitglieder in den beiden Provinzen Kunar und Nangarhar um die 500. Die Lashkar-e-Tayyiba soll versucht haben, Beziehungen zu den Taliban und dem ISKP zu unterhalten und einen Waffenstillstand zu erreichen. In letzter Zeit hat sie jedoch versucht, sich vom ISKP zu distanzieren und somit eine neutralere Rolle eingenommen. Kunar ist eine der Grenzregionen, wo ausländische Terrororganisationen aktiv sind und sichere Rückzugsgebiete unterhalten. Auch betreiben Mitglieder der Teherik-e Taliban Pakistan (TTP) in der Provinz Kunar eine Militärbasis - das sogenannte Ghazi Camp; sie verlagerten ihre Basis nach Räumungsoperationen durch das pakistanische Militär nach Kunar. Deren Mitglieder werden auf 3.500 geschätzt. Aufständische, die in Gebieten tätig sind, die nicht von der Regierung kontrolliert werden, wie Chapadara und Dara-e-Pech, finanzierten sich durch Gewinne aus Entwaldung und Bergbau.

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kunar in der Verantwortung des 201. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, die von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird.

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 397 zivile Opfer (128 Tote und 269 Verletzte) in der Provinz Kunar. Dies entspricht einer Steigerung von 77% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und IEDs.

In der Provinz Kunar werden regelmäßig Sicherheitsoperationen durchgeführt, dabei wurden unter anderem Aufständische gefangen genommen oder getötet, jedoch kam es unter anderem auch zu Todesopfern unter Zivilisten, z.B. im Mai 2019, sowie Dezember und Oktober 2018.

Zusammenstöße zwischen ISKP-Kämpfern und den Regierungskräften, aber auch zwischen ISKP-Anhänger und Taliban finden statt. Dabei werden Kämpfer auf beiden Seiten getötet und verletzt, zudem kommt es in manchen Fällen auch zu zivilen Opfern.

(Auszug aus dem LIB, Abschnitt 3.18 "Kunar")

Kontrolle der Taliban über Distrikte in Kunar

Der Distrikt Chawkay steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung.

(Auszug aus EASO, Afghanistan Security Situation, Juni 2019 [in Folge: "EASO-Sicherheitslage Afghanistan Juni 2019"], abrufbar unter https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_security_situation_2019.pdf, Abschnitt 2.19).

4.3. Potentielle Risiken für den Beschwerdeführer in Afghanistan:

4.3.1. Situation der Rekrutierung bzw. Zwangsrekrutierung durch die Taliban:

Allgemeines

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, wie berichtet wird, weiterhin Kinder - sowohl Jungen als auch Mädchen - um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen einzusetzen, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung zu dienen.

(Auszug aus den UNHCR-Richtlinien, Pkt. III.A.3.a.)

Die Taliban haben keinen Mangel an Freiwilligen bzw. Rekruten und nutzen die Zwangsrekrutierung nur in Ausnahmefällen. So wird beispielsweise berichtet, dass die Taliban versuchen, Personen mit militärischem Hintergrund, wie beispielsweise Mitglieder des ANSF, zu rekrutieren. Die Taliban nutzen auch die Zwangsrekrutierung in Situationen akuten Drucks. Druck und Zwang zur Aufnahme in die Taliban sind nicht immer gewalttätig und werden oft über die Familie, den Klan oder das religiöse Netzwerk ausgeübt, je nach den örtlichen Gegebenheiten. Es kann gesagt werden, dass die Folgen einer Nichtbefolgung im Allgemeinen ernst sind, einschließlich Berichten über Bedrohungen der Familie der angesprochenen Rekruten, schwere Körperverletzungen und Morde.

Obwohl die Taliban intern keine Kinder rekrutieren, deuten die verfügbaren Informationen darauf hin, dass die Rekrutierung von Kindern, insbesondere von Jungen nach der Pubertät, erfolgt. Kinder können von aufständischen Gruppen auf vielfältige Weise einer Gehirnwäsche unterzogen werden und können in Madrassas indoktriniert werden, einschließlich der Verbringung nach Pakistan zur Ausbildung.

(Zusammenfassung aus EASO, Country of Origin Information Report:

Afghanistan, Recruitment by armed groups, September 2016 [in Folge:

"EASO-Bericht Rekrutierung", abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Recruitment_German.pdf, abgerufen am 20.12.2019], Abschnitte 1.5., 5.2., 5.2.1.2., 5.2.1.3. und 5.2.1.4.)

Dokumentierte Zahlen an rekrutierten Minderjährigen

Im Jahr 2018 dokumentierte die UNAMA die Rekrutierung und den Einsatz von 38 Kindern (37 Jungen und ein Mädchen), die meisten davon in der Ostregion. Sie schrieb die Rekrutierung und den Einsatz von 17 Kindern den Tehrik-i-Taliban Pakistan zu, fünf den Taliban, zwei Daesh/ISKP, einem unbestimmten regierungsfeindlichen Element, fünf den afghanischen nationalen Sicherheitskräften (vier der afghanischen lokalen Polizei und ein der afghanischen Nationalpolizei) und acht regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass diese Vorfälle zu wenig gemeldet werden.

(Auszug aus dem UNAMA Bericht über das Jahr 2018, Februar 2019, abrufbar unter:

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_annual_protection_of_civilians_report_2018_-_23_feb_2019_-_english.pdf, abgerufen am 30.12.2019, S. 13)

Zur Rekrutierung als Selbstmordattentäter

Darüber hinaus haben die Taliban eine Spezialeinheit für Selbstmordattentäter eingerichtet. Selbstmordattentate sind ressourcenintensiv und die Taliban investieren viel in solche Angriffe. Es wird daher stark betont, dass man denjenigen, die für Selbstmordeinsätze rekrutiert werden, vertrauen muss. Das Training wird dazu beitragen, die Selbstmordattentäter mit genügend mentaler Stärke auszustatten, um die geplanten Angriffe durchzuführen. Religiöse und ideologische Überzeugungen sind für diejenigen, die für solche Einsätze ausgewählt werden, besonders wichtig. Selbstmordattentäter sind wichtig bei komplexen, koordinierten Anschlägen in z.B. Kabul Stadt; der Selbstmordattentäter ebnet den Weg für Scharfschützen im Zusammenhang mit solchen Anschlägen.

(Auszug aus Landinfo, Report Afghanistan: Recruitment to Taliban, 2017, abrufbar unter:

https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/03/Afghanistan-Recruitment-to-Taliban-29062017.pdf, abgerufen am 30.12.2019, S. 10f)

Zur Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren durch die Taliban

Es gibt einige Berichte, dass Kinder unter 15 Jahren Selbstmordattentate begangen haben. Nach Angaben des UN-Generalsekretärs hat ein 14-jähriger Junge im Februar 2014 in der Provinz Paktika ein Selbstmordattentat verübt. In einem Gespräch mit Landinfo behauptete eine UN-Quelle, dass Kinder im Alter von 10-12 Jahren von den Taliban rekrutiert worden seien. Nach Angaben der Nachrichtenmedien TOLO News gelang einem 12-jährigen Jungen, der 2015 einen Selbstmordanschlag in Faryab durchführen sollte, die Flucht aus der Taliban-Basis. Der Vater des Jungen soll seinen Sohn für 700.000 Afs (ca. 10.000 USD) verkauft haben. Im Jahr 2014 sollten drei Kinder, sechs, acht und zehn Jahre alt, eine IED in einer Schubkarre bewegen. Die IED detonierte, zwei der Kinder wurden getötet und ein Kind verwundet. Die am häufigsten gemeldete Darstellung der letzten Jahre stammt aus der Zeit um die Taliban-Aktionen in der Stadt Kundus im Jahr 2015. Angeblich wurden einige Minderjährige unter 15 Jahren von den Taliban mobilisiert. Was über die Dokumentation der Rekrutierung von Soldaten unter 15 Jahren sowohl für die Taliban als auch für andere Gruppen vorliegt, ist fast ausschließlich anekdotisch. Es gibt wenig Hinweise darauf, dass die Taliban ihre Tätigkeit so organisieren, dass viele Personen unter 15 Jahren für die Teilnahme an militärischen Aktivitäten und Kampfhandlungen rekrutiert werden. Die Erfahrungen und Eindrücke von Landinfo decken sich, wie bereits erwähnt, mit dem UNHCR und mehreren der oben genannten Quellen; fast alle unabhängigen militärischen Akteure mobilisieren Personen unter 18 Jahren. Obwohl es keine repräsentativen Zahlen gibt, kann man davon ausgehen, dass die Mehrheit der mobilisierten Minderjährigen zwischen 15 und 18 Jahren liegt. Es ist wahrscheinlich auch der Fall, dass viele von ihnen nach lokalen Maßstäben als Erwachsene gelten. Angesichts der so genannten verifizierten Fälle gibt es wahrscheinlich eine hohe Anzahl nicht erfasster Fälle.

(Auszug aus Landinfo, Report Afghanistan: Recruitment to Taliban, 2017, abrufbar unter:

https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/03/Afghanistan-Recruitment-to-Taliban-29062017.pdf, abgerufen am 30.12.2019, S. 23f)

4.3.2. Situation von Kindern:

Allgemeines

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Laut UNAMA-Berichten sank die Gesamtzahl der konfliktbedingt getöteten oder verletzten Kinder im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem Vorjahr um 13% (327 Todesfälle, 880 Verletzte). Die Beteuerungen regierungsfeindlicher Gruppen, Gewalt gegen Zivilisten und insbesondere Kinder abzulehnen, werden immer wieder durch ihre Aktionen konterkariert. Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt - mit rund 63% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren. Die Volljährigkeit beginnt in Afghanistan mit dem 18. Geburtstag.

Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zuhause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen.

Schulbildung in Afghanistan

Die afghanische Schulbildung beginnt für Kinder im Alter von sechs Jahren mit sechs Jahren Grundschule, gefolgt von der Unterstufe der Sekundarschule (bzw. Mittelschule) für zwölf- bis 14-Jährige und der Oberstufe für 14- bis 17-Jährige. Nach Abschluss der Oberstufe können Schüler und Schülerinnen an die Universität wechseln. Ein Bachelorstudium dauert in der Regel vier Jahre, das Masterstudium, welches nach Absolvierung eines Bachelorstudiums begonnen werden kann, zwei Jahre. Die Anzahl der angebotenen Masterstudien ist immer noch klein. Grundschule, Unterstufe und Oberstufe werden jeweils mit einem Examen abgeschlossen, welches den Übertritt in die nächsthöhere Schulform erlaubt. Aufgrund von verschiedenen Faktoren, wie zum Beispiel Klassenwiederholungen, zeitweisem Schulabbruch oder dem Überspringen einer Schulstufe, variiert das tatsächliche Alter der Schulkinder in den jeweiligen Schulstufen mitunter erheblich.

Kinder können in Afghanistan öffentliche, private oder religiöse Schulen besuchen. Der Schulbesuch ist an öffentlichen Schulen "im Prinzip" kostenlos und die Regierung versorgt die Schüler mit Schulbüchern. Jedoch sind das Budget und die Anzahl der Bücher meistens nicht ausreichend; auch wird das Unterrichtsmaterial oft zu spät zugestellt: z.B. vier Monate nach Unterrichtsbeginn. Aus diesen Gründen gibt es in Afghanistan einen Schwarzmarkt für Bücher, wo Familien kopierte Versionen der Schulbücher erwerben können. Der Staat versucht vergebens, dies zu verhindern. Die Regierung bietet weder Stipendien an, noch stellt sie Schulmaterialien für ärmere Familien zur Verfügung. In besonders verarmten Gebieten verteilen Organisationen wie UNICEF Schulmaterialien. Solche Hilfsaktionen betreffen allerdings nur die ländlichen Gebiete und auch dort ist das Ausmaß nicht ausreichend: in der Regel werden zwischen 80 und 100 Schulen versorgt. Einige private Schulen vergeben Stipendien, z. B. die Afghan-Turk Schule. Meistens handelt es sich hierbei um Leistungsstipendien für Schüler von der siebten bis zur zwölften Klasse. Jedes Jahr werden zwischen 100 und 150 Stipendien je nach Kapazität der Schule vergeben.

Der Schulbesuch ist in Afghanistan bis zum Abschluss der Unterstufe der Sekundarschule (d.h. nach sechs Jahren Grundschule und drei Jahren Sekundärbildung) verpflichtend. Laut Ve

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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