TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/14 G303 2197750-1

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Veröffentlicht am 14.02.2020
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Entscheidungsdatum

14.02.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §43
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

G303 2197750-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, vertreten durch Schlösser & Partner, Rechtsanwälte OG, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, vom 13.02.2018, OB: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung, nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung vom 16.05.2018 und Vorlageantrag vom 01.06.2018, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung ersatzlos behoben.

II. Der Grad der Behinderung beträgt 70 (siebzig) von Hundert (v.H.).

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

I.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 06.02.2018 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass ein. Dem Antrag waren medizinische Beweismittel sowie eine Kopie der Aufenthaltskarte angeschlossen.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 13.02.2018 wurde der Antrag des BF auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass mit der Begründung abgewiesen, dass mit einem Grad der Behinderung von 60 % keine Veränderung des bisherigen Grades der Behinderung eingetreten sei.

Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten vom 27.12.2017, welches dem angefochtenen Bescheid als Beilage angeschlossen und zu einem Bestandteil der Begründung des Bescheides erklärt wurde. In der rechtlichen Beurteilung wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes angeführt. Seitens der belangten Behörde wurde angemerkt, dass das Gutachten vom 27.12.2017 für die Entscheidung heranzuziehen gewesen sei, da der vorgelegte Befund aus der Zeit vor der letzten ärztlichen Untersuchung stamme.

3. Gegen den oben genannten Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 21.03.2018 fristgerecht Beschwerde und brachte vor, dass die belangte Behörde bei der Neufestsetzung des Grades der Behinderung lediglich das Gutachten vom 27.12.2017 herangezogen habe. Jedoch habe es danach noch zwei weitere Operationen gegeben, die den Grad der Behinderung dauerhaft erhöhen könnten. Der BF ersuchte um eine neue medizinische Untersuchung, um seinen jetzigen Zustand festzustellen und brachte weitere medizinische Beweismittel in Vorlage.

4. Im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung holte die belangte Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Facharzt für Orthopädie, ein.

In dem eingeholten Gutachten vom 02.05.2018, welches aufgrund der Aktenlage erstellt worden ist, wird folgender Gesamtgrad der Behinderung eingeschätzt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden; Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Knie-Totalendoprothese rechts (03/2018) nach primärer Spacerimplantation (02/2018) Fixer Richtwert nach operiertem Schienbeinkopfbruch mit Peroneusparese und Tibialisparese (12/2014), Zustand nach postoperativem Infekt und protrahiertem Erysipel des rechten Unterschenkels

02.05.22

40

2

Varizen an beiden Beinen rechts mehr als links Oberer Richtwert bei narbig abgeheiltem Geschwür, Stauungsdermatose, Stauungsekzem unverändert zum VGA

05.08.01

40

3

Posttraumatische Sprunggelenksabnützung rechts Eine Stufe über dem unteren Richtwert nach Fraktur (2002) mit mittelgradiger Funktionseinschränkung

02.05.32

20

4

Chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom Oberer Richtwert bei endgradiger Funktionseinschränkung ohne neurologische Ausfallserscheinungen

02.01.01

20

5

Hypertonie und permanentes Vorhofflimmern Fixer Richtwert bei Zustand nach erfolgloser Kardioversion

05.01.01

10

6

Leichtgradige Dysthymie Unterer Richtsatzwert, unverändert zum VGA

03.06.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 60 v.H.

 

 

 

Begründend wurde zum Gesamtgrad der Behinderung ausgeführt, dass sich dieser aus dem Zusammenwirken aller Leiden ergebe, wobei die führende Gesundheitsschädigung (GS) 1 durch die GS 2 bis GS 4 auf Grund der negativen Leidenspotenzierung um insgesamt zwei Stufen angehoben werde. Die GS 5 und GS 6 würden wegen Geringfügigkeit bzw. fehlender Leidenspotenzierung nicht weiter anheben.

Im Vergleich zum Vorgutachten 11/2017 hätten sich keine wesentlichen Änderungen ergeben. Der Gesamtgrad der Behinderung bleibe unverändert.

5. Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 16.05.2018 wurde die Beschwerde des BF vom 21.03.2018 abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Mit einem Grad der Behinderung von 60 % sei keine Veränderung des bisherigen Grades der Behinderung des BF eingetreten.

In der Begründung wurde auf das, unter Pkt. I.4. angeführte, Aktengutachten von Dr. XXXX verwiesen. Dieses sei in Kopie der Beschwerdevorentscheidung beigelegt und zum Bestandteil der Begründung dieses Bescheides erklärt worden. In der rechtlichen Beurteilung wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes angeführt.

6. Mit Schriftsatz vom 01.06.2018 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter des BF die Vollmacht und stellte zugleich einen Vorlageantrag die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

7. Die gegenständliche Beschwerde, der Vorlageantrag und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde vorgelegt und langten diese am 08.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichtes ein ärztliches Sachverständigengutachten von MR Dr. XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, eingeholt.

8.1. Im medizinischen Sachverständigengutachten von MR Dr. XXXX vom 10.12.2018 werden, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF am selben Tag, im Wesentlichen folgende Funktionseinschränkungen festgehalten:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden; Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Deutliche Bewegungs- und Belastungseinschränkung im Bereich des rechten Kniegelenkes nach mehrmaligen Operationen und Infektionen. Knie-Totalendoprothese rechts (03/2018) nach primärer Spacerimplantation (02/2018) Fixer Richtwert nach operiertem Schienbeinkopfbruch mit Zustand nach postoperativem Infekt und protrahiertem Erysipel des rechten Unterschenkels

02.05.22

40

2

Varizen an beiden Beinen rechts mehr als links mit postthrombotischem Syndromkomplex Oberer Richtwert bei narbig abgeheiltem Geschwür, nach Stauungsdermatose und Stauungsekzem

05.08.01

40

3

Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Sprunggelenkes bei posttraumatischer Gelenksabnützung mit Bewegungs- und Belastungsminderung Eine Stufe unter dem oberen RSW entsprechend der Bewegungs- und Belastungsminderung

02.05.32

30

4

Deutliche axonale Schädigung entlang des Nervus peroneus und tibialis rechts, laut Fachbefund Dr. XXXX 7/2018. Eine Stufe unter dem oberen RSW als Summationsposition beider Nervenschädigungen

04.05.14

30

5

Abnützung im Bereich der Wirbelsäule mit Schwerpunkt LWS ohne neuromotorische Ausfälle

02.01.01

20

6

Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Kniegelenkes bei Knorpelabnützung deutlichen Ausmaßes Fixer RSW entsprechend der Funktionseinschränkung

02.05.18

20

7

Bluthochdruck mit permanentem Vorhofflimmern bei Zustand nach erfolgloser Cardioversion und dadurch bedingte Belastungsatemschwierigkeiten. Fixer Richtwert bei Zustand nach erfolgloser Kardioversion entsprechend der Funktionsminderung

05.01.01

10

8

Leichtgradige Dysthymie Unterer Richtsatzwert entsprechend der Symptomatik

03.06.01

10

Gesamtgrad der Behinderung 70 v.H.

 

 

 

Begründend wurde zum Gesamtgrad der Behinderung ausgeführt, dass die führende GS 1 durch die GS 3 und GS 4 um je eine Stufe auf Grund der negativen orthopädischen Wechselwirkung in der Funktionskette erhöht werde. Die GS 2, GS 5 und GS 6 würden im Zusammenwirken bei negativer Beeinflussung der orthopädischen Funktionsminderungen des rechten Beines um eine weitere Stufe anheben. Die GS 7 und GS 8 würden nicht weiter anheben, da keine relevante Leidenserhöhung dadurch gegeben sei.

Stellungnehmend wurde zum Vorgutachten ausgeführt, dass die Leiden separat gewürdigt werden sollten. Aufgrund der durchgeführten Untersuchung, unter Einbeziehung der Vorgutachten und der Befunde, sei die oben angeführte Einschätzung angezeigt. Es bestehe eine komplexe Funktionsstörung im Bereich des rechten Beines mit Bewegungseinschränkung im Bereich des Sprung- und des Kniegelenkes, sowie zusätzlich eine LWS-Problematik, welche insgesamt eine Funktionseinschränkung der Bewegungskette mit sich bringe und die Mobilität deutlich einschränke. Zusätzlich seien Abnützungen am linken Kniegelenk, Nervenstörungen im Bereich des rechten Unterschenkels sowie Venenbeschwerden an beiden Beinen gegeben, welche negative Wechselwirkung die Mobilität betreffend bedingen würden.

9. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 18.12.2018 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen drei Wochen ab Zustellung zu äußern.

9.1. Mit Schriftsatz vom 17.01.2019 beantragte der rechtsfreundliche Vertreter des BF die Frist zur Erstattung der Stellungnahme um weitere drei Wochen, sohin bis zum 07.02.2019 zu erstrecken. Dem Fristerstreckungsantrag wurde seitens des erkennenden Gerichtes stattgegeben.

9.2. Mit weiterem Schriftsatz vom 07.02.2019 wurde erneut um Erstreckung der Frist zur Erstattung einer Stellungnahme um weitere drei Wochen, sohin bis zum 28.02.2019, ersucht. Auch diesem Fristerstreckungsantrag wurde seitens des erkennenden Gerichtes stattgegeben.

9.3. Eine Stellungnahme langte in weiterer Folge nicht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF hat einen Wohnsitz im Inland und ist Inhaber eines Behindertenpasses. Der zuletzt rechtskräftig festgestellte Grad der Behinderung des BF betrug 60 (sechzig) von Hundert (v.H.). Dieser wurde auch im Behindertenpass eingetragen.

Der BF leidet an folgenden behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen:

* deutliche Bewegungs- und Belastungseinschränkung im Bereich des rechten Kniegelenkes, Knie-Totalendoprothese rechts nach primärer Spacerimplantation (Grad der Behinderung: 40 %)

* Varizen an beiden Beinen, mit postthrombotischem Syndromkomplex (Grad der Behinderung: 40 %)

* Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Sprunggelenkes bei posttraumatischer Gelenksabnützung mit Bewegungs- und Belastungsminderung (Grad der Behinderung: 30 %)

* deutliche axonale Schädigung entlang des Nervus peroneus und tibialis rechts (Grad der Behinderung: 30 %)

* Abnützung im Bereich der Wirbelsäule mit Schwerpunkt im Bereich der LWS (Grad der Behinderung: 20 %)

* Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Kniegelenkes bei Knorpelabnützung deutlichen Ausmaßes (Grad der Behinderung: 20 %)

* Bluthochdruck mit permanentem Vorhofflimmern bei Zustand nach erfolgloser Cardioversion und dadurch bedingte Belastungsatemschwierigkeiten (Grad der Behinderung: 10 %)

* leichtgradige Dysthymie (Grad der Behinderung: 10 %)

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 70 (siebzig) von Hundert (v.H.). Dieser ergibt sich einerseits aus dem Behinderungsgrad des führenden Leidens (Zustand nach Implantation einer Knie-Totalendoprothese rechts mit deutlicher Bewegungs- und Belastungseinschränkung im Bereich des rechten Kniegelenkes) sowie andererseits aus den Behinderungsgraden der vorliegenden Funktionseinschränkungen im Bereich des rechten Sprunggelenkes und der axonalen Nervenschädigungen, die aufgrund der negativen orthopädischen Wechselwirkung zu einer Anhebung des Gesamtbehinderungsgrades um jeweils eine Stufe führen. Die Varizen, die Wirbelsäulenabnützung und die Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Kniegelenkes heben den Gesamtbehinderungsgrad aufgrund negativer Beeinflussung der Funktionsminderungen des rechten Beines insgesamt um eine weitere Stufe an.

Die übrigen Leiden (Bluthochdruck und die leichtgradige Dysthymie) führen zu keiner relevanten Leidenserhöhung.

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 70 von Hundert.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde, dem Vorlageantrag und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellung zum Wohnsitz des BF im Inland ergibt sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister und den Angaben des BF im verfahrenseinleitenden Antrag.

Die Feststellungen, dass der BF Inhaber eines Behindertenpasses ist und der zuletzt rechtskräftig festgestellte Grad der Behinderung des BF 60 % betrug, ergibt sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.

Das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten von MR Dr. XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 10.12.2018, ist schlüssig, nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Es wurde im Gutachten auf die Art der Leiden des BF, deren Ausmaß und Wechselwirkungen zueinander ausführlich eingegangen.

Im Vergleich zum Vorgutachten wurde nunmehr die Verschlechterung der Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Sprunggelenkes berücksichtigt, wodurch es zu einer Erhöhung des Behinderungsgrades dieses Leidens gekommen ist. Die Nervenstörungen im Bereich des rechten Unterschenkels (Nervus peroneus und tibialis rechts) und die Knorpelabnützung des linken Kniegelenkes sind als neue behinderungsrelevante Gesundheitsschädigungen hinzugekommen und wurden gesondert eingeschätzt.

Die Einschätzungen der nunmehr vorliegenden Gesundheitsschädigungen bezüglich des Grades der Behinderung erfolgten entsprechend der anzuwendenden Anlage zur Einschätzungsverordnung korrekt und nachvollziehbar. Die diesbezüglichen Feststellungen beruhen darauf.

Insgesamt konnte aus dem vorliegenden Sachverständigengutachten ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 v. H. objektiviert werden.

Der Inhalt des Sachverständigengutachtens von MR Dr. XXXX wurde vom BF als auch von der belangten Behörde im Rahmen des schriftlichen Parteiengehörs unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen somit keinerlei Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachtens von MR Dr. XXXX vom 10.12.2018. Dieses Gutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 in der geltenden Fassung) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung gemäß § 45 Abs. 4 BBG als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz-VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 in der geltenden Fassung) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen. Abweichend davon beträgt die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 46 BBG zwölf Wochen.

Gemäß § 15 VwGVG kann jede Partei binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Beschwerdevorentscheidung bei der Behörde den Antrag stellen, dass die Beschwerde dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird (Vorlageantrag).

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung des BF. Der Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens von MR Dr. XXXX wurde von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.

Da der Sachverhalt auch aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.

Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt.

Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC nicht entgegen.

3.2. Zu Spruchteil A):

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. I Nr. 22/1970, angehören.

Nach § 35 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG 1998), BGBl. I Nr. 400/1998 in der geltenden Fassung, sind die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

* Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. I Nr. 183/1947).

* Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

* In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des BBG, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 leg. cit. genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 leg. cit. vorliegt.

Gemäß § 42 Abs. 1 BBG hat der Behindertenpass den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Der Behindertenpass ist gemäß § 42 Abs. 2 BBG unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.

Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen gemäß § 43 Abs. 1 BBG diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind gemäß § 2 der Einschätzungsverordnung als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist gemäß § 3 Abs. 1 der Einschätzungsverordnung dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist § 3 Abs. 2 der Einschätzungsverordnung zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

In der vorliegenden Rechtssache wurde im Beschwerdeverfahren gemäß § 41 Abs. 1 BBG unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen der Grad der Behinderung nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung eingeschätzt. Danach wurde ein Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 70 von Hundert objektiviert und festgestellt, da auch die Gesamteinschätzung unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis vorzunehmen ist (vgl. VwGH 18.10.2000, Zl. 99/09/0097).

Alle Gesundheitsschädigungen des BF wurden in dem vorliegenden Sachverständigengutachten berücksichtigt; für jedes einzelne behinderungsrelevante Leiden wurde ein Grad der Behinderung nach der anzuwendenden Anlage zur Einschätzungsverordnung korrekt eingeschätzt.

Da nunmehr der Grad der Behinderung 70 von Hundert beträgt, ist im Sinne des § 43 Abs. 1 BBG eine Änderung eingetreten, welche seitens der belangten Behörde zu berichten ist.

Der Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben und festzustellen, dass der Grad der Behinderung des BF 70 (siebzig) v.H. (von Hundert) beträgt.

3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Neufestsetzung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2197750.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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