TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/20 W265 2227324-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.02.2020
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Entscheidungsdatum

20.02.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W265 2227324-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr. Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 05.12.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist seit 05.12.2016 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 70 v.H.

Am 17.07.2019 stellte er beim Sozialministeriumservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet) einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragungen "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" und "Bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass und legte ein Konvolut an Unterlagen vor.

Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag.

In dem auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 22.10.2019 basierenden orthopädischen Gutachten vom 04.11.2019 wurde Folgendes - hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben - ausgeführt:

"Anamnese:

GdB beträgt 70 v. H: - Zustand nach Operation einer Epidermoidzyste im thorakolumbalen Übergang

Geht mit Rollator, er habe diesen seit 07/19 - Z.n. Wirbelsäulenoperation am 1. 7. 19 wegen Rezidiv einer Epidermoidzyste; die erste Wirbelsäulenoperation habe er 2009 gehabt, es sei ihm dann aber nicht gut gegangen.

Blasenentleerungsstörung, liegendes Cystofix.

Peronäus und Tibialisparese links, Schienenversorung

Neurostimulator

Miederversorgung

Sensibilitätsstörung linkes Bein, er habe sich die li. Fußsohle mit heißem Wasser verbrüht

Er vergesse viel.

Derzeitige Beschwerden:

s. oben

Behandlung/en / Medikamente / Hilfsmittel:

Seractil, Novalgin; Cystofix seit 2009

Sozialanamnese:

I-Pension, früher Schweißer, Partnerin

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Patientenbrief KAR v. 15. 7. 19: Ausgedehntes Rezidiv eines Epidermoids von Th11 bis L2 - Operationsdatum: 01.07.2019

Art der Operation: Reoperation, Erweiterung der Laminektomie nach cranial um 1 Segment und nach caudal bis L3, mikrochirurgisch monitierte Tumorresektion

Aufnahmegrund:

Der Patient wurde im Juli 2009 an einem Epidermoid von TH11 bis L1 operiert. Es erfolgte eine Laminektomie Th12 und L1 mit einer Tumorteilexstirpation und Erweiterungsplastik. Seit Februar 2019 kommt es zu einer Zunahme der radikulären Schmerzsymptomatik dem Dermatom L4 entsprechend mit immer wieder auftretenden Krämpfen links bei bekannter hochgradiger Peronaeusund Tibialisparese links sowie eine Blasenentleerungsstörung mit Cystofix in situ. Anamnestisch lässt sich zusätzlich erheben, dass der Patient öfters mit dem linken ein Einknickt und seither mit einer Gehhilfe mobil ist, es kommt immer wieder zum Auftreten einer Bamstigkeit in der linken unteren Extremität.

In der durchgeführten bildgebenden Diagnostik mittels MRT zeigt sich ein ausgedehntes Tumorrezidiv bis TH 11 bis L2 reichend, sodass die Indikation zur Operation gestellt wird.

Zusammenfassung des Aufenthalts:

Der postoperative Verlauf gestaltete sich erfreulich. Nach Entfernung des Drains kann Herr XXXX am 3. postoperativen Tag unter physikalisch therapeutischer Anleitung mobilisiert werden. Kurzfristig zeigt sich das linke Bein plegisch, diese remittiert sich aber selbstständig.

Der Patient bewegt allseits, es besteht noch eine diskrete Schmerzsymptomatik, woraufhin die Schmerzmedikation adaptiert wird. Postoperativ lässt sich erheben, dass hier im Vergleich zur präoperativ keine weitergehende Änderung bemerkt wird. Herr XXXX ist mittlerweile kurze Stecken freihändig mobil, bei längeren Strecken wird ein Rollator benötigt. Die Wunde zeigt sich bland, die Klammem konnten zwischenzeitlich entfernt werden. Somit kann Herr XXXX in gutem Allgemeinzustand nach Hause entlassen werden.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

normal

Ernährungszustand:

gut

Größe: 175 cm Gewicht: 85 kg Blutdruck: 150/100

Klinischer Status - Fachstatus:

Caput: bland

Collum: bland

Cor: HT rein, rhy, normfrequent

Thorax: unauffällig

Pulmo: VA

Abdomen; Hepar am Ribo, Milz n. p, keine Defence oder Druckdolenz

Obere Extremitäten: Schulter- Ellenbogen, Handgelenke Finger frei beweglich, Faustschluss bds möglich

Wirbelsäule: im Lot, FBA 30 cm, SN und RT bland, Lasege neg, Zehen und Fersengang bds möglich, beide Beine können von der UL gehoben werden, li. mühsam

Hüftgelenke: bds bland

Kniegelenke. bds bland

Sprunggelenke frei beweglich in allen Ebenen

Haut: keine Auffälligkeiten Neurologisch:

Sonstiges: keine Auffälligkeiten

Gesamtmobilität - Gangbild:

Geht mit Rollator; verlangsamt

Status Psychicus:

voll orientiert, Antrieb und Affizierbarkeit normal, Stimmung ausgeglichen.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

1

Zustand nach zweimaliger Operation einer Epidermoidzyste im thorakolumbalen Übergang in den Jahren 2009 und 2019 wegen Rezidiv. Inkludiert auch die Harnentleerungsstörung und die Stuhlentleerungsstörung

2

Transurethrale Prostataresektion 06/2010

3

Blasensteinsanierung 2013

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Leiden 2 und 3 sind neu im Vergleich mit dem Gutachten von 2012 - sie wurden dem Gutachten von 2016 (Unzumutbarkeitsgutachten) entnommen.

[x] Dauerzustand

Aufgrund der vorliegenden funktionellen Einschränkungen liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Vornahme nachstehender Zusatzeintragungen vor:

Ja Nein Die / Der Untersuchte

[x] Bedarf einer Begleitperson

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Es besteht eine herabgesetzte Mobilität, ein Rollator wird verwendet wie auch im Spitalsentlassungsbrief dokumentiert ist.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

Nein.

Gutachterliche Stellungnahme:

Die Benützung öffentlicher VKM ist nicht zumutbar. Eine Begleitperson ist aus gutachterlicher Sicht nicht notwendig.

..."

Mit Schreiben vom 07.11.2019 brachte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG zur Kenntnis und räumte ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme ein.

Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab.

Mit angefochtenem Bescheid vom 05.12.2019 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass ab. In der Begründung des Bescheides werden im Wesentlichen die Ausführungen des eingeholten Sachverständigengutachtens, welches als schlüssig erachtet werde, wiedergegeben. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem Beiblatt, das einen Bestandteil der Begründung bilde, zu entnehmen. Mit dem Bescheid wurden dem Beschwerdeführer das ärztliche Sachverständigengutachten übermittelt.

Mit Schreiben vom 06.12.2019 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den Behindertenpass mit der Eintragung der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung".

Mit am 30.12.2019 eingelangtem Schreiben erhob der Beschwerdeführer gegen den Bescheid vom 05.12.2019 fristgerecht die gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin brachte er vor, er benötige zur Fortbewegung des Rollators, sowie zum Anziehen von Hose, Socken und Schuhe die Hilfe einer anderen Person, da sein Fuß taub sei und er nicht fühlen kann. Spazieren sei nur mit einer Begleitung sicher. Sein behandelnder Arzt habe ihm empfohlen, ein bis zwei Mal wöchentlich schwimmen zu gehen. Aufgrund seines geringen Einkommens sei eine Eintrittskarte für eine Begleitperson für den Beschwerdeführer nur schwer zu bezahle. Er ersuche daher um Bewilligung der beantragten Zusatzeintragung, da nur so eine zumindest geringe Besserung seiner Gesundheit möglich sei. Der Beschwerde wurden keine medizinischen Befunde angeschlossen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 70 v.H. und der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung".

Er stellte am 17.07.2019 beim Sozialministeriumservice einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

-

Zustand nach zweimaliger Operation einer Epidermoidzyste im thorakolumbalen Übergang in den Jahren 2009 und 2019 wegen Rezidiv. Inkludiert auch die Harnentleerungsstörung und die Stuhlentleerungsstörung

-

Transurethrale Prostataresektion 06/2010

-

Blasensteinsanierung 2013

Der Beschwerdeführer ist nicht überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen. Er ist nicht blind, hochgradig sehbehindert oder taubblind. Die kognitiven Fähigkeiten sind nicht beeinträchtigt. Der Beschwerdeführer ist zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht ständig auf die Hilfe einer zweiten Person angewiesen.

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer bestehenden einzelnen Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß, der wechselseitigen Leidensbeeinflussung und der Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen im oben wiedergegebenen medizinischen Sachverständigengutachten vom 04.11.2019 zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Behindertenpass und zur Antragsstellung ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer nicht überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen, nicht blind, hochgradig sehbehindert oder taubblind ist, bei ihm keine Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten vorliegen und er zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht ständig auf die Hilfe einer zweiten Person angewiesen ist, welche zur Abweisung der Zusatzeintragung "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" führt, gründet sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 04.11.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 22.10.2019.

Die Mobilität beim Beschwerdeführer ist herabgesetzt, vor allem das linke Bein ist durch eine Sensibilitätsstörung beeinträchtigt und der Beschwerdeführer verwendet einen Rollator. Aus diesem Grund stellte der Gutachter auch fest, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar sei.

Die Voraussetzungen zur Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" liegen hingegen nicht vor, da der Beschwerdeführer nicht überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist, nicht blind, hochgradig sehbehindert oder taubblind ist, er keine kognitiven Einschränkungen aufweist und zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht ständig der Hilfe einer zweiten Person bedarf. Der Beschwerdeführer brachte auch selbst nicht vor, dass eine der genannten Voraussetzungen bei ihm vorliegen.

Erforderliche Hilfestellungen im persönlichen Bereich bedingen nicht die Notwendigkeit einer Begleitperson. Insoweit sind die Einwendungen in der Beschwerde, wonach der Beschwerdeführer Hilfe beim Anziehen von Hose, Socken und Schuhen benötige, nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu führen.

Das Vorbringen, wonach sich der Beschwerdeführer nicht ein bis zwei Mal wöchentlich eine Eintrittskarte für eine zweite Person ins Schwimmbad leisten könne, ist ebenfalls von der Art und Schwere der Einschränkungen zu trennen, welche Voraussetzung für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung sind. Andere Umstände, bei denen es sich nicht um für die Zusatzeintragung erforderliche Voraussetzungen handelt, sind für die Beurteilung nicht relevant.

Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der Beschwerde keine Befunde vor, die geeignet wären, eine andere Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen herbeizuführen bzw. eine zwischenzeitig eingetretene Verschlechterung der Leidenszustände zu belegen und allenfalls zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen.

Der Beschwerdeführer ist dem vorliegenden Sachverständigengutachten im Lichte obiger Ausführungen daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 04.11.2019 und wird dieses daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

...

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen."

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet - soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

"§ 1 ....

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a) überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen ist;

diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 1 bis 3 des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, vorliegen. Bei Kindern und Jugendlichen gelten jedoch dieselben Voraussetzungen ab dem vollendeten 36. Lebensmonat.

b) blind oder hochgradig sehbehindert ist;

diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 4 oder 5 BPGG vorliegen.

...

d) taubblind ist;

diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine diagnosebezogene Mindesteinstufung im Sinne des § 4a Abs. 6 BPGG vorliegen.

...

2. die Feststellung, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a) einer Begleitperson bedarf;

diese Eintragung ist vorzunehmen bei

-

Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach Abs. 4 Z.1 lit. a verfügen;

-

Passinhabern/Passinhaberinnen, die über eine Eintragung nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d verfügen;

-

bewegungseingeschränkten Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr, die zur Fortbewegung im öffentlichen Raum ständig der Hilfe einer zweiten Person bedürfen;

-

Kindern ab dem vollendeten 6. Lebensjahr und Jugendlichen mit deutlicher Entwicklungsverzögerung und/oder ausgeprägten Verhaltensveränderungen;

-

Menschen ab dem vollendeten 6. Lebensjahr mit kognitiven Einschränkungen, die im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährdung ständiger Hilfe einer zweiten Person bedürfen, und

-

schwerst behinderten Kindern ab Geburt bis zum vollendeten 6. Lebensjahr, die dauernd überwacht werden müssen (z. B. Aspirationsgefahr).

..."

Der Vollständigkeit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 05.12.2019 der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 100/2018 (in der Folge kurz BBG) abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt - auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde im seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 04.11.2019 nachvollziehbar verneint, dass im Fall des Beschwerdeführers - trotz der bei ihm vorliegenden körperlichen Defizite - die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass vorliegen. Beim Beschwerdeführer liegen ausgehend von diesen Sachverständigengutachten aktuell keine kognitiven Einschränkungen vor, die im öffentlichen Raum zur Orientierung und Vermeidung von Eigengefährung ständiger Hilfe einer zweiten Person bedürfen. Weiters bedarf der Beschwerdeführer auch zur Fortbewegung im öffentlichen Raum nicht ständig der Hilfe einer zweiten Person. Er verwendet zwar einen Rollator, ist aber nicht überwiegend auf den Gebrauch eines Rollstuhles angewiesen. Außerdem ist der Beschwerdeführer weder blind oder hochgradig sehbehindert noch taubblind.

Die für die Vornahme der Zusatzeintragung "Der Inhaber/die Inhaberin des Passes bedarf einer Begleitperson" in den Behindertenpass erforderlichen Voraussetzungen sind somit nicht erfüllt.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung des Bedarfs einer Begleitperson in Betracht kommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel) gehören dem Bereich zu, der vom Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.12.2013, Zl. 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W265.2227324.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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