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L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag NiederösterreichNorm
AVG §63 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über den Fristsetzungsantrag der W P in B, vertreten durch die Doschek Rechtsanwalts GmbH in 1030 Wien, Reisnerstraße 29/7, gegen das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Bauangelegenheit, den Beschluss gefasst:
Spruch
Der Fristsetzungsantrag wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Schriftsatz vom 16. September 2019 brachte die Antragstellerin den gegenständlichen Fristsetzungsantrag beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (in der Folge: Verwaltungsgericht) ein. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt:
2 Die Antragstellerin sei Eigentümerin des Grundstückes Nr. 362/14. Mit Bescheid der Marktgemeinde H. vom 25. Mai 2016 sei J. K. aufgetragen worden, sowohl die auf dem Grundstück Nr. 362/14 errichtete und die Grundgrenze zwischen den Grundstücken Nr. 362/14 und Nr. 362/6 im durchgehenden Ausmaß von 11 bis 12 cm überragende Einfriedung (wird näher beschrieben) als auch die auf dem Grundstück Nr. 362/14 verlaufende Einfriedung (wird näher beschrieben) zu entfernen. Gegen diesen Bescheid habe J. K. Berufung erhoben. Diese sei mit Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde H. vom 1. März 2017 abgewiesen worden. Dagegen habe J. K. Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben. Bis dato habe dieses über diese Beschwerde nicht entschieden. Die Antragstellerin sei durch diese Säumnis beschwert, da sich immer noch auf ihrem Grundstück die durch J. K. rechtswidrig errichteten Einfriedungen befänden. Die Antragstellerin habe daher ein rechtliches Interesse an der Entscheidung, welches ebenso wie ihr verfassungsgesetzliches Recht auf Eigentum verletzt sei. Die Entscheidungsfrist sei zum Zeitpunkt der Einbringung des Fristsetzungsantrages jedenfalls abgelaufen, da der Bescheid vom 1. März 2017 der Antragstellerin am 16. März 2017 zugegangen sei und sich hieraus ergebe, dass der Bescheid J. K. jedenfalls Ende März 2017 zugegangen sein müsse. Die Beschwerde habe daher spätestens am 28. April 2017 bei der belangten Behörde eingebracht werden müssen, und es seien demnach mehr als zwei Jahre seit Erhebung der Beschwerde vergangen.
3 Das Verwaltungsgericht legte dem Verwaltungsgerichtshof diesen Fristsetzungsantrag unter Anschluss von Aktenteilen vor. Weiters hielt es im Wesentlichen fest, dass die Antragstellerin den Abbruchbescheid vom 25. Mai 2016 nicht bekämpft habe, lediglich von J. K. dagegen Berufung erhoben worden und in weiterer Folge auch nur von J. K. eine Beschwerde gegen den Berufungsbescheid vom 1. Juli (gemeint offenbar: März) 2017 eingebracht worden sei. Der Antragstellerin als Eigentümerin des betroffenen Grundstückes komme daher keine Parteistellung im anhängigen Beschwerdeverfahren zu. Der Fristsetzungsantrag sei daher unzulässig.
4 In ihrer dazu erstatteten Stellungnahme vom 23. Oktober 2019 führte die Antragstellerin im Wesentlichen aus, Voraussetzung für die Legitimation zum Fristsetzungsantrag sei, Partei im Verfahren zu sein. Sie sei zweifellos Partei des Verwaltungsverfahrens - des erstinstanzlichen wie des zweitinstanzlichen - gewesen. Als Partei seien ihr auch jeweils die Bescheide zugestellt worden. Der Verwaltungsgerichtshof erkenne die Legitimation zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht nicht nur aller Parteien, die in ihren subjektiven Rechten verletzt werden könnten, sondern auch der belangten Behörde an (Hinweis auf VwGH 6.4.2016, Fr 2015/03/0011). Der Antragstellerin, deren ihr allein gehörende Liegenschaft von der Beschwerdeführerin verbaut worden sei, komme daher zweifellos ein Recht auf Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zu. Die Beschwerdeführerin sei durch den angefochtenen Bescheid verpflichtet worden, die Überbauung vom Grundstück der Antragstellerin zu entfernen. Somit bedeute die Verletzung der Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht, dass der rechtswidrige Zustand prolongiert werde. Würde man die Ansicht des Verwaltungsgerichtes teilen, hätte die Antragstellerin als unmittelbar betroffene Partei, da sie keine Beschwerde gegen den Berufungsbescheid erhoben habe, weil dieser einen rechtskonformen Zustand angeordnet habe, keine Möglichkeit, jemals die "Entscheidungspflicht" herbeizuführen.
5 Gemäß Art. 133 Abs. 7 B-VG kann wegen Verletzung der Entscheidungspflicht einen Antrag auf Fristsetzung stellen, wer im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt zu sein behauptet.
6 Die Parteistellung vor dem Verwaltungsgericht ist jedenfalls Voraussetzung für die Antragslegitimation (vgl. VwGH 6.4.2016, Fr 2015/03/0011). Ferner setzt ein Fristsetzungsantrag voraus, dass die antragstellende Partei in ihrem Recht auf Entscheidung verletzt wird, eine bloß die Möglichkeit einer solchen Rechtsverletzung relevierende Behauptung reicht nicht aus (vgl. erneut VwGH 6.4.2016, Fr 2015/03/0011, mwN).
7 Den vorliegenden Auszügen aus den Verwaltungsakten lässt sich entnehmen, dass mit dem Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde H. vom 25. Mai 2016 neben J. K. (der Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgericht) auch die Antragstellerin (als Miteigentümerin) sowie sämtliche weitere Miteigentümer des Grundstückes Nr. 362/6 zur Entfernung der zur Hälfte auf dem Grundstück Nr. 362/6 und zur Hälfte auf dem Grundstück Nr. 362/14 errichteten (näher beschriebenen) Einfriedung verpflichtet wurden (Spruchpunkt I.); weiters wurden mit Spruchpunkt II. J. K. und die Antragstellerin (Anm: als Alleineigentümerin des Grundstückes Nr. 362/14) zur Entfernung der (Anm: ausschließlich) auf dem Grundstück Nr. 362/14 vom Ende der Einfriedung gemäß Spruchpunkt I. in nordwestliche Richtung verlaufenden Einfriedung gemäß §§ 14 Z 2 und 35 Abs. 2 Z 2 Niederösterreichische Bauordnung 2014 (NÖ BO 2014) in Verbindung mit § 19 Abs. 3 Nö ROG 2014 verpflichtet.
8 Dagegen hat J. K. in der Folge als Einzige Berufung erhoben. Der Gemeindevorstand der Marktgemeinde H. wies diese Berufung mit Bescheid vom 1. März 2017 gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Dieser Bescheid erging laut seiner Zustellverfügung (unter anderem auch) an die Antragstellerin.
9 Gegen diesen Bescheid erhob unbestritten nur J. K. Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht. Wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG über diese Beschwerde der J. K. wurde der gegenständliche Fristsetzungsantrag eingebracht.
10 Diejenige Partei, die den (erstinstanzlichen) Bescheid nicht bekämpft hat, kann den auf Grund des Rechtsmittels einer anderen Partei ergangenen Rechtsmittelbescheid nicht bekämpfen, es sei denn, die Rechtsmittelbehörde hat den erstinstanzlichen Bescheid zum Nachteil der Partei, die ihn nicht bekämpft hat, abgeändert. Damit wird der Grundgedanke angesprochen, dass eine Partei durch die Unterlassung eines Rechtsmittels zum Ausdruck bringt, ihr Recht nicht weiter zu verfolgen (vgl. VwGH 30.6.2015, Ra 2015/03/0022, mwN; vgl. in diesem Sinn zum baubehördlichen Verfahren bereits VwGH 1.7.1975, 1575/74).
11 Bauaufträge an einzelne Miteigentümer können auch in getrennten Bescheiden und damit unabhängig voneinander ergehen (vgl. VwGH 3.6.1997, 93/06/0181, mwN; VwGH 15.2.2011, 2008/05/0087, mwN; VwGH 23.7.2013, 2013/05/0012, mwN). Der Auftrag kann rechtens auch an einzelne Miteigentümer ergehen, kann in diesem Fall aber nicht vollstreckt werden, ehe er nicht gegenüber allen Miteigentümern rechtskräftig ist (vgl. VwGH 26.9.2017, Ra 2017/06/0154, mwN). Der Eintritt der formellen Rechtskraft ist im Übrigen bei einem Bescheid, der an mehrere Parteien ergeht, für jede Partei gesondert zu beurteilen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 11). All dies muss auch dann gelten, wenn ein Bauauftrag an einen Alleineigentümer und außerdem noch an eine oder mehrere andere Personen gerichtet ist.
12 Der an die Antragstellerin gerichtete und ihrem eigenen Vorbringen nach auch an sie zugestellte baupolizeiliche Bescheid vom 25. Mai 2016 war daher (hinsichtlich Spruchpunkt I. und II.) durch Verstreichen der Berufungsfrist ohne Erhebung eines Rechtsmittels durch die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides durch den Gemeindevorstand der Marktgemeinde H. der Antragstellerin gegenüber bereits rechtskräftig.
13 Durch die erfolgte Abweisung der Berufung der J. K. hat eine für die Antragstellerin nachteilige Abänderung durch den Berufungsbescheid nicht stattgefunden (vgl. auch VwGH 25.3.2010, 2009/05/0323, mwN).
14 Zwar ist der Berufungsbescheid gemäß seiner Zustellverfügung (auch) an die Antragstellerin ergangen. Die Tatsache, dass dieser Bescheid (auch) der Antragstellerin zugestellt worden ist, macht sie jedoch nicht zur Partei im die J. K. betreffenden Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, da durch die bloße Zustellung eines Bescheides die Parteistellung nicht bewirkt wird (vgl. etwa VwGH 5.11.2019, Ra 2017/06/0221, mwN).
15 Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichtes ist die "Sache" des bekämpften Bescheides; ein allfälliger Verlust der Parteistellung ist zu beachten (vgl. erneut VwGH 30.6.2015, Ra 2015/03/0022, mwN).
16 "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des (bescheidmäßigen) Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. VwGH 31.1.2019, Ra 2018/22/0086, mwN). Sache des vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Berufungsbescheides war die Entscheidung über den Abbruchauftrag, und zwar ausschließlich, soweit dieser an J. K. gerichtet war.
17 Anders als die belangte Behörde ist die Antragstellerin keine Formal- bzw. Organ- oder Amtspartei vor dem Verwaltungsgericht (vgl. hingegen wiederum VwGH 6.4.2016, Fr 2015/03/0011). Ihre Parteistellung vor dem Verwaltungsgericht könnte sich daher nur ergeben, wenn es in diesem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht um ein subjektiv-öffentliches Recht ginge, das der Antragstellerin gesetzlich eingeräumt ist.
18 Dass die Antragstellerin aufgrund der NÖ BO 2014 als Miteigentümerin bzw. Alleineigentümerin einen subjektivöffentlichen Rechtsanspruch auf die Erlassung des gegenständlichen Bauauftrages habe, macht sie nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich (vgl. hingegen zum Anspruch des Nachbarn VwGH 24.5.2005, 2003/05/0181; VwGH 20.11.2018, Ra 2017/05/0300). Ebenso besteht kein Rechtsanspruch der Antragstellerin, dass J. K. gegenüber der gegenständliche Bauauftrag nicht erlassen wird.
19 Eine Parteistellung der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren der J. K. ist daher zu verneinen, und es fehlt somit an der Antragslegitimation der Antragstellerin für den Fristsetzungsantrag. Soweit die Antragstellerin ihr Recht auf Eigentum ins Treffen führt, ist zu bemerken, dass sie dieses ohnedies zivilrechtlich ausüben bzw. erforderlichenfalls verfolgen kann.
20 Der Fristsetzungsantrag war somit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit § 38 Abs. 4 erster Satz VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.
Wien, am 26. Februar 2020
Schlagworte
Rechtskraft Besondere Rechtsgebiete BaurechtRechtskraft Besondere Rechtsprobleme BerufungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:FR2019050024.F00Im RIS seit
24.04.2020Zuletzt aktualisiert am
24.04.2020