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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des R B in K, geboren im Jahr 1947, vertreten durch Dr. Gerhard Taufner, Rechtsanwalt in 3390 Melk, Bahnhofstraße 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. August 1995, Zl. 4.321.164/7-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminsterium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, der am 12. November 1990 in das Bundesgebiet eingereist war, beantragte (am selben Tag) Asyl.
Bei seiner Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 17. August 1991 gab der Beschwerdeführer - soweit entscheidungswesentlich - seine Fluchtgründe wie folgt an:
"Ich bin seit 1971 Mitglied der P.P.P. (Pakistan People Party) und verrichte für diese meine Partei Transportarbeiten. Wegen meiner Mitgliedschaft habe ich schon 1985 sechs Monate Haft erhalten. Am 23.7.1991 wurde von der Staatsanwaltschaft Sialkot gegen mich eine Anklage wegen regierungsfeindlicher Aktivität erhoben und ich wurde vorgeladen. Da ich mehreren, Vorladungen nicht Folge leistete, wurde gegen mich am 6.6.1990 ein Haftbefehl erlassen. Ab diesem Zeitpunkt versteckte ich mich an verschiedenen Orten und beschloß Pakistan zu verlassen. Am 28.7.1991 verließ ich Karachi mit der Pakistanischen International Airline und flog nach Jidah, von dort flog ich mit der Austrian Airline am 29.7.1991 nach Wien."
Der diesen Asylantrag abweisende Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. September 1993 wurde mit hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/19/0530 (wegen irrtümlicher Anwendung des Asylgesetzes 1991) aufgehoben.
Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid vom 14. August 1995 wies die belangte Behörde die Berufung neuerlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Nach Darstellung des Flüchtlingsbegriffes der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, führte die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer im Laufe des Asylverfahrens nicht habe glaubhaft machen können, daß er aufgrund eines politischen Engagements in seinem Heimatstaat verfolgt würde.
Dies begründete die belangte Behörde - auszugsweise - wie folgt:
"Sie stützen Ihren Asylantrag im wesentlichen auf die Behauptung, daß am 23.7.1988 gegen Sie Anklage wegen von Ihnen nicht näher definierten regimefeindlichen Aktivitäten erhoben und am 6.6.1990 ein Haftbefehl erlassen worden sei.
...
Erfahrungsgemäß gehorcht eine Verfolgung einem rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül. Es muß für staatliche Organe Grund für die Annahme bestehen, der Asylwerber sei ein Gegner des herrschenden Systems und die Verfolgung würde dem begegnen. Für den Fall, daß der Asylwerber nur in untergeordneter Rolle politisch tätig war oder allgemein kein schlüssiges Motiv für den potentiellen Verfolgerstaat feststellbar ist, erscheint eine Verfolgung nicht glaubhaft.
Wie ihren Angaben zu entnehmen ist - Sie waren innerhalb der Partei für Transportarbeiten zuständig - sind Sie lediglich einfaches Mitglieder der PPP gewesen. Es ist zwar einzuräumen, daß sich je nach der Schärfe der Konfliktsituation politische Verfolgung auch auf breitere Bevölkerungskreise auswirken kann, dennoch ist eine Verfolgung "einfacher" Parteimitglieder durch staatliche Behörden unglaubwürdig und angesichts ihrer großen Anzahl nur schwer möglich.
Ihre Behauptung, daß am 6.6.1996 ein Haftbefehl gegen Sie erlassen worden sei, erscheint auch insofern nicht glaubhaft, daß Sie bei den pakistanischen Behörden einen Reisepaß beantragten und diesen am 12.11.1990 ausgestellt bekommen haben. Wenn Sie tatsächlich zur Verhaftung ausgeschrieben gewesen wären und die Behörden Sie gesucht hätten, hätten diese wohl versucht, bei dieser Gelegenheit Ihrer habhaft zu werden. Sie sind mit diesem Reisedokument auf dem Luftweg über den Flughafen Karachi unbehelligt und ohne Schwierigkeiten ausgereist. Im Falle einer Verfolgungsabsicht durch die staatlichen Behörden hätten Sie die Sicherheits- und Personenkontrollen am Flughafen nicht überwinden können. Überdies ist diesbezüglich auszuführen, daß Sie sich, falls die tatsächlich konkrete Maßnahmen von Seiten der pakistanischen Behörden befürchten hätten müssen, nicht einem möglichen Zugriff durch die Behörden Ihres Heimatlandes ausgesetzt hätten, indem Sie um die Ausstellung eines Reisepasses ansuchen und sich der Grenzkontrolle unterziehen."
Im übrigen sei das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die behauptete Haft im Jahr 1985 schon mangels eines zeitlichen Naheverhältnisses zu seiner Ausreise im Jahr 1991 nicht relevant. Zudem sei anzumerken, daß diese Angaben deshalb unglaubwürdig seien, weil der Beschwerdeführer die Haftstrafe bei seiner niederschriftlichen Befragung am 7. August 1991 auf das Jahr 1980 datiert habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf dessen Aufhebung.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst ist festzuhalten, daß infolge der zutreffenden Anwendung des Asylgesetzes 1968 im angefochtenen Bescheid kein Fall des Außerkrafttretens gemäß § 44 Abs. 2 Asylgesetz 1997 vorliegt.
Gemäß § 1 des Asylgesetzes 1968, BGBl. Nr. 126, in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 (im folgenden: FlKonv), unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F FlKonv vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 FlKonv ist Flüchtling, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Der Beschwerdeführer hat seine Fluchtgründe auf seine Mitgliedschaft bei der PPP (Pakistanische Volkspartei) gestützt, für welche er regelmäßige Hilfsaktivitäten (Verteilung von Werbematerial, Transportfahrten im Zusammenhang mit Parteiversammlungen) ausgeführt habe. Da sich (zum Zeitpunkt seiner Flucht) seine Partei in Opposition zur Regierungspartei befunden habe, sei er deshalb von den staatlichen Organen verfolgt worden.
Wenngleich der belangten Behörde insoferne zu folgen ist, als das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend den Zeitpunkt seiner Haft im Jahr 1980 (laut Inhalt der Niederschrift vom 7. Juli 1991 bei der Bundespolizeidirektion Schwechat, Paßkontrolle Flughafen Wien-Schwechat) bzw. 1985 (laut Inhalt des Protokolls vom 17. August 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich im Asylverfahren) Ungereimtheiten aufweist, welche grundsätzlich geeignet wären, schlüssig die Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Passage in Frage zu stellen, ist dazu jedoch anzumerken, daß im Protokoll über die Ersteinvernahme des Beschwerdeführers im Asylverfahren vom 17. August 1991 eine Widersprüchlichkeit bezüglich des Zeitpunktes der Anklageerhebung vorliegt, wenn dort dafür als Zeitpunkt der "23.7.1991" festgehalten wurde. Die belangte Behörde hat diesem Widerspruch allerdings keine Bedeutung beigemessen, sondern ist offensichtlich von einer unrichtigen Protokollierung des festgehaltenen Zeitpunktes der Anklageerhebung ausgegangen. Wenn aber das Protokoll hinsichtlich eines derart wesentlichen Umstandes fehlerhaft erscheint, so durfte die belangte Behörde nicht ohne weiteres wegen des erwähnten - im selben Protokoll enthaltenen - Datums, das mit dem vorhergehenden Protokoll vor der Bundespolizeidirektion Schwechat in Widerspruch steht, ohne Vorhalt dieser widersprüchlichen Protokollierung zum Nachteil des Beschwerdeführers insgesamt dessen Unglaubwürdigkeit annehmen. Es ist nicht ersichtlich, daß das Vorbringen des Beschwerdeführers im Asylverfahren mit Ausnahme des von der belangten Behörde hervorgehobenen Zeitpunktes der behaupteten Inhaftierung im Jahr 1980 bzw. 1985 mit den übrigen - lediglich kursorisch - festgehaltenen Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Schwechat in Widerspruch stünde.
Das wesentliche Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen im Jahr 1991, daß gegen ihn Anklage erhoben worden und ihm die (neuerliche) Haft bevorgestanden sei, tat die belangte Behörde unter Hinweis auf ihr "Kosten/Nutzen-Kalkül" sowie damit als unglaubwürdig ab, daß sich der Beschwerdeführer innerhalb der PPP nicht in einer "exponierten Stellung" befunden habe, sondern seinen eigenen Angaben zufolge lediglich einfaches Parteimitglied gewesen sei. Damit hat sich die belangte Behörde jedoch in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gesetzt, der schon mehrfach ausgeführt hat, daß dieses Argument einer Schlüssigkeitsprüfung nicht standhält (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 17. Juni 1992, Zlen. 91/01/0207, 0208; vom 7. Oktober 1993, Zl. 92/01/0394; vom 23. Mai 1995, Zl. 94/20/0806). Es ist nicht nachvollziehbar, warum sich für die Annahme der Glaubwürdigkeit einer Verfolgungssituation der Verfolgte in "exponierter Stellung" hätte befinden müssen, wobei nach Annahme der belangten Behörde dies bei einem "einfachen Parteimitglied" nicht der Fall sei. Ohne nähere Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer behaupteten politischen Kämpfen in Pakistan, insbesondere mit der Vorgehensweise von staatlichen Organen gegen Angehörige der PPP ist es nicht schlüssig, alleine aus diesen von der belangten Behörde herangezogenen Argumenten abzuleiten, asylrechtlich relevante Verfolgungshandlungen seien nicht glaubwürdig.
Ebenso ist eine Beweiswürdigung, die allein auf dem Umstand der Ausreise über einen Flughafen und der Ausstellung eines Reisepasses auf die Unglaubwürdigkeit eines asylrelevanten Fluchtgrundes schließt, ohne sich zuvor mit der näheren Vorgangsweise des Beschwerdeführers bei Erhalt des Reisepasses und den Umständen der Ausreise über den Flughafen sowie der allfälligen Umgehung der Flughafenkontrollen auseinanderzusetzen, unschlüssig. In diesem Zusammenhang weist die Beschwerde darauf hin, daß der Beschwerdeführer sowohl die Ausstellung des Reisepasses als auch die Umgehung der Grenzkontrolle durch Bestechung von Beamten habe bewirken können. Dem Inhalt des Einvernahmeprotokolls im Asylverfahren kann nicht entnommen werden, daß der Beschwerdeführer zu diesen Umständen näher befragt worden wäre, sodaß die belangte Behörde aus den angeführten Umständen nicht seine Unglaubwürdigkeit ableiten darf und dieses Beschwerdevorbringen auch nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 VwGG verstößt.
Da somit den wesentlichen Teilen der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers nicht ohne weitere Ermittlungen die Glaubwürdigkeit versagt werden kann, und nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde in der Bewertung des Vorbringens des Beschwerdeführers in einer Gesamtschau zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ein Kostenersatz aus dem Titel von Umsatzsteuer steht neben dem Schriftsatzaufwandpauschale nicht zu.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996200212.X00Im RIS seit
20.11.2000