TE Vwgh Erkenntnis 1998/5/7 96/20/0153

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Veröffentlicht am 07.05.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des G K in Wien, geboren am 1. Jänner 1964, vertreten durch Dr. Eberhard Wallentin, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 4-6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Oktober 1995, Zl. 4.342.428/7-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der am 17. Mai 1992 in das Bundesgebiet eingereist war, beantragte am 20. Mai 1992 Asyl.

In seinem schriftlichen Asylantrag führte der Beschwerdeführer aus, er sei Kurde und habe in A gelebt.

Seine Fluchtgründe legte er wie folgt dar:

"In unser Dorf kommen immer wieder türkische Soldaten und befragen die Bevölkerung nach Angehörigen der PKK-Widerstandsbewegung, wobei einzelne Personen auch mehrfach verhört und hiebei auch geschlagen werden. Auch ich wurde der Unterstützung dieser Widerstandsbewegung bezichtigt und wurden mir bei Hausdurchsuchungen und Verhören auch Mißhandlungen angedroht, zumal ich mich entschieden geweigert habe, den sogenannten "Dorfschützern" beizutreten, was ich schon deshalb ablehnte, da ich in diesem Fall gezwungen wäre, gegen meine eigenen kurdischen Landsleute zu kämpfen. Ebenso wie andere Dorfbewohner wurde ich auch wiederholt aufgefordert, daß ich meine Waffen abliefern soll, obwohl ich ohnedies über keine verfüge, was man mir jedoch nicht glauben wollte. Ich bekam schließlich Angst vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen der Türken und beschloß aus diesem Grund gemeinsam mit meinem Cousin A.O. die Heimat zu verlassen."

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 9. Dezember 1992 schilderte der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe wie folgt:

"Ich bin 1990 der SHP (Sosyasdemokrat Halkci Parti) beigetreten und seit dieser Zeit bin ich dort Mitglied. Seit 1986 sympathisiere ich auch mit der PKK. Ich habe diese Partei sowohl finanziell als auch durch Lebensmittelgaben unterstützt.

Ich bin in meiner Heimat zwar nicht vorbestraft, werde jedoch gesucht, weil ich für die PKK Plakate angebracht und Flugblätter verteilt habe. Weiters soll ich an verbotenen Demonstrationen teilgenommen haben. Zuletzt auch wegen der Teilnahme am kurdischen Nevroz Fest" (Dazu gab der Beschwerdeführer weiter unten an, daß das Nevroz Fest bereits im März 1991, also vor den zuvor erwähnten Umständen gewesen sei).

"Ich bin jedenfalls Mitglied der kurdischen Volksgruppe in der Türkei. Die Kurden werden allgemein unterdrückt.

Im Juni oder Juli 1991 wurde ich von Angehörigen des Militärs von zu Hause abgeholt und auf die Gendarmeriestation in Halfeti gebracht. Dort wurde ich beschuldigt, und es wurde mir auch vorgehalten, daß ich die PKK unterstütze. Ich habe alles abgestritten und ich wurde geschlagen, weil man mir ein Geständnis entlocken wollte. Ich war insgesamt 10 Tage in Haft. Während dieser Zeit der Haft wurden mir die Füße aneinander gefesselt und ich erhielt die sogenannte Bastonade. Ich mußte anschließend auf einem Salzboden gehen. Des öfteren wurde ich auch mit der Faust auf diverse Körperteile geschlagen. Man hat mir auch angeboten, "Dorfschützer" vor dem Eindringen der PKK zu werden. Ich möchte berichtigen, daß man mir erst etwa 3 Monate nach meiner Haftentlassung das Angebot des "Dorfschützers" gemacht hat.

Etwa drei Monate nach dem Vorfall mit der Haft hat man alle Jugendlichen des Dorfes in der Schule versammelt. Da sich trotz intensiven Einredens niemand als Dorfschützer gemeldet hat, sind die Werber wieder abgezogen, jedoch wurde uns schon vorher erklärt, daß dies der Beweis sei, daß wir mit der PKK sympathisieren würden. Mehrmals kamen immer wieder Werber hinsichtlich der "Dorfschutzeinheit". Wir wurden insoferne strenger beobachtet, weil der Kurdenführer A.Ö. aus Ö.K., Kreis Halfeti, stammt.

Im August 1991 ist ein kurdischer Freiheitskämpfer, namens B.A., ums Leben gekommen. In diesem Zusammenhang haben die Kurden aus unserem Dorf im August 1991 einen Protestmarsch im Dorf durchgeführt. Die Polizei hat dann auf die Demonstranten das Feuer eröffnet. Es sind dabei einige Leute verletzt worden. Ich glaube, es waren drei Leute. Auch wurden von den Demonstranten einige Leute festgenommen und verhört. Im Verhör wurde unter anderem auch mein Name genannt, daß ich an dieser Demonstration teilgenommen habe. Dies ist auch der Grund, warum ich gesucht werde. Ich habe dies gehört, weil sich die Behörden bei mir zu Hause erkundigt hatten.

Dies ist auch schon alles, was ich hinsichtlich meines Fluchtgrundes zu erzählen habe."

Mit Bescheid vom 13. Jänner 1993 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Burgenland fest, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht erfülle.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er zusammengefaßt ausführte, daß er bei zahlreichen Verhören mehrfach mit Mißhandlungen bedroht und aufgefordert worden sei, tatsächlich nicht vorhandene Waffen abzuliefern. Er sei verdächtigt worden, der PKK-Widerstandsbewegung anzugehören, mit der er jedoch nur sympathisiert habe. Nach dem er es abgelehnt habe, den sogenannten "Dorfschützern" beizutreten, und im Juni oder Juli 1991 in Haft genommen worden sei, bei welcher Gelegenheit er auch geschlagen worden sei, habe er sich entschlossen, sein Heimatland zu verlassen. Er habe gehört, daß ihn die türkischen Behörden wegen einer Teilnahme an einer verbotenen Demonstration hätten verhaften wollen.

Nachdem der diese Berufung abweisende Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Oktober 1993 mit hg. Erkenntnis vom 29. November 1994, Zl. 94/20/0173 (wegen rechtsirrtümlicher Anwendung des Asylgesetzes 1991) aufgehoben worden war, wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Bescheid die Berufung (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und stellte fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

Nach Darstellung der Rechtslage gemäß dem von ihr nunmehr angewendeten Asylgesetz (1968) führte die belangte Behörde - zusammengefaßt - aus, der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft darzutun vermocht, daß er sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befinde. Die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung müsse sich auf Umstände beziehen, die im zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise aus dem Heimatland lägen, weshalb sein Vorbringen betreffend die angeblichen Verfolgungshandlungen im Zeitraum von ca. Juni bis Oktober des Jahres 1991 nicht seine Flüchtlingseigenschaft indizieren könne. Aus seinem Vorbringen sei eine aktuelle Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention insbesondere deshalb nicht abzuleiten, weil dem Beschwerdeführer über die von ihm behaupteten Beeinträchtigungen im Jahre 1991 hinaus keine weiteren Nachteile erwachsen seien und er sich - offensichtlich ohne Probleme - noch bis zum 15. April 1992 in seinem Heimatdorf aufgehalten habe.

Seine Behauptung, er werde in seiner Heimat wegen des Anbringens von Plakaten und der Verteilung von Flugblättern für die PKK sowie wegen der Teilnahme an einer verbotenen Demonstration im August des Jahres 1991 gesucht, sei angesichts seiner Angaben, daß er von 1986 bis 1992 im Lebensmittelgeschäft seines Vaters (bis zum Verlassen seines Heimatdorfes am 15. April 1992) beschäftigt gewesen sei, unglaubwürdig. Die Aufforderung zur Übernahme des Amtes eines "Dorfwächters" habe alle jungen Männer seines Dorfes betroffen, sodaß schon daraus eine individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers nicht abgeleitet werden könne. Das Angebot, als "Dorfwächter" tätig zu werden, stelle "ja wohl eher einen Vertrauensbeweis" dar, der

"vernünftiger Weise nur Personen unterbreitet wird, die sich zumindest unauffällig und regimekonform verhalten haben, oder von denen die Behörden solches annehmen. In Ihrem Fall deutet alles darauf hin, daß die staatlichen Organe keinerlei Interesse an einer Verfolgung Ihrer Person hatten und im Gegenteil sogar soviel Vertrauen in Sie setzten, daß sie Sie bewaffnen wollten und Ihnen die Mitarbeit im Vorgehen gegen die "PKK" angeboten haben."

Schließlich lägen keine Gründe vor, die annehmen ließen, daß die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände, "welche sich ja ausschließlich aus der Topographie Ihres Heimatstaates (bürgerkriegsähnliche Zustände in diesem Gebiet) ergeben und welche jedermann betreffen können, auf das gesamte Gebiet Ihres Heimatstaates beziehen. Sie also nicht Schutz vor etwaigen, sich aus der allgemeinen Situation ergebenden Fährnissen in einem anderen, befriedeten Teil der Türkei hätten finden können bzw. nicht sogar schon während Ihres Aufenthaltes in Istanbul gefunden haben."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Zunächst ist festzuhalten, daß infolge der (nunmehr) zutreffenden Anwendung des Asylgesetzes 1968 kein Fall des Außerkrafttretens gemäß § 44 Abs. 2 Asylgesetz 1997 vorliegt.

Die Beschwerde stützt die wohlbegründete Furcht des Beschwerdeführers vor asylrelevanter Verfolgung im wesentlichen darauf, daß er von einer "systematischen Gruppenverfolgung" bedroht gewesen sei, die die Beschwerde darin begründet sieht, daß die türkischen Behörden Verfolgungsmaßnahmen "ausschließlich gegen Mitglieder der PKK, deren Sympathisanten wie auch Mitglieder der "SHP"" setzten. Die Behauptung, der Beschwerdeführer sei wegen seiner Mitgliedschaft zur "SHP" einer "Gruppenverfolgung" ausgesetzt, stellt eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 VwGG) dar. Der Beschwerdeführer hatte auch nie behauptet, Angehöriger der PKK gewesen zu sein, sondern mit dieser nur sympathisiert zu haben, was er aber gegenüber den türkischen Behörden geleugnet habe. Seine Verfolgung führte er im übrigen auf konkrete Umstände (Verteilung von Flugzetteln, Teilnahme an einer Demonstration) zurück. Die in der Beschwerde unter dem Schlagwort "Gruppenverfolgung" aufgestellte Behauptung des Beschwerdeführers, wegen seiner "Sympathisanteneigenschaft zur PKK" verfolgt zu werden, ist im Ergebnis nichts anderes als seine Behauptung, er würde wegen der Verteilung von Propagandamaterial für die "PKK" und wegen der Teilnahme an einer verbotenen Demonstration von den Sicherheitsbehörden gesucht, somit wegen der ihm deshalb unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung. Die belangte Behörde hat aber diesen Angaben des Beschwerdeführers ausdrücklich die Glaubwürdigkeit abgesprochen und dies unter anderem damit begründet, daß der Beschwerdeführer bis zum April 1992 in seinem Heimatdorf verblieben sei und dort im Geschäft seines Vaters gearbeitet habe. Angesichts fehlender Beschwerdeausführungen gegen diese Argumente im angefochtenen Bescheid bestehen vor dem Hintergrund der auf eine Schlüssigkeitsprüfung eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle der Beweiswürdigung (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) gegen die daraus abgeleitete Annahme, der Beschwerdeführer sei nach seiner behaupteten Inhaftierung im Juni bzw. Juli 1991 keinen weiteren Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen, keine Bedenken.

Es ist zwar richtig, daß die belangte Behörde den vom Beschwerdeführer behaupteten Mißhandlungen anläßlich einer mehrere Tage dauernden Festnahme im Juni bzw. Juli 1991 nicht ausdrücklich die Glaubwürdigkeit versagt hat (dies obwohl der Beschwerdeführer in seinem schriftlichen Asylantrag lediglich von "angedrohten Mißhandlungen" gesprochen und eine Festnahme nicht erwähnt hatte), jedoch hat die belangte Behörde ihm diesbezüglich auch nicht ausdrücklich die Glaubwürdigkeit zuerkannt, sondern sich mit diesen Umständen nicht konkret auseinandergesetzt. Aus den nicht leicht verständlichen Bescheidausführungen, wonach sich die vom Beschwerdeführer behaupteten Umstände "ausschließlich aus der Topographie" seines Heimatstaates ("bürgerkriegsähnliche Zustände in diesem Gebiet") ergäben, kann aber geschlossen werden, daß die belangte Behörde die angegebenen Mißhandlungen als möglicherweise stattgefunden erachtet hat, wobei diese auf eine in den Unruhegebieten in der Türkei (wo sich auch das Heimatdorf des Beschwerdeführers befunden habe) vorhandene Gefahr einer Mißhandlung zurückzuführen seien, die dort "jedermann betreffen könne". Diese Ausführungen finden in ihrem wesentlichen Kern durchaus eine Stütze in den Angaben des Beschwerdeführers selbst. Der Beschwerdeführer hat nämlich in seinem schriftlichen Asylantrag ausdrücklich vorgebracht, "in unser Dorf kommen immer wieder türkische Soldaten und befragen die Bevölkerung nach Angehörigen der PKK-Widerstandsbewegung, wobei einzelne Personen auch mehrfach verhört und hiebei auch geschlagen werden".

Auch die vom Beschwerdeführer anläßlich seiner Einvernahme im Asylverfahren angegebene Mißhandlung hat bei einem derartigen Verhör stattgefunden und wurde vom Beschwerdeführer in einem Zusammenhang damit gebracht, daß die türkischen Sicherheitsbehörden ihm die Unterstützung von Angehörigen der PKK unterstellt hätten, was er allerdings geleugnet habe. Ist demnach davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer nach dieser Verhaftung ohne weitere nachteilige Konsequenzen wieder auf freien Fuß gesetzt worden ist und er selbst bis zu seiner Ausreise im April 1992 keine Veranlassung zur Flucht sah, sondern weiterhin im Geschäft seines Vaters in seinem Heimatdorf arbeitete, so kann der Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie aufgrund dieses Vorfalles im Juni bzw. Juli 1991 keine aktuelle Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Ausreise des Beschwerdeführers aus seinem Heimatstaat im April 1992 annahm. Eines Eingehens auf die weiteren Beschwerdeausführungen bedurfte es daher nicht mehr.

Die sich somit als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996200153.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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