TE Vwgh Erkenntnis 1998/5/7 97/20/0693

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Veröffentlicht am 07.05.1998
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

ABGB §1002;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 97/20/0712 E 7. Mai 1998

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde der HM in K, geboren am 29. März 1967, vertreten druch Dr. Rudolf Gimborn, Rechtsanwalt in 2340 Mödling, Badstraße 14, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 4. Juli 1997, Zl. 4.345.762/1-III/13/95, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Berufung in einer Asylangelegenheit, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführerin wurde am 1. Dezember 1994 der ihren Asylantrag vom 16. November 1994 abweisende Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. November 1994 zugestellt.

Am 23. Dezember 1994 beantragte sie unter gleichzeitiger Einbringung der Berufung gegen diesen Bescheid die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Begründend führte sie aus, sie sei von einer Mitarbeiterin des evangelischen Flüchtlingsdienstes "ins Caritasheim ... geschickt" worden, "sowohl um dort Unterkunft zu nehmen als auch um von der Caritas Rechtsberatung und Unterstützung bei der Einbringung einer Berufung zu erhalten". In der Folge habe Roland H., der in dem Caritasheim jeden Freitag nachmittag "einen Journaldienst" versehe und der Beschwerdeführerin als äußerst zuverlässig vorgestellt worden sei, am Nachmittag des 2. Dezember 1994 für eine Übersetzung des Asylbescheides gesorgt und versprochen, bei der Abfassung der Berufung "behilflich zu sein". Am 9. Dezember 1994 habe die Beschwerdeführerin schließlich die dem Wiedereinsetzungsantrag beiliegende Berufung unterschreiben können, und Roland H. habe ihr versprochen, er werde die Berufung persönlich noch am selben Abend zur Post geben. Die Beschwerdeführerin habe sich hierauf verlassen, während Roland H. erst nach der Rückkehr von einem Auslandsurlaub am 19. Dezember 1994 festgestellt habe, daß er den zur Verschickung fertiggemachten Briefumschlag in seinen Arbeitsunterlagen vergessen und nicht vor Antritt des Urlaubes noch rechtzeitig zur Post gegeben hatte.

Mit Bescheid vom 12. Jänner 1995 wies das Bundesasylamt den Wiedereinsetzungsantrag ab.

Der von der Beschwerdeführerin dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid nicht Folge. Sie führte begründend aus, aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin "in Verbindung mit der Tatsache, daß die angesprochene Berufung in deutscher Sprache sowie unter Einbeziehung detaillierter Ausführungen zum Asylgesetz 1991, der RV 270 BlgNR 18. GB (gemeint: GP) und deutscher Verwaltungsgerichtshofjudikatur abgefaßt" worden sei, ergebe sich eindeutig, daß die Beschwerdeführerin Roland H. "mit der Abfassung und in weiterer Folge auch fristgerechten postalischen Weiterleitung der Berufung betraut" habe.

Die weitere Begründung des angefochtenen Bescheides lautet wie folgt:

"Es ist somit davon auszugehen, daß im Rahmen der von Ihnen im Innenverhältnis erteilten Ermächtigung Herr Roland H. zum einen für die Abfassung einer Berufung, zum anderen für deren rechtzeitige Weiterleitung hätte Sorge zu tragen gehabt. Ersterem wurde seitens Herrn H. nachgekommen, zur fristgerechten Weiterleitung der von Ihnen unterschriebenen Berufung ist es jedoch aufgrund eines Verschuldens von Herrn Roland H. - er hätte bei der Rückkehr an seinem Arbeitsplatz am 19.12.1994 bemerkt, daß er den zur Verschickung fertiggemachten Briefumschlag mit der Berufung bei seinen Arbeitsunterlagen vergessen hätte - nicht gekommen.

Ein bloßes Versehen bzw. Vergessen kann jedoch nicht als ein einen Wiedereinsetzungsgrund bildendes Ereignis angesehen werden (siehe auch VfSlg 6362/71), sondern ist darin ein Verschulden der betreffenden Person zu sehen, wobei es sich im vorliegenden Fall nicht mehr nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Unbeachtlich ist, daß dieses Verschulden in concreto nicht Sie, sondern die von Ihnen beauftragte Person trifft.

Denn ein Verschulden, das den Bevollmächtigten einer Partei trifft, ist so zu behandeln, als wenn es der Partei selbst unterlaufen wäre (VwSlg 5643 A/1961). Gleiches muß auch dann gelten, wenn - wie in Ihrem Fall - nicht eine nach außen in Erscheinung tretende Vollmacht erteilt worden ist, sondern lediglich eine Ermächtigung im Innenverhältnis vorliegt (VwGH 09.12.1970, 1619/70)."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Das Verschulden des Vertreters einer Partei ist dieser nach ständiger Rechtsprechung zuzurechnen (vgl. dazu die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, 1558 ff).

Im vorliegenden Fall hatte die Beschwerdeführerin Roland H. nicht zur Erhebung einer Berufung in ihrem Namen bevollmächtigt, sondern sich bei der Abfassung der Berufung seiner Hilfe bedient und die Berufung vor Ablauf der Berufungsfrist selbst unterfertigt. Roland H. hatte ihr versprochen, die Berufung noch am selben Tag zur Post zu bringen. Auch die belangte Behörde geht unter diesen Umständen davon aus, Roland H. sei keine "nach außen in Erscheinung tretende Vollmacht erteilt worden". Unter Berufung auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Dezember 1970, Zl. 1619/70, meint die belangte Behörde jedoch, sie könne auf den vorliegenden Fall die in jenem Erkenntnis zum Ausdruck gebrachte Ansicht, auch "eine Ermächtigung im Innenverhältnis" erlaube die Zurechnung eines Verschuldens des Ermächtigten, zur Anwendung bringen.

In dem mit dem erwähnten Erkenntnis entschiedenen Fall betraf die vom Verwaltungsgerichtshof "angenommene" (konkludente) "Ermächtigung" den Enkel der hochbetagten Beschwerdeführerin, dem diese die "volle Verantwortung" für das Unternehmen übertragen hatte. Aus dem Umstand, daß dieser Enkel auch an der gleichen Adresse wie die Beschwerdeführerin wohnte, und aus den altersbedingten Behinderungen der Beschwerdeführerin schloß der Verwaltungsgerichtshof, es müsse "angenommen werden", daß ihn die Beschwerdeführerin "in konkludenter Form ermächtigt" habe, "auch in Angelegenheiten, die nicht zur Gänze mit dem Betrieb des Unternehmens in unmittelbarem Zusammenhang stehen, wie bezüglich der Entgegennahme der an der Adresse der Beschwerdeführerin einlangenden Post und bezüglich deren allfälligen Nachsendens während des Urlaubes des Enkels der Beschwerdeführerin, Anweisungen zu geben". Die zu beurteilende "Anweisung" des Enkels der Beschwerdeführerin an deren Wirtschafterin hatte gelautet, die Post während der urlaubsbedingten Abwesenheit des Enkels "liegen zu lassen". In dieser (uneingeschränkten) Anweisung an die Wirtschafterin der Beschwerdeführerin sah der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die "angenommene" "Ermächtigung im Innenverhältnis" ein der Beschwerdeführerin zurechenbares Verschulden.

"Ältere Rechtsprechung" neigt nach Strasser (in Rummel2, Rz 4 zu § 1002 ABGB) dazu, den Begriff "Ermächtigung" im Sinne von "Bevollmächtigung" zu gebrauchen. Inwieweit dies auf die in dem Erkenntnis vom 9. Dezember 1970 angenommene Ermächtigung des Enkels der damaligen Beschwerdeführerin, deren Wirtschafterin in bezug auf die Behandlung der Post Anweisungen zu erteilen, trotz der ausdrücklichen Beifügung "im Innenverhältnis" zutreffen könnte, braucht für die vorliegende Entscheidung aber nicht näher untersucht zu werden. Die Inanspruchnahme fremder Hilfe für die Kuvertierung und Postaufgabe eines fertig verfaßten und von der Partei unterschriebenen Berufungsschriftsatzes kann nämlich ebensowenig als Ermächtigung im zivilrechtlichen Sinne verstanden werden, wie sie sich als Bevollmächtigung deuten läßt. Daran würde im vorliegenden Fall auch der Umstand nichts ändern, daß es sich bei der Hilfsperson um jemanden handelte, der aufgrund eines gesonderten, älteren Versprechens schon bei der Abfassung der Berufung behilflich gewesen war.

Das Erkenntnis, auf das die belangte Behörde ihre Entscheidung - wie sich schon aus dem bisher Gesagten ergibt, zu Unrecht - stützt, erging darüber hinaus aber auch vor den beiden Beschlüssen verstärkter Senate des Verwaltungsgerichtshofes, in denen in Auseinandersetzung mit den Fragen, ob das Verschulden einer Kanzleiangestellten des Prozeßbevollmächtigten die Wiedereinsetzung ausschließe (Beschluß eines verstärkten Senates vom 25. März 1976, Slg. Nr. 9024/A) und ob das Verschulden des Vertreters selbst der Partei zuzurechnen sei (Beschluß eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Slg. Nr. 9226/A), das Erfordernis einer auf Bestimmungen des Verfahrensrechtes gegründeten Ableitung dieser Zurechnung hervorgehoben (Slg. Nr. 9024/A, Seite 155) und die Zurechenbarkeit des Verschuldens des Vertreters aus § 12 AVG (im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof in Verbindung mit § 62 VwGG) sowie hinsichtlich des Verfahrenshelfers im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auf § 64 Abs. 1 Z. 3 ZPO in Verbindung mit § 61 Abs. 1 VwGG abgeleitet wurde (Slg. Nr. 9226/A, Seite 22 f). Ein Abstellen auf das Verschulden von Personen, die für die Partei nicht vertretungsbefugt sind, findet in dieser Ableitung von vornherein nicht Deckung.

Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der Verwaltungsgerichtshof in einem Beschluß jüngeren Datums (Beschluß vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/06/0090) die Verschuldenszurechnung "fallbezogen" nicht nur für einen Rechtsanwaltsanwärter des bevollmächtigten Rechtsanwaltes (vgl. dazu Frauenberger, ÖJZ 1992, 115; Gitschthaler in Rechberger, ZPO, Anm. 9 zu § 146; Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, 676, E. 34, und 678, E. 52) bejaht hat, worauf für den vorliegenden Fall nicht weiter einzugehen ist, sondern unter Anknüpfung an den Begriff der "Vertrauensperson" auch ausgesprochen hat, der Grundsatz, daß eine Partei ein Verschulden ihrer "Vertreter" gegen sich gelten lassen müsse, gelte auch für das Verhalten einer Person, deren sich der Beschwerdeführer "zur Besorgung seiner Angelegenheiten bedient" habe. Diese ausdrücklich "fallbezogene" (bei Walter/Thienel, a.a.O. 1559, nun aber ohne diese Einschränkung wiedergegebene) Rechtsansicht ist schon vom Sachverhalt her nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar.

Der Bescheid der belangten Behörde, die ihre Entscheidung auf eine Zurechnung des von ihr angenommenen Verschuldens der von der Beschwerdeführerin beigezogenen Hilfsperson gestützt hat, steht mit dem Gesetz daher nicht in Einklang.

Für die Beschwerdeführerin wäre damit nichts zu gewinnen, wenn ihr selbst - was die belangte Behörde aufgrund ihrer unzutreffenden Rechtsansicht nicht mehr geprüft hat - ein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden bei der Auswahl oder der erforderlichen Überwachung der Hilfsperson vorzuwerfen wäre. Auf ein Verschulden der Beschwerdeführerin bei der Auswahl der Hilfsperson deutet im vorliegenden Fall nichts hin. Einen Asylwerber, für den sich kein Anlaß ergeben hat, an der Verläßlichkeit eines von ihm beigezogenen Caritasberaters zu zweifeln, trifft aber auch kein und jedenfalls kein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes, als auffallende Sorglosigkeit zu wertendes Verschulden, wenn er sich nicht im nachhinein davon zu überzeugen versucht, daß der Caritasberater die vom Asylwerber unterfertigte Berufung, wie zugesagt, noch am selben Tag zur Post gegeben hat. (Welche Möglichkeiten der Beschwerdeführerin dazu im vorliegenden Fall überhaupt noch fristwahrend zur Verfügung standen, ist für die Beurteilung ihres Wiedereinsetzungsantrages daher nicht von Bedeutung).

Nur der Vollständigkeit halber ist noch hinzuzufügen, daß auch die Rechtsansicht der belangten Behörde, ein bloßes Versehen bzw. Vergessen könne nicht als ein einen Wiedereinsetzungsgrund bildendes Ereignis angesehen werden, vom Verwaltungsgerichtshof in den zitierten Beschlüssen verstärkter Senate schon vor mehr als zwei Jahrzehnten ausdrücklich verworfen wurde.

Der angefochtene Bescheid war aber schon aus den zuvor dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das zusätzliche Begehren auf Umsatzsteuer aus dem Schriftsatzaufwand findet in diesen Vorschriften keine Deckung.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997200693.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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