TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/24 W258 2220420-1

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Veröffentlicht am 24.10.2019
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Entscheidungsdatum

24.10.2019

Norm

AVG §38
B-VG Art. 133 Abs4
DSG Art. 2 §24
DSGVO Art. 4
DSGVO Art. 51
DSGVO Art. 56
DSGVO Art. 60
DSGVO Art. 65
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W258 2220420-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Dr. Gerd TRÖTZMÜLLER und Gerhard RAUB als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn & Partner Rechtsanwälte GmbH, 6850 Dornbirn, gegen den Bescheid der Datenschutzbehörde vom XXXX , GZ XXXX , in nichtöffentlicher Sitzung in einer datenschutzrechtlichen Angelegenheit zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Bescheid ersatzlos

behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgegenständlich ist die Frage, ob die belangte Behörde das Verfahren über die datenschutzrechtliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen eine juristische Person mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung in seinem Recht auf Auskunft, bis zur Klärung der der Zuständigkeit der federführenden Aufsichtsbehörde und ihrer bzw einer Entscheidung des Europäischen Datenschutzausschusses (Verfahren nach Art 56 und 60 und 63 ff DSGVO) zu Recht gemäß § 38 AVG ausgesetzt hat.

I. Verfahrensgang:

1. Mit Beschwerde vom 16.11.2018 behauptet der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinem Recht auf Auskunft nach Art 15 DSGVO. Die XXXX , mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland, sei seinem Auskunftsbegehren nicht nachgekommen.

2. Mit Bescheid vom XXXX setzte die belangte Behörde das Verfahren "bis zur Feststellung, welche Behörde für die inhaltliche Verfahrensführung zuständig und zur Entscheidung einer federführenden Aufsichtsbehörde bzw. des Europäischen Datenschutzausschusses" aus; dazu sei sie gemäß Art 56 Abs 1 iVm § 24 Abs 10 Z 2 DSG von Amts wegen verpflichtet.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Beschwerde des Beschwerdeführers (erkennbar) wegen Rechtswidrigkeit, in der er die ersatzlose Behebung des Bescheids beantragte. Eine Vorfrage, die eine Aussetzung des Verfahrens nach § 38 AVG rechtfertigen könnte, liege nicht vor.

4. Mit Schriftsatz vom 07.06.2019, hg eingelangt am 24.06.2019, legte die belangte Behörde die Beschwerde unter Anschluss des Verwaltungsaktes dem erkennenden Gericht vor. Sie erstattete eine Stellungnahme, auf die der Beschwerdeführer mit eingeräumter Stellungnahme vom 04.07.2019 replizierte.

Beweise wurden erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Mit Beschwerde vom 16.11.2018 behauptet der Beschwerdeführer eine Verletzung in seinem Recht auf Auskunft nach Art 15 DSGVO. Die XXXX , mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland, sei seinem Auskunftsbegehren nicht nachgekommen.

1.2. Am 11.03.2019 leitete die belangte Behörde unter der Nummer 62345.1 des "Internal Market Information Systems" der Europäischen Kommission ein Verfahren nach Art 56 DSGVO zur Bestimmung der federführenden Aufsichtsbehörde ein.

1.3. Mit Bescheid vom XXXX , dem Beschwerdeführer am 22.03.2019 zugestellt, setzte die belangte Behörde das Verfahren "bis zur Feststellung, welche Behörde für die inhaltliche Verfahrensführung zuständig und zur Entscheidung einer federführenden Aufsichtsbehörde bzw. des Europäischen Datenschutzausschusses" aus; dazu sei sie gemäß Art 56 Abs 1 iVm § 24 Abs 10 Z 2 DSG von Amts wegen verpflichtet.

1.4. In Folge kam es zwischen der belangten Behörde und dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in Nordrhein-Westfalen zu unterschiedlichen Auffassungen, ob letzterer oder der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit der Bundesrepublik Deutschland für die Behandlung der Beschwerde zuständig wäre.

1.5. Ein Streitbeilegungsverfahren iSd Art 65 DSGVO wurde nicht eingeleitet.

1.6. Am 02.04.2019 erklärte sich - der Ansicht der belangten Behörde folgend - die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit in Nordrhein-Westfalen zur federführenden Aufsichtsbehörde.

2. Die Feststellungen ergeben sich aus der folgenden Beweiswürdigung:

Die Feststellungen gründen auf dem unbedenklichen Verwaltungsakt.

3. Rechtlich folgt daraus:

Die zulässige Beschwerde ist berechtigt.

3.1. Zu den maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen:

§ 38 des Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 ("AVG") lautet:

"Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Der mit "Begriffsbestimmungen" betitelte Artikel 4 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG ("DSGVO") lautet:

"Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

21. ‚Aufsichtsbehörde' eine von einem Mitgliedstaat gemäß Artikel 51 eingerichtete unabhängige staatliche Stelle;

22. ‚betroffene Aufsichtsbehörde' eine Aufsichtsbehörde, die von der Verarbeitung personenbezogener Daten betroffen ist, weil

a) der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats dieser Aufsichtsbehörde niedergelassen ist,

b) diese Verarbeitung erhebliche Auswirkungen auf betroffene Personen mit Wohnsitz im Mitgliedstaat dieser Aufsichtsbehörde hat oder haben kann oder

c) eine Beschwerde bei dieser Aufsichtsbehörde eingereicht wurde;"

Der mit "Aufsichtsbehörde" betitelte Artikel 51 DSGVO lautet:

"[...] (2) Jede Aufsichtsbehörde leistet einen Beitrag zur einheitlichen Anwendung dieser Verordnung in der gesamten Union. Zu diesem Zweck arbeiten die Aufsichtsbehörden untereinander sowie mit der Kommission gemäß Kapitel VII zusammen. [...]"

Der mit "Zuständigkeit der federführenden Aufsichtsbehörde" betitelte Artikel 56 DSGVO lautet:

"(1) Unbeschadet des Artikels 55 ist die Aufsichtsbehörde der Hauptniederlassung oder der einzigen Niederlassung des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters gemäß dem Verfahren nach Artikel 60 die zuständige federführende Aufsichtsbehörde für die von diesem Verantwortlichen oder diesem Auftragsverarbeiter durchgeführte grenzüberschreitende Verarbeitung.

(2) Abweichend von Absatz 1 ist jede Aufsichtsbehörde dafür zuständig, sich mit einer bei ihr eingereichten Beschwerde oder einem etwaigen Verstoß gegen diese Verordnung zu befassen, wenn der Gegenstand nur mit einer Niederlassung in ihrem Mitgliedstaat zusammenhängt oder betroffene Personen nur ihres Mitgliedstaats erheblich beeinträchtigt.

(3) In den in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Fällen unterrichtet die Aufsichtsbehörde unverzüglich die federführende Aufsichtsbehörde über diese Angelegenheit. Innerhalb einer Frist von drei Wochen nach der Unterrichtung entscheidet die federführende Aufsichtsbehörde, ob sie sich mit dem Fall gemäß dem Verfahren nach Artikel 60 befasst oder nicht, wobei sie berücksichtigt, ob der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter in dem Mitgliedstaat, dessen Aufsichtsbehörde sie unterrichtet hat, eine Niederlassung hat oder nicht.

(4) Entscheidet die federführende Aufsichtsbehörde, sich mit dem Fall zu befassen, so findet das Verfahren nach Artikel 60 Anwendung. Die Aufsichtsbehörde, die die federführende Aufsichtsbehörde unterrichtet hat, kann dieser einen Beschlussentwurf vorlegen. Die federführende Aufsichtsbehörde trägt diesem Entwurf bei der Ausarbeitung des Beschlussentwurfs nach Artikel 60 Absatz 3 weitestgehend Rechnung.

(5) Entscheidet die federführende Aufsichtsbehörde, sich mit dem Fall nicht selbst zu befassen, so befasst die Aufsichtsbehörde, die die federführende Aufsichtsbehörde unterrichtet hat, sich mit dem Fall gemäß den Artikeln 61 und 62.

(6) Die federführende Aufsichtsbehörde ist der einzige Ansprechpartner der Verantwortlichen oder der Auftragsverarbeiter für Fragen der von diesem Verantwortlichen oder diesem Auftragsverarbeiter durchgeführten grenzüberschreitenden Verarbeitung."

Der mit "Zusammenarbeit zwischen der federführenden Aufsichtsbehörde und den anderen betroffenen Aufsichtsbehörden" betitelte Art 60 DSGVO lautet:

"(1) Die federführende Aufsichtsbehörde arbeitet mit den anderen betroffenen Aufsichtsbehörden im Einklang mit diesem Artikel zusammen und bemüht sich dabei, einen Konsens zu erzielen. Die federführende Aufsichtsbehörde und die betroffenen Aufsichtsbehörden tauschen untereinander alle zweckdienlichen Informationen aus.

(2) Die federführende Aufsichtsbehörde kann jederzeit andere betroffene Aufsichtsbehörden um Amtshilfe gemäß Artikel 61 ersuchen und gemeinsame Maßnahmen gemäß Artikel 62 durchführen, insbesondere zur Durchführung von Untersuchungen oder zur Überwachung der Umsetzung einer Maßnahme in Bezug auf einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist.

(3) Die federführende Aufsichtsbehörde übermittelt den anderen betroffenen Aufsichtsbehörden unverzüglich die zweckdienlichen Informationen zu der Angelegenheit. Sie legt den anderen betroffenen Aufsichtsbehörden unverzüglich einen Beschlussentwurf zur Stellungnahme vor und trägt deren Standpunkten gebührend Rechnung.

(4) Legt eine der anderen betroffenen Aufsichtsbehörden innerhalb von vier Wochen, nachdem sie gemäß Absatz 3 des vorliegenden Artikels konsultiert wurde, gegen diesen Beschlussentwurf einen maßgeblichen und begründeten Einspruch ein und schließt sich die federführende Aufsichtsbehörde dem maßgeblichen und begründeten Einspruch nicht an oder ist der Ansicht, dass der Einspruch nicht maßgeblich oder nicht begründet ist, so leitet die federführende Aufsichtsbehörde das Kohärenzverfahren gemäß Artikel 63 für die Angelegenheit ein.

(5) Beabsichtigt die federführende Aufsichtsbehörde, sich dem maßgeblichen und begründeten Einspruch anzuschließen, so legt sie den anderen betroffenen Aufsichtsbehörden einen überarbeiteten Beschlussentwurf zur Stellungnahme vor. Der überarbeitete Beschlussentwurf wird innerhalb von zwei Wochen dem Verfahren nach Absatz 4 unterzogen.

(6) Legt keine der anderen betroffenen Aufsichtsbehörden Einspruch gegen den Beschlussentwurf ein, der von der federführenden Aufsichtsbehörde innerhalb der in den Absätzen 4 und 5 festgelegten Frist vorgelegt wurde, so gelten die federführende Aufsichtsbehörde und die betroffenen Aufsichtsbehörden als mit dem Beschlussentwurf einverstanden und sind an ihn gebunden.

(7) Die federführende Aufsichtsbehörde erlässt den Beschluss und teilt ihn der Hauptniederlassung oder der einzigen Niederlassung des Verantwortlichen oder gegebenenfalls des Auftragsverarbeiters mit und setzt die anderen betroffenen Aufsichtsbehörden und den Ausschuss von dem betreffenden Beschluss einschließlich einer Zusammenfassung der maßgeblichen Fakten und Gründe in Kenntnis. Die Aufsichtsbehörde, bei der eine Beschwerde eingereicht worden ist, unterrichtet den Beschwerdeführer über den Beschluss.

(8) Wird eine Beschwerde abgelehnt oder abgewiesen, so erlässt die Aufsichtsbehörde, bei der die Beschwerde eingereicht wurde, abweichend von Absatz 7 den Beschluss, teilt ihn dem Beschwerdeführer mit und setzt den Verantwortlichen in Kenntnis.

(9) Sind sich die federführende Aufsichtsbehörde und die betreffenden Aufsichtsbehörden darüber einig, Teile der Beschwerde abzulehnen oder abzuweisen und bezüglich anderer Teile dieser Beschwerde tätig zu werden, so wird in dieser Angelegenheit für jeden dieser Teile ein eigener Beschluss erlassen. Die federführende Aufsichtsbehörde erlässt den Beschluss für den Teil, der das Tätigwerden in Bezug auf den Verantwortlichen betrifft, teilt ihn der Hauptniederlassung oder einzigen Niederlassung des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats mit und setzt den Beschwerdeführer hiervon in Kenntnis, während die für den Beschwerdeführer zuständige Aufsichtsbehörde den Beschluss für den Teil erlässt, der die Ablehnung oder Abweisung dieser Beschwerde betrifft, und ihn diesem Beschwerdeführer mitteilt und den Verantwortlichen oder den Auftragsverarbeiter hiervon in Kenntnis setzt."

Der mit "Streitbeilegung durch den Ausschuss" betitelte Artikel 65 DSGVO lautet:

"(1) Um die ordnu ngsgemäße und einheitliche Anwendung dieser Verordnung in Einzelfällen sicherzustellen, erlässt der Ausschuss in den folgenden Fällen einen verbindlichen Beschluss:

a) wenn eine betroffene Aufsichtsbehörde in einem Fall nach Artikel 60 Absatz 4 einen maßgeblichen und begründeten Einspruch gegen einen Beschlussentwurf der federführenden Behörde eingelegt hat oder die federführende Behörde einen solchen Einspruch als nicht maßgeblich oder nicht begründet abgelehnt hat. Der verbindliche Beschluss betrifft alle Angelegenheiten, die Gegenstand des maßgeblichen und begründeten Einspruchs sind, insbesondere die Frage, ob ein Verstoß gegen diese Verordnung vorliegt;

b) wenn es widersprüchliche Standpunkte dazu gibt, welche der betroffenen Aufsichtsbehörden für die Hauptniederlassung zuständig ist,

c) [...]."

§ 24 des Bundesgesetzes zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten ("DSG") lautet:

"[...] (10) In die Entscheidungsfrist gemäß § 73 AVG werden nicht eingerechnet:

1. die Zeit, während deren das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage ausgesetzt ist;

2. die Zeit während eines Verfahrens nach Art. 56, 60 und 63 DSGVO."

3.2. Zur maßgebliche Sachlage:

Das Verwaltungsgericht hat im Allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheids bzw. Erkenntnisses geltende Recht anzuwenden. Eine andere Betrachtungsweise ist dann geboten, wenn der Gesetzgeber in einer Übergangsbestimmung zum Ausdruck bringt, dass auf anhängige Verfahren noch das bisher geltende Gesetz anzuwenden ist, oder wenn darüber abzusprechen ist, was an einem bestimmten Stichtag oder in einem konkreten Zeitraum rechtens gewesen ist. Für die Beurteilung der Frage, welche Rechtslage heranzuziehen ist, ist auf die Auslegung der im jeweiligen Fall anzuwendenden Verwaltungsvorschriften abzustellen (zum Ganzen jüngst VwGH 25.06.2019 Ra 2018/10/0120 mwN).

Die Beurteilung der Wirksamkeit einer Verfahrenshandlung, hier der Erlassung eines Aussetzungsbescheids, ist als solche nach der im Zeitpunkt der Setzung der Verfahrenshandlung geltenden (Verfahrens-)Rechtslage zu beurteilen (VwGH 21.10.2004, 99/06/0016).

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der anwendbaren Rechtslage gilt dabei grundsätzlich auch für die zu beurteilende Sachlage (VwGH 26.04.1993, 91/10/0252).

Es ist daher für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aussetzung des Verfahrens nach § 38 AVG die Sachlage zum Zeitpunkt der Erlassung des Aussetzungsbescheids, dh der Zeitpunkt seiner Zustellung am 22.03.2019, zu Grunde zu legen.

3.3. Zu den Verfahren nach Art 56, 60 und 65 DSGVO:

Das Verfahren über die Beschwerde einer betroffenen Person im Zusammenhang mit einer (innergemeinschaftlich) grenzüberschreitenden Datenverarbeitung besteht grundsätzlich aus drei Phasen. In einem ersten Schritt werden die beteiligten Aufsichtsbehörden und ihre jeweilige Rolle als federführende oder betroffene Aufsichtsbehörde bestimmt (Art 56 DSGVO). Jede Aufsichtsbehörde bestimmt ihre Rolle dabei grundsätzlich selbst; sie ist aber im Rahmen der allgemeinen Kooperationspflicht nach Art 51 Abs 2 S 2 verpflichtet, sich mit den anderen Aufsichtsbehörden abzustimmen und um eine Konsens zu bemühen (vgl Polenz in Simits, Hornung, Spiecker, Datenschutzrecht (2019) Art 65 Rz 16). In einem zweiten Schritt führt die federführende Aufsichtsbehörde das Kohärenzverfahren nach Art 60 DSGVO und fasst über die Beschwerde einen - mangels Einspruch einer anderen Aufsichtsbehörde gemäß Art 60 Abs 4 DSGVO für alle Aufsichtsbehörden verbindlichen - Beschluss (Art 60 Abs 6 DSGVO). Im letzten Schritt wird dieser Beschluss von der Aufsichtsbehörde, bei der die Beschwerde eingebracht worden ist, hinsichtlich abweidender oder ablehnender Spruchpunkte ihm gegenüber erlassen (Art 60 Abs 8 DSGVO). Über den Inhalt anderer Spruchpunkte wird er von der Aufsichtsbehörde, bei der die Beschwerde eingereicht worden ist, unterrichtet (Art 60 Abs 7 DSGVO).

Sind sich die beteiligten Aufsichtsbehörden ua über ihre jeweilige Zuständigkeit oder über den Inhalt des Beschlusses nicht einig, kann als Zwischenschritt jeweils ein Streitbeilegungsverfahren gemäß Art 65 DSGVO eingeleitet werden. In diesem Fall entscheidet der Europäische Datenschutzausschuss über die strittige Frage für die jeweiligen Aufsichtsbehörden verbindlich (zur Klärung von Zuständigkeitsfragen siehe auch Polenz in Simits, Hornung, Spiecker, Datenschutzrecht (2019) Art 56 Rz 9 und Art 65 Rz 13 ff; weiters Klabunde in Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung² (2018) Art 65 Rz 9).

3.4. Angewendet auf den konkreten Sachverhalt bedeutet das:

3.4.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage ist, und zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt. Dass es sich bei der Vorfrage um eine Frage handeln muss, über die von der anderen Behörde als Hauptfrage zu entscheiden ist, ergibt sich daraus, dass der besondere prozessökonomische Sinn der Vorschrift des § 38 AVG nur dann erreicht werden kann, wenn die andere Entscheidung, deren Ergehen abgewartet wird, in der Folge die Behörde bindet, wobei eine solche Bindungswirkung jedoch immer nur eine Entscheidung über eine Hauptfrage entfaltet (vgl jüngst VwGH 27.06.2019, Ra 2019/02/0017, mwN).

3.4.2. Die Anwendbarkeit des Art 38 AVG in Bezug auf ein Verfahren zur Bestimmung der federführenden Aufsichtsbehörde nach Art 56 DSGVO scheitert bereits an der für die belangte Behörde verbindlichen Entscheidung eines anderen Gerichts oder einer anderen Behörde:

3.4.3. Die belangte Behörde hatte zum Zeitpunkt der Aussetzung des verwaltungsbehördlichen Verfahrens - in Abstimmung mit den anderen beteiligten Aufsichtsbehörden - darüber zu entscheiden, ob sie bzw welche Aufsichtsbehörde für die bei ihr eingebrachte Beschwerde federführend zuständig ist; ein Streitbeilegungsverfahren gemäß Art 65 DSGVO, in dem der Europäische Datenschutzausschuss für die belangte Behörde verbindlich über diese Frage absprechen hätte können, war nicht eingeleitet. Zum Zeitpunkt der Aussetzung war somit keine andere Behörde oder anderes Gericht befugt, für die belangte Behörde verbindlich darüber zu entscheiden, ob sie bzw welche Aufsichtsbehörde für die bei ihr eingebrachte Beschwerde federführend ist. Es war der belangten Behörde - in diesem Verfahrensstadium - daher verwehrt, das Verfahren gemäß § 38 AVG auszusetzen.

3.5. Auf die Frage, inwieweit ein Kohärenzverfahren nach Art 60 DSGVO oder ein Streitbeilegungsverfahren nach Art 65 DSGVO eine Aussetzung nach § 38 AVG rechtfertigen könnte, musste vom erkennenden Gericht nicht weiter eingegangen werden, weil für eine Aussetzung in Frage kommende Verfahren zum Zeitpunkt der Aussetzung bereits eingeleitet worden hätten sein müssen oder zeitgleich mit der Aussetzung eingeleitet werden hätten müssen und zum Zeitpunkt der Erlassung des Aussetzungsbeschlusses weder Verfahren nach Art 60 noch nach Art 65 DSGVO eingeleitet waren bzw eingeleitet worden sind.

3.6. Wenn die belangte Behörde eine Aussetzung gemäß § 38 AVG auf Grund einer Vergleichbarkeit des Verfahrens nach Art 56 DSGVO zum Vorabentscheidungsverfahren nach Art 267 AEUV und unter Verweis auf VwGH 28.10.2008, 2008/05/0129 bejaht, ist ihr entgegen zu halten, dass der VwGH in dieser Entscheidung davon ausgegangen ist, dass eine im Vorlageverfahren zu klärende Auslegungsfrage für eine Behörde, die diese Rechtsfrage zu klären hat, eine Vorfrage darstellt, die von einem anderen Gericht für die Behörde verbindlich als Hauptfrage geklärt wird. Der VwGH bejaht in diesem Fall eine unmittelbare Anwendung des § 38 AVG. Im gegenständlichen Fall scheidet eine unmittelbare Anwendung des § 38 AVG aber gerade aus.

3.7. Da zum Zeitpunkt der Erlassung des Aussetzungsbescheids somit weder § 38 AVG noch eine andere Rechtsgrundlage eine Aussetzung des Beschwerdeverfahrens rechtfertigen konnte, insbesondere enthält auch der von der belangten Behörde im bekämpften Bescheid angezogene § 24 Abs 1 Z 2 DSG lediglich Bestimmungen zur Fristenhemmung, nicht jedoch zu einer etwaigen Aussetzung, war der Bescheid ersatzlos zu beheben.

3.8. Da im Verfahren lediglich Rechtsfragen zu klären waren, konnte gemäß § 24 Abs 4 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden (VwGH 19.09.2017, Ra 2017/01/0276).

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsfragen zu lösen waren, der grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zukommen. So fehlt es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur etwaigen Anwendbarkeit des § 38 AVG auf das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit der betroffenen bzw der federführenden Aufsichtsbehörde gemäß Art 56 DSGVO.

Schlagworte

Aufsichtsbehörde, Aussetzung, Datenschutzbeschwerde,
Datenverarbeitung, ersatzlose Behebung, Präjudizialität,
Rechtsgrundlage, Rechtslage, Vorfrage, Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W258.2220420.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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