TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/25 W212 2196695-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2019
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Entscheidungsdatum

25.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W212 2196695-3/5E

W212 2196692-3/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Ukraine, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2019, Zlen. 1.) 1182666406 / 191012386 und 2.) 11826665404 / 191012475, zu Recht:

A)

Die Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis IV. der obzitierten Bescheide werden gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9, 46 und 55, sowie 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) ist der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin (BF2); gemeinsam werden sie als die BF bezeichnet.

Der BF1 und die BF2, beide Staatsangehörige der Ukraine, reisten am 25.02.2018 in das Bundesgebiet ein und stellten am selben Tag den ersten Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 02.05.2018 wurde der Antrag der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung von BF1 in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Dagegen erhoben die BF fristgerecht Beschwerde.

3. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.06.2018, GZ: W226 2196695/1/3E und W226 2196692-1/3E wurden die Beschwerden der BF in allen Punkten als unbegründet abgewiesen.

Am 01.08.2018 sind die BF freiwillig aus dem Bundesgebiet ausgereist.

4. Am 23.01.2019 sind die BF neuerlich in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellte die BF2 am selben Tag den zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Der BF1 begab sich sofort in medizinische Behandlung im Landeskrankenhaus XXXX .

5. Im Zuge der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am nächsten Tag erklärte die BF2 Staatsangehörige der Ukraine, Zugehörige der Volksgruppe der Armenier und armenisch-apostolischen Glaubens zu sein. Armenisch sei ihre Muttersprache und sie beherrsche die Sprachen Russisch und Ukrainisch in Wort und Schrift. Zu den Fluchtgründen gab die BF2 an, dass der BF1 schwer herzkrank sei und sein Herz nur zu 25% funktionieren würde. Ihrem Mann würde es so schlecht gehen, dass die Reise nach Österreich die einzige Möglichkeit gewesen sei, um sein Leben zu verlängern. In Krankenhäusern in Armenien und der Ukraine habe ihm nicht geholfen werden können. Da es für die Erkrankung ihres Mannes in ihrem Heimatland keine entsprechende Behandlung gebe, würde er dort sofort sterben.

6. Am 30.01.2019 stellte der BF1 ebenfalls einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz zu dem er am selben Tag einer Erstbefragung unterzogen worden sei. Der BF1 gab im Zuge dieser Befragung an, Staatsangehöriger der Ukraine, Zugehöriger der Volksgruppe der Armenier und armenisch-apostolischen Glaubens zu sein. Armenisch sei seine Muttersprache und er beherrsche die Sprache Russisch in Wort und Schrift und Ukrainisch nur schlecht. Zu den Fluchtgründen brachte er vor, dass er im Sommer 2018 nach negativem Abschluss seines Asylverfahrens freiwillig mit der Rückkehrberatung ausgereist sei. In seiner Heimat hätte er jedoch keine finanziellen Mittel gehabt und hätte ihn kein Arzt behandeln wollen. Aufgrund seines immer weiter verschlechternden Gesundheitszustandes hätten die BF beschlossen, wieder nach Österreich zu reisen und habe sich der BF1 am Tag seiner Ankunft in Österreich sofort in medizinische Behandlung begeben.

7. Am 04.02.2019 wurden die BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Die BF seien in Armenien geboren und seien ukrainische Staatsangehörige und hätten in der Stadt Odessa in einem Mietshaus gelebt. Die BF hätten beide zehn Jahre lang die Grundschule besucht. Die BF2 habe zudem eine Ausbildung zur Konditorin und zur Schneiderin gemacht. Der BF1 habe keine Ausbildung gemacht und würde aufgrund seines Gesundheitszustandes seit vier Jahren nicht mehr arbeiten. Die Angehörigen der BF würden großteils in Armenien leben.

Zu ihren Fluchtgründen brachten die BF vor, dass sie aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des BF1 und der mangelhaften medizinischen Versorgung aus ihrem Heimatland geflüchtet seien. Die BF2 brachte dazu vor, dass die Ärzte des BF1 diesen im Jänner 2018 bereits aufgegeben hätten und ihm nur noch wenige Tage zu leben gegeben hätten. Der BF1 brachte zu seinem Gesundheitszustand vor, dass er hohen Blutdruck haben würde und erst im Jahr 2004 erfahren habe, dass er Herzprobleme habe. Er nehme schon seit längerer Zeit Medikamente wegen seiner Herzprobleme. Die medizinischen Unterlagen aus seinem Heimatland habe er in der Ukraine gelassen.

Im Bundesgebiet würde kein Abhängigkeitsverhältnis zu hier lebenden Personen bestehen und hätten die BF keine Verwandten oder Familienangehörigen in Österreich. Die BF würden von staatlichen Leistungen leben. Sie seien nicht in Vereinen oder Organisationen tätig.

Die BF legten in der Einvernahme folgende Befunde vor:

* Entlassungsbrief des LK XXXX vom 30.01.2019;

* Aufenthaltsbestätigung des LK XXXX vom 30.01.2019;

* Blutbefund des BF1 vom 25.01.2019;

* Sonografie Abdomen vom 25.01.2019;

* Kardiologische Befundberichte vom 02.04.2018.

Am Ende der Einvernahme wurden den BF die Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und sie über die Möglichkeit informiert, eine Stellungnahme abzugeben.

8. Mit Bescheiden des BFA vom 13.02.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurden ihnen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der BF in die Ukraine festgestellt (Spruchpunkt V.). Weiters wurde unter Spruchpunkt VI. einer Beschwerde gegen diese Entscheidungen gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt und gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VII.).

Nicht festgestellt wurde, dass die BF den Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen haben. Auch wurde eine sonstige Gefährdung für die BF im Fall einer Rückkehr in die Ukraine nicht festgestellt, zumal für den BF1 die Möglichkeit bestehe sich im ukrainischen Gesundheitssystem behandeln zu lassen. Der BF 1 würde über Ansprüche aus dem ukrainischen Sozialsystem sowie eine Rente verfügen. Zudem sei es der BF2 möglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und den Unterhalt durch berufliche Tätigkeiten zu bestreiten. Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. insbesondere ausgeführt, dass die BF somit nicht in der Lage gewesen seien, eine Bedrohungssituation iSd. Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen. Die Nichtzuerkennung subsidiären Schutzes wurde im Wesentlichen damit begründet, dass kein reales Risiko einer derart extremen Gefahrenlage vorliege, welches einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 3 EMRK darstelle würde und somit einer Rückführung der BF in ihr Heimatland entgegenstehen würde. Schließlich bestünden im Bundesgebiet keine Hinweise auf weitere familiäre Anknüpfungspunkte oder eine außerordentliche Integration, weshalb das Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden könne. Die Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 sei gegeben, da die BF aus einem sicheren Herkunftsstaat stammen. Aus diesem Grund habe das BFA gemäß § 55 Abs. 1a AsylG 2005 von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen.

9. Gegen die Spruchpunkte IV. bis VI dieser Bescheide wurde von der rechtlichen Vertretung der BF fristgerecht Beschwerde erhoben und nach Wiedergabe des Verfahrensganges ausgeführt, dass die BF im Verfahren ausdrücklich angegeben hätten, dass sie nur wegen der Gesundheitsprobleme des BF1 nach Österreich gekommen seien. Der BF1 würde über eine chronische Herzinsuffizienz NYHA II-III verfügen. Beim BF1 würde daher eine starke Einschränkung der Belastbarkeit und das Auftreten von Symptomen bereits bei leichter Belastung vorliegen. Es bestehe beim BF1 eine erhöhte Gefahr des plötzlichen Herztodes und liege die Wahrscheinlichkeit der Notwendigkeit einer Herztransplantation bei Patienten mit Herzinsuffizienz bei 25%. Da der BF1 keine finanziellen Mittel für eine ICD-Implantation in seinem Heimatland haben würde und ihm auch schon mitgeteilt worden sei, dass die Ärzte in seinem Heimatland nichts für ihn machen könnten, sei er zur ärztlichen Behandlung nach Österreich gereist. Am 25.02.2019 werde eine ICD-Implantation in Österreich durchgeführt. Eine Ausweisung in die Ukraine und damit verbundene Unterbrechung der Behandlung würde zu einer Verschlechterung der Erkrankung führen und stelle daher eine reale Gefahr im Sinn des Art. 3 EMRK dar. Deshalb werde auch der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt.

10. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.03.2019 zu W189 2196695-2/5Z und W189 2196692-2/4Z wurde den Beschwerden gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt, da zum Zeitpunkt der Entscheidung eine Gefährdung der Beschwerdeführer nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne.

11. Mit Urkundenvorlage vom 13.03.2019, 09.04.2019 und vom 11.06.2019 legten die BF medizinische Befunde vor. Dabei wurden folgende Unterlagen vorgelegt:

* Koronarangiographie vom 02.04.2018;

* Echokardiographie vom 19.02.2019;

*Aufenthaltsbestätigung des LK XXXX vom 25.02.2019;

* ärztlicher Entlassungsbrief des LK XXXX vom 28.02.2019;

* Ambulanzbrief des LK XXXX vom 05.03.2019;

* ärztliche Stellungnahme der XXXX vom 15.03.2019;

* Befund des LK XXXX vom 30.03.2019;

* Befund des LK XXXX betreffend die BF2 vom 08.05.2019:

* Befund einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 29.05.2019;

12. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.07.2019, GZ W 189 2196695-2/21E und W 189 2196692-2/14E wurden die Beschwerden der BF als unbegründet abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass eine weitere Behandlung des BF1 in Österreich aufgrund der vorgelegten medizinischen Unterlagen nicht geplant sei.

13. Am 02.10.2019 erfolge aufgrund eines Festnahmeauftrages gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 und § 34 BFA-VG die Festnahme der BF. Am selben Tag wurden diese aufgrund der Haftunfähigkeit des BF1 aus der Haft entlassen.

14. Am 04.10.2019 stellten die BF einen dritten - den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung gab der BF1 zu seinen Fluchtgründen an, dass er in Österreich einen Herzschrittmacher bekommen und dieser ihn vor kurzem reanimiert habe. Danach sei er in stationärer Behandlung gewesen. Am 18.10.2019 und am 05.11.2019 habe er zwei wichtige Termine im LKH in XXXX und ginge es dabei um eine Herztransplantation. Die BF2 gab befragt zu den Gründen der Folgeantragstellung an, dass sich der Gesundheitszustand des BF1 verschlechtert habe. Er habe einen Herzstillstand gehabt und habe ihn der Herzschrittmacher wiederbelebt. Er sei in weiterer Folge im Krankenhaus stationär behandelt worden. Am 05.11.2019 habe er einen Termin im LKH XXXX bezüglich einer Herztransplantation. Sie selbst sei am 24.09.2019 am Ohr operiert worden und müsse zu einer weiteren Kontrolle ins Krankenhaus. Dabei werde entschieden, ob eine weitere Operation vonnöten sei.

15. Am 15.10.2019 und am 24.10.2019 wurden die BF vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Zu ihren neuen Fluchtgründen brachten die BF im Wesentlichen vor, dass der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung des BF1 von seiner medizinischen Versorgung abhängig sei, die in der Ukraine schlecht und unzureichend sei.

Die BF legten in der Einvernahme folgende Befunde vor:

Betreffend den BF1:

* Internistischer Befund - Notaufnahme vom 21.08.2019 des LKH XXXX

* Kumulativbefund des LKH XXXX vom 21.08.2019

* Terminkarte - Ambulanzkarte Kardiologie des LKH XXXX

* Terminbestätigung des LKH XXXX für die Kardiologische Ambulanz am 05.11.2019

* Zuweisung an die Kardiologie Ambulanz per Telefax vom 07.08.2019 mit Facharztbericht vom 22.05.2019, sowie Medikamenten Verordnungsplan

* Befundbericht Hämodynamik vom 27.02.2019 des Landesklinikums XXXX

* Ärztlicher Entlassungsbrief des LKH XXXX vom 20.09.2019

* Kumulativbefund des LKH XXXX vom 20.09.2019

* Aufenthaltsbestätigung des LKH XXXX vom 20.09.2019 über den stationären Aufenthalt des BF1 von 14.09.2019 bis 20.09.2019

* Ambulanzbefund Kardiologie des LKH XXXX vom 19.092.2019

* Echokardiographie des Landesklinikums XXXX vom 19.02.2019

* Terminkarte des Landesklinikums XXXX zur Aufnahme am 25.02.2019

* Ärztliche Stellungnahme des Heart Transplant Program Vienna Austria / Medizinische Universität Wien vom 15.03.2019

* Undatierte, unadressierte Checkliste HTX

* Bestätigung über Kontrolltermin am Landesklinikum XXXX vom 21.10.2019

* Ambulanzbrief des Landesklinikums XXXX vom 21.10.2019

* Kumulativbericht des Landesklinikums XXXX vom 21.10.2019

Betreffend die BF2:

* Befund des Diagnostikum XXXX vom 03.07.2019

* Befund des medizinisch-diagnostischen Laboratorium XXXX vom 23.05.2019

* Ultraschallbild Schilddrüse vom 23.07.2019 des Uniklinikum XXXX

* Endokrinologie-Befund vom 26.07.2019

* allg. Chirurgie Befund vom 29.07.2019

* HNO-Ambulanzkarte vom 18.10.2019

16. Mit Bescheiden des BFA vom 25.10.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF gemäß § 68 Abs.1 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurden ihnen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der BF in die Ukraine festgestellt. Weiters wurde unter Spruchpunkt III. gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von 1 Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.).

Festgestellt wurde, dass die BF keinen neuen Sachverhalt vorgebracht haben, welcher nach dem rechtskräftigen Abschluss des letzten Asylverfahren entstanden sei und habe sich seit der Rechtskraft der letzten Entscheidung auch die die BF betreffende allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsland nicht geändert.

17. Gegen die Spruchpunkte II. bis IV. dieser Bescheide wurde von der rechtlichen Vertretung der BF fristgerecht Beschwerde erhoben und nach Wiedergabe des Verfahrensganges ausgeführt, dass den BF nach der Festnahme am 02.10.2019 und Vorführung vor den Amtsarzt wieder entlassen worden seien. Begründend wurde angegeben, dass der BF1 aus gesundheitlichen Gründen nicht überstellt werden könne und die BF bei der Polizeiinspektion einen weiteren Asylantrag stellen sollten. Die Diagnose des BF1 wurde angeführt und darauf hingewiesen, dass die BF1 regelmäßige Kontrollen bei einem Internisten und medikamentöse Behandlung bedürfe und dies in der Ukraine nicht möglich sei. Neben bereits im Akt befindlichen medizinischen Dokumenten wurde auch ein Schreiben der BF2 in Vorlage gebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine und lebten in Odessa. Sie sind Zugehörige der Volksgruppe der Armenier und bekennen sich zum armenisch-apostolischen Glauben. Sie sprechen Armenisch, Ukrainisch und Russisch. Der BF1 ist der Ehemann der BF2. Die BF sind in Armenien geboren, wo sie die Schule besucht haben. Der BF1 hat auf einer Baustelle gearbeitet und hat seit seiner Arbeitsunfähigkeit eine staatliche Pension bezogen. Die BF2 hat eine Ausbildung zur Konditorin und zur Schneiderin gemacht. Zuletzt hat sie in ihrem Heimatstaat in einer Pizzeria gearbeitet.

Der BF1 leidet an einer chronischen Herzinsuffizienz NYHA II-III und hat in der Ukraine zwei Herzinfarkte erlitten. Dem BF1 wurde am 25.02.2019 in Österreich ein Kardioverter/Defibrillator (ICD) implantiert. Der BF1 war von 14.09.2019 bis 20.09.2019 in stationärer Behandlung nach der mehrfachen Schockabgabe des ICD. Am 20.09.2019 wurde der BF1 in gutem Allgemeinzustand und kardiorespiratorisch stabil aus dem Krankenhaus entlassen (AS 71).

Für den BF1 ist aufgrund der Kontraindikationen keine Herztransplantation in Österreich geplant.

Die BF2 leidet an einer traumatischen Trommelfell-Perforation am rechten Ohr. Am 24.09.2019 wurde an der BF2 eine Myringoplastikoperation am rechten Ohr durchgeführt. Am 18.10.2019 wurde der BF2 bei der Nachkontrolle die körperliche Schonung für zwei Wochen und ein Kontrolltermin sowie ein Hörtest empfohlen (AS 71).

Eine maßgebliche Änderung des Gesundheitszustandes der BF seit der rechtskräftigen Entscheidung vom 09.07.2019 konnte nicht festgestellt werden.

1.2. Die BF reisten erstmalig am 25.02.2018 illegal in das Bundesgebiet ein. Mit Erkenntnis des BVwG vom 04.06.2018 wurde der erste Antrag der BF auf internationalen Schutz rechtskräftig abgewiesen. Die BF sind am 01.08.2018 aus dem Bundesgebiet ausgereist.

Am 23.01.2019 sind die BF neuerlich in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellten am 23.01.2019 bzw. am 30.01.2019 den zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 13.02.2019 wurde der Antrag abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie die Zulässigkeit der Abschiebung in die Ukraine festgestellt. Mit fristgerechten Beschwerden wurden die mit dem Bescheid unter einem erlassene Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung bekämpft. Mit Erkenntnis des BVwG vom 09.07.2019 wurden die Beschwerden rechtskräftig als unbegründet abgewiesen.

Am 04.10.2019 stellten die BF den verfahrensgegenständlichen, dritten Antrag auf internationalen Schutz.

Es ergab sich seit dem Erkenntnis des BVwG vom 09.07.2019 zwischenzeitig weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die die Beschwerdeführer betreffende abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat noch in sonstigen in der Person der Beschwerdeführer gelegenen Umstände.

Die BF können bei ihrer Rückkehr in Odessa leben, das weit entfernt von den von Unruhen betroffenen Gebieten in der Ukraine gelegen ist. Die Tochter der BF und die Schwester des BF1 leben in der Ukraine.

In Österreich lebt aktuell die Schwester des BF1, die sich in einem Asylverfahren befindet. Diese bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und besteht wechselseitig kein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis. Die BF haben keine weiteren Verwandten oder sonstigen Familienangehörigen in Österreich.

Die BF beziehen Leistungen aus der Grundversorgung und sind nicht selbsterhaltungsfähig. Sie sind nicht Mitglieder in Vereinen oder Organisationen und konnte eine überdurchschnittliche Integration der BF im Bundesgebiet nicht festgestellt werden. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF aus ihrer Heimat sozial oder beruflich entwurzelt wären.

Die BF sind strafgerichtlich unbescholten und ist die BF2 im erwerbsfähigen Alter.

1.3. Zum Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt (Stand 29.05.2019, zuletzt aktualisiert am 30.08.2019):

KI vom 30.08.2019 (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 29.8.2019 ist die ukrainische Oberste Rada zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Die Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Diener des Volkes, hatte bei der Wahl mehr als 250 der insgesamt 450 Sitze gewonnen (DS 29.8.2019; vgl. Ukrinform 30.8.2019).

Sechs Fraktionen wurden gebildet: Diener des Volkes mit 254 Sitzen, die Oppositionsplattform "Für das Leben" mit 44 Sitzen, Europäische Solidarität (Ex-Block Poroschenko) mit 27 Sitzen, Batkivshchyna (Julia Timoschenkos Partei) mit 25 Sitzen, Holos (Stimme) mit 17 Sitzen und schließlich die aus unabhängigen Abgeordneten bestehende Fraktion "Für die Zukunft" mit 23 Sitzen (KP 29.8.2019).

Für die neue Regierung stimmten 281 Parlamentarier. Neuer Premierminister ist der 35-jährige

Jurist Olexij Hontscharuk (DS 29.8.2019; vgl. Ukrinform 30.8.2019).

Zum neuen Ministerkabinett gehören:

Vizepremierminister für europäische und euroatlantische Integration Dmytro Kuleba

Vizepremierminister und Minister für IT-Transformation Mychailo Fedorow

Minister des Ministerkabinetts Dmytro Dubilet

Außenminister Wadym Prystaiko

Verteidigungsminister Andrij Sahorodnjuk

Innenminister Arsen Awakow (Bereits in der Vorgängerregierung tätig)

Minister für Wirtschaftsentwicklung, Handel und Landwirtschaft Tymofij Mylowanow

Justizminister Denys Maljuska

Finanzministerin Oxana Markarowa (Bereits in der Vorgängerregierung tätig)

Minister für Energiewirtschaft und Kohleindustrie Olexij Orschel

Minister für Infrastruktur Wladyslaw Kryklij

Ministerin für Entwicklung von Gemeinden und Territorien Olena Babak

Ministerin für Bildung und Wissenschaft Hanna Nowosad

Gesundheitsministerin Zorjana Skalezka

Minister für Kultur, Jugend und Sport Wolodymyr Borodjanskyj

Ministerin für Sozialpolitik Julia Sokolowska

Ministerin für Angelegenheiten von Veteranen, vorläufig besetzen Gebieten und Binnenflüchtlingen Oxana Koljada (Ukrinform 30.8.2019)

Zu den unmittelbaren Vorhaben der neuen Regierung zählen nun wirtschaftspolitische Maßnahmen, die Aufhebung der Abgeordnetenimmunität (eine weithin geforderte Maßnahme zur Korruptionsbekämpfung, welche allerdings eine Zweidrittelmehrheit verlangt), die Schaffung einer Möglichkeit zur Absetzung des Präsidenten und ein Gesetz zum Whistleblowing in Korruptionsangelegenheiten (RFE/RL 30.8.2019).

KI vom 23.07.2019 (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Die Partei "Sluha Narodu" (Diener des Volkes) von Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die ukrainische Parlamentswahl vom 21.07.19 gewonnen. Noch liegt das amtliche Endergebnis nicht vor, aber nach Auszählung von etwa 70% der Stimmen steht fest, dass die Partei auf rund 42,7% kommt. Es folgen die russlandfreundliche Oppositionsplattform mit etwa 13%, die Partei "Europäische Solidarität" des früheren Präsidenten Petro Poroschenko mit etwa 8,4%, die Vaterlandspartei der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit 7,4% und die Partei "Holos" (Stimme) des Rocksängers Swiatoslaw Wakartschuk mit 6,2%. Dies sind die fünf Parteien, die die 5%-Hürde überwinden konnten. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019).

Zusammen mit den gewonnenen Sitzen aus den Direktwahlkreisen kommt Selenskyjs Partei auf knapp 250 der insgesamt 450 Sitze im Parlament. Das gute Ergebnis über die Parteiliste war vorausgesagt worden, jedoch überrascht der Gewinn von mehr als 120 Direktmandaten , da die Kandidaten durchwegs Polit-Neulinge sind und über keinerlei Erfahrung im Parlament verfügen. Die enorme Wählerzustimmung für Selenskyjs Partei bedeutet, dass das erste Mal in der Ukraine eine politische Kraft die absolute Mehrheit der Sitze in der Rada erreicht hat. Damit entfallen die komplizierten Koalitionsverhandlungen, mit denen im Vorfeld der Wahl viele Experten gerechnet hatten. Offenbar wurde auch Selenskyj selbst davon überrascht, denn noch am Wahlabend hatte er Wakartschuks "Holos", auch diese eine erst vor kurzem gegründete Partei mit ausschließlich politisch unerfahrenen Kandidaten und radikaler Antikorruptions-Agenda, Koalitionsverhandlungen angeboten. Dies dürfte nun unnötig geworden sein (BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019).

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20.05.2019 Präsident Wolodymyr Selensky, Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wird über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt (AA 20.5.2019). Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Auch die unterschiedlichen Auslegungen der Gerichte in Bezug auf das Wahlrecht sind Gegenstand der Kritik. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus. Die im Oktober 2014 abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahlen wurden im Allgemeinen als kompetitiv und glaubwürdig erachtet, aber auf der Krim und in von Separatisten gehaltenen Teilen des Donbass war die Abstimmung erneut nicht möglich. Infolgedessen wurden nur 423 der 450 Sitze vergeben (FH 4.2.2019). Der neue Präsident, Wolodymyr Selensky, hat bei seiner Inauguration im Mai 2019 vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019). In der Rada sind derzeit folgende Fraktionen und Gruppen vertreten:

Partei Sitze

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka) 135

Volksfront (Narodny Front) 81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok) 38

Selbsthilfe (Samopomitsch) 25

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka) 21

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna) 20

Gruppe Wolja Narodu 19

Gruppe Widrodshennja 24

Fraktionslose Abgeordnete 60

(AA 20.5.2019)

Nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 verfolgte die Ukraine unter ihrem Präsidenten Petro Poroschenko eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Zu den Schwerpunkten seines Regierungsprogramms gehörte die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs- und Justizreform. Dennoch wurden die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen nicht erfüllt. Die Parteienlandschaft der Ukraine ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ und nationalistisch über rechtsstaats- und europaorientiert bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Der Programmcharakter der Parteien ist jedoch kaum entwickelt und die Wähler orientieren sich hauptsächlich an den Führungsfiguren (AA 22.2.2019).

Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj gewann am 21. April 2019 die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit über 73% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4%). Poroschenko erhielt weniger als 25% der Stimmen (RFE/RL 30.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Selenskyj wurde am 20.5.2019 als Präsident angelobt. Er hat angekündigt möglichst bald parlamentarische Neuwahlen ausrufen zu lassen, da er in der Verkhovna Rada über keinen parteipolitischen Rückhalt verfügt und demnach kaum Reformen umsetzen könnte. Tatsächlich hat er umgehend per Dekret vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

Es ist ziemlich unklar, wofür Präsident Selenskyj politisch steht. Bekannt wurde er durch die beliebte ukrainische Fernsehserie "Diener des Volkes", in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).

Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA 27.2.2019; CNN 21.4.2019; Stern 23.4.2019).

Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).

Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russland seinen Einfluss auf den Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH 4.2.2019).

Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten "Sonderstatusgesetzes" bis Ende 2019 verlängert (AA 22.2.2019).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, "das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen". In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Einige Richter behaupteten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 13.3.2019).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommenen Gesetzesänderung zur "Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren" sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung ("re-attestation") aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).

2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat ("council of prosecutors") ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).

Nachdem unter Präsident Janukowitsch die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats eingemahnte Verfassungsreform jahrelang hinausgezögert wurde, wurde von Präsident Poroschenko durch seinen im Juli 2014 vorgelegten Gesetzesentwurf zur Änderung der ukrainischen Verfassung ein neuer Impuls gesetzt. Die darin vorgesehenen Schritte zu dezentraleren Strukturen mit erweiterten Kompetenzen der gewählten Gemeinde- und Bezirksräte, nicht zuletzt im Hinblick auf die Verteilung und Verwaltung öffentlicher Mittel, dem Ausbau der regionalen Selbstverwaltung und der erstmaligen Verankerung des Prinzips der Subsidiarität, wurden von der Venedig-Kommission begrüßt. Jedoch gibt es für die Annahme der Verfassungsreform in zweiter Lesung derzeit keine Mehrheit im Parlament. Vor allem die verfassungsrechtliche Absicherung der im Rahmen des Minsk-Prozesses zur Beilegung des Konflikts in der Ostukraine festgelegten Dezentralisierung steht unter starker Kritik einiger Parteien, weil diese eine "Ermächtigungsklausel" zur Schaffung eines Gesetzes über den Sonderstatus des Donbasss enthält. In der Praxis wurden jedoch bereits Erfolge bei der finanziellen Dezentralisierung erzielt, sowie zahlreiche Gemeinden zusammengelegt, die dadurch mit mehr finanziellen Mittel ausgestattet sind und effizienter arbeiten können. Ohne eine verfassungsmäßige Absicherung der Dezentralisierungsreform bleibt diese jedoch vorerst weiterhin unvollendet (ÖB 2.2019).

Die jüngsten Reforminitiativen bleiben hinter den Erwartungen zurück, werden aber fortgesetzt (FH 4.2.2019).

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Sicherheitskräfte verhindern oder reagieren im Allgemeinen auf gesellschaftliche Gewalt. Zuweilen wenden sie jedoch selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen, oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen (z.B. im Falle der Zerstörung eines Roma-Camps durch Nationalisten, gegen die die Polizei nicht einschritt). Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht, Beamte, die Verfehlungen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 13.3.2019).

Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, die im Juli 2015 in vorerst 32 Städten ihre Tätigkeit aufnahm. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte "Militsiya". Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen "Re-Attestierungsprozess" samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen,

4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EU Advisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Feber 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz "Über die Nationalpolizei" sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde und der Staatliche Migrationsdienst. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das nach dem Abgang von Katia Dekanoidze befürchtete Zurückrollen diverser erzielter Reformen, ist laut Einschätzung der EUAM, jedenfalls nicht eingetreten. Das im Juni 2017 gestartete Projekt "Detektive" - Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffung eines "Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)" auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter der Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine "Strategie des Innenministeriums bis 2020" sowie ein Aktionsplan entwickelt.(ÖB 2.2019).

Die Nationalpolizei muss sich mit einer, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und des Konflikts im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage auseinandersetzen. Über Repressionen durch Dritte, für die der ukrainische Staat in dem von ihm kontrollierten Staatsgebiet mittelbar die Verantwortung trägt, indem er sie anregt, unterstützt oder hinnimmt, liegen keine Erkenntnisse vor (AA 22.2.2019).

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet. Die Möglichkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 22.2.2019).

Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Amt wird derzeit von Lyudmila Denisova bekleidet. Ihr Büro arbeitet bei verschiedenen Projekten zur Überwachung von Menschenrechtspraktiken in Gefängnissen und anderen staatlichen Institutionen häufig mit NGOs zusammen. Die Ombudsperson bemühte sich in der Vergangenheit speziell um Krimtataren, Binnenvertriebene, Roma, Behinderte, sexuelle Minderheiten und Gefängnisinsassen. Die Ombudsperson kann auch Ermittlungen wegen Misshandlung durch Sicherheitskräfte einleiten und ist auch bei Problemen mit der Justiz jederzeit ansprechbar (USDOS 13.3.2019).

Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist in Verfassung und Gesetzen ausdrücklich vorgesehen. Tatsächlich werden Frauen jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert (AA 22.2.2019). 2018 wurden Demonstrationen von LGBTI- oder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört (AA 22.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Durch den bewaffneten Konflikt kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wurde im Dezember 2017 angenommen. Es gibt jedoch kaum ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall-) Einrichtungen mit geschultem Personal (ÖB 2.2019).Frauen und Mitglieder von Minderheitengruppen können am politischen Leben in der Ukraine teilnehmen. Diese Rechte werden jedoch durch Faktoren wie den Konflikt im Osten, Analphabetismus und das Fehlen von Ausweisdokumenten (häufig bei Roma) geschmälert. Das Gesetz über Kommunalwahlen schreibt eine 30%-Quote für Frauen auf Parteilisten vor, die jedoch nicht wirksam durchgesetzt wird. Die gesellschaftliche Diskriminierung von sexuellen Minderheiten beeinträchtigt ihre Fähigkeit, sich an politischen Prozessen und Wahlprozessen zu beteiligen (FH 4.2.2019).

Versammlungsfreiheit ist laut Verfassung garantiert und die Regierung respektiert dieses Recht generell, aber einfachgesetzlich haben die Behörden breite Möglichkeiten das Demonstrationsrecht einzuschränken. 2018 wurden Demonstrationen von LGBTI- oder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört. Die Polizei schützte zwar den 2018 Kiew Pride-Marsch mit tausenden Beamten, kleinere Veranstaltungen von Minderheiten oder oppositionellen Gruppen wurden jedoch nicht immer ausreichend geschützt (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Zu den Pflichten des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung der Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, sind jedoch nicht klar geregelt und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen. Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der "Friedlichkeit" einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).

Verfassung und Gesetze sehen Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen.

Menschenrechtsgruppen und internationale Organisationen kritisieren jedoch ein Gesetz vom März 2017, das für zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalisten, die sich mit Antikorruptionsangelegenheiten befassen, gewisse Offenlegungserfordernisse vorsieht. Dies wird weithin als Einschüchterungsmaßnahme gesehen. Menschenrechtsorganisationen berichten von einer wachsenden Anzahl ungeklärter Angriffe auf Mitglieder von Organisationen der Zivilgesellschaft (mehr als 50 Angriffe binnen 12 Monaten), die ihrer Ansicht nach ein Klima der Straflosigkeit geschaffen hätten, weil die Regierung diese nicht ordentlich untersucht habe. Es gibt Vorwürfe gegen die Regierung, diese würde Aktivisten als Vergeltungsmaßnahme für ihre Tätigkeit strafrechtlich verfolgen (USDOS 13.3.2019).Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Nach dem Ende der Ära Janukowitsch sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen mit einer Vielzahl sozialer, politischer, kultureller und wirtschaftlicher Zielsetzungen entstanden oder wiederbelebt worden. Viele von ihnen können die Entscheidungsfindung auf verschiedenen Regierungsebenen beeinflussen. Ein klar gegen Russland gerichtetes Gesetz gegen "ausländische Agenten, die unter dem Einfluss eines Aggressorstaats agieren", wurde im September 2018 vorgelegt. Seitens der Zivilgesellschaft gibt es Bedenken, dass dieses Gesetz generell NGOs mit ausländischen Geldgebern treffen könnte. Gewalt gegen Aktivisten der Zivilgesellschaft nahm im Jahr 2018 zu. Zu den Bedrohten gehören Aktivisten, die sich gegen Korruption oder für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzen (FH 4.2.2019).

Verfassung und Gesetze sehen Meinungsfreiheit vor, auch für Pressevertreter. Die Behörden respektieren diese Rechte jedoch nicht immer. Mit einigen Ausnahmen können Personen in Gebieten, die unter staatlicher Kontrolle stehen, die Regierung im Allgemeinen öffentlich und privat kritisieren und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse erörtern, ohne Angst vor offiziellen Repressalien zu haben. Die Gesetze verbieten Aussagen, welche die territoriale Integrität des Landes bedrohen, Kriege fördern, Rassen- oder Religionskonflikte auslösen oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen gemäß dieser Gesetze. Die Regierung setzte Maßnahmen um Informationen, Medien oder einzelne Journalisten zu verbieten bzw. zu blockieren, wenn diese als Bedrohung für die nationale Sicherheit betrachtet werden oder Positionen geäußert haben, die nach Ansicht der Behörden die Souveränität und territoriale Integrität des Landes untergraben. Die betrifft vor allem Medien russischer Herkunft oder pro-russischer Ausrichtung. Unabhängige Medien sind aktiv und bringe eine weite Bandbreite an Meinungen zum Ausdruck. In Privatbesitz befindliche Medien - die erfolgreichsten gehören einflussreichen Oligarchen - transportieren oft die Ansichten ihrer Eigentümer, günstige Berichterstattung für ihre Verbündeten und Kritik an politischen und geschäftlichen Rivalen. Unabhängige Medien haben Schwierigkeiten zu konkurrieren. Problematische Praktiken wirken sich weiterhin auf die Medienfreiheit aus, darunter Selbstzensur, günstige Berichterstattung gegen Geld ("Jeansa") und verzerrte Berichterstattung in Medienunternehmen, deren Eigentümer enge Verbindungen zur Regierung oder zu politischen Oppositionspartnern haben. Gewalt gegen Journalisten ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beklagen mangelnde Gegenmaßnahmen der Regierung. 2018 wurden bis September Angaben zufolge 22 Angriffe und 24 Drohungen gegen Journalisten gemeldet, verglichen mit 19 Angriffen und 22 Drohungen im selben Zeitraum 2017. Besonders betroffen ist Berichterstattung, welche als nicht ausreichend patriotisch empfunden wird. Rufmordklagen gegen Journalisten werden von Personen des öffentlichen Interesses immer wieder eingesetzt oder angedroht, um die Berichterstattung zu beeinflussen. Berichten zufolge hat sich die Freiheit des Internet in der Ukraine zum zweiten Mal in Folge verschlechtert, weil die Behörden stärker gegen Meinungsbekundungen von Social Media-Nutzern vorgehen, die als kritisch gegenüber der Position der Ukraine im Donbass-Konflikt wahrgenommen werden. Einer Medienbeobachtungsgruppe zufolge haben die Behörden 2017 gegen 40 Benutzer oder Administratoren von Social-Media-Plattformen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, weil ihre Inhalte die verfassungsmäßige Ordnung des Landes untergraben oder die nationale Sicherheit gefährdet hätten; 37 von ihnen wurden vor Gericht gestellt. Besonders "separatistische" oder "extremistische" Aktivitäten wurden 2018 besonders geahndet; User wurden festgenommen zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt (USDOS 13.3.2019).

Das unabhängige Institute of Mass Information registrierte von Januar bis November 2018 201 Verletzungen der Medienfreiheit. Von diesen Vorfällen betrafen 28 Gewalt sowie 27 Drohungen und Einschüchterungen. Die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden der Ukraine versagen manchmal beim Schutz der Rechte von Journalisten (FH 4.2.2019).

Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei von 2015 gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren sind mehrere politische Parteien entstanden. Ein Gesetz aus dem Jahr 2016 regelt die staatliche Finanzierung im Parlament vertretener Parteien. Oppositionsgruppen sind im Parlament vertreten, und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.2.2019).

Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung wird von der Verfassung garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert (AA 22.2.2019). Laut Befragungen sind 68,2 Prozent der Ukrainer christlich-orthodox. Davon gehören 26,5 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Partiartchats (UOC-KP), 12 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Partiartchats (UOC-MP), 1,1 Prozent zur ukrainisch-autokephalen Kirche (UAOC) und 24,3 Prozent bezeichnen sich als "schlicht orthodox". 7,8 Prozent der Ukrainer sind griechisch-katholisch, 1,3 Prozent jüdisch, 1 Prozent römisch-katholisch, 0,8 Prozent protestantisch und 0,2 Prozent muslimisch. Weitere 7 Prozent identifizieren sich als "Christen" und 12,6 Prozent geben an, dass sie keiner religiösen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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