TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/28 W159 2172671-1

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Veröffentlicht am 28.11.2019
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Entscheidungsdatum

28.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W159 2172671-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2017, Zahl XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 05.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer gelangte (spätestens) am 09.11.2015 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am 11.11.2015 erfolgten Erstbefragung nach dem Asylgesetz durch die polizeiliche Sicherheitsbörde gab der Beschwerdeführer an, afghanischer Staatsbürger, Hazara, schiitischer Moslem, minderjährig und ledig zu sein. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass sein Vater eine große Landwirtschaft gekauft hätte. Die Kinder des Verkäufers hätten als Erwachsene diese Landwirtschaft zurückgefordert. Im Zuge der entstandenen Streitigkeiten sei der Vater des Beschwerdeführers getötet worden.

Im Rahmen des medizinischen Sachverständigengutachtens vom 23.01.2016 wurde festgestellt, dass das spätest mögliche Datum für den achtzehnten Geburtstag des Beschwerdeführers der XXXX sei.

Am 03.08.2017 wurde der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde, niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer brachte ein Deutschzertifikat A2, diverse Teilnahmebestätigungen, Empfehlungsschreiben, Fotos sowie Wertschecks in Vorlage.

Der Beschwerdeführer gab an afghanischer Staatsangehöriger, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischer Moslem zu sein. Er habe bis zur Ausreise in der Provinz Uruzghan gelebt. Seine Mutter sei bei der Geburt seines Bruders, sowie sein Bruder verstorben. Sein Vater habe seinen Lebensunterhalt, bis er getötet worden sei, bestritten. Die Söhne des Verkäufers eines Grundstückes, Angehörige einer mächtigen, bekannten Paschtunenfamilie des Dorfes, hätten vom Vater das Grundstück zurückgefordert. Es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen, bei welcher der Vater des Beschwerdeführers und ein Sohn der Paschtunenfamilie getötet worden seien. Danach sei das Leben des Beschwerdeführers in Gefahr gewesen. Sein angeheirateter Onkel mütterlicherseits hätte für die Sicherheit des Beschwerdeführers durch seine Ausreise aus Afghanistan gesorgt. Um die Kosten der Flucht bezahlen zu können, hätte der Onkel das Grundstück verkauft. Diese Auseinandersetzung hätte auf der Zugehörigkeit der Volksgruppe basiert.

Er würde in Österreich in keiner eheähnlichen Beziehung leben, habe keinerlei Sorgeverpflichtungen und würde österreichische Freunde haben.

Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid vom 19.09.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.), dem Beschwerdeführer wurden 14 Tage Frist für eine freiwillige Ausreise gegeben (Spruchpunkt IV.).

In der Begründung des Bescheides führte die belangte Behörde aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig sei. Die allgemeine Lage im Heimatland des Beschwerdeführers würde keine Gefährdungslage im Sinne des § 8 AsylG ergeben. Demnach sei auch kein Abschiebungshindernis ersichtlich. Es wäre eine Rückkehr bzw. Neuansiedlung trotz der insgesamt als prekär zu bezeichnenden Sicherheitslage im Heimland des Beschwerdeführers, im Hinblick auf die unterschiedlichen Sicherheitslagen in den Regionen und Distrikten möglich. Es sei auch davon auszugehen, dass ein Neustart in der Provinz Balkh oder Kabul jenen Rückkehren, die über ein familiäres oder soziales Netzwerk verfügen würden, leichter fallen würde. Der Beschwerdeführer sei volljährig, grundsätzlich gesund und könne bei einer Rückkehr für seinen Lebensunterhalt sorgen, somal er über den kulturellen Hintergrund und die erforderlichen Sprachkenntnisse für Afghanistan verfüge.

Diese Entscheidung sei mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden gewesen sei, da der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und ein Aufenthaltstitel nicht zuerteilt worden sei. Es hätte kein Aufenthaltstitel erteilt werden können, da der belangten Behörde keine Hinweise auf das Vorliegen eines schützenswertens Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK bekannt gewesen seien. Mit der Rückkehrentscheidung sei eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt worden.

Mit Verfahrensanordnung wurde dem Beschwerdeführer gem. §52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid, in vollem Umfang, fristgerecht Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. In der Begründung der Beschwerde wurde das bisherige Vorbringen wiedergegeben und auf die Problematik der Minderheit der Volksgruppe der Hazara hingewiesen.

Mit 23.01.2019 brachte der Beschwerdeführer, vertreten durch XXXX , das Deutsch Zertifikat B1, seinen Lehrvertrag für den Lehrberuf Zimmerer, ein Jahreszeugnis der Landesberufsschule, einen Meldezettel sowie diverse Bestätigungen in Vorlage.

Mit 28.02.2019 und 04.09.2019 wurden diverse Empfehlungsschreiben sowie Fotos in Vorlage gebracht.

An der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 05.11.2019 nahmen der Beschwerdeführer in Begleitung seines Rechtsvertreters, drei Zeugen und ein Dolmetscher teil. Die belangte Behörde, Bundesamt Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Graz erschien unentschuldigt nicht.

Befragung des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen und seine Beschwerde aufrecht. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Hazara an, sei in eine muslimische Familie geboren worden, jetzt aber konfessionslos.

Er habe in Afghanistan keine wirtschaftlichen Probleme, jedoch persönliche Probleme mit bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban wegen Grundstückstreitigkeiten gehabt. Sein Vater hätte ein Grundstück, welches für den Lebenunterhalt notwendig gewesen sei, gekauft. Als der Verkäufer gestorben sei, hätten seine Kinder behauptet, dass dieses Grundstück nachwievor der Familie gehöre. Verkäufer und Käufer seien nicht miteinander verwandt gewesen. Zu einer Sitzung, die von der gegnerischen Familie veranstaltet worden sei, sei der Vater eingeladen gewesen und habe sich eine Lösung der Grundstückstreitigkeiten von den Dorfältesten erhofft. Bei dieser Sitzung sei der Vater des Beschwerdeführers sowie eine Person der gegnerischen Seite getötet worden. Nach dem Vorfall habe der Beschwerdeführer sich etwa zwei Monate bei dem Mann seiner Tante mütterlicherseits aufgehalten, weil auch sein Leben in Gefahr gewesen sei. Danach sei er nach Europa geflüchtet.

Der Richter hielt dem Bescherdeführer vor, dass es die belangte Behörde als widersprüchlich angesehen hätte, dass er einerseits, dass Haus der Tante nicht verlassen hätte, jedoch angegeben habe schon auf die Straße gegangen zu sei. Der Beschwerdeführer erklärte dem Richter er sei vor das Haus gegangen um frische Luft zu schnappen. Der Beschwerdeführer sei ausgereist, weil die gegnerische Familie mächtig und einflussreich gewesen sei. Er sei sich auch sichergewesen, dass sie ihn vernichten hätte wollen, weil sein Vater einen von ihnen getötet hätte. Das hätte der Mann seiner Tante ihm mitgeteilt sowie, dass es für den Beschwerdeführer lebensgefährlich wäre dort zu bleiben. Seine Tante und ihr Mann seien nunmehr vor einem Jahr nach Pakistan geflüchtet, weil dort Krieg herrsche und die Taliban dort stark vertreten seien.

Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, aus einer strenggläubigen schiitischen Familie zu stammen. Er persönlich habe schon immer Zweifel am Islam gehabt. In Afghanistan hätte er die Religion ohne Nachdenken ausgeübt. Er habe nicht viel vom Koran verstanden, weil er auf arabisch geschrieben worden wäre. In Österreich lebe er in einem demokratischen Land. Hier könne er sich seine Religion selbst aussuchen. Er gehe mit seinen Freunden fort, spiele Volleyball und trinke Alkohol. Als Moslem dürfe er keinen Alkohol trinken und nicht in die Disco gehen. Er esse auch Schweinefleisch. Der Beschwerdeführer gab nachgefragt an, dass er an Gott glaube, aber nicht an eine Religion. Er wohne hier in Österreich, wolle nicht, dass seine zukünftige Frau ein Kopftuch trage und seine Kinder ein Buch lesen, welches sie nicht verstehen würden. Er habe Kontakt zum Christentum, als Mensch. Er wolle konfessionslos bleiben, Religion würde ihn nicht interessieren, denn er hätte schlechte Erfahrungen mit Religion gemacht. Er würde die Menschen lieben und das sei dass wichtigste. Der Beschwerdeführer gab an, dass er in Österreich zurzeit eine Lehre mit Matura absolviere. Er würde den Beruf eines Zimmerers erlernen. Der Beschwerdeführer brachte die entsprechenden Zeugnise und Diplome in Vorlage. Während der Berufsschule sei er im Internat. Er würde Fitnesstraining betreiben. Er spiele Volleyball in einer gemischten Mannschaft, was er als Moslem nicht dürfte. Die Mannschaftskollegen und Kolleginnen seien, auch seine Freunde. Nachdem Spiel würde man auch etwas trinken gehen.

Auf die Frage des Richters wie er über Homosexualität denke, antwortete der Beschwerdeführer, dass es für ihm normal sei, denn sowohl ein Mann als auch eine Frau bräuchten Sex.

Befragung des Zeugen1:

Der Zeuge1 gab an, dass er den Beschwerdeführer aus dem XXXX kenne. Der Beschwerdeführer sei als unbegleiteter Minderjähriger in das XXXX gekommen und hätte sofort die Möglichkeit ergriffen eine Übergangsklasse des Gymansium zu besuchen. Der Beschwerdeführer sei sehr verschlossen und traurig gewesen. Er nachdem er Vertrauen gehabt hätte, hätte er vom Tod seiner Eltern erzählt.

Er habe als Zuseher an Gottesdiensten und bei kirchlichen Festen teilgenommen. Es habe in der Gruppe streng gläubige Moslems gegeben, das sei aber für den Beschwerdeführer kein Thema gewesen. Er sei von anfang an sehr liberal gewesen.

Nachdem es gelungen war, einen Lehrplatz für den Beschwerdeführer zu finden sei der Beschwerdeführer zu seiner Lehrstelle übersiedelt. Der Zeuge1 sei nach wie vor über Facebook sowie telefonisch in Kontakt und fühle sich für den Beschwerdeführer mitverantwortlich. Der Zeuge1 gab auch an, dass der Beschwerdeführer ihn regelmäßig besuche und dass der Kontakt zu jenen, die Christen geworden seien, sehr gut sei. Dem Beschwerdeführer sei Toleranz und Offenheit wichtig, denn aus der Sicht des Zeugen1 sei der Beschwerdeführer in Europa angekommen. Der Beschwerdeführer sei Vollwaise, habe in den letzten Jahren stark an Selbstsicherheit und Auftreten gewonnen, auch durch die Kontakte zu österreichischen Familien und den Sport.

Befragung des Zeugen2:

Der Zeuge2 gab an, dass er den Beschwerdeführer beruflich kenne. Er sei Prokurist der Firma, bei welcher der Beschwerdeführer Zimmerlehrling sei. Er hätte einen sehr positiven Eindruck von dem Beschwerdeführer. Er würde aus der Gruppe der Lehrlinge positiv hervorstechen und gut in die Gruppe der Lehrlinge integriert sein. Der Beschwerdeführer sei sehr lernwillig und steche positiv aus der Gruppe der Lehrlinge hervor. Seine Vorgesetzten und Lehrlingsausbildner würden sich sehr positiv über den Beschwerdeführer äußern. Nachdem der Beschwerdeführer sich gut bewährt habe, würde die Firma ihn gerne nach Beendigung der Lehre weiter beschäftigen. Die Firma würde Lehre mit Matura unterstüzten, man könne in der Arbeitsvorbereitung oder im Konstrukteursbüro tätig sein.

Der Zeuge2 gab an, dass der Beschwerdeführer ein sehr gutes Beispiel für Integration in Österreich sei. Er zeige Einsatz im Betrieb und nehme an Verantaltungen teil. In seiner Freizeit würde er beim Volleyballverein spielen.

Befragung des Zeugen3:

Der Zeuge3 gab an, er habe den Beschwerdeführer in der Berufsschule im Zuge der freiwilligen Arbeit mit Asylwerbern kennen gelernt. Er habe sich darum gekümmert, dass sie dem Unterricht besser folgen könnten. Der Beschwerdeführer sei dem Zeugen3 aufgefallen, weil er selbständig lernen und selbst Wissen erwerben wollte und nur bei Bedarf auf seine Hilfe zurückgriffen hätte. Er habe ihn auf die Möglichkeit der Lehre mit Matura aufmerksam gemacht und der Beschwerdeführer sei von seiner Firma unterstützt worden. Der Beschwerdeführer habe dann die entsprechenden Kurse besucht. Über einen Freund des Zeugen3 habe er an Perkussiunsabenden teilgenommen. Der Beschwerdeführer habe schon viel von der österreichischen Kultur angenommen. Er habe auch nie erlebt, dass der Beschwerdeführer seine Religion ausübe. Der Beschwerdeführer könne dem Unterricht auf Deutsch problemlos folgen. Der Zeuge3 denke, dass der Beschwerdeführer oft mehr könne als er an der Schule zeigen würde. Mit dem Beschwerdeführer würde Österreich über einen tüchtigen Facharbeiter verfügen.

Am 15.11.2019 langte eine Stellungnahme zur Abkehr des Beschwerdeführers vom Islam und eine Urkundenvorlage beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Es wurde auf die LIB verwiesen und dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG dargelegt habe, dass er sich mittlerweile vollständig vom islamischen Glauben abgewandt habe. Die entsprechende Austrittsurkunde wurde vorgelegt. Er folge keiner Religion (mehr) und habe ein durch Selbstbestimmung geprägtes Menschenbild, nach dem er sich sehr gut an die österreichische Kultur angepasst und integriert habe. Apostasie werde in Afghanistan mit der Todesstrafe geahndet. Es sei daher im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer wegen Abfalls vom Islam bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteilen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konfrontiert wäre und ihm daher Asyl zu gewähren wäre, wobei ihm in Anbetracht der Tatsache, dass es sich beim Islam in Afghanistan um die Staatsreligion handle, zu der sich mehr als 99% der Einwohner bekennen würden, auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und war ursprünglich schiitischer Moslem. Er hat sich zwischenzeitig vollständig vom Islam abgewandt, den er allerdings auch in Afghanistan nur geringfügig und über sozialen Druck praktiziert hat. Der Beschwerdeführer ist zu keiner anderen Religion konvertiert und auch kein überzeugter Atheist, er glaubt wohl an ein höheres Wesen, aber an keine bestimmte Religion und praktiziert auch keine Religion. Die Eckpunkte seiner Überzeugung sind Menschlichkeit, Gleichberechtigung und ein respektvoller Umgang mit anderen Menschen, Religion empfindet er generell sinnlos.

Zu den ursprünglichen Fluchtgründen können mangels glaubhafter Angabe keine Feststellungen getroffen werden. Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 09.11.2015 irregulär nach Österreich ein, wobei er sogleich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer leidet unter keinen organischen Beschwerden, der Tod seines Vaters in Afghanistan belastet ihn jedoch nach wie vor. Er führt kein Familienleben in Österreich und ist unbescholten.

Der Beschwerdeführer hat die Zeit in Österreich außerordentlich dazu genutzt, sich hier zu integrieren, wobei er auch die westlichen Werte, insbesondere Gleichberechtigung der Frau, verinnerlicht hat. Der Beschwerdeführer pflegt auch zahlreiche Freundschaften zu Frauen und Männern. Er absolviert in Österreich im Zeitpunkt der Verhandlung eine Lehre als Zimmerer mit Matura.

In Österreich besuchte der Beschwerdeführer diverse Kurse. Er erwarb das Deutschzertifikat Niveau B1.

1.2 Zu Afghanistan wird folgendes Verfahrensbezogen festgestellt:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefägnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

Quellen:

-

1TV (31.10.2018): Suicide attack kills seven outside Kabul prison, http://www.1tvnews.af/en/news/

afghanistan/36271-suicide-attack-kills-seven-outside-kabul-prison? fbclid=IwAR2WADPVHTuF8LZMwm0-LYci05vz1p06BygjhELlFr-wLKNDNo8XQRLXnuQ, Zugriff 22.11.2018

-

AJ - Al Jazeera (21.11.2018): 'Brutal and barbaric': Victims recount horror of Kabul attack, https:// www.aljazeera.com/news/2018/11/barbaric-victims-recount-horror-kabul-attack- 181121162807917.html, Zugriff 22.11.2018

-

AJ - Al Jazeera (12.11.2018): Kabul: Suicide bomber targets protesters demanding security,

https://www.aljazeera.com/news/2018/11/afghanistan-suicide-bomber-targets-protesters-kabul- 181112094659291.html, Zugriff 22.11.2018

-

ANSA - Agenzia Nazionale Stampa Associata (12.11.2018):

Afghanistan: 67 morti in 24 ore, http:// www.ansa.it/sito/notizie/topnews/2018/11/12/afghanistan-67-morti-in-24-ore_71bfd73c-c68f-4182- a798-34b9ace3ae65.html, Zugriff 22.11.2018

-

Dawn (1.11.2018): Seven killed in suicide attack near Kabul prison,

https://www.dawn.com/news/1442782/seven-killed-in-suicide-attack-near-kabul-prison, Zugriff 22.11.2018

-

DZ - Die Zeit (20.11.2018): Mehr als 50 Tote bei Anschlag in Kabul,

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-11/afghanistan-kabul-explosion-anschlagattentat-ulema-rat-versammlung-tote, Zugriff 22.11.2018

-

DZ - Die Zeit (12.11.2018): Mehrere Tote bei Anschlag nahe Anti-Taliban-Demo,

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-11/kabul-anschlag-explosion-demonstration-talibanregierungstruppen-ghasni, Zugriff 12.11.2018

-

IFQ - Il Fatto Quotidiano (20.11.2018): Afghanistan, attacco kamikaze a Kabul durante incontro religioso: almeno 50 morti e 80 feriti gravi,

https://www.ilfattoquotidiano.it/2018/11/20/afghanistanattacco-kamikaze-a-kabul-durante-incontro-religioso-almeno-40-morti-e-80-feriti/4779194/, Zugriff 22.11.2018

-

KP - Khaama Press (12.11.2018): Protesters gather near Presidential Palace in Kabul over recent wave of violence, https://www.khaama.com/protesters-gather-near-presidential-palace-in-kabulover-recent-wave-of-violence-02722/?

fbclid=IwAR2cNyRcLjWNmzaEoWNieBq37J1eVAKL2aT_4yCqbU9HdYKpr30O1NoXe-g, Zugriff 22.11.2018

-

LE - L'Express (21.11.2018): Attentat à Kaboul : la lecture de verset du Coran soudain interrompue, raconte un blessé, https://www.lexpress.fr/actualites/1/monde/attentat-a-kaboul-lalecture-de-versets-du-coran-soudain-interrompue-raconte-un-blesse_2049660.html, Zugriff 22.11.2018

-

NYT - New York Times (20.11.2018): At Leas 55 Killed in Bombing of Afghan Religious Gathering,

https://www.nytimes.com/2018/11/20/world/asia/afghanistan-wedding-hall-bombing.html, Zugriff 22.11.2018

-

Pajhwok Afghan News (31.10.2018): Suicide blast in front of Pul-i-Charhi prison leave 6 people dead, https://www.pajhwok.com/en/2018/10/31/suicide-blast-front-pul-i-charkhi-prison-leave-6- people-dead, Zugriff 22.11.2018

-

SS - Stars and Stripes (20.11.2018): Suicide bomb attack in Kabul kills at least 43, wounds 83,

https://www.stripes.com/news/suicide-bomb-attack-in-kabul-kills-at-least-43-wounds-83-1.557397, Zugriff 22.11.2018

-

TNAE - The National (21.11.2018): Kabul reels in grief after wedding hall attack,

https://www.thenational.ae/world/asia/kabul-reels-in-grief-after-wedding-hall-attack-1.794365, Zugriff 22.11.2018

-

Tolonews (20.11.2018): Death Toll Rises To 50 In Kabul Wedding Hall Explosion,

https://www.tolonews.com/afghanistan/40-killed-80-wounded-kabul-wedding-hall-blast, Zugriff 22.11.2018

-

Tolonews (12.11.2018): MoI Confirms 6 Death In Kabul Explosion, https://www.tolonews.com/afghanistan/casualties-feared-explosion-rocks-kabul, Zugriff 22.11.2018

-

TS - Tagesschau (21.11.2018): Deutschland verurteilt Anschlag in Kabul, https://www.tagesschau.de/ausland/anschlag-kabul-135.html, Zugriff 22.11.2018

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Milionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Milionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Anmerkung: Weiterführende Informationen über den Wahlprozess in Afghanistan können der KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018 entnommen werden.

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED

[Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

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(UNAMA 10.10.2018)

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018).

Regierungfreundliche Gruppierungen waren für 1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

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(UNAMA 10.10.2018)

Quellen:

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AAN - Afghanistan Analysts Network (26.10.2018): Before Election

Day Three: Looking at Kandahar's upcoming vote, https://www.afghanistan-analysts.org/before-election-day-threelooking-at-kandahars-upcoming-vote/, Zugriff 29.10.2018

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AAN - Afghanistan Analysts Network (21.10.2018a): Election Day One (Evening Update): Voter determination and technical shambles, https://www.afghanistan-analysts.org/election-day-oneevening-update-voter-determination-and-technical-shambles/ Zugriff 22.10.2018

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AAN - Afghanistan Analysts Network (21.10.2018b): Election Day Two: A triumph of administrative chaos, https://www.afghanistan-analysts.org/election-day-two-a-triumph-of-administrative-chaos/, Zugriff 22.10.2018

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AAN - Afghanistan Analysts Network (20.10.2018): Election Day One:

A rural-urban divide emerging,

https://www.afghanistan-analysts.org/election-day-one-a-rural-urban-divide-emerging/, Zugriff 22.10.2018

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AFP - Agence France Presse (20.10.2018): Nearly 170 casualties as violence rocks chaotic Afghan elections, https://www.afp.com/en/news/15/nearly-170-casualties-violence-rocks-chaoticafghan-elections-doc-1a599v9, Zugriff 22.10.2018

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AJ - Al Jazeera (19.10.2018): Afghanistan: Kandahar elections delayed by a week after killings, https://www.aljazeera.com/news/2018/10/afghan-election-polls-kandahar-delayed-week- 181019082632025.html Zugriff 22.10.2018

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CNN - Cable News Network (27.10.2018): Kandahar goes to the polls in Afghan parliamentary vote delayed by violence, https://edition.cnn.com/2018/10/27/asia/afghan-elections-kandahar-intl/ index.html, Zugriff 29.10.2018

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LS - La Stampa (21.10.2018): Ancora sangue sul secondo giorno di voto in Afghanistan,

http://www.lastampa.it/2018/10/21/esteri/ancora-sangue-sul-secondo-giorno-di-voto-inafghanistan-quhK2AP00HBuCKGBEHU8TN/pagina.html, Zugriff 22.10.2018

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RN - Rainews (21.10.2018): Chiusi I seggi in Afghanistan, 4 milioni al voto nonostante gli attacchi dei Talebani, http://www.rainews.it/dl/rainews/articoli/Chiusi-i-seggi-in-Afghanistan-4-milioni-alvoto-nonostante-gli-attacchi-52f120d0-cda8-4c1c-b469-363549cb767c.html, Zugriff 22.10.2018

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UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (10.10.2018),

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_armed_conflict_ 3rd_quarter_report_2018_10_oct.pdf, Zugriff 25.10.2018

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3 / Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah- Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018).

Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der

Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

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(BFA Staatendokumentation 15.10.2018a)

Im Folgenden wird das Verhältnis zwischen den diversen sicherheitsrelevanten Vorfällen für den Zeitraum 1.4.2018 - 30.9.2018 durch eine Grafik der Staatendokumentation veranschaulicht.

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(BFA Staatendokumentation 15.10.2018b)

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018).

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(UNAMA 15.7.2018)

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und - prävention" und das Protokol V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Parlaments- sowie Distriktwahlen endete am 12.6.2018 bzw. 14.6.2018 und die Kandidatenliste für die Parlamentswahlen wurde am 2.7.2018 veröffentlicht (UNGASC 10.9.2018). Am 25.9.2018 wurde vom Sprecher der Independent Electoral Commission (IEC) verkündet, dass die landesweiten Distriktwahlen sowie die Parlamentswahlen in der Provinz Ghazni am 20.10.2018 nicht stattfinden werden (im Rest des Landes hingegen schon). Begründet wurde dies mit der niedrigen Anzahl registrierter Kandidaten für die Distriktwahlen (nur in 40 von 387 Distriktenwurden Kandidaten gestellt) sowie mit der "ernst zu nehmenden Sicherheitslage und anderen Problematiken". Damit wurden beide Wahlen (Distriktwahlen landesweit und Parlamentswahlen in Ghazni) de facto für 2018 abgesagt. Obwohl noch nicht feststeht, wann diese nachgeholt werden sollen, ist der 20.4.2019, an dem u.a. die Präsidentschafts- sowie Provinzwahlen stattfinden sollen, als neuer Termin wahrscheinlich (AAN 26.9.2018). Die Registrierung der Kandidaten für die Präsidentschaftswahl ist für den Zeitraum 11.11.2018 - 25.11.2018 vorgesehen; die vorläufige Kandidatenliste soll am 10.12.2018 bereitstehen, während die endgültige Aufstellung am 16.1.2019 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018). Ohne die Provinz Ghazni sank die Zahl der registrierten Wähler mit Stand Oktober 2018 auf ungefähr 8.8 Milionen (AAN 9.10.2018; vgl. IEC o. D.). Die Verkündung der ersten Wahlergebnisse für die Parlamentswahlen (ohne Provinz Ghazni) ist für den 10.11.2018 vorgesehen, während das Endergebnis voraussichtlich am 20.12.2018 veröffentlicht werden soll (AAN 9.10.2018).

Im April und Oktober 2018 erklärten die Taliban in zwei Stellungnahmen, dass sie die Wahl boykottieren würden (AAN 9.10.2018). Angriffe auf mit der Ausstellung von Tazkiras sowie mit der Wahlregistrierung betraute Behörden wurden berichtet. Sowohl am Wahlprozess beteiligtes Personal als auch Kandidaten und deren Unterstützer wurden von regierungsfeindlichen Gruppierungen angegriffen. Zwischen 1.1.2018 und 30.6.2018 wurden 341 zivile Opfer (117 Tote und 224 Verletzte) mit Bezug auf die Wahlen verzeichet, wobei mehr als 250 dieser Opfer den Anschlägen Ende April und Anfang Mai in Kabul und Khost zuzuschreiben sind. Auch wurden während des Wahlregistrierungsprozesses vermehrt Schulen, in denen Zentren zur Wahlregistrierung eingerichtet worden waren, angegriffen (39 Angriffe zwischen April und Juni 2018), was negative Auswirkungen auf die Bildungsmöglichkeiten von Kindern hatte (UNAMA 15.7.2018). Seit dem Beginn der Wählerregistrierung Mitte April 2018 wurden neun Kandidaten ermordet (AAN 9.10.2018).

Von den insgesamt 7.366 Wahllokalen werden aus Sicherheitsgründen letztendlich am Tag der Wahl 5.100 geöffnet sein (AAN 9.10.2018; vgl. UNAMA 17.9.2018, Tolonews 29.9.2018). Diese sollen während der fünf Tage vor der Wahl von 54.776 Mitgliedern der Afghan National Security Forces (ANSF) bewacht werden; 9.540 weitere stehen als Reserven zur Verfügung (Tolonews 29.9.2018; vgl. AAN 9.10.2018).

Quellen:

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AAN - Afghanistan Analysts Network (9.10.2018): Afghanistan Election Conundrum (16): Basic facts about the parliamentary elections,

https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistan-electionconundrum-16-basic-facts-about-the-parliamentary-elections/, Zugriff 19.10.2018

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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