TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/6 W215 2145458-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.02.2020
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Entscheidungsdatum

06.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W215 2145458-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Bundesrepublik Somalia, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht über den Antrag auf internationalen Schutz vom 30.04.2015, Zahl 15-1066732800-150446036, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen, zu Recht:

A)

I. Der Antrag von XXXX auf internationalen Schutz vom 30.04.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, abgewiesen.

II. Der Antrag auf internationalen Schutz von XXXX wird bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bundesrepublik Somalia gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird

XXXX gemäß § 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, nicht erteilt. Gemäß

§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, wird gegen XXXX eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, festgestellt, dass die Abschiebung von XXXX gemäß § 46 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, in die Bundesrepublik Somalia zulässig ist. Gemäß § 55 FPG, in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise von XXXX 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Antragsteller reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet und stellte am 30.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 01.05.2015 erfolgte die Erstbefragungen des Antragstellers, in der dieser, in Gegenwart eines Dolmetschers seiner Muttersprache Somali, zusammengefasst angab, nach moslemischem Ritus mit seiner Lebensgefährtin verheiratet und Vater eines Sohnes sowie einer Tochter zu sein. Seine Mutter sei XXXX Jahre alt, sein Vater sei bereits verstorben, drei Brüder und seine Schwester ebenfalls. Der Antragsteller gehöre dem Clan der Asharaf an, sei zwölf Jahre in XXXX zur Schule gegangen. Seine Familie habe diese Reise organisiert und dafür 4.000.- US$ bezahlt. Zu seinem Fluchtgrund gab der Antragsteller an:

"...11. Warum haben Sie ihr Land verlassen (Fluchtgrund):

Ich bin im Jahr 1990 mit meinen Eltern vom Krieg in Somalia geflohen und haben bis Jänner 2013 in XXXX , Syrien gelebt. Nachdem auch in Syrien ein Krieg begann und mein Vater und meine Geschwister getötet wurden, floh ich in die XXXX . Dort blieb ich 2 Jahre und wollte dann weiter nach Österreich. Ich habe keine Zukunft mehr und kein Heim in Syrien gehabt. Sonst habe ich keine weiteren Fluchtgründe.

[...]

Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?

Ich fürchte um mein Leben. Ich möchte nicht mehr zurück, ich will hier arbeiten..." (niederschriftliche Befragung am 01.05.2015).

Der Antragsteller brachte ein einseitiges, zweisprachiges Schreiben von XXXX vom XXXX in Vorlage, wonach er in der XXXX .

Am 17.10.2016 brachte der Rechtsanwalt des Antragstellers eine Säumnisbeschwerde beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein.

2. Am 24.01.2017 langten die Aktenvorlagen vom 20.01.2017 im Bundesverwaltungsgericht ein.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.02.2017 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl beauftragt gemäß § 19 Abs. 6 AsylG den Antragsteller im Säumnisbeschwerdeverfahren niederschriftlich zu befragen.

Am 27.04.2017 erfolgte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine ausführliche niederschriftliche Befragung des Antragstellers. Darin gab dieser zusammengefasst an, dass er sich an seine Angaben in der Erstbefragung 01.05.2015 erinnern könne, diese vollständig seinen und er damals alles wahrheitsgemäß angegeben habe. Der Antragsteller sei in XXXX in Somaliland geboren und lebe mit seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen Kindern aktuell in XXXX . Der Antragsteller habe von XXXX in der Bundesrepublik Somalia die Grundschule besucht. Von XXXX habe der Antragsteller für die XXXX gearbeitet und im Jahr 2007 seine Lebensgefährtin in der Syrischen Arabischen Republik kennengelernt und diese ein Jahr später nach moslemischem Ritus geheiratet. Nachdem ein XXXX bei dessen XXXX , habe in Folge das XXXX verlassen müssen und sei in seinen Herkunftsstaat, Bundesrepublik Somalia, gereist, wo sich sein Fluchtgrund ereignet habe:

Seine Mutter, die dem Clan der Midgaan angehöre und aus XXXX stamme, sei dort Eigentümerin eine große Landwirtschaft. Der Antragsteller habe 36.000.- USD gespart gehabt, das Geld habe er für den Schlepper und die Tickets ausgegeben, zudem seien ihm noch 10.000.- USD geraubt worden. Der Antragsteller habe in XXXX in Somaliland leben wollen, da er in XXXX gesucht werde. Er sei mit den Grundstückspapieren Anfang Februar 2012 in der Früh zum Grundstück seiner Mutter gereist. Man habe ihn aber, nachdem er in der Früh zu "diesen Personen" (Anmerkung: wörtliches Zitat) gegangen sei, angegriffen und er sei von ihnen bis Sonnenuntergang festgehalten worden. Der Antragsteller habe den Vorfall noch am selben Tag bei der Polizei im XXXX gemeldet uns sei aufgefordert worden am nächsten Tag mit den Grundstückspapieren im Original zu erscheinen. Er sei am nächsten Tag in der Polizeistation festgenommen und nach seinem Clan und Vorleben gefragt worden. Man habe den Antragsteller geschlagen und bei ihm seinen XXXX gefunden. Der Antragsteller lehnte es ab ein Dokument, wonach er mit der Zentralregierung zusammenarbeite, zu unterschreiben; ebenso ein Dokument wonach er mit Khartumo State zusammenarbeite. Am Abend (Variante: erst nach einer Woche in der Nacht) sei der Antragsteller von einem Offizier und Soldaten gefoltert worden. Man habe den Antragsteller zwei Wochen lang (Variante: 15 bis 20 Tage) angehalten, er sei jeden Tag von anderen Offizieren gefoltert und danach in das XXXX , verlegt worden, wo man den Antragsteller vier Monate angehalten habe. Dann habe der Antragsteller einem Richter bei Gericht wahrheitsgemäß seine ganze Geschichte erzählt. Der Richter habe gesagt, dass Midgan Diener seien und keine Landwirtschaft besitzen würden und der Antragsteller nicht dort leben könne, da er aus XXXX stamme. Gegen die Bezahlung einer Strafe in der Höhe von 2.000.- USD sei der Antragsteller aus der Haft entlassen worden und habe Somaliland wegen eines vom Richter verhängten Landesverweises verlassen müssen. Sollte er zurückkehren würde er mit zehn bis fünfzehn Jahren Haft bestraft werden. Der Antragsteller wisse nicht, welche Straftat ihm vom Richter vorgeworfen worden sei und habe keine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Urteils erhalten. Nach der Haftentlassung sei der Antragsteller nach XXXX gereist.

Vor dieser Reise nach Somaliland habe der Antragsteller von XXXX für die XXXX gearbeitet, wobei er zunächst vier Jahre als XXXX tätig war und XXXX zur XXXX wechselte, wo er für die XXXX zuständig gewesen sei. Im Jahr XXXX habe der Antragsteller zur XXXX , im XXXX gewechselt und dort im Bereich XXXX gearbeitet. Nach Drohungen und vieler Probleme mit reichen, einflussreichen Somaliern, welche XXXX , ließ sich der Antragsteller (wieder) ins XXXX . Nachdem ein XXXX , bei dessen XXXX . Der Antragsteller werde in XXXX gesucht, weil er in XXXX als er für die XXXX gearbeitet, aufgedeckt habe, dass mächtige Personen aus Somalia in XXXX aber tatsächlich an militärische Gruppierungen wie z.B. al-Schabaab gesendet wurde. Da die XXXX . Der Antragsteller habe Bekannte die für die XXXX und der Bundesrepublik Somalia arbeiten würden und eine Person, die XXXX , hätte dem Antragsteller gesagt, dass er nicht nach XXXX einreise dürfe, weil er als XXXX gesucht werde. Jeder habe gewusst, dass der Antragsteller bei der XXXX . Ein Arbeitskollege des Antragstellers, der in XXXX gearbeitet habe, sei nach Somalia gereist und dort "geschlachtet" (Anmerkung: wörtliches Zitat) worden. Weiters gab der Antragsteller wörtlich an:

"...F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben sie im Herkunftsland, oder hier Strafrechtsdelikte begangen?

A: Nein, ich habe niemals ein Verbrechen begangen. Ich bin auch in keinem Land vorbestraft.

Denkpause.

A: Außer die Vorstraft in Somalia. Ich wurde auch in XXXX , weil ein XXXX ist..."

Der Antragsteller sei XXXX gekündigt worden und werde von somalischen XXXX , wegen der XXXX , gesucht. Der Antragsteller sei nie wegen seiner Clanzugehörigkeit verfolgt worden und werde nur wegen seiner beruflichen Tätigkeit in XXXX gesucht, sei Namen sei am XXXX veröffentlicht und er werde bei seiner Einreise verhaftet werden. Auf mehrfache Nachfrage gab der Antragsteller an, alles umfassend und vollständig erzählt zu haben und keine weiteren Gründe für seine Asylantragstellung nennen zu können und gab kurz danach wörtlich an: "...Ich wurde von der Polizei in Österreich aufgegriffen. Ich war auf dem Weg zu meiner Schwester nach Großbritannien [...] Ich kann Beweismittel besorgen. Ich wurde vor XXXX bin..."

Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 09.08.2018 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, in Gegenwart eines Dolmetschers der Muttersprache des Antragstellers Somali, anberaumt. Es erschienen der Antragsteller und sein Rechtsanwalt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde geladen, erschien aber nicht zur Verhandlung. Auf Grund der fortgeschrittenen Zeit musste die Verhandlung vertagt werden und wurde am 12.07.2019 fortgesetzt. Es erschienen wieder der Antragsteller und sein Rechtsanwalt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich mit Schreiben vom 14.11.2018 entschuldigt. Auf Grund der fortgeschrittenen Zeit musste die Verhandlung ein letztes Mal vertagt werden und wurde am 26.11.2019 fortgesetzt. Es erschienen wieder der Antragsteller und sein Rechtsanwalt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte sich schriftlich am 19.09.2019 entschuldigt. In allen drei Verhandlungen wurde zu Beginn jeweils ausdrücklich zugestimmt, dass diese ohne Rechtsberater, der nie erschienen war, stattfinden sollten. In der Verhandlung am 26.11.2019 wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan. Der Antragsteller und sein Rechtsanwalt verzichteten auf Einsichtnahme und Ausfolgung. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Verfahrensparteien vor Schluss der Verhandlung eine zweiwöchige Frist zur Abgabe von Stellungnahmen ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1. Die Identität des Antragstellers kann nicht festgestellt werden. Der Antragsteller ist moslemischer Staatsangehörige der Bundesrepublik Somalia, seine Familie stammt ursprünglich aus Somaliland, wo sie problemlos leben konnte, bis sie sich entschied im XXXX , zu leben, wo der Antragsteller jahrelang problemlos mit seiner Familie lebte und zur Schule ging.

Später lebte der Antragsteller im XXXX und arbeitet dort für XXXX . Er wurde immer wieder wegen seiner guten Arbeit XXXX . Es kann nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller sich etwas zur Schulden kommen ließ und XXXX . Jedenfalls zog er, nachdem er XXXX einige Jahre sehr gut verdient hatte, in die Syrischen Arabischen Republik, wo er mit seiner Mutter, seiner Lebensgefährtin und den beiden Kindern ein gutes Leben führte, bis dort die allgemeine Lage zu unsicher wurde und sie in die XXXX reisten, wo sie am XXXX von XXXX wurden.

Der Antragsteller ist seit 2008 nach moslemischem Ritus verheiratet, wollte aber ohne seine Mutter, seine Lebensgefährtin und seine beiden Kinder im Jahr 2015 von der XXXX zu seiner in Großbritannien lebenden Schwester reisen, wobei er unterwegs wegen seines illegalen Aufenthaltes in Österreich aufgegriffen und festgenommen wurde; erst in Folge stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Es kann weder festgestellt werden, dass der Vater und zwei Brüder des Antragstellers im Jahr 1990 während kämpferischer Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik Somalia starben noch, dass der Vater, seine drei Brüder und die Schwester des Antragstellers im Jahr 2013 in XXXX , während kämpferischer Auseinandersetzungen in der Syrischen Arabischen Republik, getötet wurden.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass die Mutter des Antragstellers dem Clan der Madhiban angehört, oder, dass der Antragsteller im Februar 2012 in XXXX , in Somaliland, festgenommen und in Folge monatelang in XXXX , in Somaliland, in Haft war oder von einem Gericht in Somaliland verurteilt oder aus Somaliland ausgewiesen wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller von XXXX oder sonstigen Personen in XXXX gesucht wird.

Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller wegen seiner behaupteten Zugehörigkeit zum Clan der Asharaf in der Bundesrepublik Somalia jemals Übergriffen ausgesetzt war oder sein wird.

3. Die Familie und der Clan des gesunden Antragstellers konnte bis zu dessen Ausreise aus der Bundesrepublik Somalia immer problemlos den Lebensunterhalt in Somaliland und später in XXXX erwirtschaften. Nach seiner Eheschließung nach moslemischem Ritus im Jahr 2008 konnte der Antragsteller für sich und seine Familie immer problemlos den Lebensunterhalt erwirtschaften. Der Antragsteller ist nicht arm und konnte sich die Reisekosten in der Höhe von USD 4.000.- zu seiner in Großbritannien lebenden Schwester leisten.

4. Der Antragsteller hat zuletzt jahrelang problemlos im Herkunftsstaat im XXXX , gelebt, wohin er jedenfalls über den XXXX zurückkehren kann. In XXXX leben Angehörige des vom Antragsteller angegebenen Clans.

Der Antragsteller hat keine Verwandten im Bundesgebiet. Seine Mutter, seien Ehegattin und seine Kinder lebten zuletzt als von XXXX . Der Antragsteller gibt an, den aktuellen Aufenthaltsort seiner Familie nicht zu kennen.

Der Antragsteller hat am XXXX bei der Vorbereitung eines Projekts für Asylwerber mitgeholfen. Er hat zudem von XXXX , während seines Aufenthalts in seinem Wohnheim für Asylwerber, dort im Bereich Küche beim Abwasch verlässlich mitgeholfen und auch bei der Reinigung der Unterkunft. Der Antragsteller hat von XXXX in einem Wohnheim in der Küche mitgeholfen und bei der Reinigung. Er hat am XXXX an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Der Antragsteller besucht keinen Deutschkurs, hat bis dato immer noch keine Deutschprüfung bestanden und konnte sich bis zur dritten Beschwerdeverhandlung am 26.11.2019 immer noch kaum bzw. nur in gebrochenem Deutsch verständlich machen. Er ist in Österreich nicht in der Lage seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und lebt seit seiner illegalen Einreise von der Bundesbetreuung.

5. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Antragstellers wird festgestellt:

Allgemein

In der Bundesrepublik Somalia leben schätzungsweise 15,45 Millionen Menschen (2019, World Population Review [AA Überblick Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019]).

Im Hinblick auf beinahe alle zu beleuchtenden Tatsachen ist Somalia faktisch zweigeteilt:

a) In den Gliedstaaten Süd- und Zentralsomalia, wo auch die Hauptstadt Mogadischu liegt, herrscht in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der vom VN-Sicherheitsrat mandatierten Friedensmission der Afrikanischen Union AMISOM (African Union Mission in Somalia) gegen die radikalislamistische, al-Qaida-affiliierte al-Schabaab-Miliz. Die Gebiete sind nur teilweise unter der Kontrolle der Regierung, wobei zwischen der im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkten Kontrolle der somalischen Bundesregierung und der Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete durch die Regierungen der föderalen Gliedstaaten Somalias, die der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen, unterschieden werden muss. Weite Gebiete stehen aber auch unter der Kontrolle der al-Schabaab-Miliz oder anderer Milizen. Diese anderen Milizen sind entweder entlang von Clan-Linien organisiert oder, im Falle der Ahlu Sunna Wal Jama'a, auf Grundlage einer bestimmten religiösen Ausrichtung. Zumindest den al-Schabaab-Kräften kommen als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihnen kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu. Der Gliedstaat Puntland State of Somalia, der das Horn von Afrika im engeren Sinne umfasst, hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an und ist einer der fünf offiziellen föderalen Gliedstaaten Somalias, wenngleich mit größerer Autonomie. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden. Al-Schabaab kontrolliert hier keine Gebiete mehr, sondern ist nur noch in wenigen schwer zugänglichen Bergregionen mit Lagern vertreten, ebenso wie der somalische Ableger des sog. "Islamischen Staats". Stammesmilizen spielen im Vergleich zum Süden eine untergeordnete Rolle. Allerdings ist die Grenzziehung im Süden sowie im Nordwesten nicht eindeutig, was immer wieder zu kleineren Scharmützeln, im Süden auch zu schwereren gewaltsamen Auseinandersetzungen führt.

b) Das Gebiet der früheren Kolonie Britisch-Somaliland im Nordwesten Somalias hat sich 1991 für unabhängig erklärt, wird aber bisher von keinem Staat anerkannt. Allerdings bemühen sich die Nachbarn in der Region sowie zunehmend weitere Staaten in Anerkennung der bisherigen Stabilisierungs- und Entwicklungsfortschritte um pragmatische Zusammenarbeit. Das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wurde durch die mehrfache Verschiebung der Parlamentswahlen und schwerwiegende Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem Abkommen zum Betrieb des Hafens von Berbera auf die Probe gestellt. Al-Schabaab kontrolliert in Somaliland keine Gebiete. Die Grenze zu Puntland ist allerdings umstritten, hier kam es im Berichtszeitraum zu zum Teil heftigen militärischen Auseinandersetzungen zwischen somaliländischen und somalischen (puntländischen) Truppen.

Grundsätzlich gilt, dass die vorhanden staatlichen Strukturen sehr schwach sind und wesentliche Staatsfunktionen von ihnen nicht ausgeübt werden können. Von einer flächendeckenden effektiven Staatsgewalt kann nicht gesprochen werden (AA 04.03.2019).

Seit 2012 gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 01.08.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten, waren es 2016 über 14.000 Wahlleute. Allgemeine freie Wahlen bleiben das Ziel für 2020/21. Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed, genannt "Farmajo", zum Präsidenten, und im März bestätigte es Hassan Ali Khaire als Premierminister und das neue Kabinett. Die Regierung von Präsident Farmajo verfolgt eine intensive Reformagenda in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Sicherheit. Allerdings stehen mächtige Teile der Clan-Eliten der Regierung und ihrem Reformkurs kritisch gegenüber. Hinzu kommen immer wieder Spannungen in den Beziehungen Mogadischus zu den föderalen Gliedstaaten, die den politischen und wirtschaftlichen Fortschritt des Landes lähmen (AA Innenpolitik Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019).

Die Wahl des relativ unerfahrenen Farmajo als Präsident markiert den vorläufigen Endpunkt eines somalischen Experimentes, das im Oktober 2016 mit der Wahl von erstmalig zwei Parlaments-Kammern begann. Eine allgemeine und freie Wahl ist in dem von Anarchie geprägten Land nach wie vor nicht möglich. Doch die Zahl von 14.024 Wahlmännern ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber früheren Wahlen, als der Sieger unter gerade einmal 135 Clanchefs ausgekungelt wurde. Auch die Gründung föderaler Verwaltungsregionen ist ein wichtiger Schritt. Schließlich konnten die Medien zur Wahl relativ frei agieren und Korruption und Wahlverschiebung anprangern - auch das ein gutes Zeichen (DW 09.02.2017).

Mehr als jeder andere Präsident in Somalias unruhiger Geschichte, trifft Mohamed Abdullahi Mohamed beim Amtsantritt auf eine Welle von Unterstützung, Goodwill und Optimismus. Tausende von jubelnden Menschen gingen am Mittwoch spät auf die Straßen von Mogadischu, nachdem Mohamed, besser bekannt unter dem Spitznamen Farmajo, vom Parlament Somalias in einer Art Erdrutschsieg gewählt wurde. Es kam zu Straßensperren und Freudenschüssen, Unterstützer skandierten Farmajos Namen und Autohupen hießen ihn als neuen Präsidenten willkommen. Ähnliche Feiern brachen in Städten in ganz Somalia aus, sowie in den Städten Garissa und Eastleigh in Kenia; in beiden findet sich eine somalische Mehrheitsbevölkerung. Trotz aller Anzeichen waren die Feierlichkeiten ein Spiegelbild der aufrichtigen öffentlichen Unterstützung für Farmajo. Er ist 55 Jahre alt, besitzt die Somalisch-U.S. amerikanische Doppelstaatsbürgerschaft und war zuvor in der Jahren 2010 und 2011 acht Monate lang Premierminister Somalias (VOA 09.02.2017).

Der Sicherheitsrat begrüßt den Abschluss des Wahlprozesses in Somalia und die Wahl von Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmajo". Der Sicherheitsrat würdigt die Dienste des ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud und lobt den raschen und gütlichen Machtübergang in Somalia. Der Sicherheitsrat begrüßt die seit 2012 in Somalia erzielten politischen und sicherheitsbezogenen Fortschritte und unterstreicht, dass die Dynamik in Richtung auf eine demokratische Regierungsführung in Somalia aufrechterhalten werden muss. Der Sicherheitsrat würdigt die stärkere Teilhabe und Vertretung der Bevölkerung Somalias in dem Wahlprozess (UN Sicherheitsrat 10.02.2017).

Präsident Farmajo war während Sheikh Sharifs Präsidentschaft Premierminister (von Okt 2010 bis Juni 2011) und trat aufgrund politischer Differenzen mit dem Präsidenten und dem Sprecher zurück. Präsident Farmajo hat die somalische sowie die US-Staatsbürgerschaft. Präsident Farmajo ist der erste somalische Präsident des Darood-Clans (Marehan Sub-Clan) seit 2008; hingegen gehören beide Sheikh Sharif und Hassan Sheikh zu den Hawiye (Abgaal Sub-Clan). Präsident Farmajo hat angeblich auch gute Beziehungen zum Militär was einige Kommentatoren als ein viel versprechendes Zeichen für Stabilität sehen (Europäische Kommission Februar 2017).

Seit dem Ende der Übergangsperiode und dem Beginn des New Deal Prozesses 2013 wurde wiederholt der politische Wille zur umfassenden Reform des Staatswesens (Etablierung von Rechtsstaatlichkeit, Schutz von Menschenrechten, Demokratisierung, Föderalisierung) bekundet. 2016 und 2017 konnten mit der Gründung der Gliedstaaten und einem relativ demokratisch erfolgten Machtwechsel wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus erreicht werden. In den anderen Bereichen ist die Situation nach wie vor mangelhaft. Insbesondere das Verhalten der Sicherheitskräfte, Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems und die Lage im Justizvollzug entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes (AA 04.03.2019).

UN-Generalsekretär Antonio Guterres ernannte am 12.09.2018 mit Wirkung vom 01.10.2018 den Südafrikaner Nicholas "Fink" Haysom zum Sondergesandten für Somalia und Nachfolger von Michael Keating. Haysom ist derzeit Sondergesandter für Sudan und Südsudan. Unter Nelson Mandela diente er als Chefberater für Rechts- und Verfassungsfragen (BAMF 24.09.2018).

Der UN Security Council verlängerte am 27.03.2019 das Mandat der UN-Hilfsmission in Somalia (UNSOM) bis zum 31.03.2020 (BAMF 01.04.2019).

ad a) Somalia

Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen, insbesondere Clan-Strukturen, vergeben. Traditionell benachteiligte Gruppen wie Frauen, Jugendliche, ethnische Minderheiten, LGBTI, Behinderte usw. sehen sich somit nicht oder nicht hinreichend vertreten Im November und Dezember 2016 wurde von über 14.000 Wahlmännern und -frauen ein 275-köpfiges Parlament gewählt. Dieser Prozess ist ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt, da noch bei der letzten "Wahl" die Mitglieder des Parlaments unmittelbar durch einzelne Clanälteste bestimmt worden waren. Die Präsidentschaftswahl fand am. 8. Februar 2017 statt, als Gewinner ging der frühere Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmajo" hervor, am 29. März wurde die neue Regierung unter Premierminister Hassan Ali Khayre bestätigt und vereidigt (AA 04.03.2019).

Jubalands Sicherheitsminister Abdirashid Hassan Abdinur (Abdirashid Janan) wurde am 31.08.2019 von der somalischen Bundesregierung (FGS) in Mogadischu verhaftet. Ihm werden verschiedene Verbrechen vorgeworfen, darunter Tötungen, Folter, rechtswidrige Inhaftierungen und die Blockierung der humanitären Hilfe in 2014 und 2015. Amnesty International fordert einen fairen Gerichtsprozess vor einem Zivilgericht. Die Regierung Jubalands nannte die Verhaftung eine "Entführung" und "illegal". Die Verhaftung erfolgt in einer Zeit zunehmender Spannungen zwischen der FGS und der Regionalverwaltung in Jubaland: im August weigerte sich die Bundesregierung, die Ergebnisse der Bundestagswahlen anzuerkennen, die Ahmed Madobe erneut zum Regionalpräsidenten wählten (BAMF 09.09.2019).

ad b) Somaliland

In Somaliland wurden zuletzt 2005 Parlamentswahlen abgehalten. Im November 2017 wurde Muse Bihi zum Präsidenten von Somaliland gewählt (USDOS 13.03.2019).

Somaliland hat seit der Erklärung der Unabhängigkeit 1991 mehrere allgemeine Wahlen erlebt. Aufgrund dieser Wahlen gab es friedliche Machtwechsel, zuletzt 2010. Die eigentlich für 2015 vorgesehenen Parlamentswahlen wurden mehrfach verschoben und sind nun für den Ende 2019 vorgesehen. Das Oberhaus, die Guurti, geht damit in das dreizehnte Amtsjahr, ohne wiedergewählt zu sein. Auch die Präsidentschaftswahl hatte sich mehrfach verzögert, bevor sie Mitte November 2017 stattfand. Die Kulmiye Partei bleibt demnach führende Partei, jedoch stellte Amtsinhaber Silanyo sich nicht erneut zur Wahl und wurde von Muse Bihi Abdi abgelöst. Obwohl in der Vergangenheit alle Wahlen international begleitet wurden, war im Vorfeld regelmäßig eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit zu beobachten (AA 04.03.2019).

Das Verhältnis zwischen dem im Nordwesten gelegenen Somaliland, das sich 1991 für unabhängig erklärt hat, und dem Rest des Landes ist problematisch. Der in Somaliland etablierten de facto-Regierung ist es gelungen, ein für die Region durchaus bemerkenswertes Maß an Stabilität und Ordnung herzustellen - selbst wenn es an der Grenze zu Puntland immer wieder kleinere Scharmützel mit dort beheimateten Milizen und in letzter Zeit demokratische Rückschritte festzustellen gibt. Am 13.11.2017 erfolgten nach zweijähriger Verzögerung Präsidentschaftswahlen, die von Beobachtern als weitgehend frei und fair eingeschätzt wurden. Für Ende 2019 sind außerdem - zum ersten Mal seit 2005 - Parlamentswahlen geplant. Somaliland hat trotz eines entsprechenden Antrags bei der Afrikanischen Union die angestrebte Anerkennung als unabhängiger Staat nicht erreichen können. Von einer Aussöhnung mit der Regierung in Mogadischu im Kontext einer friedlichen und definitiven Lösung der Statusfrage sind beide Seiten noch weit entfernt. Bei dem von der Türkei unterstützten "Istanbuler Dialog" konnten atmosphärische Fortschritte zwischen den beiden Verhandlungsteams aus Hargeisa und Mogadischu erreicht werden. Der nach den letzten Präsidentschaftswahlen in 2017 erhoffte neue Dialog zum Status von Somaliland liegt derzeit wieder auf Eis nicht zuletzt im Zuge einer Vereinbarung Somalilands mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Äthiopien über den Ausbau des Hafens von Berbera, die zu erheblichen Spannungen mit der somalischen Bundesregierung in Mogadischu führte (AA Innenpolitik Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019).

(AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Innenpolitik, Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/-/203162

UN Sicherheitsrat, Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats zur Situation in Somalia, 10.02.2017, http://www.un.org/depts/german/sr/sr_17/sp17-03.pdf

DW, Deutsche Welle, Kommentar, Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? 09.02.2017, http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267

VOA, Voice of America, Somalis Optimistic about New President, 09.02.2017,

http://www.voanews.com/a/hopes-high-somalia-s-new-president-will-improve-security/3716301.html

AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2019, 04.03.2019

Europäische Kommission, Somalia 2016-2017; limited election process; EU election expert mission; final report; Framework Contract Beneficiaries, LOT 7 Specific Contract N° 2016/377703/1; 13 September 2016 - 16 February 2017, Februar 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1408355/1226_1505130012_eu-eem-somalia-final-report.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 24.09.2018,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1445536/1226_1539002669_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-24-09-2018-deutsch.pdf

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 01.04.2019,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2006127/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_01.04.2019_%28deutsch%29.pdf

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Überblick, Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/somalia/203130

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 09.09.2019,

https://www.ecoi.net/en/file/local/2016900/Deutschland___Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_09.09.2019_%28deutsch%29.pdf)

Parteiensystem

ad a) Somalia

Es gibt keine Parteien im westlichen Sinn. Die politischen Loyalitäten bestimmen sich in erster Linie durch die Clan-Zugehörigkeit oder religiöse Bindung an informelle Gruppierungen. Im September 2016 verabschiedete der Präsident ein Parteiengesetz, das die Grundlage für eine Parteienbildung werden soll. Trotz vorgesehener Mechanismen, die eine breite geografische Repräsentanz in den Parteien sicherstellen sollen, ist nicht ausgeschlossen, dass die Parteienbildung im Wesentlichen anhand von Clan-Zugehörigkeit stattfindet und somit zu einer weiteren Manifestierung des Clan-Systems führt (AA 04.03.2019).

ad b) Somaliland

Gemäß der 2001 angenommenen Verfassung durften politische Parteien gegründet werden und an den Kommunalwahlen 2002 teilnehmen. Allerdings durften nur die drei in diesen Kommunalwahlen stärksten Parteien dauerhaft etabliert werden. Diese Vorgabe ist inspiriert vom nigerianischen Modell, um einer Zersplitterung der Parteienlandschaft vorzubeugen. Zunächst erhielten die UDUB (Ururka Dimuqraadiga Ummadda Bahawday, Union der Demokraten) sowie Kulmiye (Solidarität) und UCID (Ururka Caddaalada iyo Daryeelka, Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) die dauerhafte Zulassung. Nach den Wahlen 2010 verlor die UDUB die Zulassung, stattdessen wurde die Waddani-Partei im Rahmen eines festgelegten Verfahrens zugelassen. Politisches Engagement im Rahmen anderer Gruppen wird staatlicherseits beobachtet. Ggf. werden strafrechtliche Maßnahmen ergriffen (AA 04.03.2019).

Eine Besonderheit der Politik und Geschichte Somalias liegt in der Bedeutung der Clans. Clans sind auf gemeinsame Herkunft zurückgehende Großfamilienverbände mit einer bis zu siebenstelligen Zahl von Angehörigen. Die Kenntnis der Clanstrukturen und ihrer Bedeutung für die somalische Gesellschaft ist ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der politischen und historischen Entwicklungen in Somalia. Die übergeordneten Clans in Somalia sind die Hawiye, Darod, Issaq, Dir und der Clanverbund der Digil-Mirifle bzw. Rahanweyn. Aufgrund des jahrzehntelangen Bürgerkriegs ist es nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Issaq und Digil-Mirifle stellen wohl je 20 bis 25 Prozent der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger. Über 95 Prozent aller Somalier fühlen sich einem Sub-Clan zugehörig, der genealogisch zu einem der Clans gehört. Auch diese Sub-Clans teilen sich wiederum in Untereinheiten auf. Die Zugehörigkeit zu einem Clan bzw. Sub-Clan ist ein wichtiges Identifikationsmerkmal und bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA Innenpolitik Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019).

(AA, Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand Januar 2019, 04.03.2019

AA, Auswärtiges Amt, Somalia, Innenpolitik, Stand 05.03.2019, abgefragt am 13.11.2019,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/somalia-node/-/203162)

Asharaf/Ashraf

Das Danish Immigration Service (DIS) geht in einem Bericht zu einer Fact-Finding-Mission in Somalia aus dem Jahr 2000 ausführlich auf die Asharaf ein und erwähnt dabei, dass diese in die Gruppen Hussein und Hassan (mit jeweils weiteren Untergruppierungen) unterteilt würden (Accord 06.02.2012; BAMF Juli 2010; Accord 03.07.2012; EASO August 2014).

Dr. Luling weist im Bericht der U.K. Border Agency (UKBA) vom 17.12.2012 ebenso darauf hin, dass die Asharaf in die Gruppen Hassan und Hussein unterteilt werden (Accord 06.02.2012).

Das UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UN OCHA) beschreibt in einer im August 2002 veröffentlichten Studie die Asharaf als arabische Immigranten aus Saudi-Arabien, die ca. 0,5% der Gesamtbevölkerung ausmachen und vor allem in den Küstenstädten Merka, Brava sowie den Regionen Bay und Bakoolin siedeln. Nach Erkenntnissen der Fact Finding Mission 2000, die auf Angaben von Ashraf-Ältesten beruhen, leben die Ashraf in Süd- und Zentralsomalia hauptsächlich in Städten wie Bardera, Kismayo, Baidoa, Jhoddur, Merka, Brava und Mogadischu. In Mogadischu seien sie v. a. im Bezirk Shangani aber auch in Hamar Weyne beheimatet. Ashraf seien auch in Äthiopien (Ogaden, Oromia, Dire Dawa und Harar) beheimatet. Äthiopische Ashraf seien zum Teil zur Zeit des Ogaden-Krieges (1977) nach Somalia gekommen. Ein Teil dieser exilierten Ashraf sei wiederum 1991 -1992 aus Somalia geflohen (Accord 29.04.2010; BAMF Juli 2010; U.K. Home Office Juni 2017).

Die Asharaf werden häufig als Minderheit kategorisiert. Einer der Gründe dafür, weshalb die Asharaf häufig als Minderheit eingestuft werden, liegt darin, dass sich die Asharaf bei der Errichtung der Vorübergehenden Bundesregierung im Jahr 2004 aus politischen Gründen in die 0,5-Gruppe als Minderheit platzierten, nachdem sie Schwierigkeiten hatten, innerhalb der Rahanweyn-Gruppe voll repräsentiert zu werden. Hier wird in erster Linie auf die Digil-Mirifle-Asharaf Bezug genommen und nicht auf die Benadiri-Asharaf. Weitere Asharaf-Gruppen leben zusammen mit anderen somalischen Clans in verschiedenen Regionen des Landes. Die Asharaf gelten allgemein als religiös bzw. als religiöse Lehrer, die von der Tochter des Propheten Mohammed, Fatima, abstammen. Meist sind sie in die Gruppen, mit denen sie zusammen siedeln (Digil-Mirifle oder Benadiri) integriert und werden normalerweise von diesen wegen ihres besonderen religiösen Status als Nachkommen des Propheten beschützt. Sie werden daher nicht als Minderheit im engeren Sinne angegriffen, doch können sie an denselben Problemen, mit denen ihre ‚Gastgeber'- Clans konfrontiert sind, leiden. So wurden sie in den frühen Bürgerkriegsjahren zusammen mit den Benadiri zum Ziel von Angriffen. Einer der wichtigsten Minister und Verbündeten des früheren Präsident Sheikh Sharif, Sharif Hassan, ist Angehöriger der Asharaf. Der aktuelle Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmajo" war während Sheikh Sharifs Präsidentschaft Premierminister (von Okt 2010 bis Juni 2011). Präsident Farmajo ist der erste somalische Präsident des Darood-Clans (Marehan Sub-Clan) seit 2008; hingegen gehören beide Sheikh Sharif und Hassan Sheikh zu den Hawiye (Abgaal Sub-Clan [Accord 15.05.2009; UN Sicherheitsrat 10.02.2017; Europäische Kommission Februar 2017]).

Professor Dr. Markus Höhne, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Ethnologie an der Universität Leipzig, schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom 20.02.2015 Asharaf sind immer noch mit eine der schwächsten Gruppen in der Bundesrepublik Somalia. Sie werden sicher nicht mehr systematisch verfolgt. Aber im allgemeinen sozialen, politischen, ökonomischen und militärischen Gefüge des Südens, der immer noch weit von Stabilität und Frieden entfernt ist, sind Asharaf anfällig gegenüber Ausbeutung, Übergriffen, Kriminalität, sexueller Gewalt etc. Sie haben keine Miliz, die sie verteidigt. Die Regierung ist bei weitem nicht stabil genug, die Sicherheit Ihrer Bürger zu garantieren. Und noch immer operieren al-Schabaab und Kriminelle sowie undisziplinierte Soldaten in Teilen Südsomalias. Mein Fazit ist: Mitglieder dieser Gruppe sind einer erhöhten Gefahr ausgesetzt. Diese ist aber eher allgemeiner Natur und dadurch bedingt, dass Asharaf politisch und vor allem militärisch nicht stabil verankert sind (Accord 12.06.2015; Accord 08.01.2018).

Teilweise werden auch die Ashraf und die Sheikal (Sheikash) zu den ethnischen Minderheiten gezählt. In kultureller und sprachlicher Hinsicht sind sie aber schwerer von der somalischen Mehrheitsbevölkerung zu unterscheiden. Stattdessen haben sie einen speziellen religiösen Status (u.a. Durchführung von Riten) und spielen traditionell eine wichtige Rolle bei der Konfliktlösung. Beide Gruppen unterhalten Sheegad-Verhältnisse. Es gibt es verschiedene Arten von Allianzen: Nachbarschaft, Angeschlossene, Anhänger und Vortäuschende (bzw. "Adoption"). Die letztere heißt Sheegad. Diesen Status haben normalerweise anzahlmässig schwache Clans wie z.B. berufsständische Gruppen, da er ihnen erlaubt, gegen außen die Clan- bzw. Abstammungslinie und damit auch den Schutz des alliierten Mehrheitsclans zu übernehmen. Sheegad kann aber auch von Angehörigen eines Mehrheitsclans in Anspruch genommen werden. Der Schutzclan regelt für sie alle externen Angelegenheiten wie beispielsweise die Vereinbarung von Mag/Diya. Im Kontakt mit Fremden, auch im Ausland, identifizieren sich Angehörige von Berufsgruppen häufig nicht als solche, sondern als Mitglieder ihres Schutzclans. Es kommt sogar vor, dass sich der Mehrheitsclan an Mag/Diya-Zahlungen der Geschützten beteiligt. Solche Allianzen bestehen auch heute noch, wenn auch das Ausmaß etwas abgenommen hat. Ausdrücke wie Sheegad oder Gaashaanbuur sind in der somalischen Gesellschaft aber nicht mehr sehr bekannt. Vielmehr sind es simple Allianzen, die eingegangen werden (EJDP bzw. nunmehr SEM 31.05.2017).

(UN Sicherheitsrat, Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats zur Situation in Somalia, 10.02.2017, http://www.un.org/depts/german/sr/sr_17/sp17-03.pdf

EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Süd- und Zentralsomalia Länderüberblick, August 2014, https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO-COIreport-Somalia_DE.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Zahl a-8059, 03.07.2012, https://www.ecoi.net/local_link/221187/342651_de.html

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zum Clan der Reer-ow-Xassan (Reer aw Hassan) (Minderheitenclan und Schutz), Zahl a-7879, 06.02.2012,

https://www.ecoi.net/file_upload/response_en_209792.html

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum für Asyl und Migration, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/683266/693991/697672/697677/6029534/13604856/13565580/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Minderheiten_in_Somalia%2C_Juli_2010.pdf?nodeid=13904432&vernum=-2

Accord, Bericht, Clans in Somalia, Bericht zum Vortrag von Dr. Joakim Gundel beim COI-Workshop in Wien am 15.05.2009, https://www.ecoi.net/file_upload/90_1261131016_accord-bericht-clans-in-somalia-ueberarbeitete-neuausgabe-20091215.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, 1) Lage der Asharaf; Gehören die Asharaf dem Sub-Clan der Hassan und dem Hauptclan der Arab an?

2) Heirat zwischen Angehörigen von Minderheiten und Mehrheitsclanangehörigen; 3) Situation von Frauen (Gefahren für alleinstehende Frauen), Zahl a-7230, 29.04.2010, https://www.ecoi.net/file_upload/response_en_141627.html

Europäische Kommission, Somalia 2016-2017; limited election process; EU election expert mission; final report; Framework Contract Beneficiaries, LOT 7 Specific Contract N° 2016/377703/1; 13 September 2016 - 16 February 2017, Februar 2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1408355/1226_1505130012_eu-eem-somalia-final-report.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Lage von (weiblichen) Angehörigen der Asharaf (auch: Ashraf) Zahl a-9202-3 (9230), 12.06.2015,

https://www.ecoi.net/local_link/305541/442757_de.html

EJPD, Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, bzw. nunmehr SEM, Staatssekretariat für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.05.2017, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf

U.K. Home Office, Country Information and Guidance South and central Somalia, Majority clans and minority groups, Version 2.0 Juni 2017, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/619552/Somalia_CPIN_majority_clans_and_minority_groups_in_south_and_central_Somalia_2_0_June_2017.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Behandlung von Angehörigen der Ashraf [auch: Asharaf]; Aktivitäten der al-Schabaab im Gebiet Jubbaland (Gedo, Middle Juba, Lower Juba), Zahl a-10438, 08.01.2018,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1423102.html)

Madhiban/Madhibaan

Verschiedenen Quellen zufolge leben Madhiban über Somalia verstreut. Sie leben im Norden und in Zentralsomalia, so auch in Hiraan, Mogadischu und Kismayo. Laut Informationen der Asylforschungsberatung (ARC) aus dem Jahr 2017 lebten Madhiban auch über Südsomalia verstreut. Die Madhiban stammen ursprünglich aus den Distrikten Mudug und Nugal, wo sie traditionell mit verschiedenen Hawiye-Clans, darunter Gurgate, in Verbindung standen (EASO 29.01.2019).

Für die berufsständischen Gruppen gibt es zahlreiche somalische Bezeichnungen, bei denen regionale Unterschiede bestehen. Die landesweit geläufige Bezeichnung Midgaan ist negativ konnotiert (er bedeutet "unberührbar" oder "ausgestoßen") und wird von den Berufsgruppen-Angehörigen als Beleidigung empfunden; sie bevorzugen Begriffe wie Madhibaan oder Gabooye. Für außenstehende Somalis reicht es in der Regel zu wissen, dass jemand z.B. ein Gabooye ist. Heute hat sich die Situation für die Gabooye im Vergleich zurzeit um die Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Weder das traditionelle Recht Xeer noch Polizei und Justiz benachteiligen gemäß Erkenntnissen der Fact Finding Mission die Minderheiten systematisch. Xeer-Verträge wurden - gemäß Informationen aus dem Jahr 2009 - nur zwischen Mehrheitsclans geschlossen, Minderheiten waren meist ausgeschlossen. Sie können dem Xeer-System aber indirekt beitreten durch ein vertraglich festgelegtes Klientelverhältnis mit einem Mehrheitsclan. Das Brauchtumsrecht Xeer sieht Allianzen zwischen Gruppen vor, die Gaashaanbuur genannt werden. Dabei gibt es verschiedene Arten von Allianzen: Nachbarschaft, Angeschlossene, Anhänger und Vortäuschende (bzw. "Adoption"). Die letztere heißt Sheegad. Diesen Status haben normalerweise anzahlmäßig schwache Clans wie z.B. berufsständische Gruppen, da er ihnen erlaubt, gegen außen die Clan- bzw. Abstammungslinie und damit auch den Schutz des alliierten Mehrheitsclans zu übernehmen. Shegaad kann aber auch von Angehörigen eines Mehrheitsclans in Anspruch genommen werden. Während Gabooye auf unterer Ebene noch über Repräsentanten verfügen, sind sie bei Entscheidungen auf höheren Ebenen auf Allianzen mit relevanten Clans angewiesen, um repräsentiert zu werden. Quellen der Fact-Finding Mission zeichneten ein teils neues Bild. So hat beispielsweise in Somaliland die Anerkennung von Gabooye-Suldaans zu einer Aufwertung der berufsständischen Gruppen geführt. Damit geht auch soziale Sicherheit einher. Die Gabooye haben im Xeer ihre Rechte. Zusätzlich sind Verfahren im Xeer meist nicht korrumpierbar und fairer. Der gesellschaftliche Umgang mit den Angehörigen von Minderheiten hat sich in den letzten Jahren verbessert. Insbesondere unter jungen Leuten ist die Einstellung zu ihnen gemäß Erkenntnissen der Fact-Finding Mission positiver geworden. Obwohl ein gewisses Stigma weiterhin besteht, ist es mittlerweile für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten, wie mehrere befragte Quellen übereinstimmend aussagten. Dabei handelt es nicht nur um einen oberflächlichen Wandel, sondern um einen "change of mind-set" - selbst bei älteren Generationen. Die offizielle Anerkennung von Minderheiten Clanältesten in Somaliland hat ihren gesellschaftlichen Ruf dort generell verbessert. Ein Gesprächspartner der Fact-Finding Mission ging sogar davon aus, dass in den Städten Somalilands in den nächsten Jahren die Clans zunehmend an Bedeutung verlieren und dafür die Gesellschaftsschichten bzw. soziale Klassen wichtiger werden könnten. Schon jetzt sind die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Früher kam es vor, dass Angehörige der Mehrheitsclans Minderheiten-Angehörige aufgrund von Vorurteilen beschimpften. Die soziale Interaktion mit Angehörigen berufsständischer Gruppen wie z. B. das Grüßen oder gemeinsame Mahlzeiten war eingeschränkt. Nach Einschätzung einer westlichen Botschaft kommt es im Allgemeinen zu keinen gezielten Angriffen oder Misshandlungen der Gabooye (SEM 31.05.2017).

Die MRG (Minority Rights Group International) berichtet im Juni 2012, dass Minderheitengruppen, wie etwa die Gaboye und Madhiban, zu Tausenden in Binnenvertriebenenlager in Somaliland, Puntland und Kenia ziehen würden, wo sie erneut von Diskriminierung betroffen seien. Minderheitengruppen würden außerhalb der traditionellen somalischen Clanstruktur stehen und deshalb über kein Schutzsystem verfügen. Aufgrund sozialer Segregation, Existenznot und politischer Manipulation seien Minderheitengruppen in größerem Ausmaß von Vergewaltigung, Angriffen, Entführung, Beschlagnahmung von Eigentum und den Konsequenzen von Dürre bedroht. Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2014 (Berichtszeitraum: 2013), dass unter anderem die Madhiban und Gabooye zu den Minderheitengruppen zählen würden. Mischehen zwischen Minderheitengruppen und Hauptclans seien traditionell nur eingeschränkt möglich. Minderheitengruppen, die oft über keine bewaffneten Milizen verfügen würden, seien unverhältnismäßig oft von Tötung, Folter, Vergewaltigung, Entführung und Plünderung durch Milizen und Angehörige von Hauptclans betroffen, die von diesen ungestraft verübt würden. Viele Minderheiten würden in großer Armut leben und von zahlreichen Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sein (Accord 12.06.2015).

Wie allgemein bekannt gelten die Madhiban - wie auch andere Angehörige berufsbezogener Kasten (Waable) - als ärmste und marginalisierteste Gruppe in Somalia. Dies wird von mehreren Quellen unzweifelhaft bestätigt. Kasten bzw. Waable bzw. Madhiban sind generell arm und leben in großer Not. Nur wenige konnten jemals die Mittel aufbringen, ins Ausland zu fliehen; so sind diese Menschen auch von Geldflüssen aus der Diaspora weitgehend ausgeschlossen. Gleichzeitig verfügen Angehörige berufsständischer Kasten nur über eine durch ihr geringes Einkommen verursachte schwache Kaufkraft. Dadurch und gleichzeitig auch durch den Ausschluss aus traditionellen Netzwerken bleibt ihnen auch der Zugang zu lukrativen wirtschaftlichen Möglichkeiten verwehrt. Ständische Berufskasten haben traditionell weder das Recht auf Eigentum an Land und Vieh noch das Recht, sich an lokalen Geschäften, Marktwirtschaft oder Politik zu beteiligen. Wenn Kinder überhaupt eingeschult werden, werden diese auch bald wieder von der Schule genommen, um sie als Arbeitskraft einzusetzen. Minderheitenvertreter beklagen, dass ihnen das Recht auf Bildung versagt bleibt. Die britische Anthropologin Dr. Virginia Luling erläutert in einem Bericht aus dem Jahr 2004, dass die Midgan generell sehr arme Leute sind. Über die Midgan von Hargeysa wird zum Beispiel gesagt, dass sie in extremem Elend und Not leben würden. Die Midgan werden als Ausgestoßene in Somalia diskriminiert. Keinem Somali-Clan ist es erlaubt, mit den Midgan-Madhiban oder anderen niedrigen Kasten Mischehen einzugehen, mit ihnen zu essen, oder enge Kontakte zu pflegen [closely associate]. Sie wurden sie vom rasch entstehenden System der Geldflüsse aus der Diaspora größtenteils ausgeschlossen, da nur wenige von ihnen die Mittel aufbringen konnten, ins Ausland zu fliehen. Selbst bei der Hilfe durch humanitäre Organisationen wurden die Minderheiten diskriminiert. Zum Beispiel sind üblicherweise keine Stellen im öffentlichen Dienst für sie verfügbar. Zudem bleibt ihnen der Erhalt durch agrarische Subsistenzwirtschaft verwehrt. Gleichzeitig verfügen die Waable nur über eine durch ihr geringes Einkommen verursachte schwache Kaufkraft. Dadurch und gleichzeitig auch durch den Ausschluss aus traditionellen Netzwerken bleibt ihnen auch der Zugang zu lukrativen wirtschaftlichen Möglichkeiten verwehrt. Professor Markus Höhne zitiert die in Somaliland tätige Minderheiten-NGO VOSOMWO. Nach deren Aussagen, würden Minderheiten - und hier speziell Frauen - Grundrechte verweigert, so zum Beispiel das Recht auf Bildung. Schon Anfang der 2000er, als einige europäische Regierungen davon ausgingen, dass in Somalia die schlimmste Zeit überstanden sei, war die Angabe der Zugehörigkeit zu einer Minderheitengruppe in Somalia ein relativ sicheres Mittel, um in Europa Asyl zu bekommen. Klarerweise haben auch Angehörige von "noblen" Clans von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, und sich als Minderheitenangehörige (z.B. Midgan oder Ashraf) ausgegeben (BFA Anfragebeantwortung 23.01.2017).

In Mogadischu leben Vertreter der meisten Clans und Minderheiten. In Mogadischu kommen Menschen, über Clangrenzen hinweg, zu Arbeits-und Bildungszwecken und im sozialen Umfeld zusammen sowie um zu heiraten. Einige Gruppen von Minderheiten haben eine gut etablierte Gemeinschaft in Mogadischu, und einige haben in den letzten Jahren ihre Geschäfte und Existenzen wiederaufgebaut. Es gibt keine Aufzeichnungen über die Clan- oder Gruppenzugehörigkeit der Einwohner von Mogadischu, aber nach Angaben lokaler Auskunftspersonen sind "die meisten" Clans in der Stadt vertreten ... Außerdem sind Somalias Regierung und Parlament, in dem alle vier großen Clans in Südsomalia (Darod, Dir, Hawiye und Rahanweyne/Digil) sowie Minderheiten repräsentiert sind (siehe zum Beispiel UNSOM 2016), in Mogadischu vertreten. Obwohl Mogadischus Bevölkerung

weitgehend nach Clan-Zugehörigkeit ... und ihre Loyalität in erster

Linie beim eigenen Clan liegt, ist wichtig zu betonen, dass die Menschen in Bezug auf Arbeit, Handel, Schulbildung und andere soziale Rahmenbedingungen über die Clangrenzen hinweg zusammenkommen. Auch Leute aus verschiedenen Clans heiraten (U.K. Jänner 2019).

(U.K. Home Office, Country Policy and Information Note Somalia, Majority clans and minority groups in south and central Somalia, Version 3.0 Jänner 2019,

https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/773526/Somalia_-_Clans_-_CPIN_V3.0e.pdf

SEM, EJPD, Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, bzw. nunmehr SEM, Staatssekretariat für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten, 31.05.2017, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf

Accord, Anfragebeantwortung zu Somalia, Informationen zur Lage der Gaboye/Midgan, Zahl a-9202-2 (9229), 12.06.2015, http://www.ecoi.net/local_link/309154/448404_de.html

Staatendoku, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Somalia, Madhiban in Kismayo, 23.01.2017

EASO, Anfragebeantwortung zur somalischen Kaste der Madhiban, 29.01.2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2002652/SOM_Q3.pdf)

Sicherheitslage

Für westliche Staatsangehörige besteht in ganz Somalia (dies gilt auch für Somaliland und Puntland) ein sehr hohes Entführungsrisiko, ausländische Staatsangehörige werden auch immer wieder Opfer von Mordanschlägen. Außerordentlich gefährlich ist die Lage in Zentral- und Südsomalia, einschließlich des Großraums Mogadischu, wobei jedoch auch in den anderen Landesteilen wie Puntland (Nordosten) und Somaliland (Norden

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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