TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/21 W216 2227472-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2020
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Entscheidungsdatum

21.02.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W216 2227472-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch KOBV - Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Lange Gasse 53, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 22.10.2019, OB: XXXX , in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 17.12.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin hat am 02.07.2019 beim Sozialministeriumservice (in der Folge: belangte Behörde) unter Vorlage medizinischer Befunde einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt.

Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 03.10.2019, mit dem Ergebnis eingeholt, dass ein Grad der Behinderung in Höhe von 40 v.H. festgestellt wurde.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 10.10.2019 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 45 Abs. 3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) Gelegenheit gegeben, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.

Die Beschwerdeführerin erstattete mit Schreiben vom 16.10.2019 eine Stellungnahme, in der sie sich mit dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens als nicht einverstanden zeigte.

Zur Überprüfung der Einwendungen der Beschwerdeführerin ersuchte die belangte Behörde die Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie um Stellungnahme zu diesen. In ihrer Stellungnahme vom 21.10.2019 kam die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass eine Änderung des Gutachtens nicht objektivierbar sei.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 02.07.2019 auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG abgewiesen. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung von 40 v.H. ergeben habe, womit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses (Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H.) nicht vorliegen würden. In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des BBG. Als Beilage wurde das Gutachten der Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 10.10.2019 sowie deren Stellungnahme vom 21.10.2019 beigefügt.

3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Vertretung fristgerecht Beschwerde. Darin wurde - unter Vorlage diverser medizinischer Befunde - ausgeführt, dass keinesfalls eine Änderung bzw. Besserung im Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin eingetreten sei, welche nunmehr eine Herabsetzung des Grades der Behinderung auf 40 v.H. rechtfertigen würde. Aufgrund der bestehenden Leiden sei die Beschwerdeführerin nach wie vor noch zur Fortbewegung auf die Inanspruchnahme eines Rollstuhles angewiesen. Entgegen den Feststellungen der Sachverständigen sei eine Fortbewegung mit einem Rollator oder mit Krücken keinesfalls möglich und zumutbar. Ebenso wenig sei die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels gewährleistet. Der Fuß der Beschwerdeführerin müsse aufgrund der bestehenden starken Schmerzschübe die meiste Zeit hochgelagert werden. Weiters sei die Feststellung, dass es aufgrund der BS-Operation im Bereich der Lendenwirbelsäule zu einer Besserung gekommen sei, nicht nachvollziehbar, da diese nie durchgeführt worden sei. Auch sei die Zusammenziehung der bisherigen laufenden Leiden 1 und 2 nicht nachvollziehbar. Die bestehende Schädigung im Bereich der Lendenwirbelsäule, Lumbalgie bei Zustand nach Bandscheibenvorfall, habe sich keineswegs verbessert und sei die im Gutachten von der Sachverständigen beschriebene Bandscheibenoperation nie durchgeführt worden. Die bestehende Schädigung im Bereich der Halswirbelsäule, die zystische Mastopathie, Augenschädigung, Migräne, Osteoporose, mittelgradige Mitralinsuffizienz, Leberparenchymzysten, Schilddrüsenleiden, Fibromyalgie, und Neurodermitis seien im Gutachten nicht mitberücksichtigt worden. Das vorliegende neurologische Sachverständigengutachten sei für die Beschwerdeführerin nicht nachvollziehbar und schlüssig.

4. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten der bereits befassten Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie aufgrund der Aktenlage vom 13.12.2019 eingeholt, worin die erhobenen Einwendungen entsprechend entkräftet wurden. Insbesondere wurde ausgeführt, dass - selbst durch die zahlreichen nachgereichten Befunde - keine Änderung im Vergleich zum Vorgutachten eingetreten sei und der Gesamtgrad der Behinderung nach wie vor 40 v.H. betrage.

5. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.12.2019 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung abgewiesen und ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 40 v.H. nicht vorliegen würden. Die Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden. Das ärztliche Gutachten vom 16.12.2019 wurde der Entscheidung als Beilage angeschlossen.

6. Die Beschwerdeführerin brachte fristgerecht einen Vorlageantrag ein, in dem sie - ohne Vorlage neuer Befunde - erneut darauf hinweist, dass keinesfalls eine Änderung bzw. Besserung im Gesundheitszustand eingetreten sei. Sie sei nach wie vor noch zur Fortbewegung auf die Inanspruchnahme eines Rollstuhles angewiesen. Die erfolgte Einstufung sei weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar.

7. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 14.01.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

Die Beschwerdeführerin stellte am 02.07.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos.Nr.

GdB%

1

Komplexes regionales Schmerzsyndrom linke untere Extremität Oberer Rahmensatz, da rez. Schmerzsymptomatik mit Fußheberparese li. Dieser Rahmensatz inkludiert chron. Schmerzsyndrom sowie Lumbalgie bei Z.n. Discusprolaps L5/S1.

04.11.02

40

2

Depressive Störung 1 Stufe über unterem Rahmensatz, da fachärztliche Behandlungen erforderlich. Therapieoptionen unausgeschöpft.

03.06.01

20

3

Schulter-Arm-Syndrom links Fixer Rahmensatz, Abduktion und Elevation bis 90° möglich.

02.06.03

20

Der bei der Beschwerdeführerin vorliegende Gesamtgrad der Behinderung beträgt 40 v. H.

Leiden 2 und 3 erhöhen den Grad der Behinderung nicht, da keine maßgebliche ungünstige, wechselseitige Leidensbeeinflussung vorliegt.

Festgestellt wird, dass die Fibromyalgie, da unter der Diagnose chronisches Schmerzsyndrom mitberücksichtigt, der Verdacht auf Reizdarmsyndrom, da konservativ gut behandelbar, und der Zustand nach Schiel-Operation bei Duane-Syndrom, da kein anhaltendes funktionelles Defizit, keinen Grad der Behinderung erreichen.

Festgestellt wird weiters, dass bei der Beschwerdeführerin ein komplexes regionales Schmerzsyndrom an der linken unteren Extremität mit diskreter Vorfußheberparese links besteht. Trotz der bestehenden leichten motorischen Schwäche für die Fußhebung links ist eine Gehfähigkeit - allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe wie z.B. einem Gehstock - aus neurologischer Sicht gegeben. Hinsichtlich des Zustandes nach Bandscheibenvorfall im LWS-Bereich kann kein radikuläres Defizit festgestellt werden. Das krankheitsbedingte Erfordernis der Verwendung eines Rollstuhls ist nicht gegeben. Bei der Beschwerdeführerin liegt vor dem Hintergrund eines chronischen Schmerzsyndroms eine depressive Störung vor. Die Therapieoptionen sind diesbezüglich unausgeschöpft.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaßes und medizinischer Einschätzung wird die diesbezügliche Beurteilung in den Sachverständigengutachten bzw. medizinischen Stellungnahmen einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 10.10.2019, vom 21.10.2019 und vom 13.12.2019 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Das Datum der Einbringung des Antrags sowie der Gegenstand des angefochtenen Bescheides stützen sich auf den Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.3. Der festgestellte Grad der Behinderung basiert auf den seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 10.10.2019, vom 21.10.2019 und vom 13.12.2019. Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin, deren Ausmaß und wechselseitige Leidensbeeinflussung vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die Gutachten setzen sich in ihrer Gesamtheit umfassend und nachvollziehbar mit den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunden sowie den von ihr erhobenen Einwendungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen stimmen mit den im Rahmen der Untersuchung der Beschwerdeführerin und anhand der Befundlage festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen überein. Diese wurden auch entsprechend den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig zugeordnet.

Diesbezüglich ist im Lichte der Anlage zur Einschätzungsverordnung festzuhalten, dass das komplexe regionale Schmerzsyndrom der linken unteren Extremität (Leiden 1) im Gutachten vom 13.12.2020 zutreffend der Positionsnummer 04.11.02 mit dem oberen Rahmensatz von 40 v.H. zugeordnet wurde. Begründend wurde diesbezüglich seitens der Sachverständigen darauf verwiesen, dass bei der Beschwerdeführerin ein komplexes regionales Schmerzsyndrom an der linken unteren Extremität mit diskreter Vorfußheberparese links bestehe. Trotz der bestehenden leichten motorischen Schwäche für die Fußhebung links sei eine Gehfähigkeit - allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe wie z.B. einem Gehstock - aus neurologischer Sicht gegeben.

Hinsichtlich der festgestellten depressiven Störung (Leiden 2) wurde von der Sachverständigen korrekt die Positionsnummer 03.06.01 mit einer Stufe über dem unteren Rahmensatz von 20 v.H. gewählt, zumal sich Therapieoptionen diesbezüglich unausgeschöpft zeigen würden. Eine Psychotherapie sowie psychiatrische Konsultationen würden laut vorliegenden Befunden nur unregelmäßig/mit Unterbrechungen in Anspruch genommen werden. Da eine deutliche Somatisierungstendenz vorliege, wäre durch eine entsprechende Therapie - inklusive einer psychotherapeutischen Aufarbeitung zugrundeliegender innerpsychischer Konflikte bzw. krankheitsverstärkender pathologischer Mechanismen - mit einer Besserung des psychopathologischen Zustandes mittel- bis langfristig zu rechnen.

In Hinblick auf das Schulter-Arm-Syndrom links (Leiden 3) wurde von der Sachverständigen korrekt die Positionsnummer 02.06.03 mit dem fixen Rahmensatz von 20 v.H. entsprechend den vorliegenden Befunden und den Funktionseinschränkungen herangezogen.

2.4. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin waren nicht geeignet, eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Die befasste Sachverständige nahm zu den Einwendungen Stellung und erläuterte nachvollziehbar, warum eine höhere Einschätzung der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Funktionseinschränkungen nicht gerechtfertigt ist.

So wurde u.a. auch festgehalten, dass - entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin - die dauerhafte Verwendung eines Rollstuhls mit Betonung von somatischen Leiden nicht zum Gesundungsprozess beitrage.

Zusammengefasst konnten die Angaben der Beschwerdeführerin nicht über den erstellten Befund hinaus objektiviert werden. Die Krankengeschichte der Beschwerdeführerin wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt. Die vorgelegten Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis der eingeholten Sachverständigenbeweise; es wird kein aktuell höheres Funktionsdefizit beschrieben als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind. Das Beschwerdevorbringen war somit nicht geeignet, die gutachterliche Beurteilung, wonach ein Grad der Behinderung in Höhe von 40 v.H. vorliegt, zu entkräften.

Das im Beschwerdevorverfahren eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit der befassten Sachverständigen oder deren Beurteilung beziehungsweise Feststellungen substantiiert in Zweifel zu ziehen. Die mit der Beschwerde vorgelegten Beweismittel dokumentierten Funktionseinschränkungen wurden ausreichend berücksichtigt.

Die Beschwerdeführerin ist den - nicht als unschlüssig zu erkennenden - Sachverständigengutachten auch nicht substantiiert entgegengetreten.

Die im angefochtenen Verfahren sowie das im Beschwerdevorprüfungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten werden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung einer fachkundigen Laienrichterin ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist."

"§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

(...)"

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)"

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(...)"

§§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

"Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen."

"Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."

Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen hat nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 Einschätzungsverordnung sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN). Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller frei steht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023; 20.05.2015, 2013/11/0200).

Gegenständlich wurden seitens der belangten Behörde zwecks Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mehrere Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie eingeholt, welche den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen entsprechen.

Wie oben eingehend ausgeführt, werden der gegenständlichen Entscheidung die schlüssigen Sachverständigenbeweise vom 10.10.2019, vom 21.10.2019 und vom 13.12.2019 zugrunde gelegt, wonach der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin 40 v.H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die Einwendungen der Beschwerdeführerin nicht geeignet, die Sachverständigenbeweise zu entkräften.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt 40 v.H. beträgt.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Im gegenständlichen Fall sind maßgebend für die Entscheidung die Art und das Ausmaß der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen und der daraus resultierende Gesamtgrad der Behinderung.

Zur Klärung des Sachverhaltes wurden daher ärztliche Sachverständigengutachten eingeholt. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden in den eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt, soweit diese einschätzungsrelevante Aspekte enthalten bzw. noch aktuell sind. Im Rahmen des Parteiengehörs hatte die Beschwerdeführerin die Möglichkeit sich zu äußern bzw. Beweismittel vorzulegen. Sohin ist der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W216.2227472.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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