TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/21 W216 2226071-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.02.2020
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Entscheidungsdatum

21.02.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W216 2226071-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch KOBV - Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Lange Gasse 53, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 16.09.2019, OB: XXXX , in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 11.11.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer hat am 13.03.2019 beim Sozialministeriumservice (in der Folge: belangte Behörde) unter Vorlage medizinischer Befunde einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gestellt.

Zur Überprüfung des Antrages wurde von der belangten Behörde ein medizinisches Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 05.06.2019, mit dem Ergebnis eingeholt, dass ein Grad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. festgestellt wurde.

Im Rahmen des von der belangten Behörde gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs wurden vom Beschwerdeführer keine Einwendungen erhoben.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 13.03.2019 auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40, § 41 und § 45 BBG abgewiesen. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die ärztliche Begutachtung einen Grad der Behinderung von 30 v.H. ergeben habe, womit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses (Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H.) nicht vorliegen würden. In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des BBG. Als Beilage wurde das Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin vom 16.08.2019 beigefügt.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Darin wurde ausgeführt, dass die körperliche Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers deutlich eingeschränkt sei. In Hinblick auf den Zustand nach einer Hypophysenadenom-Operation und Parathyreoidektomie wurde festgehalten, dass der Tumor auf den Sehnerv gedrückt habe und diesbezüglich weiterhin Doppelbilder beim Beschwerdeführer bestehen würden. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer aufgrund des Knochenschwundes wegen Chemotherapie massive Zahnprobleme habe. Der Beschwerdeführer sei der Ansicht, dass zwischen den festgestellten Erkrankungen eine maßgebliche ungünstige Beeinflussung bestehe, sodass ein höherer Gesamtgrad der Behinderung festgestellt werden müsste.

4. Zur Überprüfung der Einwendungen wurde von der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten des bereits befassten Arztes für Allgemeinmedizin aufgrund der Aktenlage vom 04.11.2019 eingeholt, worin die erhobenen Einwendungen entsprechend entkräftet wurden. Insbesondere wurde ausgeführt, dass - selbst durch den nachgereichten, näher bezeichneten rezenten Befund - keine Änderung im Vergleich zum Vorgutachten eingetreten sei und der Gesamtgrad der Behinderung nach wie vor 30 v.H. betrage.

5. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11.11.2019 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung abgewiesen und ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. nicht vorliegen würden. Die Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung seien als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden. Beide ärztliche Gutachten sind der Entscheidung als Beilage angeschlossen worden.

6. Der Beschwerdeführer brachte fristgerecht einen Vorlageantrag ein, in dem er erneut die Einschränkung seiner körperlichen Leistungsfähigkeit sowie die bei ihm auftretenden Doppelbilder ins Treffen führte.

7. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 03.12.2019 vorgelegt.

8. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt.

Im medizinischen Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 19.01.2020 wird basierend auf der Aktenlage - auszugsweise - Folgendes ausgeführt (Wiedergabe ergänzt um die zugehörigen Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):

"Stellungnahme zu den Punkten der Vorschreibung:

Ad 1) Ausführliche Stellungnahme zum Vorbringen im Vorlageantrag. Wodurch kann das Vorbringen entkräftet werden bzw. resultiert daraus eine abweichende Beurteilung?

Die körperliche Leistungsfähigkeit ist keinesfalls deutlich eingeschränkt - diese Behauptung - ohne rezenten objektivem Hilfsbefund - steht in krassem Widerspruch zu dem auf Abl. 51 zitierten Befund von Bad Tatzmannsdorf vom 24.9.2019.

Die angegebenen Doppelbilder wurden unter Punkt4 der Liste der Gesundheitsschädigungen korrekt bewertet.

Ad 2) Welche Gesundheitsschädigungen werden - in welchem Ausmaß - durch die vorgelegten Befunde dokumentiert? Bedingen diese Befunde eine Änderung bzw. Erweiterung der Beurteilung bzw. wodurch werden diese im Rahmen der eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt oder entkräftet?

Befund Abl. 54 vom 12.8.2019: Analyse des Knochengewebes: Osteopenie - dieser Befund - funktionell gesehen weitgehend belanglos ist unter Punk3 mitberücksichtigt.

Augenfachärztlicher Befund AKH Wien - Abl. 55-56 vom 25.10.2019:

Bild einer N. VI-Parese links - ob neu oder Residuum aus 206 neben Rückbildung der N. III Parese links lässt sich nicht sagen - cMRT von Beginn Oktober 2019 unauffällig! Keine Ptose, Lidmotorik unauffällig, Kein Spontan- oder BRN - bei einem Ausfall des Nervus abducens - kommt es zu Doppelbildern, die vor allem beim Blick nach lateral auftreten und beim Blick nach medial weniger werden. Die subjektive Angabe - Auftreten von Doppelbildern - bei sonst altersentsprechendem Visus - wird unter Punkt 4 berücksichtigt.

Internistischer Befund AKH Wien - Abl. 57 vom 24.10.2019: Weiterhin kein Nachweis auf Hypophyseninsuffizienz bei Zustand nach Operation eines hormoninaktiven Hypophysenadenoms 07/2016; St. p. Operation eines Nebenschilddrüsenadenoms 09/2017 - biochemisch kein Hinweis auf Rezidiv; Vorhofflimmern - Antikoagulation mit Xarelto; Hypertonie - dieser Befund ist in den Punkten 1 und 4 der Beurteilung ausreichend berücksichtigt.

Augenfachärztlicher Befund AKH Wien - Abl. 58-59 vom 8.112019: Bild einer N. VI-Parese links - der am 25.10.2019 beschriebene Gesichtsfeldausfall am linken Auge ist nicht mehr reproduzierbar. Die subjektive Angabe - Auftreten von Doppelbildern - bei sonst altersentsprechendem Visus - wird unter Punkt 4 ausreichend hoch mitberücksichtigt.

Befund AKH Wien - Abl. 60-61 vom 8.112019: generalisierte Parodontitis - dieser Befund bedingt keinen Grad der Behinderung.

Abl. 62 ist kein Befund, sondern nur eine Patienteninformation - diese bedingt keinen Grad der Behinderung."

Zusammengefasst wurde - unter Anführung der konkreten Funktionseinschränkungen sowie der jeweiligen Positionsnummer und des Grades der Behinderung - angeführt, dass aus gutachterlicher Sicht nach neuerlicher allgemeinmedizinischer aktenmäßiger Untersuchung und nach Berücksichtigung der im Akt vorliegenden Befunde und Gutachten der Gesamtgrad der Behinderung 30 v.H. betrage.

9. Mit Schreiben vom 24.01.2020 wurde dem vertretenen Beschwerdeführer und der belangten Behörde vom Bundesverwaltungsgericht das Ergebnis der Beweisaufnahme im Rahmen eines Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.

10. Weder der Beschwerdeführer noch die belangte Behörde haben Einwendungen vorgebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

Der Beschwerdeführer stellte am 13.03.2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.

Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Der Beschwerdeführer leidet unter folgenden Funktionseinschränkungen:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden

Pos.Nr.

GdB%

1

Hypertensive Cardiomyopathie mit permanentem Vorhofflimmern; unterer Rahmensatz, da subjektiv keine wesentlichen Beschwerden und da auch unter Berücksichtigung des Alters eine rezent dokumentierte ausreichend gute Belastbarkeit vorliegt

05.02.01

30

2

B - Non Hodgkin Lymphom; unterer Rahmensatz, da seit dem Therapieabschluss 2017 onkologische Kontrollen nach Vorschrift ohne Rezidivhinweis dokumentiert sind

10.03.03

30

3

Abnützungserscheinungen am Stütz- und Bewegungsorgan; oberer Rahmensatz, da nachvollziehbare Beschwerden und funktionell gesehen geringe Funktionseinschränkungen vorliegen

02.02.01

20

4

Zustand nach Hypophysenadenom-Operation und Parathyreoidektomie; unterer Rahmensatz, da endokrin in stabilem Zustand; die angegebenen okulären Beschwerden sind in dieser Beurteilung mitberücksichtigt

09.01.01

10

Der beim

Beschwerdeführer vorliegende Gesamtgrad der Behinderung beträgt 30 v. H.

Das klinisch führende Leiden 1 wird durch die Leiden 2, 3 und 4 wegen fehlender ungünstiger Beeinflussung von Leiden 1 und fehlender maßgeblicher funktioneller Zusatzrelevanz nicht weiter erhöht.

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaßes und medizinischer Einschätzung wird die diesbezügliche Beurteilung im Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 19.01.2020 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Das Datum der Einbringung des Antrags sowie der Gegenstand des angefochtenen Bescheides stützen sich auf den Akteninhalt.

2.2. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

2.3. Der festgestellte Grad der Behinderung basiert auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 19.01.2020. Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers, deren Ausmaß und wechselseitige Leidensbeeinflussung vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Das Gutachten setzt sich umfassend und nachvollziehbar mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten Befunden, den von ihm erhobenen Einwendungen und dem durch die belangte Behörde eingeholten Sachverständigengutachten auseinander. Die getroffene Einschätzung stimmt mit den im Rahmen der Untersuchung des Beschwerdeführers und anhand der Befundlage festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen überein. Diese wurden auch entsprechend den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig zugeordnet.

Diesbezüglich ist im Lichte der Anlage zur Einschätzungsverordnung festzuhalten, dass die Hypertensive Cardiomyopathie mit permanentem Vorhofflimmern (Leiden 1) im Gutachten vom 19.01.2020 zutreffend der Positionsnummer 05.02.01 mit dem unteren Rahmensatz von 30 v.H. zugeordnet wurde. Begründend wurde diesbezüglich seitens des Sachverständigen darauf verwiesen, dass keine wesentlichen Beschwerden vorliegen und auch unter Berücksichtigung des Alters eine ausreichend gute Belastbarkeit gegeben sei.

Hinsichtlich des festgestellten B - Non Hodgkin Lymphoms (Leiden 2) wurde vom Sachverständigen korrekt die Positionsnummer 10.03.03 mit dem unteren Rahmensatz von 30 v.H. gewählt, zumal seit dem Therapieabschluss entsprechende Kontrollen ohne Rezidivhinweis dokumentiert sind.

In Hinblick auf die Abnützungserscheinungen am Stütz- und Bewegungsorgan (Leiden 3) wurde vom Sachverständigen korrekt die Positionsnummer 02.02.01 mit dem oberen Rahmensatz von 20 v.H. entsprechend den vorliegenden Befunden und den Funktionseinschränkungen herangezogen.

Der Zustand nach Hypophysenadenom-Operation und Parathyreoidektomie (Leiden 4) wurde unter Heranziehung der Positionsnummer 09.01.01 und des unteren Rahmensatzes von 10 v.H. aufgrund des stabilen Zustandes sowie unter Mitberücksichtigung der okulären Beschwerden ebenfalls richtig bewertet.

2.4. Die Einwendungen des Beschwerdeführers waren nicht geeignet, eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Der befasste Sachverständige nahm zu den Einwendungen Stellung und erläuterte nachvollziehbar, warum eine höhere Einschätzung der beim Beschwerdeführer festgestellten Funktionseinschränkungen nicht gerechtfertigt ist.

So wurde u.a. aufgezeigt, dass - entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers - seine körperliche Leistungsfähigkeit keinesfalls deutlich eingeschränkt sei; vielmehr stehe diese Behauptung in Widerspruch zu einem aufliegenden Befund vom 24.09.2019. Zudem seien die vom Beschwerdeführer aufgegriffenen Augenbeschwerden (Auftreten von Doppelbildern) - bei sonst altersentsprechender Sehschärfe - sehr wohl und ausreichend berücksichtigt und auch korrekt bewertet worden.

Zusammengefasst konnten die Angaben des Beschwerdeführers nicht über den erstellten Befund hinaus objektiviert werden. Die Krankengeschichte des Beschwerdeführers wurde umfassend und differenziert nach den konkret vorliegenden Krankheitsbildern auch im Zusammenwirken zueinander berücksichtigt. Die vorgelegten Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises; es wird kein aktuell höheres Funktionsdefizit beschrieben als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind. Das Beschwerdevorbringen war somit nicht geeignet, die gutachterliche Beurteilung, wonach ein Grad der Behinderung in Höhe von 30 v.H. vorliegt, zu entkräften.

Das im Beschwerdeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung beziehungsweise Feststellungen substantiiert in Zweifel zu ziehen. Die durch die nachgereichten Beweismittel dokumentierten Funktionseinschränkungen wurden ausreichend berücksichtigt.

Der Beschwerdeführer ist dem - nicht als unschlüssig zu erkennenden - Sachverständigengutachten auch nicht entgegengetreten.

Das im Beschwerdeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung einer fachkundigen Laienrichterin ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist."

"§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

(...)"

"§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

(...)"

"§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

(...)"

§§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:

"Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen."

"Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine."

Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen hat nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 Einschätzungsverordnung sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN). Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller frei steht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023; 20.05.2015, 2013/11/0200).

Gegenständlich wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes zwecks Beurteilung des Beschwerdevorbringens ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin eingeholt, das auf Basis der Aktenlage erstattet wurde und den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen entspricht.

Wie oben eingehend ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten vom 19.01.2020 zugrunde gelegt, wonach der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführer 30 v.H. beträgt. Wie ebenfalls bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, waren die Einwendungen in der Beschwerde nicht geeignet, den Sachverständigenbeweis zu entkräften.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesamtgrad der Behinderung des Beschwerdeführers zum Entscheidungszeitpunkt 30 v.H. beträgt.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Im gegenständlichen Fall sind maßgebend für die Entscheidung die Art und das Ausmaß der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen und der daraus resultierende Gesamtgrad der Behinderung.

Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente und vorgelegten Beweismittel wurden im eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt, soweit diese einschätzungsrelevante Aspekte enthalten bzw. noch aktuell sind. Im Rahmen des Parteiengehörs hatten die Verfahrensparteien die Möglichkeit sich zu äußern bzw. Beweismittel vorzulegen. Von dieser Möglichkeit wurde im gegenständlichen Fall jedoch kein Gebrauch gemacht.

Sohin ist der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden ist.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W216.2226071.1.00

Zuletzt aktualisiert am

14.04.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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