Entscheidungsdatum
25.02.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W268 2172066-1/12E
Schriftliche Ausfertigung des am 06.02.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris GACHOWETZ über die Beschwerde des XXXX , XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid vom 01.09.2017, Zl. XXXX , des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (BF), ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 26.03.2016 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Bei der am selben Tag von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung gab der BF an, der Volksgruppe der Hawiye anzugehören und aus Adanyabaal zu stammen. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe führte er aus, dass er ein Auto gehabt habe, welches ein "Mann namens Al Shabaab" haben wollte. Deshalb habe er ihn mit dem Umbringen bedroht.
1.3. Am 04.04.2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) statt und gab der BF an, dass er als Transporteur tätig gewesen sei und mit seinem Auto Sachen vom Land zur Stadt transportiert habe. Eines Tages sei er aufgefordert worden, Pakete, welche er zu einem späteren Zeitpunkt erhalten würde, zu einem Kunden zu bringen. Es habe sich später herausgestellt, dass der Abgeber und der Empfänger der Pakete von der Al Shabaab gewesen seien. Derjenige, der ihm das Paket hätte bringen sollen, habe jedoch ganz normal ausgesehen, weshalb der BF ihn anfänglich nicht verdächtigt habe, von der Al Shabaab zu sein. Der BF sei in Folge von der Polizei mitgenommen und untersucht worden, in Folge jedoch durch Kaution eines anderen wieder freigekommen. In dem besagten Paket, welches von der Polizei sichergestellt worden sei, seien Offizierskleidung sowie eine Sprengjacke, die häufig von Al Shabaab Mitgliedern benutzt werde, gewesen. Sein erstes Problem habe dann am 03.01.2016 begonnen. An diesem Tag sei er bei einem Checkpoint von zwei Männern angehalten worden und als Regierungsspion beschimpft worden. Sie hätten ihn dann in ein Gefängnis gebracht und dort misshandelt. Sie hätten ihm vorgeworfen, mit der Regierung zu arbeiten und hätten ihn für schuldig erklärt, dass eines ihrer Mitglieder in Haft sei. Sie hätten ihn so heftig geschlagen, dass er bewusstlos geworden sei und im Nachhinein habe sich auch herausgestellt, dass sein Bein gebrochen wurde. Er sei wieder zu Bewusstsein gekommen, als er in einem Raum ohne Dach gewesen sei und es zu regnen begonnen habe. Er sei dann vor ein Gericht gekommen und habe dort gar nicht stehen können. Er sei dann in Folge zum Tode verurteilt worden. Weiters habe man ihm mitgeteilt, dass die Al Shabaab sein Auto übernommen habe. Am 08.01.2016 hätten jedoch Regierungskräfte und AMISOM das Gebäude attackiert und das Dorf übernommen. Es seien dabei einige der Al Shabaab-Leute verhaftet worden und die Regierungsleute hätten die Häftlinge mitgenommen. Dort sei überprüft worden, wer von der Al Shabaab sei und wer nicht. Der BF sei dann schließlich durch Geldzahlung an die Soldaten freigekommen. Er sei ins Spital gebracht worden und habe von dort seine Freunde von der Haltestelle angerufen. Er habe so erfahren, dass seine Familie von der Al Shabaab mitgenommen worden sei. Er sei dann von 08.01.2016 bis zum 11.03.2016 im Spital gewesen. Dort sei er mehrmals telefonisch von der Al Shabaab bedroht worden, das Spital selbst sei jedoch von Security-Mitarbeitern bewacht worden. Nach dem Spitalsaufenthalt habe er ein Zimmer gemietet. Dorthin seien jedoch am 18.03.2016 zwei bewaffnete Männer gekommen, der BF sei gerade nicht dort gewesen. Dies habe ihm sein Vermieter mitgeteilt. Danach sei der BF wieder zum Spital gegangen und habe seine Freunde von der Haltestelle kontaktiert, die für ihn einen Schlepper organisiert hätten. Er habe sich wegen dieser Probleme nicht an die Polizei gewandt. Auch als sie von der Regierung befreit worden seien, sei das nicht unentgeltlich gewesen, weshalb er kein Vertrauen in die Polizei habe.
1.4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.09.2018 erteilt (Spruchpunkt III). Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass sich die Angaben des BF aus der Erstbefragung nicht mit seinen Angaben aus der Einvernahme decken würden. Zudem sei der BF am 03.01.2016 gefangen genommen worden, habe sich jedoch noch von 08.01.-11.03.2016 im Spital aufgehalten und sei dann erst am 23.03.2016 ausgereist. Auch dies sei für die Behörde nicht nachvollziehbar. Schließlich handle es sich beim BF auch um keine high-profile Person, welche von besonders großem Nutzen für die Al Shabaab sein könnte. Aufgrund der instabilen Lage in Somalia sei dem BF jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren.
1.5. Mit Verfahrensanordnung vom 01.09.2017 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
1.6. Mit Schriftsatz vom 28.09.2017 wurde fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhoben und Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht. Hätte die Behörde sich mit dem Fluchtvorbringen adäquat auseinandergesetzt, wäre dem BF der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen.
1.7. Die Beschwerdevorlage langte am 02.10.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde in Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
1.8. Am 06.02.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache sowie des Rechtsvertreters des BF statt. Am Schluss der mündlichen Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet.
1.9. Hinsichtlich des Verfahrensinhaltes sowie des Inhaltes der Beschwerde im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der BF, dessen präzise Identität nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ist volljähriger Staatsangehöriger Somalias und Angehöriger des Clans der Hawiye, Subclan XXXX . Er bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er stammt aus Adenyabaal, wo er bis zu seiner Ausreise aus Somalia im Jahr 2016 gemeinsam mit seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Frau lebte. Die Eltern des BF trennten sich vor mehreren Jahren und der BF wuchs bei seiner Mutter auf. Der BF besuchte drei Jahre die Schule sowie die Koranschule. Er war in Somalia als Kleintransporter-Fahrer tätig. Der BF ist verheiratet und die Ehefrau des BF lebt in einem Flüchtlingslager in Kenia. Die Mutter des BF ist inzwischen verstorben, mit der Schwester hat der BF keinen Kontakt mehr. Seit seiner Ausreise hat der BF keinen Kontakt mehr zu weiteren Verwandten in Somalia.
In Österreich absolvierte der BF einen A1 Deutschkurs und begann danach zu arbeiten. Im österreichischen Bundesgebiet hält sich die Großmutter des BF auf, die dieser erstmalig nach mehreren Jahren anlässlich der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wieder traf. Der BF ist unbescholten und leidet an keinen schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen.
Es wird nicht festgestellt, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Adanyabaal bzw. Mogadischu ein leistungsfähiges familiäres bzw. soziales Netz vorfinden würde.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF
Der BF stammt aus Adanyabaal und war dort als Klein-Tranporter-Fahrer tätig, indem er etwa Vieh vom Dorf zur Stadt brachte bzw. Lebensmittel zum Dorf brachte und umgekehrt. Eines Tages wurde er von einem Mann beauftragt, ein Paket zu einer anderen Person zu transportieren. Sowohl der Abgeber als auch der Empfänger der Pakete waren Al Shabaab-Mitglieder, was der BF zu diesem Zeitpunkt nicht wusste. Der Inhalt eines der Pakete waren Offiziersuniformen sowie eine Sprengjacke. Im Rahmen der diesbezüglichen Befragung des BF bei der Polizei nach vorheriger Anhaltung an einem Checkpoint, bei welchem der Inhalt des Pakets bekannt wurde, verriet der BF den Namen von einem dieser zwei Al Shabaab Mitglieder an die Polizei, woraufhin dieser festgenommen wurde. Der BF selbst kam durch Bürgschaft eines anderen Mannes frei. Einige Zeit später, als der BF mit seinem Transportauto gerade auf dem Weg ins Dorf war, wurde er von zwei Al Shabaab Männern am Checkpoint angehalten und festgenommen. Ihm wurde von diesen Person Spionage vorgeworfen. Der BF wurde in Haft genommen und dort wiederholte Male misshandelt. Dabei wurde ihm unter anderem auch das Bein gebrochen. Bei Gericht teilte man ihm dann mit, dass er zum Tod verurteilt wird. Nach einigen Tagen haben Regierungskräfte diesen Al Shabaab Stützpunkt angegriffen und die Inhaftierten befreit. In Folge wurden auch die Häftlinge von den Regierungskräften verdächtigt, Al Shabaab Mitglieder zu sein. Ein somalischer Soldat machte dem BF schließlich den Vorschlag, dass er entweder freikommen könnte, wenn er jemanden in der Umgebung habe, der ihn erkennt, oder dass er ihn gegen Bezahlung eines Geldbetrages freilässt. Da der BF aus einem anderen Ort stammte, konnte er keine Beweispersonen nennen, weshalb er letztendlich gegen Bezahlung von 600 US-Dollar freigelassen wurde. Er war dann von 08.01.2016 bis zum 11.03.2016 im Spital, welches von Sicherheitskräften bewacht war. Danach hielt er sich in einer von einem Freund gemieteten Unterkunft auf, wurde jedoch auch dort von der Al Shabaab gesucht, weshalb er nochmals in das bewachte Spital zurückkehrte. Von dort organisierte er dann seine Ausreise mittels eines Schleppers und verließ letztendlich am 23.03.2016 Somalia.
1.3. Zur relevanten Situation in Somalia wird festgestellt wie folgt:
Bundesstaat HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle)
Bislang ist die Macht der Regierung von HirShabelle auf Teile von Middle Shabelle bzw. Jowhar beschränkt. Sie hat Einfluss entlang der Straße von Jowhar nach Mogadischu. Zudem kann HirShabelle auch in Belet Weyne - beschränkt - Einfluss ausüben (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.78). Insgesamt sind bei den Verwaltungen von HirShabelle und Belet Weyne Verbesserungen zu verzeichnen. Zusätzlich konnte die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne wesentlich verbessert werden, die Straße gilt aber noch nicht als durchgehend sicher (BMLV 3.9.2019).
Hiiraan: Belet Weyne, Buulo Barde, Jalalaqsi und Maxaas befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM (PGN 8.2019). Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. In jüngerer Vergangenheit konnte westlich von Belet Weyne keine wesentliche Präsenz der al Shabaab verzeichnet werden. Vor allem der Bereich entlang der somalisch-äthiopischen Grenze ist aktuell als sicher anzusehen (BMLV 3.9.2019). Im April 2016 haben Gemeinden im südlichen Hiiraan al Shabaab Widerstand entgegengesetzt. Eine vereinigte Miliz von Hawadle-Subclans - die Macawuusley - haben seither al Shabaab aktiv bekämpft, um die lokalen Gemeinden vor der systematischen Ausbeutung und Gewalt durch al Shabaab zu schützen (SEMG 9.11.2018, S.99/27). In Hiiraan war es im Juni 2019 wegen Streitigkeiten um Wasser und Weide zu Auseinandersetzungen zwischen Subclans von Habr Gedir und Hawadle gekommen (UNSC 15.8.2019, Abs.8).
Belet Weyne ist vergleichsweise stabil, es kommt nur sporadisch zu Gewalt oder Attacken der al Shabaab (DI 6.2019, S.7). In Belet Weyne gibt es eine relativ starke Bezirksverwaltung und lokal rekrutierte Polizeikräfte. Clan-Konflikte werden nicht mehr in der Stadt, sondern außerhalb ausgetragen. Es gibt dort Stützpunkte dschibutischer AMISOM-Truppen, der äthiopischen Armee sowie von einer Brigade der somalischen Armee. Die in Belet Weyne vorhandene Präsenz der al Shabaab scheint kaum relevant, es kommt zu wenigen Vorfällen (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.79f). Allerdings hat al Shabaab die Präsenz in Belet Weyne verstärkt, im Bezirk gibt es vermehrt Zwischenfälle. Die Angriffe richten sich üblicherweise nicht gegen Zivilisten, wiewohl ein Risiko von Kollateralschäden besteht (LIFOS 3.7.2019, S.31).
Middle Shabelle: Jowhar, Balcad und Cadale befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM (PGN 8.2019). Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019). Der Küstenstreifen von Mogadischu nach Cadale ist frei von al Shabaab (PGN 8.2019). Adan Yabaal scheint an al Shabaab verloren gegangen zu sein und wird von ihr kontrolliert (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2). Middle Shabelle dient al Shabaab als Angriffskorridor nach Mogadischu. Die größeren Städte befinden sich zwar unter Regierungskontrolle, diese Kontrolle ist jedoch instabil (NLMBZ 3.2019, S.26).
Al Shabaab hat im März 2019 mehrere Gebiete in der Nähe von Balcad erobert (BAMF 1.4.2019), nachdem die Armee - in Folge eines Streits um den Sold - mehrere Positionen geräumt hatte (BAMF 1.4.2019; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.8). Dieser Gebietsgewinn war aber nur vorübergehend (UNSC 15.5.2019, Abs.17). Zusätzlich war Middle Shabelle anfangs maßgeblich von der Truppenreduktion bei AMISOM betroffen (ME 14.3.2019). Die abgezogenen burundischen Truppen wurden aber zumindest teilweise durch in Mogadischu freigewordene Teile ersetzt (UNSC 15.5.2019, Abs.41). Die Straße von Mogadischu über Jowhar nach Jalalaqsi kann zumindest zeitweilig offengehalten werden (ME 14.3.2019). Aus der Stadt Jowhar selbst kommen keine relevanten Meldungen zu Aktivitäten von al Shabaab, die Stadt gilt als relativ ruhig (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.81).
Auch in Middle Shabelle ist die Miliz der Macawuusley aktiv (Bezirk Jowhar). Sie wendet sich gegen Besteuerung und Zwangsrekrutierung durch al Shabaab. Es kam bereits zu mehreren blutigen Zusammenstößen zwischen beiden Gruppen (LIFOS 3.7.2019, S.31f).
Vorfälle: In den beiden Regionen Hiiraan und Middle Shabelle lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,04 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 62 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 44 dieser 62 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 50 derartige Vorfälle (davon 45 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in den Regionen Hiiraan und Middle Shabelle entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der ca. 50% betragenden Ungenauigkeit von ACLED nicht berücksichtigt):
Tabelle kann nicht abgebildet werden
(ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019)
Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um "violence against civilians" (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, da ACLED zahlreiche Unschärfen aufweist):
Tabelle kann nicht abgebildet werden
Al Shabaab (AS)
Al Shabaab ist eine radikalislamistische, mit der al Kaida affiliierte Miliz (AA 4.3.2019, S.5). Ziel von al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß-Somalia ein islamisches Regime zu installieren (EASO 2.2016, S.19).
Durch das geschaffene Klima der Angst kontrolliert al Shabaab die Bevölkerung, kann sie rekrutieren, Gebiete kontrollieren, Steuern eintreiben und ihre Gesetze durchsetzen. Damit erfüllt die Gruppe alle Rahmenbedingungen eines Staates. Gleichzeitig erlangt al Shabaab aufgrund ihres funktionierenden Justizwesens auch ein Maß an Unterstützung durch die Bevölkerung (Mohamed 17.8.2019).
Al Shabaab betreibt einen Staat im Staat (VOA 3.12.2018) und ist eine entwickelte, bürokratische Organisation (Maruf 14.11.2018). Die Menschen auf dem Gebiet von al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen (BS 2018, S.15). Die Gruppe versucht, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2018, S.15; vgl. Maruf 14.11.2018). Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt (Maruf 14.11.2018). Die mit der Nichtbefolgung strenger Vorschriften verbundenen harten Bestrafungen haben ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2018, S.15).
Aufgrund von Kämpfen zwischen AMISOM/Armee und al Shabaab; der Behinderung humanitärer Hilfe und der Einhebung von Steuern auf Vieh durch al Shabaab; und aufgrund fehlender Sicherheit sind viele Einwohner der von al Shabaab kontrollierten Gebiete in Flüchtlingslager nach Kenia, Äthiopien und IDP-Lager in Somalia geflohen (USDOS 13.3.2019, S.16).
Kapazitäten: Im Vergleich zum Jahr 2014 sind die Kapazitäten von al Shabaab zurückgegangen. Trotzdem hat sich die Gruppe als robust und resilient erwiesen (LIFOS 3.7.2019, S.21f). Allerdings ist al Shabaab seit 2017 wieder effektiver und potenter geworden (Mohamed 17.8.2019). Die Gruppe hat taktische Flexibilität bewiesen. Sie führt Angriffe durch, unterbricht Versorgungslinien, greift militärische Konvois an, ermordet Anführer, die mit ausländischen Kräften kooperiert haben und führt nächtliche Angriffe auf Dörfer durch (ICG 27.6.2019, S.4). Trotz anhaltender Luftangriffe und obwohl die Armee und AMISOM im Umland von Mogadischu vermehrt Operationen durchführen, konnte al Shabaab die Zahl großer Anschläge steigern. Berichten zufolge sind die Luftschläge mit dafür verantwortlich, dass al Shabaab vermehrt in Städten operiert (UNSC 15.8.2019, Abs.16/20).
Al Shabaab hat zwar seit 2011 ständig Gebiete verloren, betreibt aber auch in weiten Gebieten außerhalb ihrer direkten Kontrolle eine Art von Schattenregierung, erhebt dort Steuern und bietet Dienste an (z.B. islamische Rechtsprechung) (SEMG 9.11.2018, S.26/4).
Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Al Shabaab wird bei der Anwendung dieser Taktik immer besser und stärker. Dabei ist auch al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (BFA 8.2017, S.29f).
Verwaltung: Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 4.3.2019, S.5/16). Al Shabaab sorgt dort auch einigermaßen für Ordnung (ICG 27.6.2019, S.1). Die Gruppe verfügt über eine eigene Verwaltung und eigene Gerichte (LIFOS 9.4.2019, S.6). Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher beschrieben. Dort herrschen Frieden und eine Absenz an Clan-Konflikten (BMLV 3.9.2019). Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft (HI 31.5.2018, S.5). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BFA 8.2017; vgl. BMLV 3.9.2019). Die Zivilverwaltung von al Shabaab bietet u.a. Rechtsprechung durch Schariagerichte, organisiert Treffen mit Clanältesten, unterstützt Bedürftige, führt Religionsschulen und bietet Fortbildungsmöglichkeiten - auch für Frauen (NLMBZ 3.2019, S.11). Al Shabaab versucht, zu enge Bindungen an Clans zu vermeiden, unterstützt schwächere Gruppen gegen stärkere Rivalen oder vermittelt bei Streitigkeiten (ICG 27.6.2019, S.2). Gleichzeitig wird al Shabaab als Friedensbewahrer erachtet, da sie Clankonflikte derart handhabt, dass diese auf den Gebieten unter ihrer Kontrolle nur selten in Gewalt münden (HI 31.5.2018, S.5).
Stärke: Die Größe der Miliz von al Shabaab wird auf 13.000 geschätzt. Davon stellt etwa die Hälfte den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; sowie Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk (Maruf 14.11.2018). Eine andere Quelle spricht von 7.000-9.000 Fußtruppen von al Shabaab (TIND 15.1.2019), eine weitere Quelle schätzt die Zahl auf 3.000-7.000 (LI 21.5.2019a, S.3). Wieder eine andere Quelle gibt die Zahl der aktiven Kämpfer mit 2.000-3.000 an (NLMBZ 3.2019, S.10). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyad über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BFA 8.2017, S.27/31; vgl. BMLV 3.9.2019). Der Amniyad ist die wichtigste Stütze der al Shabaab (Mohamed 17.8.2019).
Gebiete: Al Shabaab kontrolliert immer noch ca. ein Fünftel Somalias, darunter v.a. ländliche Gebiete und kleinere Städte in Süd-/Zentralsomalia (ISS 28.2.2019), u.a. Gebiete im Jubatal, darunter die Regionalhauptstadt Buale (Middle Juba) sowie die Bezirkshauptstädte Saakow, Jilib (Middle Juba) und Jamaame (Lower Juba). Auch größere Küstengebiete im Bereich Xaradheere (Mudug) und Ceel Dheere (Galgaduud) sowie die genannten Städte bleiben unter direkter Kontrolle von al Shabaab (SEMG 9.11.2018, S.22). Dies gilt auch für einige ländliche Gebiete im Umland von Mogadischu (ICG 27.6.2019, S.2). Zusätzlich kontrolliert al Shabaab die Bezirkshauptstädte Kurtunwaarey (Lower Shabelle), Tayeeglow (Bakool), Ceel Buur (Galgaduud) und Adan Yabaal (Middle Shabelle). Die Situation bezüglich Sablaale (Lower Shabelle) und Badhaade (Lower Juba) ist ungewiss (PGN 8.2019). Außerdem verfügt al Shabaab in Gebieten unter der Kontrolle von Regierung und/oder AMISOM über nennenswerten Einfluss (NLMBZ 3.2019, S.53; vgl. ICG 27.6.2019, S.4).
In ihrem Gebiet hält al Shabaab vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus (LI 21.5.2019a, S.3). Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia damit unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuschlagen zu können (BMLV 3.9.2019), bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. LI 21.5.2019a, S.3).
Steuern: Al Shabaab wendet in ganz Süd-/Zentralsomalia ein systematisches und zentralisiertes System zur Einhebung von Steuern an, das breiter aufgestellt ist, als jenes der Bundesregierung oder der Bundesstaaten (SEMG 9.11.2018, S.25f; vgl. VOA 3.12.2018). Einkünfte werden dabei aus unterschiedlichen Quellen bezogen, v.a. aber aus der Besteuerung von: durchfahrenden Fahrzeugen (gadiid); transportierten Gütern (badeeco); landwirtschaftlichen Betrieben und Erzeugnissen (dalag); und den Verkauf von Vieh (xoolo). Hinzu kommen Einnahmen von Almosen (zakat) (SEMG 9.11.2018, S.25f). Das Steuersystem von al Shabaab wird durch systematische Einschüchterung und Gewalt gestützt (SEMG 9.11.2018, S.26/97). Die Zahlung der Abgaben erfolgt in der Form von Geld, Tieren, landwirtschaftlichen Produkten oder anderen Werten. Die Höhe der Besteuerung hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen (LI 20.12.2017, S.3).
Al Shabaab erpresst Reisende entlang aller wichtigen Routen (ICG 27.6.2019, S.2). Ihre zur Steuereinnahme errichteten Straßensperren gibt es flächendeckend in ganz Süd-/Zentralsomalia. Da die Höhe der Abgaben bei al Shabaab berechenbar ist, bevorzugen kommerzielle Fahrer oftmals den Transit über von ihr kontrollierte Straßen (SEMG 9.11.2018, S.26).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den vorliegenden Verwaltungsakt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF, der von ihm vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes, die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht, die ergänzende Heranziehung aktueller länderkundlicher Informationen zur allgemeinen Lage in Somalia sowie die amtswegige Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungssdatensystems den BF betreffend.
2.2. Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsunterlagen sowie den Aktenbestandteilen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Als Beweismittel insbesondere relevant sind die Niederschriften der Einvernahmen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch das BFA sowie der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG sowie das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Somalia vom 17.09.2019 ("LIB 2019").
2.3. Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt. Die Feststellungen zur Identität des BF ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben im Verfahren und dienen ausschließlich zur Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen Verfahren auf internationalen Schutz.
2.4. Die Feststellungen zur persönlichen Situation in Österreich ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem BFA und BVwG sowie aus Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Fremdeninformationssystem, Grundversorgungs-Informationssystem). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
2.5. Zum Fluchtvorbringen des BF
Der BF erstattete im Zuge des gesamten Verfahrens - in der Erstbefragung, der Einvernahme vor dem BFA sowie insbesondere im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht - zur Festnahme, seiner Anhaltung und den Misshandlungen durch die Al Shabaab sowie seiner nachfolgenden Befreiung durch Regierungssoldaten im Wesentlichen widerspruchsfreie Angaben; soweit er vor dem Bundesverwaltungsgericht lediglich grobe Ausführungen tätigte bzw. seine Schilderungen in Details von seinen vorherigen Angaben abweichen, ist im vorliegenden Fall der verstrichene Zeitraum seit den fluchtauslösenden Ereignissen zugunsten des BF werten. Ebenso der deutliche zeitliche Abstand zwischen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA (04.04.2017) und der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (06.02.2020). Auch wenn sich im Rahmen der Schilderung des doch sehr komplexen Sachverhalts vor dem BFA bzw. vor dem Bundesverwaltungsgericht teilweise Ungenauigkeiten im Hinblick auf Begleitumstände ergaben, so ist dennoch auf die klare, substantiierte und widerspruchsfreie Schilderung des BF betreffend seine Anhaltung und Misshandlung durch die Al Shabaab sowie schließlich seine Befreiung durch die Behörden hinzuweisen, weshalb letztendlich eine Gefährdung des BF durch die Al Shabaab in seinem Herkunftsgebiet nicht gänzlich auszuschließen ist. Insbesondere auch die Erwähnung von unwesentlichen Details (Dach war undicht, Regen tropfte hinein...) ließen das Vorbringen des BF glaubhaft erscheinen. Diese Feststellung wurde insbesondere auch aufgrund der besonders prekären Situation in der Heimatstadt des BF getroffen, in welcher die Al Shabaab nunmehr gänzlich an der Macht ist und der BF somit dem sofortigen Zugriff durch die Al Shabaab ausgesetzt wäre. Das Bedrohungspotenzial deckt sich somit auch mit den aktuellen Länderberichten zur Situation in der Herkunftsregion des BF, aus welchen hervorgeht, dass Adanyabaal an Al Shabaab verloren ging und derzeit von Al Shabaab kontrolliert wird (vgl. LIB 2019 S. 33).
Im Gegensatz zur Auffassung des BFA erkennt die entscheidende Richterin des Bundesverwaltungsgerichts schließlich auch keinen groben Widerspruch zwischen den Angaben des BF in der Erstbefragung und in der Einvernahme vor dem BFA (vgl. Bescheid S. 58). So deutete der BF auch schon in der Erstbefragung Probleme mit der Al Shabaab an und gab an, dass er mit dem Umbringen bedroht worden sei. Zur Erstbefragung ist weiters anzumerken, dass es in dieser auch eine sehr unklare Übersetzung gegeben hat, zumal wortwörtlich im Protokoll steht: "..Ein Mann namens Al Shabaab..", jedoch nicht davon auszugehen ist, dass der BF selbst diese Aussage getätigt hat, da anzunehmen ist, dass jeder (erwachsene) Somalier in Kenntnis darüber ist, dass die Al Shabaab eine Terrorgruppe und nicht eine bestimmte Person ist. Im Hinblick auf die weiteren Feststellungen im Bescheid, wonach das Vorbringen des BF auch deshalb nicht glaubhaft ist, zumal er sich nach seiner Befreiung von der Al Shabaab noch mehrere Wochen in Somalia aufhielt, ist auszuführen, dass der BF zu diesem Umstand in der Verhandlung noch einmal klar Stellung nahm und angab, dass er den Großteil dieser Zeit in einem bewachten Spital verbrachte und aus diesem Grund noch so lange in Somalia verblieb (vgl. S. 18 des Verhandlungsprotokolls). Auch wenn den Angaben im Bescheid des BFA, wonach der BF grundsätzlich keine high-profile Person ist, welche von besonders großem Nutzen für die Al Shabaab ist, zuzustimmen ist, so ist dennoch festzustellen, dass der BF durch seinen Verrat eines der Al Shabaab Mitglieder an die Regierung ins Visier der Terrororganisation geriet und aus diesem Grund nicht auszuschließen ist, dass dieser bei der Al Shabaab namentlich bekannt ist.
Generell ist festzustellen, dass der BF, der lediglich eine dreijährige Schulbildung aufweist, den doch sehr komplexen Sachverhalt in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht klar nachvollziehbar und auch in chronologischer Hinsicht weitgehend widerspruchsfrei und hinreichend substantiiert geschildert hat. Der BF konnte den diesbezüglichen fluchtrelevanten Sachverhalt lebensnah schildern. Im Ergebnis war daher das Fluchtvorbringen der Entscheidung als glaubhaft zugrunde zu legen.
2.6. Die Feststellungen, dass der BF kein leistungsfähiges Netz in Adanyabaal und Mogadischu hat und somit bei einer Rückkehr auf sich alleine gestellt wäre, ergibt sich aus den glaubhaften Verfahrensangaben. So brachte der BF sowohl vor dem BFA als auch vor dem BVwG konsistent vor, dass er nach der Scheidung seiner Eltern bei seiner Mutter aufgewachsen ist (AS 23 und S. 11 des Verhandlungsprotokolls). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der BF weiters an, dass seine Mutter mittlerweile verstorben sei (S. 11 des Verhandlungsprotokolls). Die Ehefrau des BF lebt im Flüchtlingslager in Kenia. Auch diesbezüglich ergaben sich keine Zweifel an der Richtigkeit der Angaben.
2.7. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
Die unter Pkt. II.1.3. getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Situation in Somalia wurden dem BF gemeinsam mit der Ladung zur Verhandlung übermittelt und sie wurden ihm im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 06.02.2020 vorgehalten, wobei er die Gelegenheit erhielt, dazu Stellung zu nehmen. Der Vertreter des BF verwies hierbei auf die noch immer starke Präsenz der Al Shabaab in Adenyabaal bzw. Middle Shabelle.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) 3.1. Spruchpunkt I.:
Rechtsgrundlagen:
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.
3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
3.1.4. Auf Grund der oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellten Erwägungen ist es dem BF gelungen, glaubhaft zu machen, dass der behauptete Sachverhalt - Verfolgung durch Al Shabaab - verwirklicht worden ist. Ein Beweis desselben ist dagegen nicht erforderlich. Diesem herabgesetzten Maßstab ist der BF mit seinen Ausführungen bei Abwägung der Gesamtumstände gerecht geworden (vgl. Pkt. II.2.5.). Die den BF treffende Verfolgungsgefahr findet ihre Deckung in einem der in Art. 1. Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen, weil dem BF durch die ihm unterstellte Spionagetätigkeit, eine gegen ihre Ideologie und Ziele gerichtete politische Einstellung (zumindest) unterstellt werden würde. Die Verfolgung droht ihm daher schon aus politischen Gründen. Der BF geriet durch seinen Verrat eines Al Shabaab Mitglieds an die staatlichen Behörden sowie seine darauffolgende Flucht aus dem Gewahrsam der Al Shabaab ins Visier der Al Shabaab und es kann somit nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dieser namentlich bei der Al Shabaab vermerkt ist und somit von dieser gesucht wird. Das besondere Interesse der Al Shabaab gerade an der Person des BF ist schließlich daraus ableitbar, dass dieser mit den staatlichen Behörden kooperierte und in Folge das Land verließ, obwohl er von der Al Shabaab verurteilt war.
Zu einer möglichen Schutzfähigkeit des Staates ist zudem auszuführen, dass sich Adenyabaal unter Kontrolle der Al Shabaab befindet und das Vorbringen des BF somit auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen plausibel erscheint. Angesichts dieser Berichtslage kann nicht davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsbehörden ausreichend schutzfähig wären, um die den BF treffende Verfolgungsgefahr genügend zu unterbinden und einen gefahrlosen Aufenthalt zu ermöglichen.
3.1.5. Auf Grund der rechtskräftigen Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist davon auszugehen, dass dem BF mangels hinreichender Sachverhaltsveränderung eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht (vgl. VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016). Weiters verfügt der BF über kein familiäres Netz, da die Mutter des BF mittlerweile verstorben ist und sich die Frau des BF mittlerweile in Kenia befindet. Schon vor dem Jahr 2016 gab es - v.a. in Süd-/Zentralsomalia - mehr als 1,1 Millionen IDPs. Viele davon waren im Zuge der Hungersnot 2011 geflüchtet und danach nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Weitere 1,6 Millionen sind ab 2016 hinzugekommen, auch sie sind in erster Linie wegen der Dürre geflohen (OXFAM 6.2018, S.5). Gewalt, Unsicherheit und unberechenbares Wetter sorgen auch weiterhin für neue Vertreibung von Zivilisten. Die Zahl an IDPs beträgt 2,6 Millionen. Viele davon leben unter schwierigen Umständen, sind sehr vulnerabel und auf Unterstützung und Schutz angewiesen (UNSC 15.5.2019, Abs.68). Viele der im Jahr 2018 neu Vertriebenen sind zwar auf Unsicherheit zurückzuführen; ebenso viele mussten ihre Heimat aber wegen Dürre und/oder Überschwemmungen verlassen (NLMBZ 3.2019, S.49). Nach neueren Angaben war die letzte Ernte in Südsomalia die schlechteste seit 1995 - 68% unter dem Durchschnitt; im Nordwesten lag sie mit 44% unter dem Durchschnitt (FEWS 2.9.2019a). Da die durch die Dürre bedingte dramatische Nahrungsmittelknappheit nun neuerlich im Anstieg begriffen ist, scheidet eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative für den BF somit letztendlich auch aus diesem Grund aus.
3.1.6. Dem BF droht daher eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat.
3.1.7. Es kamen keine Asylendigungs- bzw. -ausschlussgründe hervor. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Vollständigkeitshalber wird angemerkt, dass der Antrag des BF nach dem 15.11.2015 gestellt wurde. Gemäß § 75 Abs. 24 AsylG kommt dem BF daher eine dreijährige Aufenthaltsberechtigung zu. Die Bestimmung des § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 ist nicht anwendbar.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, individuelle Verhältnisse,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W268.2172066.1.00Zuletzt aktualisiert am
14.04.2020