TE Vwgh Beschluss 2020/2/27 Ra 2020/01/0050

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Veröffentlicht am 27.02.2020
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Index

E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

B-VG Art133 Abs4
StbG 1985 §27 Abs1
StbG 1985 §28 Abs1
VwGG §34 Abs1
62017CJ0221 Tjebbes VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der H S in K, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 1. Oktober 2019, Zl. LVwG-451-16/2018-R16, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vorarlberger Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis stellte das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht) in der Sache gemäß § 27 Abs. 1 iVm § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1 985 (StbG) fest, dass die Revisionswerberin durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit am 23. Februar 2017 die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hat, und sprach aus, dass die Revision unzulässig sei.

2 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung zusammengefasst nachstehende wesentliche Feststellungen zugrunde:

Die in der Türkei geborene Revisionswerberin erwarb die türkische Staatsangehörigkeit mit der Geburt.

Mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung (belangten Behörde) vom 3. Juni 1994 wurde ihr mit Wirkung vom selben Tag die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Nach der Entlassung aus dem türkischen Staatsverband - bestätigt mit bei der belangten Behörde am 29. Juni 1994 eingelangtem Schreiben der türkischen Generaldirektion - erwarb die Revisionswerberin durch Antrag erneut am 23. Februar 2017 die türkische Staatsangehörigkeit. Die Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit wurde nicht beantragt.

Auf Antrag der Revisionswerberin vom 24. Februar 2017 wurde sie mit 17. November 2017 aus dem türkischen Staatsverband entlassen.

Die Revisionswerberin hält sich seit ihrem zweiten Lebensjahr in Österreich auf und besuchte hier die Volks- und Hauptschule. Sie hat zwei Kinder (geboren 2000 bzw. 2003) und arbeitet derzeit in einem näher genannten Unternehmen in der Schweiz. 3 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, vor dem Hintergrund der näher zitierten türkischen Rechtslage, wonach der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nur auf Antrag möglich sei, sei davon auszugehen, dass die Revisionswerberin zwischen der erstmaligen Entlassung aus dem türkischen Staatsverband am 29. Juni 1994 und dem 23. Februar 2017, dem Tag vor dem Antrag auf erneute Entlassung aus dem türkischen Staatsverband, einen Antrag auf Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt habe und diese spätestens am 23. Februar 2017, ohne zuvor die Bewilligung der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu beantragen, erlangt habe, weshalb die Revisionswerberin spätestens an diesem Tag gemäß § 27 StbG ex lege die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe.

Auf Grund der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 12. März 2019, C-221/17, Tjebbes u. a., sei gegenständlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Dabei habe das Verwaltungsgericht die privaten Interessen der Revisionswerberin gegenüber den öffentlichen Interessen abzuwägen.

Da die Revisionswerberin zwischenzeitig erneut aus dem türkischen Staatsverband entlassen worden sei, sei sie nach dem Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft staatenlos. Die Revisionswerberin, die seit über 40 Jahren in Österreich lebe, hier die Schule besucht und zwei Kinder habe sowie in der Schweiz arbeite, habe dementsprechend berücksichtigungswürdige private und familiäre Gründe geltend gemacht. Demgegenüber stelle die Vermeidung von Doppelstaatsbürgerschaften ein im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigendes, öffentliches Interesse dar.

Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in seinem Beschluss vom 17. Juni 2019, E 1302/2019, würden im konkreten Fall die öffentlichen Interessen überwiegen, zumal die Revisionswerberin von der Möglichkeit des Antrags auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft vor dem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit keinen Gebrauch gemacht habe und sie die türkische Staatsangehörigkeit auf eigenen Antrag wiedererworben habe, sodass sie den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft als Konsequenz daraus selbst zu verantworten habe. Der ex-lege Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft sei daher nicht unverhältnismäßig.

Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 11. Dezember 2019, E 4171/2019-5 ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Begründend führte der Verfassungsgerichtshof unter anderem aus:

"Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dem Landesverwaltungsgericht Vorarlberg insbesondere auch nicht entgegenzutreten, wenn es dabei von der Verhältnismäßigkeit des gemäß § 27 Abs. 1 StbG ex lege entstehenden Verlustes der Staatsbürgerschaft ausgeht (vgl. mwN VfGH 17.6.2019, E 1302/2019)."

In der Folge erhob die Revisionswerberin die vorliegende Revision.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Soweit die Revision im gemäß § 34 Abs. 1a VwGG allein maßgeblichen Zulässigkeitsvorbringen einen erheblichen Begründungsmangel darin erblickt, dass der Aufbau des angefochtenen Erkenntnisses den in der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gestellten Anforderungen nicht entspreche, zeigt sie keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf, weil nicht ersichtlich ist, dass das Verwaltungsgericht eine Trennung des Erkenntnisses in Tatsachenfeststellungen, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung in einer solchen Art und Weise vermissen lässt, dass die Rechtsverfolgung durch die Partei über die nachprüfende Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts dadurch maßgeblich beeinträchtigt wäre (vgl. zu den Anforderungen an die Begründung etwa VwGH 18.2.2015, Ra 2014/03/0045).

8 Wenn in diesem Zusammenhang die Revision mangelnde Feststellungen dazu rügt, "ob die Revisionswerberin jemals einen aktiven Akt gesetzt" habe, um die türkische Staatsangehörigkeit wieder zu erwerben, bzw. das Fehlen "sämtlicher Feststellungen zur Bedeutung der Unionsbürgerschaft für die Revisionswerberin, weil ihre persönlichen Verhältnisse nicht korrekt festgestellt" seien "und daher auch die Auswirkungen durch den Verlust der Staatsbürgerschaft nicht eingeschätzt werden" könnten, moniert, macht sie einen Verfahrensmangel geltend, ohne in konkreter Weise, also fallbezogen dessen Relevanz, wie nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshof für die hinreichende Darlegung von behaupteten Verfahrensmängeln vorausgesetzt (vgl. etwa VwGH 30.9.2019, Ra 2018/01/0457, Rn. 14, mwN), aufzuzeigen. Der bloß pauschale Hinweis, "ein Mindestmaß an Begründungskultur" bilde die "zentrale Vorgabe für die Prüfungstätigkeit des Verwaltungsgerichtshofes", reicht für eine hinreichende Relevanzdarlegung nicht. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Revisionswerberin nach ihrer Entlassung aus dem türkischen Staatsverband durch Antrag die türkische Staatsangehörigkeit spätestens am 23. Februar 2017 wiedererwarb. Ebenso traf das Verwaltungsgericht entsprechend dem Vorbringen der Revisionswerberin Feststellungen zu ihren persönlichen Verhältnissen, insbesondere zu ihrer Beschäftigung in der Schweiz.

9 Die Revision rügt in ihrem Zulässigkeitsvorbringen überdies, das Verwaltungsgericht habe die nach der jüngsten Rechtsprechung des EuGH bei Verlust der Unionsbürgerschaft bestehende Verpflichtung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf den nicht beachteten Umstand, dass die Revisionswerberin mit dem Verlust der Unionsbürgerschaft als Staatenlose auch ihre Arbeit in der Schweiz verliere, weil sie die unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht mehr wahrnehmen könne, missachtet. 10 Ausgehend vom festgestellten Vorliegen der Voraussetzungen für den Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 StbG und dem für die Revisionswerberin damit verbundenen gleichzeitigen Verlust des Unionsbürgerstatus ist nach der Rechtsprechung des EuGH vom 12. März 2019 in der Rechtssache C- 221/17, Tjebbes u.a., von der zuständigen nationalen Behörde und gegebenenfalls dem nationalen Gericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen (vgl. jüngst VwGH 28.1.2020, Ra 2019/01/0466, mwN). Eine solche Verhältnismäßigkeitsprüfung wurde vom Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die zitierte Rechtsprechung des EuGH auch durchgeführt.

11 Zu den Kriterien einer solchen unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Februar 2020, Ra 2020/01/0022, Rn. 21 - 26, verwiesen werden. Demnach hält der Verwaltungsgerichtshof neben der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 17. Juni 2019, E 1302/2019, vertretenen verfassungsrechtlichen Sicht (weiterhin) eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nach den Kriterien des EuGH in der Rechtssache Tjebbes, u.a., für unionsrechtlich geboten. Eine solche unionsrechtlich gebotene Prüfung erfordert eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles durchgeführte Gesamtbetrachtung. Bei einer solchen Gesamtbetrachtung wird jedoch regelmäßig der vom Verfassungsgerichtshof aus verfassungsrechtlicher Sicht angeführte Umstand, dass der Betroffene die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft (nach § 28 Abs. 1 StbG) nicht wahrgenommen hat, von maßgeblicher Bedeutung sein. Dieser Umstand entbindet das Verwaltungsgericht aber nicht von der unionsrechtlich gebotenen Gesamtbetrachtung, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist.

12 Allein mit dem Zulässigkeitsvorbringen, dass die Revisionswerberin mit dem Verlust der Unionsbürgerschaft nicht mehr die unionsrechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit ausüben könne und daher als Staatenlose nicht mehr in der Schweiz arbeiten könne, vermag die Revision nicht darzulegen, dass die einzelfallbezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung des Verwaltungsgerichts unvertretbar ist.

13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

14 Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 27. Februar 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0221 Tjebbes VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010050.L00

Im RIS seit

18.05.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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