Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §39 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des H M, vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in 4070 Eferding, Kirchenplatz 8, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Jänner 2020, W242 2185848-2/E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 27. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. 2 Mit Erkenntnis vom 23. Mai 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - im Beschwerdeverfahren - diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan fest und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 24. September 2019, E 2565/2019-7, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abtrat.
4 Mit Beschluss vom 13. Dezember 2019, Ra 2019/20/0571-4, wies der Verwaltungsgerichtshof die gegen das Erkenntnis des BVwG vom 23. Mai 2019 erhobene außerordentliche Revision des Revisionswerbers zurück.
5 Mit Schriftsatz vom 13. Jänner 2020 begehrte der Revisionswerber beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG. Begründend führte er aus, es sei die Tatsache, dass er an einer durch eine chronische Infektion mit Helicobacter pylori bedingten chronischen Gastritis Typ B sowie an einem submukösen Tumor im Zwölffingerdarm leide, neu hervorgekommen. Die medizinisch dringend indizierten Behandlungen seien in Afghanistan nicht auf akzeptablem Standard durchführbar, weshalb die Wiederaufnahme beantragt werde. Bei Kenntnis dieser Umstände, die erst nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens zu Tage getreten seien, wäre dem Revisionswerber zumindest der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden.
6 Der Wiederaufnahmeantrag wurde durch das BFA gemäß § 6 AVG an das BVwG weitergeleitet.
7 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 29. Jänner 2020 wies das BVwG den Wiederaufnahmeantrag des Revisionswerbers gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG als unbegründet ab und erklärte die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
8 Begründend führte das BVwG aus, das Verfahren betreffend den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz sei mit Erkenntnis des BVwG vom 23. Mai 2019 rechtskräftig abgeschlossen worden. Da die vom Revisionswerber vorgebrachten Erkrankungen erst aufgrund einer am 19. Dezember 2019 durchgeführten Untersuchung diagnostiziert worden seien, sich der vom Revisionswerber vorgelegte Befund vom 7. Jänner 2020 nur auf diese Magenerkrankungen beziehe und der Revisionswerber schließlich selbst in seinem Wiederaufnahmeantrag ausgeführt habe, diese Erkrankungen sowie die dadurch indizierte medizinische Behandlung seien erst nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens zu Tage getreten, lägen keine neuen Tatsachen und Beweismittel im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG vor. In dem mit Erkenntnis vom 23. Mai 2019 abgeschlossenen Verfahren habe der Revisionswerber ausschließlich auf Rückenschmerzen sowie auf eine posttraumatische Belastungsstörung hingewiesen.
9 Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, das BVwG habe die Abgrenzung zwischen nova reperta, die zur Wiederaufnahme berechtigten, und nova producta, die nicht zur Wiederaufnahme berechtigten, unrichtig vorgenommen. Wie aus der ärztlichen Bestätigung vom 5. Februar 2020 ersichtlich sei, bestünden beide Erkrankungen seit mehreren Jahren. Bei den im Wiederaufnahmeantrag vorgebrachten Tatsachen handle es sich daher nicht um nova producta, sondern um nova reperta. Dieser Aspekt sei - mangels einschlägiger Fachkenntnis des BVwG - durch das Gericht nachweislich falsch beurteilt worden.
10 Weiters habe das BVwG gegen den Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit verstoßen, indem es medizinische Belege ohne einschlägige medizinische Kenntnis gewürdigt habe. Eine Behörde dürfe Fachfragen nur dann selbständig beurteilen, wenn sie jene Fachkenntnisse und Erfahrungen habe, die für eine selbständige fachliche Beurteilung von Fragen eines bestimmten Wissensgebietes vorausgesetzt werden müssten. Im gegenständlichen Fall sei nicht davon auszugehen, dass das BVwG über die nötige Fachkenntnis verfügt habe, weshalb ein Sachverständigengutachten hätte eingeholt werden müssen.
11 Zudem wird hinsichtlich der beweiswürdigenden Erwägungen und der Feststellungen des BVwG eine Verletzung der Begründungspflicht ins Treffen geführt.
Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG). 13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 15 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0403, mwN).
16 Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhalts gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Entscheidungen nicht entgegensteht (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0510, mwN).
17 Auch Gutachten von Sachverständigen, die erst nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung eingeholt wurden, sind nicht neu hervorgekommen, sondern neu entstanden und können damit auch nicht als neue Beweismittel Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sein. Nur wenn ein Sachverständiger Tatsachen, die zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bereits bestanden haben, erst nach Rechtskraft der Entscheidung "feststellt", können diese bzw. die daraus resultierenden neuen Befundergebnisse, die sich auf die zuvor bestandenen Tatsachen beziehen, bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen als neue Tatsachen einen Grund für eine Wiederaufnahme darstellen (VwGH 20.3.2019, Ra 2019/20/0096). 18 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Wiederaufnahmewerber zudem den Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, in seinem Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darzulegen. Sein Antrag kann nur dann zur Wiederaufnahme führen, wenn er Tatsachen vorbringt, auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass sie im wiederaufzunehmenden Verfahren zu einem anderen Bescheid geführt hätten (vgl. VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0403, mwN). 19 Der Revisionswerber begründete den im Wege seiner anwaltlichen Vertretung eingebrachten Antrag auf Wiederaufnahme damit, dass er sich aufgrund von Magenschmerzen am 19. Dezember 2019 in medizinische Behandlung begeben und anlässlich einer Befundbesprechung am 7. Jänner 2020 erfahren habe, dass er an einem submukösen Tumor sowie an einer durch eine chronische Infektion mit Helicobacter pylori hervorgerufenen chronischen Gastritis leide.
20 Wenn das BVwG im Hinblick auf dieses Vorbringen davon ausging, dass damit keine Tatsachen geltend gemacht worden seien, die bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 23. Mai 2019 vorgelegen wären, wirft dies keine Rechtsfragen im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG auf.
21 Konkrete Ausführungen, wonach die ins Treffen geführten Erkrankungen bereits vor Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 23. Mai 2019 bestanden hätten, enthielt der Wiederaufnahmeantrag nicht. Dem mit dem Wiederaufnahmeantrag vorgelegten Ambulanzbrief vom 7. Jänner 2020 war dies ebenso wenig zu entnehmen. Aus diesem ging hervor, dass der Tumor durch eine Endosonographie sowie eine Biopsie näher geprüft werden müsse und hinsichtlich der Helicobacter-pylori-Infektion eine vierzehntägige Therapie mit Antibiotika sowie eine in weiterer Folge durchzuführende Kontrolle empfohlen würden.
22 Wenn der Revisionswerber nunmehr ein ärztliches Schreiben vom 5. Februar 2020 vorlegt, wonach die beiden Erkrankungen bereits seit mehreren Jahren bestünden, sich submuköse Tumore über viele Jahre hinweg langsam entwickelten und eine chronische Gastritis vom Typ B durch Infektion mit Heliocbacter pylori üblicherweise im Kleinkindalter erworben werde, auch wenn die auf die Infektion folgenden histologischen Veränderungen noch Jahre zu ihrer Entwicklung bräuchten und meist erst im jungen Erwachsenenalter Symptome aufträten, unterliegt dieses erstmals in der Revision erstattete Vorbringen dem aus § 41 VwGG abgeleiteten Neuerungsverbot. Es ist daher schon aus diesem Grund nicht geeignet, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu begründen (vgl. z.B. VwGH 14.12.2016, Ra 2016/19/0300). 23 Ungeachtet dessen wird in der Revision auch nicht substantiiert dargelegt, dass der Revisionswerber aufgrund der im Jänner 2020 bekannt gewordenen Erkrankungen bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses des BVwG vom 23. Mai 2019 krankheitsbedingte Einschränkungen (beispielsweise seiner Erwerbsfähigkeit) aufgewiesen hätte, die bei der Beurteilung der Gewährung von subsidiärem Schutz (und zwar insbesondere hinsichtlich der vom BVwG im Erkenntnis vom 23. Mai 2019 angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat) zu berücksichtigen gewesen wären. Es wird auch nicht konkret aufgezeigt, dass dem Revisionswerber aufgrund eines bereits im Mai 2019 bestehenden Krankheitsbildes und einer infolgedessen erforderlichen, in den genannten afghanischen Städten aber nicht zugänglichen medizinischen Behandlung zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses vom 23. Mai 2019 subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen wäre. Der Erfolg der beantragten Wiederaufnahme setzt jedoch u.a. voraus, dass die im Wiederaufnahmeantrag ins Treffen geführten Tatsachen allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeigeführt hätten (vgl. dazu VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0510).
24 Mit dem Einwand, das BVwG hätte zwecks Würdigung des im Wiederaufnahmeantrag erstatteten Vorbringens sowie des vorgelegten Ambulanzbriefes ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen müssen, weil es nicht über einschlägige medizinische Fachkenntnisse verfüge, wird ein Ermittlungsmangel geltend gemacht.
25 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflicht weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 9.1.2020, Ra 2019/19/0550, mwN). Dass dies vorliegend der Fall wäre, zeigt die Revision nicht auf. Betreffend den geltend gemachten Verfahrensmangel lässt sie im Übrigen eine nachvollziehbare Relevanzdarstellung vermissen.
26 In Anbetracht des angefochtenen Beschlusses ist eine tragende Grundsätze des Verfahrensrechts berührende Verkennung der Begründungspflicht nicht ersichtlich (vgl. dazu VwGH 28.2.2019, Ra 2018/12/0023).
27 Schließlich wird darauf hingewiesen, dass in der vorliegenden Konstellation, in der ein durch Erkenntnis des BVwG abgeschlossenes Verfahren vorlag, der von der Rechtsvertretung des Revisionswerbers ausdrücklich auf § 69 AVG gestützte Wiederaufnahmeantrag, in dem überdies explizit die Zuständigkeit des BFA zur Entscheidung über diesen Antrag geltend gemacht wurde, ohnehin als unzulässig zu beurteilen war (VwGH 28.2.2019, Ra 2019/12/0010).
28 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 4. März 2020
Schlagworte
Gutachten neues WiederaufnahmeSachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180069.L00Im RIS seit
19.05.2020Zuletzt aktualisiert am
19.05.2020